Ilko Sascha Kowalczuk. Walter Ulbricht. Der Deutsche Kommunist.

[1]

Rezension von Christian Booß

Der Mann lächelt vom Buchcover milde, eigentlich freundlich, so ganz anders als der „Spitzbart Bauch und Brille“ -Typ, wie er einige Jahrzehnte später am 17. Juni 1953 den DDR-Bürgern so verhasst war. Offenkundig will der Autor einen anderen Ulbricht zeigen, als ihn die Volksüberlieferung, aber auch die kommunistischen Dissidenten der KPD zeichneten: den Bürokraten und zynisch machtbesessenen Stalinisten. Nur, wenn man sich die 777 Seiten des ersten Bandes durchgearbeitet hat, kommt man zu dem Schluss: Er war ein Parteibürokrat und zynisch machtbesessener Stalinist. Dass Kowalczuk lobenswerter Weise auch bisher unterbelichtete Seiten, den romantischen und liebevollen Liebhaber und Familienmenschen hervorgekehrt hat, ändert nichts am Politmenschen Ulbricht. Allenfalls werden sein Fleiß, seine Energie, ja offenbar seine Besessenheit noch deutlicher. Woher sie allerding kommen, bleibt offen.

Walter Ulbricht stammte auch einem „normalen“ geordneten sozialdemokratischen Leipziger Arbeiterhaushalt um die Jahrhundertwende. Dass der junge Tischler, wie mehrere seiner Zeitgenossen eher zum linken Flügel tendierte, vor allem als die SPD entgegen ihrem internationalistischen Credo eine nationale Wende machte und das Kaiserreich bei der Finanzierung des ersten Weltkrieges unterstützte, erscheint mehr als plausibel. Warum aber wurde Ulbricht zum konsequenten Antidemokraten? Diese zentrale Frage, die auch zur Schicksalsfrage Deutschlands im 20. Jahrhundert wurde, wird nicht wirklich beantwortet, ja nicht einmal konsequent genug gestellt. Vergleicht man Ulbricht mit anderen, die links von der SPD-Führung starteten, wie Herbert Wehner oder später Willy Brandt, führen weder problematische Parteientscheidungen noch gesellschaftliches Chaos zwangsläufig zu einer Abkehr von zivilisatorischen politischen Grundlagen. Anders bei Ulbricht, der offenbar schon bald weder der Demokratie und erst recht nicht der innerparteilichen Demokratie etwas abgewinnen konnte. Nur einmal schimmert auf, wie Ulbricht in den Schützengräben des ersten Weltkrieges die wahren, nicht propagandistisch überhöhten Arbeiter kennenlernte. Warum er die antidemokratisch-parteiavantgardistische Schlussfolgerung daraus zog, bliebt offen.

Der Verweis auf Lenins Schrift  „Was tun?“, der Bibel des kommunistischen Kaderparteikonzepts hilft wenig. Ulbricht bekam die Schrift wohl erst nach der Novemberrevolution in die Hand und da stand  für ihn schon lange fest, dass die Partei sich an ihren eigenen Zielen, nicht demokratischen Mehrheiten zu orientieren hatte. . Etwas beiläufig geht Kowalczuk auf die Ereignisse um die Jahreswende 1918/19 ein. Damals versuchte die sich gerade zur Partei mausernde sozialistische Abspaltung nach dem Vorbild Lenins in Deutschland die Räterepublik mit Waffengewalt herbei zu putschen. Damit stellte sie die sich gerade herausbildende erste deutsche demokratische Republik in Frage. Deren Urversammlung konnte wegen der Unruhen nicht in Berlin tagen, sondern musste nach Weimar ausweichen. Statt der Berliner wurde es die Weimarer Republik, die SPD-geführte Regierung wusste sich nur mit Hilfe der ultrakonservativen Wehrverbände zu schützen. Mit dieser Flucht aus der Reichshauptstadt  war der Untergang dieser Republik, die sich auf zu wenig Demokraten stützen konnte, wie Kowalczuk an sich richtig schreibt, schon vorgezeichnet. Und die KPD hatte ihren gehörigen Anteil daran. Leider wird das zu wenig problematisiert. Dass der Leipziger Arbeiter und Soldatenrat eine Zeitlang für Räte votierte, erklärt nicht hinreichend, warum Ulbricht sich so konsequent von der Demokratie verabschiedete. Der Gesamtdeutsche Arbeiter- und Soldatenrat votierte für die parlamentarische Demokratie, der radikalere Berliner war für eine Kombination von Räten und Parlamentarismus. Warum Ulbricht, da nicht ins Schwanken kam und nur der KPD-Linie folgte, bleibt offen.

