Zwischen Protest, Rechtspopulismus und Gewalt

von Hajo Funkei 

In der ehemaligen DDR hatte es eine besondere Bedeutung, gegen die da oben zu sein, zu opponieren und – unbotmäßig – für die eigene Freiheit in der Berufswahl, im Rockkonzert oder als Punk, im Widerstand zum etablierten DDR-System zu sein. Unzählige Geschichten von Oppositionellen berichten darüber, wie oft dies zu Schikanen, Sanktionen und selbst zur Stasi-Haft geführt hat. 

Im Populismus finden wir etwas, das an diesen Impuls anknüpft und ihn nunmehr gegen die neue – sehr “westdeutsch” dominierte – Bundesrepublik nach der Einheit wendet. Denn Populisten bestehen nach Jan-Werner Mueller (Was ist Populismus? Berlin 2016) darauf, dass nur sie die legitimen Vertreter des Volkes seien. Sie sind gegen die Eliten und antipluralistisch und ihre Positionen sind immun gegen empirische Widerlegung. Ihr einziges Interesse am demokratischen Prozess besteht darin, in dem bestätigt zu werden, was sie ohnehin schon als tatsächlichen Willen der Menschen ausgemacht haben.  

Für viele waren die Erfahrungen des Sturzes des alten Systems und die schnelle Etablierung einer von der Altbundesrepublik stark geprägten neuen Bundesrepublik verwirrend, zum Teil sogar verstörend. Viele hatten es sich jedenfalls erheblich anders vorgestellt. Bis heute schmerzen die Treuhand-Erfahrungen jedenfalls dann, wenn sie dazu geführt haben, dass auch profitabel erscheinende Betriebe schnellstmöglich stillgelegt wurden und es keine Strategie für einen wirtschaftspolitischen Ersatz gegeben hat. Jedenfalls waren 69 % der wie immer auch schlecht bezahlten, nicht überlebensfähigen Arbeitsplätze innerhalb von zwei Jahren verloren, ohne dass es für jeden perspektivisch einen angemessenen Ersatz gegeben hätte. So problematisch die alten ökonomischen, sozialen und vor allem politische Strukturen waren, sie wurden nicht in angemessener Frist durch neue attraktive ökonomische und politische Strukturen ausgeglichen. In der Soziologie findet sich für solche schwerwiegenden Umbrüche das Wort Anomie: die alten Strukturen gelten nicht mehr und die neuen werden nicht anerkannt. Es war kein geringerer als Helmut Schmidt, der noch weit in die Neunzigerjahre hinein davon sprach, dass er verstehe, dass Mehrheiten der ostdeutschen Bevölkerung sich als Bürger 2. Klasse sähen. Dadurch ist das Potenzial für Proteste gegen die neuen Verhältnisse vorhanden.  

Nach Cas Mudde ist Populismus indes »eine Ideologie, welche die Gesellschaft letztlich in zwei homogene und antagonistische Gruppen unterteilt, ›das reine Volk‹ gegen ›die korrupte Elite‹« (The Populist Zeitgeist. Cambridge 2004) Einem moralisch reinen, homogenen Volk ständen stets korrupte, unmoralische und parasitäre Eliten (Mueller) gegenüber. Populisten sind daher zwangsläufig antipluralistisch und zutiefst autoritär. Wer ihren moralischen Anspruch bestreitet, gehört nicht zum Volk. Sie glauben, dass sie nach Belieben Minderheiten als nicht dazugehörig verächtlich machen und ausschließen können. Populisten entscheiden für sich, wen sie als das reine Volk definieren. Demokratie aber ist ohne Pluralität nicht zu haben.  

Mit der rechtspopulistischen Taktik des (1) Wir sind das Volk, wie wir es definieren, wir repräsentieren (2) die Lösung für dieses Volk, und sind (3) im Zweifel bereit, die entfesselten Aggressionen autoritär auf Sündenböcke abzuführen, kann ein Resonanzraum von Einstellungen zwischen 15%-25% gegen »Establishment« und Minderheiten ins Schwingen gebracht (»unleashed«) werden. 

