„Das hat´s bei uns nicht gegeben!“

von Heike Radvan

Antisemitismus war und ist an vielen Orten in Deutschland ein aktuelles Problem. Während des Schreibens dieses Artikels im Frühjahr 2020 zeigte sich dies auf Demonstrationen, die sich gegen die Schutzmaßnahmen in der Pandemie richteten. Antisemitische Feindbilder sind Bestandteil von Verschwörungserzählungen (Lamberty/Rees 2021), bildlich erkennbar u.a. in sogenannten „Judensternen“ mit der Inschrift „ungeimpft“. Judenfeindliche Stereotype und Mythen werden reaktiviert und von Menschen aus verschiedenen kollektiven Zugehörigkeiten geteilt (Virchow/Häusler 2020). Auch wenn die Forschung immer wieder zeigt, dass formale Bildungsabschlüsse nicht verlässlich gegen Verschwörungsdenken immunisieren (zuletzt Lamberty/Rees 2021), bleibt aus Sicht der Pädagogik das Ermöglichen von emanzipatorischen Lern- und Bildungsprozessen unerlässlich (zuletzt Achour 2021). Mit der damit einher gehenden Wirkungserwartung im Sinne einer „Erziehung nach Auschwitz“ haben Mitarbeitende der Amadeu-Antonio-Stiftung im Jahr 2004 begonnen darüber nachzudenken, wie das komplexe und bis dahin öffentlich weitgehend beschwiegene Thema „Antisemitismus in der DDR“ so diskutiert werden kann, dass die vorliegende Forschung zur Kenntnis genommen wird, jüdische Perspektiven hörbar sowie kritische Selbstreflexionen und Perspektivwechsel innerhalb der Dominanzgesellschaft ermöglicht werden. In diesem Beitrag werden (1.) die Motivation für die Ausstellung benannt, (2.) Überlegungen zur (pädagogischen) Wirksamkeit vorgestellt, (3.) die Inhalte der Ausstellung beschrieben, (4.) ein Einblick in die Gästebücher der Ausstellung gegeben und (5.) Schlaglichter auf deren Wirkung und die öffentliche Debatte geworfen.

  1. Die Motivation: Ein beschwiegenes Thema besprechbar machen

Seit der friedlichen Revolution 1989/90 und den damit verbundenen politischen und gesamtgesellschaftlichen Veränderungen in Ostdeutschland sind im öffentlichen Diskurs eine überaus hohe Anzahl an Fragestellungen über den nicht mehr existenten Staat DDR, seine Bürger*innen, Politiken, Institutionen und Strukturen aufgeworfen, analysiert und debattiert worden. Nur wenige Fragen und Themen blieben ausgespart. Das betrifft auch die Frage, ob es eine Feindschaft gegen Jüdinnen und Juden in der DDR gegeben hat und wenn ja, in welchen Formen. Die DDR erklärte sich mit ihrer Gründung als „antifaschistisch“, in ihrer Verfassung galten der „deutsche[n] Militarismus und Nazismus [als] ausgerottet“1. Während zu den verschiedenen Erscheinungsformen des Antisemitismus in der DDR durchaus Forschung vorlag und wissenschaftliche Debatten geführt wurden2, war in 2004 zu konstatieren, dass die Frage nach der Existenz von Antisemitismus in der DDR im öffentlichen Diskurs bislang weitgehend beschwiegen wurde. Fragt man nach den Ursachen für dieses Beschweigen, so lassen sich diese auf sehr verschiedenen Ebenen benennen. Sie sind im Sinne eines sekundären Antisemitismus in einer Abwehr der Erinnerung an jüdische Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen sowie einer Abwehr gegenüber einer Auseinandersetzung mit und einer Verantwortungsübernahme für diese Verbrechen und deren Folgen begründet. Ganz grundsätzlich dokumentiert sich hier zudem im Sinne eines primären und modernen Antisemitismus eine über viele Jahrhunderte gewachsene religiös, später rassifizierte und biologistisch hergeleitete Differenzsetzung, Distanzierung und Feindschaft gegenüber allem, was als jüdisch galt. Die DDR reagierte als Nachfolgestaat des nationalsozialistischen Systems – auch und gerade, weil sie sich nicht als solcher verstand – mit einem Beschweigen des zeitgenössischen Antisemitismus. Zudem war die Thematisierung der Verbrechen der NationalsozialistInnen3 ebenso wie die Erinnerung und das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus durch die Staatsdoktrin vom antifaschistischen Staat ideologisch stark überformt. Eine konkretisierende, lokalhistorische Aufarbeitung blieb damit ausgespart. Bis in die Gegenwart lassen sich entsprechende Leerstellen in der Erinnerungskultur von Kommunen erkennen.

