Die Protestbewegung Pegida nahm anfangs wohl kaum einer ernst. Durch die Enscheidung der Bundesregierung 2015, die Grenzen für Migranten offen zu halten, wurde sie vorübergehend zu einer Massenbewegung, der in Dresden über 10.000 Menschen folgen. Aber auch andernort gibt es "Gida"-Bewegungen. Auch wenn Pegida Dresden inzwischen fast  in sich zusammen gefallen ist, gibt es keine Entwarnung und keinen Grund sich einfach zurückzulehnen. Denn aus dem Almalgam von beunruhigten und Wutbürgern, Staatsleugnern, Demokratie verächtern, Neorechten und Neonazis speist sich inzwischen ein Lager, das, wie man in Thüringen sieht, die Demokratie, wo es schwierig ist, auf plausiblem Wege eine Regierung zu bilden ernsthaft beschädigen kann. Die Analyse scheint schwierig, die einen schlagen die GIDA-Bewegung einfach den "Rechten" zu, wer immer das dann ist. Andere verweisen auf die vielen "Normal"-Bürger. Verharmlosung und Überdramatisierung können nur durch genaues Hinsehen aufgelöst werden. Die meisten Pegida-Veranstaltungen sind im Internet dokumentiert. Es lohnt sich einzelne genau anzuschauen:

Bild. Dresdenpix dokumentiert rechte und russische Fahne bei Pegida Kundgebung und Demonstration am 14.9.2015

Besorgte Bürger- Rechte Inszenierung?

 

Anmerkungen zu Pegida

von Christian Booß

Pegida ist weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden. Der Dresdener Demo- Protest ist mickrig geworden. Die Protagonisten sind zerstritten. Der Verfassungsschutz ist an der Sache dran, wegen Extremismus. Doch Fragen bleiben: Zum Beispiel, wer waren die 10.000e, die dort auf dem Höhepunkt mitmachten?

Kundgebungenn und Demonstrationen sind gut dokumentiert im Internet zu finden. Die Bilder sprechen eine deutliche Sprache: Die Demonstranten, die im Herbst 2015 durch die Innenstadt der sächsischen Landeshauptstadt zogen, wirken überwiegend wie ganz normale Bürger, Befragungen zeigten, dass die meisten von Ihnen von außerhalb der Stadt, aber aus Sachsen angereist waren.

Das war im Herbst 89 nicht grundsätzlich anders. Die Bilder von 2015 erinnern in einigen Aspekten durchaus an diese Zeit. Das Bild erinnert in manchem durchaus an diese Zeit. Glaubhafte Zeitzeugen meinen, sie würden einige heutige „Mitstreiter“ noch von damals kennen. Auch wenn es heute sicher ein plumper Propagandatrick ist, wenn die AfD sich als Vollenderin der friedlichen Revolution stilisiert. Überspitzt gesagt, wer bestreitet, dass es bei ihren Followern Schnittmengen zu 1989 Aktiven gibt, wird kaum etwas verstehen. Es gab, damals in der DDR mehrere Revolutionen, der Slogan „Wir sind das Volk“ war sehr unterschiedlich konnotiert, im eher DDR-reformerischen Ostberlin anders als im „Wutbürger-Süden“, der früh auf die nationale Karte setzte.

„Wir sind das Volk“-Plakate sind auch auf den Videos von 2015 zu sehen. Die Demonstranten hofften offenbar auf einen ähnlich schnellen Erfolg wie damals, als das Kartenhaus der SED-Herrschaft vergleichsweise schnell zusammenbrach. Als das 2015 in der Demokratie nicht eintrat, glaubten wohl manche, sie lebten schon wieder in einer Diktatur, wo Volkes Wille nichts gelte. Dass sie damals den Mainstream repräsentierten, und diesmal nur eine Minderheit, übersahen sie offenbar.

Auch in weiteren Aspekten zeigen sich deutliche Unterschiede. Damals sorgten vor allem Personen, die in Kirchenkreisen sozialisiert waren, für einen überwiegend gesitteten konstruktiven Ablauf der Proteste. Im Jahr 2015 folgten die Kundgebungsteilnehmer dem Ruf eines Menschen, den man im 19. Jahrhundert als „Lumpenproletarier“ bezeichnet hätte. Einem Kleinganoven, gegen den schon seit 2014 wegen Volksverhetzung ermittelt wurde. Das stand in der Zeitung, jeder konnte dort nachlesen, wem er da hinterherlief. Aber vielleicht war es ja gerade dieses Bürgerschreckhafte, dass ihn attraktiv machte? Seine Entourage, eine etwas durchgeknallt wirkende Bekannte als Pressesprecherin, eine gescheiterte Rechte aus dem Westen als Oberbürgermeisterkandidatin wirkten bei ihren Auftritten ebenso dubios, zudem wirr. Offenbar gab es damals keine seriöseren Leitfiguren. Darüber kann man spotten, aber auch fragen, ob an dem etwas dran sein könnte, was ein distanziert-empathischer Politologe „Repräsentationslücke“ nennt: Dass es damals keinen der Etablierten gab, der dem Volk aufs Maul schaute, bzw. ihm aus der Seele sprach.

