Manfred Wilke zum 80.

Manfred Wilke hat die Aufarbeitung der SED-Diktatur schon betrieben, als es die DDR noch gab. Wie wenige „westdeutsche“ Historiker hat er nach 1990 die Geschichtspolitik und Forschung zur Aufarbeitung des Kommunismus vorangetrieben. Sein politischer Werdegang steht für eine Strömung innerhalb der ehemaligen außerparlamentarischen Bewegung der Altbundesrepublik (APO), denen die Menschenrechtsverletzungen in der kommunistischen Welt ebenso wenig gleichgültig waren, wie die in der westlichen Welt. Seine Biographie, ist zudem ein Denkanstoß, für alle, die sich ihrer derzeitigen Position allzu sicher sind.CB

 

Geleitwort von Horst Möller

aus dem E-Book Manfred Wilke. Die DDR als sowjetischer Satellitenstaat. Berlin 2021.

Mit freundlicher Genehmigung des Metropol-Verlages

Manfred Wilke, der am 2. August 1941 in Kassel geboren wurde, begann seine politische Laufbahn auf der Linken, war kurze Zeit hauptamtlicher Gewerkschahsfunktionär und widmete sich auch in seinen ersten wissenschahlichen Arbeiten, die in Hamburg, Bremen und Berlin entstanden, der Gewerkschahsbewegung. Seine wissenschahlichen Qualifika- tionen erwarb er als Soziologe, nach seiner Promotion in Bremen habilitierte er sich 1981 unter der Obhut von Theo Pirker an der FU Berlin. Während der 1970er- und 1980er-Jahre führte der Kontakt zu Oppositionellen in kommunistischen Diktaturen, darunter der DDR, der Tschechoslowakei und Polens, zu wachsender Entfremdung von seinen früheren politischen Positionen, zugleich aber konstruktiv zu seinem zweiten größeren Forschungs- feld, der SED-Diktatur, sowie der mit ihr verbundenen deutschen Teilungsgeschichte.

Seine einschlägigen Untersuchungen begannen 1984 mit einem Projekt zur „West- arbeit der SED“. Nachdem er 1985 zum Professor für Wirtschahssoziologie an der Fach- hochschule für Wirtschah in Berlin geworden war, zugleich aber Privatdozent an der FU Berlin blieb, intensivierte er sowohl sein gesellschahlich-politisches Engagement als auch seine Forschungen zur SED-Diktatur. Die Öffnung und der Fall der Berliner Mauer seit November 1989, dann die Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 bildeten schließlich politisch und wissenschahlich die Voraussetzung für diesen zweiten Forschungs- schwerpunkt und sein eigentliches Lebensthema: Hatte schon den jungen Wilke nicht pri- mär die marxistische Ideologie, sondern die gewerkschahliche Praxis interessiert, so den gereihen Wissenschahler nicht utopische Verheißungen, sondern die realsozialistische, die diktatorisch-repressive, Praxis – ihre Erkenntnis löste alle sozialistischen Illusionen in Luh auf. Als politisch denkender Kopf hieß dies für Manfred Wilke: Die Erforschung der SED- Diktatur (und des Kommunismus) ist zwar eine wissenschahliche Notwendigkeit, darüber hinaus aber auch ein unverzichtbarer Beitrag zur politischen Bildung.

Mit anderen Politikwissenschahlern gründete Manfred Wilke an der FU Berlin 1992 den „Forschungsverbund SED-Staat“, den er mit Klaus Schroeder zusammen bis 2006 lei- tete. Von 1992 bis 1996 engagierte er sich mit Verve als sachverständiges Mitglied in den

 

beiden aufeinanderfolgenden Enquête-Kommissionen des Deutschen Bundestages zur Geschichte der SED-Diktatur, als Beiratsmitglied des Bundesbeauhragten für die Unter- lagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU), schließlich einer weiteren Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages zur Zukunh des BStU. Daneben wirkte er als Mitglied des Stihungsrats der Stihung Aufarbeitung sowie im Vorstand der Berliner CDU.

Parallel zu diesem Engagement entwickelten sich seine Forschungen, aus dem Soziolo- gen wurde der Zeithistoriker Wilke, der seine Studien in Kooperation mit verschiedenen Forschungsinstitutionen durchführte, darunter dem Institut für Zeitgeschichte München– Berlin und dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung Graz–Wien, mit dem er bis heute verbunden ist, sowie der Stihung Berliner Mauer.

Manfred Wilkes wichtigstes Buch „Der Weg zur Mauer. Stationen der Teilungs- geschichte“ erschien 2011, herausgegeben von der Stihung Berliner Mauer und dem Institut für Zeitgeschichte München-Berlin. Es handelt sich um eine akribische Rekonstruktion der Entstehung und Entwicklung der bipolaren Nachkriegsordnung sowie ihrer Auswirkun- gen auf das Berlin-Problem von 1945 bis 1962. Wilke untersucht auf der Basis umfangrei- chen Archivmaterials, großer gedruckter Quellenbestände und reicher Sekundärliteratur minutiös die Vorgeschichte der Berliner Mauer sowohl unter innenpolitischen Aspekten als auch unter dem Aspekt der internationalen Konflikte im Kalten Krieg. Einen Schwer- punkt bilden überdies die Politik der SED, die Berlin-Krisen sowie die sowjetische Politik, einschließlich der Protagonisten Chruschtschow und Ulbricht.

Während Wilkes Buch über den „Weg zur Mauer“ die verdiente Bekanntheit erreichte und auch ins Englische übersetzt wurde (The Path to the Berlin Wall. New York – Oxford 2013), gilt das naturgemäß nicht in gleichem Maße für seine zu unterschiedlichen Zeit- punkten und an unterschiedlichen Orten publizierten Aufsätze. Umso erfreulicher ist es, dass Stefan Karner, Axel Klausmeier, Ulrich Mählert und Peter Ruggenthaler anlässlich des 80. Geburtstags von Manfred Wilke einen Sammelband seiner wichtigsten Beiträge zur SED-Diktatur sowie ihrer internationalen Einbindung in den Ostblock mit ihrer Abhän- gigkeit von der Sowjetunion vorlegen. Das Themenspektrum des Bandes reicht von ideo- logischen Entwicklungen, über die Opposition gegen die SED, den Wiener Gipfel 1961 bis zum Zusammenbruch des Regimes im November 1989. Insofern greifen alle Themen ineinander und bilden ein substanzielles Ganzes mit zentralen Aspekten zur Geschichte der DDR und der deutschen Teilung – und natürlich einen verdienten Geburtstagsgruß, dem ich mich mit den besten Wünschen anschließe.