Die ausgebliebene Thematisierung im öffentlichen Diskurs und die damit einhergehende weit verbreitete Unkenntnis über Antisemitismus in der DDR waren die Motivation, sich diesem Thema zuzuwenden. Der Anlass jedoch war ein aktueller: Infolge des Anschlages auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 nahmen judenfeindliche Angriffe sowie antisemitische Verschwörungsmythen, Stereotype und Ideologeme weltweit zu. Dementsprechend wurde die Frage relevant, wie eine wirkungsvolle Antwort in der Bildungsarbeit gestaltet werden kann. Um gegenwärtigen Antisemitismus als solchen wahrnehmen, kritisch thematisieren und ihm begegnen zu können - so der Leitgedanke - war es nötig, über dessen Geschichte bzw. über historische Formen des Antisemitismus zu sprechen. In der Analyse der Amadeu-Antonio-Stiftung zeigten sich unterschiedliche Aufmerksamkeiten für heutigen Antisemitismus innerhalb der Zivilgesellschaften in Ost- und Westdeutschland in den frühen 2000er Jahren. So entstand im Zusammenhang mit den erinnerungspolitischen Debatten in Westdeutschland der 1950er und 1960er Jahre und im Kontext der „Grabe wo Du stehst“-Bewegung in den 1980er Jahren eine gewisse Sensibilität für Antisemitismus innerhalb demokratischer zivilgesellschaftlicher Gruppen. Diese Aufmerksamkeit war in Ostdeutschland – auch im Nachgang der DDR4 – vergleichsweise geringer ausgeprägt. Zwei Beispiele veranschaulichen dies: Organisierte sich in den frühen 2000er Jahren in einer westdeutschen Kleinstadt nach der Schändung eines jüdischen Friedhofes eine Gruppierung, die öffentlich hierauf aufmerksam machte, demonstrierte und die Gemeinde bei der Instandsetzung der Grabsteine unterstützte oder sich selbst darum kümmerte, blieben vergleichbare kollektive Interventionen in ostdeutschen Kleinstädten in der Regel aus. Eine entsprechende Aufmerksamkeit für gegenwärtigen Antisemitismus war in Ostdeutschland nur selten vorhanden oder wenig wahrnehmbar. Schändungen jüdischer Friedhöfe blieben hier oft über lange Zeit unentdeckt; jenseits von Gemeinden schien sich kaum jemand dafür zu interessieren.

In vielen Gesprächen in ostdeutschen Orten zeigte sich, dass es weitgehend unabhängig von Alter, Bildungsgrad oder Geschlecht innerhalb der nichtjüdischen Bevölkerung wenig bis kein Wissen darüber gab, dass es Antisemitismus in der DDR zu verschiedenen Zeiten auf unterschiedliche Art und Weise gegeben hatte. Insbesondere gab es wenig Kenntnis darüber, dass wenige Jahre nach dem Holocaust 1952/53 Jüdinnen und Juden in der DDR von einer staatlichen Verfolgungskampagne betroffen waren, infolge derer im Frühjahr 1953 nahezu alle Gemeindevorstände und mehrere hundert Gemeindemitglieder aus der DDR flohen. In Reaktion auf eine offene Frage danach, wie denn der Antisemitismus in der DDR wahrgenommen worden sei, begegnete mir oft ein Erstaunen, häufig aber auch eine unmittelbare Reaktion, die als Abwehr gelesen werden konnte: Die Erwiderung „Das hat´s bei uns nicht gegeben!“ war eine häufige Reaktion auf diese Thematisierungsversuche. Daher wurde dieses Zitat für den Titel der Wanderausstellung gewählt.