Bild: Ex-Ganove und Freund russischer Politik. Lutz Bachmann. Lange Zeit die Leitfigur von Pegida. Dokumentiert von Dresdenpix.

Wer nicht wahrhaben will, dass Bürger um 2015 angesichts wachsender Migrantenzahlen in Kerneuropa besorgt waren und den Eindruck hatten, die etablierten Parteien würden sie ignorieren, wird sicher nie verstehen, was Bürger zu zehntausenden auf die Straße trieb. Auch wenn allein der Name Pegida(Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) angesichts der geringen Ausländerzahlen in Dresden fast schon hysterisch wirkt. Allerdings macht diese Motivation aus der Gida-Bewegung, die in anderen Städten nachgeahmt wurde, mitnichten eine harmlose Bürgerveranstaltung. Von Beginn an hätte jedem Kundgebungs- und Demonstrationsteilnehmer klar sein müssen, mit wem und was er es da zu tun hat. Jeder, der es wissen wollte konnte sehen, dass das Führungspersonal von Pegida keineswegs den moralischen Ansprüchen genügte, die sie selber für die Deutschen reklamieren: Ob die kriminelle Karriere eines Lutz Bachmann, die wirren Ansichten von Kathrin Oertel oder die verbalen Ausfälle der OB-Kandidatin Tatjana Festerling.

Die Inszenierung der Pegida-Kundgebungen folgt einem einfachen Schema.

1. Bachmann, der Inspirator der Bewegung in Dresden, begrüßt zuerst die Polizei, die laut Meinungsumfragen beliebteste staatliche Institution des Ostens. Dann ein paar grobe Sprüche, um die Leute anzuheizen. Der Mann kann`s, er war schließlich mal Türsteher.

Doch finden sich in seinen Reden Versatzstücke, die kaum spontan formuliert sein dürften, sondern vielmehr aus der ideologischen Küche der Neurechten und Rechtspopulisten stammen. Auch die Ortswahl der Kundgebungen ist nicht zufällig. Man trifft sich gezielt an der Frauenkirche, die in Dresden für die Zerstörung der Stadt durch „angloamerikanische“ Bomber steht. Wie schon die SED auf diese Weise antiwestliche Ressentiments schürte, wird auch jetzt gegen die US-Außenpolitik polemisiert, die zu Flüchtlingswellen führten. „Ami go Home“ skandiert die Masse. Und Bachmann propagiert dass sich Frankreich, Deutschland zusammen mit Russland von den USA abwenden sollten. Das ist das Konzept der eurasischen Nationalisten in Russland. Und wie zufällig lugt unter dem Hemd von Bachmann ein T-Shirt mit dem Konterfei von Dresdens berühmtesten KGB-Mann und heutigem Präsident von Russland, hervor. Aber die Menge schluckt es offenbar. Oder merken die meisten gar nicht, das hier was abläuft? Ein Jahr nach der völkerrechtlichen Krim-Besetzung eigentlich eine Zumutung.

2. Die Zwischenrufe sind offenbar Teil des Szenarios. Ziemlich professionell mischen sich bei derartigen Aufmärschen Rechtsextreme unter das Volk und rufen vorgefertigte Parolen gezielt an Stellen, wo Bachmann seine Aussagen zuspitzt. Sie wirken denn auch wenig spontan. Die Parole „Ami go home“ wirkt ohnehin weniger sächsisch, sondern wie Importware. Aber in diesem Stil geht es weiter. Die Beifall spendenden Claqueure echoen die Aussagen der Protagonisten wie im griechischen Theater der Chor, der Volkes Stimme simuliert. Auf eine Spitze gegen die Medien, die manipuliert seien, der man nicht trauen kann, erschallt der Ruf „Lügenpresse, Lügenpresse“. In einer Gegend, die zu DDR-Zeiten nur die Parteipresse kannte, und die Gerüchte wahrer waren, als das geschriebene Wort, verfangen solche Parolen offenbar. Auch heute glaubt mancher mehr der Gerüchteküche in den Sozialen Medien, denn der Presse. Das machen sich die Organisatoren zunutze und streben eine Parallelkommunikation jenseits des bürgerlichen Mainstream an. Es wird gegen die Etablierten geschimpft, die sich um alle anderen, Ausländer, Schwule und Lesben, mehr kümmern als um sie „das Volk.“ Merkel, als Kopf dieser Etablierten, „muss weg“, so skandiert man lautstark. Vorgegeben werden die Inhalte dieser verqueren Denkweisen von Influencern, die sich typischer rechter Ideologeme bedienen, offenbar in vielem den Nerv der Masse treffen und ihn in ihre Bahnen zu lenken versuchen: es drohe eine „Katastrophe“, der „rotgrüne Siff“, „intellektuelle Spinner“ seien am Werk – alles was nicht dem „Volkssinn“ entspricht, wird benutzt, um die Menge einzupeitschen.

