Friedrich Wolff/Egon Krenz: Komm mir nicht mit Rechtsstaat.

Rezension

Friedrich Wolff/Egon Krenz: Komm mir nicht mit Rechtsstaat. Gespräch zwischen einem fast hundertjährigen Juristen und einem langjährigen DDR-Politiker, Berlin 2021, 204 S., Edition Ost, 15,-€.

rezensiert von Eckhard Jesse

Friedrich Wolff, Jahrgang 1922, in der DDR als langjähriger Vorsitzender des Berliner Rechtsanwaltskollegiums einer der bekanntesten Juristen, verteidigte u.a. so unterschiedliche Personen wie Walter Janka, Karl Wilhelm Fricke und Günter Guillaume. Nach der friedlichen Revolution fungierte er u.a. als Verteidiger von Erich Honecker und Hans Modrow. Sein Gesprächspartner ist Egon Krenz, Jahrgang 1937, im Herbst 1989 Nachfolger Honeckers. Beide sind selbst im hohen Alter noch produktiv. Der mehrtägige Gedankenaustausch zwischen den ihnen zeichnet sich durch hohe Übereinstimmung aus, etwa beim Begriff „Rechtsstaat“, den sie für die Bundesrepublik Deutschland nicht gelten lassen. Zugleich wehren sich die zwei Kommunisten dagegen, die DDR als Unrechtsstaat zu klassifizieren. Es handle sich um eine „diffamierende Vokabel“ (S. 8), wie Frank Schumann eingangs meint. Der frühere Chef der „Jungen Welt“ und heutige Verleger hat, ebenso wie Siegfried Lorenz, Mitglied im Politbüro von 1986-1989, den tagelangen Gesprächen beigewohnt und sie transkribiert, ohne aber auf die Authentizität der gesprochenen Wortes zu verzichten.

Das Mammutgespräch ist in sechs, allerdings nicht ganz trennscharf gehaltene Kapitel gegliedert. Sie drehen sich um das Verhältnis von Politik und Recht – in der DDR wie in der Bundesrepublik Deutschland. Die Autoren rechnen mit den NS-„Schreibtischtätern“ wie Hans Globke und Theodor Oberländer ab, die in der Bundesrepublik in hohen Ämtern saßen. Gegen sie gab es in der DDR Schauprozesse, wobei Wolff seinerzeit als Pflichtverteidiger für die abwesenden Angeklagten fungierte. Während Krenz die Bezeichnung „Schauprozess“ als „Kampfbegriff der Westpropaganda“ (S. 40) ablehnt, sieht ihn Wolff weniger negativ: „Also Schauprozesse im Sinne von Aufklärung und gesellschaftlicher Ächtung“ (S. 40).

Manche Behauptungen aus der Plauderei dürften selbst Leute, die Krenz und Wolff nahestehen, nicht ernst nehmen. Die Todesstrafe soll in der Bundesrepublik abgeschafft worden sein, „weil man die Nazis überleben lassen wollte“. Wolff pflichtet bei: „Nun ja, wenn an die Kontinuität bei den Personalien sieht, liegt dieser Verdacht nahe“ (S. 65). Zuweilen wird vorsichtige Kritik an der Justiz der DDR mit der fehlenden gerichtlichen Verwaltungskontrolle geübt. Trotzdem heißt es bei Wolff: „Im Vergleich zur Bundesrepublik waren wir der tatsächliche Rechtsstaat“ (S. 77). Eine Begründung liefert er nicht. Immerhin reagiert Krenz auf diese Aussage mit dem Argument, in der DDR habe die Verwaltungsgerichtsbarkeit keine Rolle gespielt. Wolff begründet dies wie folgt: „Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit wurden als Ausdruck bürgerlicher, also kapitalistischer Staats- und Rechtsvorstellungen betrachtet“ (S. 80). In der DDR hat sich, meint er, die Mehrheit „nicht in Gegnerschaft zu den bestehenden politischen, juristischen oder ökonomischen Verhältnissen“ (S. 95) gesehen. Heftig rechnen die Autoren mit der bundesdeutschen Justiz ab, der „Siegerjustiz“. So habe es nach 1990 – nach der politischen Justiz in den 1950er Jahren und dem „Radikalenerlass“ – „die dritte Welle der Kommunistenverfolgung“ (S. 118) gegeben.

Da Krenz und Wolff als Hardliner mehr oder weniger (eher mehr als weniger) dieselbe Meinung haben, wäre nicht nur der Reiz größer gewesen, zwei weitere Diskutanten mit einer anderen politischen Position einzubeziehen, sondern dies hätte auch dem Pluralismusgebot entsprochen. Nun weiß der Rezensent nicht, ob ein solcher Versuch überhaupt unternommen wurde. Offenbar nicht, denn ansonsten wäre wohl ein Hinweis auf die Feigheit „bürgerlicher“ Positionen erfolgt, die gekniffen hätten. Unabhängig davon: Die von Krenz und Wolff repräsentierten Ansichten sind selbst in der Partei Die Linke nicht mehrheitsfähig. Davon zeugt auch der Anhang (S. 167-202) mit dem Schlusswort von Wolffs Mandant Erich Honecker vor dem Berliner Kammergericht 1992 sowie mit zwei Wortmeldungen von Egon Krenz aus den Jahren 2000 und 2001. Dessen letzter Satz lautet: „Ich werde auch weiterhin meinen Beitrag leisten, die Wahrheit über die DDR zu verbreiten“ (S. 202). Seine Wahrheit ist jedoch nicht d i e Wahrheit.