  1. Reflektionen zur (pädagogischen) Wirksamkeit der Wanderausstellung

Aus didaktischer Perspektive stand die Frage im Raum, wie eine öffentliche Debatte über ein Thema am wirksamsten zu initiieren wäre, zu dem es in weiten Teilen der Bevölkerung bislang kaum Wissen gab und auf dessen Thematisierung häufig mehr oder weniger stark abgewehrt wurde. Vieles sprach für eine Wanderausstellung, in deren Konzeption lokalhistorische Fallgeschichten aus verschiedenen Städten und Gemeinden Ostdeutschlands erzählt wurden. Auf diese Weise wäre es möglich – so die didaktische Idee –, an den jeweiligen Ausstellungsorten konkrete Recherchen mit lokalem Bezug zu präsentieren und zu diskutieren. Damit könnte pauschalisierende, abstrahierende Positionierungen, mit denen eine vertiefende Auseinandersetzung abgewehrt wird, konkretes lokalhistorisches Wissen entgegengestellt werden. Zudem war vorgesehen, dass einheimische Jugendliche die Fallgeschichten vor Ort recherchierten. Auch auf diesem Wege – so die didaktische Absicht – sollte es gelingen, einen lokalen Diskurs zu initiieren. Hierfür kooperierte die Stiftung mit langjährigen Projektpartner*innen aus der Arbeit gegen Rechtsextremismus. Neben der regional ausgewogenen Streuung der Orte, an denen Fallgeschichten recherchiert wurden, ging es auch darum, die verschiedenen Erscheinungsformen des Antisemitismus im Gesamtbild der Ausstellung abzubilden. Für die Wanderausstellung recherchierten insgesamt 76 Jugendliche im Zeitraum von Mai bis Dezember 2006 an acht verschiedenen Orten Ostdeutschlands.

Zu Beginn des Projektes lagen in der Stiftung nur erste Informationen zu möglichen Quellen der Fallgeschichten vor, in einzelnen Fällen auch (Fach-)Veröffentlichungen. Die Recherchearbeit der Jugendlichen war daher oft sehr detektivisch. Sie wurden begleitet und inhaltlich unterstützt durch Pädagog*innen und Historiker*innen. Nicht selten fanden sie Antworten auf Fragen, die bislang in der Stadtgesellschaft unbekannt oder beschwiegen waren. So gingen Jugendliche in Hagenow der Frage nach, wo die mittelalterlichen Grabsteine des jüdischen Friedhofes verblieben waren, an die sich Zeitzeug*innen bis 1962 erinnern. Sie fragten in der eigenen Familie, so wie in der Nachbarschaft und stellten sich auf der Suche nach Antworten vor die Kaufhalle. Sie erlebten nur wenig explizite Abwehr, allerdings schien sich niemand erinnern zu können -oder zu wollen. Erst nach einigen Monaten, kurz vor Ende des Projektes, erinnerte sich ein Zeitzeuge, dass 1962 aufgrund von Baumaterialmangel für das Fundament einer Garage5 die Grabsteine vom jüdischen Friedhof „verwendet“ wurden. Dass der Zeitzeuge sich erinnerte und somit eine Leerstelle in der Stadtgeschichte geschlossen werden konnte, ist den recherchierenden Jugendlichen aus Hagenow zu verdanken ebenso wie deren Unterstützer*innen vor Ort.6 Heute wird auf einer Tafel öffentlich sichtbar an diesen höchst problematischen Umgang mit den jüdischen Grabsteinen erinnert.

In einigen Fällen waren Jugendliche in ihren Familien mit der Infragestellung ihrer Arbeit konfrontiert. Sie mussten sich für ihre Recherchen rechtfertigen, wenn Großeltern oder Eltern zunächst überzeugt waren, dass es „sowas bei uns nicht gegeben habe“. Viele Jugendliche identifizierten sich dagegen mit dem Thema und professionalisierten ihre Recherchen. Mit Hilfe der pädagogischen Begleitung war es möglich, diese Diskussionen als Lerngegenstand zu nutzen und familiäre Auseinandersetzungen im Sinne einer Annäherung an das Thema zu gestalten. In einzelnen Fällen entschieden sich Jugendliche sogar nach ihrem Schulabschluss für ein Studium der Geschichts- und Sozialwissenschaften und begründeten dies mit den inspirierenden (Selbstwirksamkeits-)Erfahrungen in diesem Projekt.