Das ist keine spontane Volksversammlung, sondern eine offensichtlich durchgestylte Inszenierung zur Erhitzung der Gemüter. Damit die rechtspolitische Inszenierung nicht zu auffällig ist, und um die Menge noch besser zu integrieren, dürfen Menschen aus der Volksmitte sprechen: die besorgte Mutter,der Heimatvertriebene, der (bisherige) Nichtwähler, der von einem Asylantenheim Verstörte einfache Bürger, die um die deutsche Kultur Sächsin, die unter Beifall Grimms Märchen, als Erziehungsprogramm propagiert. Dabei wird’s dann mal deutsch und sachsentümelnd, mal derbes Geschimpfe und oft drüber. Die Sprache ist nicht selten grob und verletzend. Auch mit der Wahrheit nimmt man es oft nicht so genau: „IM Erika“, dahinter verbirgt sich angeblich Angela Merkel, wird vorgeführt - bar jeglicher Beweise. Und überhaupt: „Berlin“ ist ein Saustall, oder wahlweise voller roter Ratten, die Medien sind Müll, Deutschland ist eine Klappsmühle.

Die apokalyptischen Visionen steigern sich: Wir befinden uns im Krieg! Der Parlamentarismus ist verbraucht. Die Roten Ratten sollen in ihre Löcher gejagt werden. „Widerstand, Widerstand“ hallt es von den Claqueren. Wo sich die Regierung angeblich vom Volk entfernt hat, sind offenbar alle Mittel Recht. ( Diese Methode findet sich im Übrigen auch bei Links-Autonomen, als scheinbare Legitimation auch für rechtswidriges Handeln.)

3. Das verbindende Erlebnis der Volks-Gemeinschaft wird durch die „Demo“ erzeugt, einmal quer durch quer durch die Innenstadt. Manchen 1989er reißt es da wohl mit. (Man lese das Neu-Erweckungserlebnis des verdienten DDR-oppositionellen Leipziger Pfarrers Wonneberger.) Das Fahnenmeer merkwürdig bestückt. Neben der obligatorischen Deutschland- und Sachsenfahne erscheint, alle paar Meter, eine russische. Welcher Sachse hat denn schon eine russische Flagge im Schrank? Offenbar wird Bachmanns russophile Europastrategie von bestimmten Anhängern auch optisch inszeniert. Weitgehend unbekannt die mehrfach getragene Rot auf Gelb, die Würmel-Flagge. Einst Symbol des Widerstandes gegen den NS, heute eindeutig Rechtsaußen. Da sie keiner kennt, stört sich offenbar auch keiner der biederen Bürger an dieser Flaggenvielfalt. Die Gewöhnung an Russland und an rechte Symbolik und Phraseologie als Teil des protestierenden Biedersinns, scheint offenbar Programm....

4. Im Epilog am Ende der Veranstaltung noch ein paar aufwiegelnde Worte von mehr oder minder bekannten Pegida-Aktivisten. Vermutlich zutreffende Vorfälle mit Ausländern werden gepusht, überspitzt dargestellt, von „vergewaltigen-prügeln-stehlen“ ist die Rede. (Gezielte?) Fehlinformation werden gestreut. Die Syrer sollen alle Pässe bekommen. Und dann zum Schluss das Deutschlandlied. Es ist halt eine sehr deutsche Versammlung.

Fazit

Auch wenn die Dresdener Pegida heute zusammengeschrumpft ist, vielleicht auch dank der nicht ungeschickten Dialog-Strategie des sächsischen Ministerpräsidenten, verschwunden ist sie nicht wirklich. Es gibt überall „Gida“- oder „Pro“sonstewo-Ableger, die jederzeit zum Kern für ein neues Aufbegehren werden können (und wohl auch sollen). Man liegt sicher mit der Annahme nicht falsch, dass in manchen ostdeutschen Anti-Corona-Maßnahmen Aktivisten auch Gida-Wurzeln stecken und im AfS-Wählerpotential sowieso, sichtbar als ostdeutsche AfD-Spitzen vom rechten Flügel in Chemnitz zusammen mit der dortigen Pro Chemnitz und Pegida-Leuten demonstrierten. Das Schema, die Strategie sind ähnlich hier wie anderswo wie in Dresden: Eine geschickte Inszenierung als angeblich volksnahe Veranstaltung soll dazu dienen, Bürger auf die rechte Leimrute zu ziehen. Wer bis heute in dieser Bewegung nur Neonazis sieht, ist blind für wirklich existierende Unzufriedenheiten und Ansatzpunkte für Verführung, bleibt daher strategisch hilflos. Wer dort aber nur besorgte Bürger sieht, ist naiv oder er will nicht richtig hinsehen.