Rechtspopulisten verstehen sich als die Stimme des Volkes, deren Tenor aber sie selbst bestimmen, obwohl sie nur eine Minderheit sind. Sie wollen das Volk anführen und mit und für das Volk vorhandene Probleme lösen. Sie nehmen Sorgen, Ärger und Wut der BürgerInnen auf und projizieren diese mit dem Hinweis auf einfache Lösungen auf die angeblichen Verursacher der Probleme. Dazu zählen sie alle, die nicht zum »Volk« gehören wie z.B. ZuwandererInnen oder Muslime, aber auch die politischen Eliten oder das Projekt Europa als Ganzes. Sie projizieren Ärger und Wut aggressiv auf die vermeintlichen Verursacher der Probleme und machen sie so zu Sündenböcken. Am Ende vertreten sie die einfache Losung: »Wir gegen die« – bieten aber erkennbar keine praktisch umsetzbaren und durchsetzbaren Lösungen.  

Frühe toxische Liaison von Protest und antidemokratischer Ideologie 

(2) In Ostdeutschland begann in manchen Bevölkerungskreisen gleich nach der Maueröffnung die entscheidende Verbindung zwischen alten autoritären, oft fremdenfeindlichen Einstellungsmustern und einer rechtspopulistischen und zum Teil rechtsextremen und sogar gewalttätigen Orientierung. 
 
So entstand in einigen ostdeutschen Milieus eine in ihren antidemokratischen Wirkungen furchtbare Verbindung: in den meisten ehemaligen Bezirksstädten der alten DDR dominierten “Faschos” in den Jugendszenen, die gegen die Punks gerichtet waren. Sie wurden aufgesucht und ideologisch radikalisiert von vor allem rechtsextremen und neonazistischen Kadern aus der alten Bundesrepublik. Ein Beispiel ist Michael Kühnen. Vielen ist in Erinnerung, wie sich diese rechtsextremen Kader ausgerechnet am Jahresjahr der Programnacht von 1938, am 9. November 1991, in Halle unter den Rufen des Holocaustleugners David Irving versammelten. Dieser verherrlichte dabei den stellvertretenden NSDAP-Leiter, Rudolf Hess und feuerte die versammelten Rechtsextremen an, für ein neues starkes Deutschland einzutreten. Es erschollen “Sieg Heil”-Rufe. Alle Tabus, die es unter autoritären DDR - oder demokratischen Vorzeichen und der Bundesrepublik gegeben hatte, waren mit diesem Ereignis schon symbolisch gefallen. Ein böses Vorzeichen, für das was noch kommen sollte. 
 
In den frühen neunziger Jahren kam es jedenfalls zur ungeheuren Ausdehnung (Bernd Wagner) einer gewaltbereiten rechtspopulistisch-fremdenfeindlichen Bewegung, nicht zuletzt unter männlichen Jugendlichen. Sie wurden überregional sichtbar in der bekannten Explosion rassistischer Gewalt von Hoyerswerda bis Rostock Lichtenhagen. Diesem Ausbruch ist nicht zureichend entgegengewirkt worden, im Gegenteil. Die offizielle Politik hat mit dem damaligen Asylkompromiss, der den Asylzugang deutlich erschwerte, diesen Tendenzen und Einstellungen noch zusätzlich Raum gewährt und sie damit quasi legitimiert. 

Erst in den späten neunziger Jahren waren es nicht zuletzt SPD-Politiker wie der Ministerpräsident Manfred Stolpe, die spät genug erkannten, dass man etwa mit Konzepten wie Tolerantes Brandenburg dagegen steuern müsse. Dies geschah aber erst nach mehreren Gewaltexzessen, bei denen allein in Brandenburg mehrere Ausländer zu Tode gekommen waren. Als man dann begann gegenzusteuern, waren die rechtsgerichteten Szenen und Strukturen längst etabliert. In Thüringen hatte dies sogar aufgrund der Nachlässigkeit der dortigen Regierung - ja zum Teil der Unterstützung von Rechtsradikalen - zu einer besonders radikalen Ausprägung geführt. Unter Anleitung des als Pädophilen verurteilten, ehemaligen V-Mannes des Landesamts für Verfassungsschutz in Thüringen, Tino Brandt, entstand in den späten neunziger Jahren die umfassendste und radikalste Bewegung des Thüringer Heimatschutzes. Aus ihr bildete sich bekanntlich die NSU-Terrorgruppe, die ebenfalls nicht angemessen erfasst und nicht kontrolliert worden ist. 