  1. Inhalte der Ausstellung

In 2006 und 2007 erarbeitete ein multiprofessionelles Team gemeinsam mit den recherchierenden Jugendlichen die Wanderausstellung „Das hat´s bei uns nicht gegeben! Antisemitismus in der DDR“.7 Besonderer Dank gebühren Anetta Kahane als Vorsitzender der Amadeu-Antonio-Stiftung, die mit ihren historischen Reflektionen und deren Übersetzung in die Gegenwart die Ausstellungsidee auf den Weg brachte und eng begleitete sowie der Kuratorin Dr. Bettina Leder, die mit geschichtswissenschaftlicher Expertise das Konzept erarbeitete, umfangreiche Quellen recherchierte und prüfte sowie komplexe Texte in eine einheitliche, leicht verständliche Form brachte. Die Ausstellung wurde im April 2007 im Roten Rathaus in Berlin eröffnet und wandert seither durch Ost- und Westdeutschland. Sie war bislang an ca. 70 Orten zu sehen, die Eröffnungs- und Begleitveranstaltungen waren und sind von lebendigen Diskussionen begleitet. In 2009 wurde die Ausstellung überarbeitet und inhaltlich um die antisemitische Verfolgungswelle in den 1950er Jahren erweitert. Die Inhalte der Ausstellung sind in sechs Kapitel gegliedert und umfassen 28 Tafeln sowie Audio- und Videostationen. Infolge der Kürze des Beitrages werden die Inhalte hier lediglich übersichtsartig benannt, verweisen möchte ich auf den Ausstellungskatalog, der bei der Amadeu-Antonio-Stiftung erhältlich ist (AAS 2010).

Das 1. Kapitel vermittelt einleitend historische Perspektiven: Thematisiert werden der mittelalterliche Antijudaismus und der Antisemitismus in der Moderne, die Judenverfolgung im Nationalsozialismus sowie Antisemitismus in der Arbeiterbewegung. Einzelne Fallgeschichten verdeutlichen die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Antifaschismus in der DDR, wie z.B. die erneute Umbenennung der Universität Greifswald in „Ernst-Moritz-Arnd- Universität“ im Jahr 1954. Kapitel 2 thematisiert anhand einzelner Biografien die Verfolgung in den 1950er Jahren, das Feindbild „Zionismus“, die Frage von in der DDR unterbliebener Restitution und „Wiedergutmachung“ sowie die z.T. willkürlich vergebenen Zuordnungen zu den Gruppen „Kämpfer“ gegen den und „Opfer des Faschismus“. Kapitel 3 enthält eine exemplarische Chronik antisemitischer Vorfälle, Straf- und Gewalttaten an verschiedenen Orten der DDR zwischen 1945 und 1989. Zudem wird der Umgang mit jüdischen Friedhöfen anhand von drei Beispielen beschrieben. In Kapitel 4 wird das Verhältnis zu Israel thematisiert; definitorisch geklärt werden der Unterschied zwischen Israelkritik und Israelfeindschaft sowie historische Perspektiven auf antizionistische Positionen innerhalb linker Gruppen. Beispiele aus der Medienberichterstattung über Krisen im Nahostkonflikt verdeutlichen das Problematische an der Propaganda, insbesondere werden geschichtsrelativierende Vergleiche thematisiert, deren antisemitische Inhalte z. T. bis in die Gegenwart wirken. Kapitel 5 thematisiert exemplarische Beispiele für die ideologische Überformung der offiziellen Gedenk- und Erinnerungskultur an die Opfer des Nationalsozialismus. In Kapitel 6 ist der staatliche Umgang mit dem erstarkenden Rechtsextremismus in den 1980er Jahren sowie die (außenpolitische) Instrumentalisierung der jüdischen Gemeinden in dieser Zeit Thema. Das Kapitel enthält einen abschließenden Ausblick auf die Entwicklungen nach 1989: So übernahmen die ersten frei gewählten Parlamentarier*innen der DDR – unter ihnen eine Vielzahl von Bürgerrechtler*innen – in einer „Gemeinsame[n] Erklärung der Volkskammer der DDR“ vom 12.4.1990 Verantwortung für die Verbrechen der NationalsozialistInnen. Zudem entschuldigten sie sich für den Antisemitismus in der DDR – spezifisch für die Verfolgung von Jüdinnen und Juden in den 1950er Jahren und die israelfeindliche Propaganda – und versichern, hierfür Verantwortung zu übernehmen (vgl. AAS 2010: 132). Das Kapitel verweist auch darauf, dass Antisemitismus und Rechtsextremismus nach 1989 nicht „verschwunden“ sind. Vielmehr steigen im Kontext einer Renationalisierung extrem rechte Straf- und Gewalttaten an, auch auf der Einstellungsebene und in der Debattenkultur sind entsprechende Verschiebungen in eine politisch rechte Richtung zu erkennen. Die Ausstellung schließt damit, dass es die Aufgabe aller Bürger*innen ist, neben dem staatlichen Handeln Antisemitismus ebenso wie alle anderen Diskriminierungs- und Herrschaftsformen wahrzunehmen, dagegen zu intervenieren und eine demokratische Alltagskultur für alle zu ermöglichen.