Nun kann man bei Menschen, denen es nicht in die Wiege gelegt ist, dass sie eines Tages berühmt werden, zugegebenermaßen schwer, bis unmöglich mangels Quellenjede Facette insbesondere ihres frühen Lebens aufhellen. Der Autor versucht das zu kompensieren, indem der das Umfeld ausleuchtet, in dem Ulbricht sich bewegte. Allerdings macht der des Guten manchmal zu viel. Die Geschichte der KPD ist ja an sich gut erforscht. Drastisch und vereinfacht  ausgedrückt, hatte sie mit ihrer kriegskritischen Haltung einen sehr respektablen Anfang, alles was im Anschluss kam, war Mist. Die freiwillige oder gelenkte Orientierung an der Zentrale der kommunistischen Weltbewegung in Moskau, führte nahezu dauerhaft zu fehlerhaften Einschätzungen der deutschen Lage und zu verheerenden politisch-strategischen Fehlern. Dass die KPD schließlich die SPD als die schlimmere Gefahr („Sozialfaschismus“) ansah, als die NSDAP, ist hinlänglich bekannt. Es wird aber so ausführlich beschrieben, dass teilweise der Hauptgegenstand, der Genosse Ulbricht, aus dem Blick gerät. Also zu viel KPD-Geschichtsbuch, zu wenig Biographie. Gerade da, wo angedeutet wird, dass Ulbricht, persönlich vielleicht eine andere Auffassung hatte als die Generallinie, wird es dünn. Wo es heißt, dass Ulbricht, aus welchen Motiven auch immer, vor antisemitischen Tönen nicht zurückschreckte, fehlt der Beleg.

Die enorme Fleißarbeit, sich durch zeitgenössische Quellen zu arbeiten wird teilweise nur noch chronologisch entsprechend den Zeitläufen sortiert. So passiert es, dass an einer Stelle, wo eine der wichtigsten Texte Ulbrichts vor der Machtergreifung Hitlers angekündigt wird, nicht die Thesen Ulbrichts selbst, sondern eines sowjetischen Genossen referiert werden. Wenn der sowjetische Kritiker einigermaßen richtig liegen sollte, war die politische Welt des Walter Ulbricht damals eher engstirnig auf das alltäglich Kleinklein gerichtet, ohne eine wirkliche Ahnung von der Bedrohung der rassistischen Fanatiker zu haben. Warum das so war und warum offenbar Ulbricht, der ja damals schon zum engen Führungskreis der KPD gehörte, nicht die autoritären Entwicklungen in Italien und Spanien mitreflektierte, bleibt rätselhaft. Die teilweise klugen Anmerkungen des Autors zur geschichtlichen Entwicklung wechseln mit paraphrasierenden Passagen aus Quellen, durch die man sich ohne größeren Erkenntnisgewinn zu der Person der Biographie durchschmökert.

Dennoch man bleibt gespannt auf Teil II, der für Frühjahr 2024 angekündigt ist. Das Ulbricht –Bild von 1945 bis zu seinem Tode hat sich ja seit den Aktenöffnungen nach 1990 deutlich gewandelt. Während lange der frühe Honecker als liberal gegenüber dem Alten galt (was nachweislich falsch ist), strichen Autoren wie Monika Kaiser den Reformer Ulbricht für die Zeit nach dem Mauerbau heraus. Ulbricht regierte damals aus dem Staatsrat heraus und gab Anstöße für Wirtschafts- und Justizreformen und lockerte den Kulturbetrieb. Warum er dies tat und warum der alte Fuchs übersah, dass sich gerade in seinem einstigen Machtzentrum, dem Parteiapparat eine Fronde um Erich Honecker gegen ihn entwickelte, ist noch keineswegs schlüssig erklärt. Auch der erste Teil der Ulbricht-Biographie von Kowalczyk lässt noch keineswegs den geradezu utopischen Reformer erkennen, als der sich der alte Ulbricht entpuppte. Insofern darf man gespannt sein.

 


[1]  Ilko Sascha Kowalczuk: Walter Ulbricht. Der deutsche Kommunist (1893–1945), München 2023. 992 S.