Ihre Verfestigung im letzten Jahrzehnt 
 
(3) Ohne diese doppelte Vorgeschichte, die wahrgenommene Ungerechtigkeit im Einigungsprozess und die Verwandlung dieser Ungerechtigkeitserfahrung in Ressentiments und gewaltbereiten Bewegungen kann nicht verstanden werden, warum es im letzten Jahrzehnt zu einer Ausweitung dieses rechtsautoritären Milieus gekommen ist. Ein Wegbereiter ins bürgerliche Milieu war Thilo Sarrazin: Mit seinen angeblich durch das menschliche Erbgut begründeten rassistischen Thesen stieß er in Altenburg wie schon in München auf begeisterte Zustimmung. Und wenig später im Jahr 2013 durch die zunächst Euro-kritische, auf die nationalen ökonomischen und finanziellen Interessen pochende Alternative für Deutschland. Im Zuge ihrer Radikalisierung propagierte sie speziell in ostdeutschen Ländern eine immer vehementer vorgetragene Fremdenfeindlichkeit, die immer öfter in offenen Rassismus umschlug. (Vgl. Funke 2021: Die Höcke-AfD) 
 
Dieses rechtsautoritäre Milieu hat sich im Zuge der Etablierung der Alternative für Deutschland und der gleichzeitigen Ausweitung von Protesten wie von Pegida - vor allem, aber nicht nur in Sachsen - über die Jahre ausgeweitet und ist dabei auch ein Stück weit zum Teil des “normalen” gesellschaftlichen und politischen Alltags geworden, wodurch sich ethische Tabus weiter abschliffen. 

Mit der sogenannten Querdenker-Bewegung hat man dieses Motiv, “Wir sind gegen die, die uns etwas Falsches verordnen” weitergeführt, teils radikalisiert. Der Übergang zu Gewalthandeln wurde weiter erleichtert. Inzwischen sind diese Szenen als Strukturen relativ fest verankert und miteinander verbunden., auch wenn sie im Frühjahr 2021 weniger dominant sind als in den Hochzeiten der Debatte um die Flüchtlinge und der Kritik an Anticorona-Maßnahmen. Die Übergänge zu rechtsextremen Reichsbürgern und auch neonazistisch geprägten Hooligans sind fließend geworden. Von besonderer Bedeutung sind die Gewaltgefährlichkeit von Teilen dieser Szene, und teils verdeckte Strukturen, die rechtsterroristisch entfesselt werden können. 

Das Dramatische daran ist, dass es sich hier nicht nur um kleine Minderheiten handelt. Der harte Kern von Rechten findet in der Gesellschaft einen besonders empfänglichen Resonanzboden. Bis heute hält sich laut Umfragen eine rechtsautoritäre (Untergrund-)Strömung, die bis zu einem Drittel der ostdeutschen Bevölkerung erfasst. Wie sie sich hält und auch verschiebt – davon berichtet auch die jüngste Autoritarismusstudie der Leipziger Studiengruppe Decker/Brähler.  

Für die Studiengruppe zählt Autoritarismus als Persönlichkeitseigenschaft zu eine der Hauptursachen für rechtsextreme Einstellungen: „Menschen mit autoritärem Charakter neigen zu rigiden Ideologien, die es gestatten, sich gleichzeitig einer Autorität zu unterwerfen, an ihrer Macht teilzuhaben und die Abwertung anderer im Namen dieser Ordnung zu fordern.“ (Brähler). Rund ein Drittel der Deutschen zeigen mehr oder weniger Merkmale eines autoritären Typus. Dies erscheint für die Untersuchung antimoderner Milieus ebenso wie für den Glauben an Verschwörungsmythen von Bedeutung. Immerhin stimmen 33 % Verschwörungserzählungen über Covid 19 im stark ausgeprägten Maß zu und sogar 47,8 % glauben, die Hintergründe der Corona-Pandemie werden nie ans Licht der Öffentlichkeit kommen.  

Aus diesem Drittel unmittelbar auf eine Gefahr für die Demokratie zu schließen, wäre allerdings überzogen. Denn von einer solchen Verschwörungsannahme bis zur Umsetzung in politisches Verhalten ist ein weiter Weg. Er würde von Demonstrationen über Wahlverhalten bis hin zur Bereitschaft zu Gewalt reichen. Andererseits ist es durchaus brisant, dass die Pandemie mit ihren krisenhaften Folgen Ende 2020 für weite Schichten an die Substanz geht. Nach einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach (vgl. Spiegel online vom 2.12.2020) sehen sich die im Oktober und November 2020 befragten 30- bis 59-jährigen (die sogenannte „Generation Mitte“) zu 48 % schlechter gestellt als vor der Krise; der Anteil der Befragten, die zuversichtlich in die Zukunft schauen, hat sich von 50 % im Jahr 2018 auf 22 % im Jahre 2020 reduziert. 72 % der Deutschen stellen laut Allensbach „mehr Ängste, mehr Verunsicherung“ fest; 71 % sagen, „die Aggressivität habe zugenommen“. Ein knappes Viertel befürchtet, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren (2019:14 %) und jeder zweite gibt an, die Globalisierung sei zu weit getrieben worden.1 