  1. Analyse der Gästebucheinträge

Wie nun lässt sich die öffentliche Debatte über die Ausstellung beschreiben, und was lässt sich daraus lernen? Diese Fragen sollen abschließend beleuchtet werden.

Bereits über die Eröffnung der Ausstellung wurde medial breit berichtet. Eine lebendige, in Teilen kontroverse Debatte begleitete das erste Jahr der Wanderschaft, neben anhaltenden überregionalen Artikeln berichteten Lokalzeitungen an den jeweiligen Ausstellungsorten. In vielen Leserbriefspalten dokumentierten sich kontroverse Meinungen. In den darauffolgenden Jahren verlief diese Debatte medial etwas ruhiger, bis heute allerdings ruft die Ausstellung an den Orten der Wanderschaft Diskussionen und Auseinandersetzungen mit Lokalgeschichte hervor. Für die Analyse der Medienberichterstattung möchte ich auf den anschaulichen und analytischen Artikel von Michael Barthel (vgl. Barthel 2010) im Buch zur Ausstellung verweisen.

 

Bereits bei der Eröffnung der Ausstellung im Berliner Roten Rathaus konnten sich Interessierte in ein Gästebuch eintragen und ihre Eindrücke über die Ausstellung schildern. Das wurde und wird nach wie vor von vielen Besucher*innen rege getan, bis heute liegen sechs Gästebücher vor. Für den Zeitraum von der Eröffnung im April 2007 bis zum Mai 2010 liegt eine Analyse der Einträge in drei Gästebüchern vor. Sabine Meyer (2010) hat für ihre Magisterarbeit 247 Gästebuch-Einträge gesichtet und analysiert. Im Folgenden werden ihre Ergebnisse zusammenfassend dargestellt. Auf dieser Basis werde ich die eingangs aufgeworfene Frage diskutieren, ob und wenn ja, in welcher Form die Ausstellung zu öffentlichen Debatten und Lernprozessen angeregt hat.

Die Ausstellung war im untersuchten Zeitraum an sehr unterschiedlichen Veranstaltungsorten – bis auf wenige Ausnahmen in Ostdeutschland – zu besichtigen: in Rathäusern, Museen, Bibliotheken, Kirchen, Gedenkstätten und Kulturzentren. Das Meinungsspektrum, das sich in den Gästebucheinträgen dokumentiert reicht von uneingeschränktem Zuspruch bis zum offenen Antisemitismus. Sabine Meyer strukturiert die Ergebnisse ihrer Rekonstruktion in einer Art Typenbildung und unterscheidet zwischen „zustimmenden“, „ambivalenten“ und „ablehnenden Argumentationen“.8