Auch wenn rechtspopulistische Tendenzen Osten Deutschlands besonders stark sind, so ist dies keineswegs allein auf die prekären Konstellationen nach der Einigung Deutschlands begrenzt. Nicht nur in anderen postkommunistischen Ländern wie Polen und Ungarn gibt es illiberale Bewegungen, die zum Teil aus ehemaligen Protestformen gegen das kommunistische System in diesen Ländern entstanden. Ebenso gibt es sie mit breitem Resonanzraum in den klassischen westlichen Demokratien von den USA über Italien, Frankreich, die Niederlande bis zu den nordeuropäischen Ländern. 
Rechtspopulistische Reaktionen sind - allgemein gesprochen - die Antwort auf Schwächen der Demokratien insbesondere dann, wenn sie ganze soziale Gruppen und Landstriche vernachlässigen, die Eliten sich darauf verengen, für die eigenen Interessen eintreten und erst recht dann, wenn sie korruptiv sind oder diesen Eindruck nicht auszuräumen vermögen. 

Gespräch und Streit lohnen 

(4) Dass zum Teil weit über 20 %, wie in Thüringen,  einen an neonazistischen Ideologien orientierten Björn Höcke und damit die Alternative für Deutschland gewählt haben und weiter wählen wollen, ist ein Beleg dafür, wie entwickelt dieses rechtsanfällige Potenzial ist. 

Umso interessanter ist es, dass es selbst in den besonders rechten Regionen von  Sachsen-Anhalt es durch eine klare demokratisch-rechtsstaatliche konservative Haltung des dortigen CDU-Vorsitzenden gelungen ist, die Alternative für Deutschland und ihr Milieu zu einer symbolisch hochbedeutsamen Niederlage zu führen. Vor ihm schon hatte vor einigen Jahren in Sachsen schon der dortige Ministerpräsident den Aufwärtstrend des rechtspopulistischen Milieus gebremst. 

Es kann also nicht davon gesprochen werden, dass dieses Milieu einheitlich ist und nicht erreichbar wäre. Die Kritik an der Politik in Sachen Migration oder an der Bewältigung der Coronakrise ist, wenn sie nicht rassistisch ist und hetzt, natürlich in einer Demokratie zulässig und an sich berechtigt. Ebenso können Proteste gegen zu viel Einschränkungen von Freiheitsrechten nicht automatisch in die rechte Ecke gestellt werden. Vorsicht vor Impfungen anzumahnen ist ebenso legitim wie die Kritik an unzureichendem Krisenmanagement in der Coronakrise. Deswegen muss das Gespräch gesucht werden. 

Aber es ist etwas anderes, wenn ehemalige Bürgerrechtler trotz rassistischer Zuspitzungen und der Verhetzung von Minderheiten und der Demokratie insgesamt auf Pegida-Demonstration in Dresden mitlaufen. Gerade wenn solche Personen es tun, trägt es dazu bei, die Grenze zwischen legitimer, ja für die Demokratie essenzielle Sachdiskussion zu autoritären, werteverachtenden Kreisen zu verwischen und bagatellisieren, die der rechtsstaatlich verfassten Demokratie schaden, ja sie abschaffen wollen. Hier gälte es geradezu Stoppzeichen zu setzen und Grenzen aufzuzeigen. 

Entscheidend über die Attraktivität der Demokratie wird letztlich, ob es mehrheitsfähige Antworten auf die drängendsten Fragen gibt:  

  • Bewältigen wir die ohnehin bestehenden sozialen und kulturellen Krisen, die durch die Pandemie noch verschärft worden sind?  

  • Sind die Parteien dazu fähig, das auf akzeptierbare Weise zu tun, was längst große Mehrheiten wollen: die Klimakrise zu bekämpfen?  

  • Gibt es die Bereitschaft und Fähigkeit des politischen Establishments, den Dialog mit der eigenen Bevölkerung zu führen?