Zustimmende Gästebucheinträge

Von 247 berücksichtigten Einträgen können 145 als ausschließlich zustimmend gelten. Somit begrüßen knapp 59 Prozent der das Gästebuch nutzenden Besucher*innen die Ausstellung und äußern sich positiv zu deren Inhalten. Im Vergleich mit den anderen Beiträgen wird hier eines der zentralen Ergebnisse der Untersuchung deutlich, das sich beim Betrachten der Gästebücher ebenfalls unmittelbar einstellt: Die zustimmenden Beiträge sind wesentlich kürzer und prägnanter formuliert als die ablehnenden. Sie enthalten kaum oder weniger ausführliche Argumentationen, wie folgende Beispiele zeigen: „Sehr gute Ausstellung. Danke an alle Beteiligten!“, die Ausstellung ist „sehr aufschlussreich“, „beeindruckend!“ oder „sehr interessant!“ (Meyer 2010: 44). Auch wenn die zustimmenden Beiträge quantitativ deutlich überwiegen, nehmen sie einen signifikant geringeren Raum in den Gästebüchern ein, die erkennbar von den längeren Passagen der ablehnenden Beiträge geprägt sind. Meyer differenziert die zustimmenden Beiträge in fünf Unterkategorien. Inhaltlich ähneln sich diese in weiten Teilen mit der Zustimmung zur Ausstellung, die in der Medienberichterstattung deutlich wird: (1.) Ein größerer Teil der zustimmenden Aussagen (29 von 145) begrüßt die Aufarbeitung dieser Geschichte der DDR als „längst überfällig“: „Es ist höchste Zeit sich mit dieser Thematik der DDR zu befassen.“ (Meyer 2010: 44) Einige Einträge beziehen sich darauf, dass das Thema lange Zeit tabuisiert gewesen sei, mehrere Beiträge verweisen darauf, dass der Ausstellungsbesuch lehrreich gewesen sei, neue Perspektiven eröffnet und Reflektionen ermöglicht habe. In einer (2.) Gruppe lassen sich Zustimmungen clustern, die für eine breite(re) Resonanz und fortlaufende Debatte plädieren: „Nicht in die Räume, auf Straßen und Plätze gehört diese Ausstellung!“, „Sollte weiter publiziert und gezeigt werden.“ (Meyer 2010: 44). Hier fallen mehrere Einträge auf, die sich andere bzw. bessere Räumlichkeiten für die Ausstellung gewünscht hätten: „Die Ausstellung verdienstvoll und löblich – die Präsentation auf so engem Raum im Flur des Rathauses (!) eher beschämend!“ Hintergrund hierfür war die unangekündigte „Verlegung“ der Ausstellung aus dem Senatssaal im Rathaus Berlin-Lichtenberg – der zweiten Station der Ausstellung im April 2007 – in einen engen Flur des Gebäudes. Parallel dazu kritisierten die Fraktion der Lichtenberger Linkspartei und die ihr angehörige Bezirksbürgermeisterin die Ausstellung in einer Presseerklärung als „einseitig“. In mehreren Einträgen im Gästebuch dieses Zeitraums wird daher eine Ablehnung politischer Entscheidungsträger gegenüber der Aufklärungsarbeit nahegelegt: „Diese Ausstellung hätte einen besseren Rahmen verdient. Ist Aufarbeitung immer noch eine Pflichtübung?“, „Diese Ausstellung verdient einen würdigen Raum und keinen Flur. Es lässt tief blicken, wenn eine solche Ausstellung so platziert wird.“ (Meyer 2010: 47). In einem (3.) Cluster dokumentiert sich ein Nachdenken darüber, dass eine Reflektion des Antisemitismus in der DDR unerlässlich sei für eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und Rechtsextremismus in der Gegenwart: „Solange wir uns nicht alle zu unserem Erbe, das noch in uns steckt, bekannt haben […] sind wir hoch gefährdet …“ (Meyer 2010: 48). Zum Teil enthalten diese Passagen auch appellative und mahnende Sequenzen, „Gegen das Vergessen!“, „Menschen bleibt wachsam!!“ oder „Bleibt aufmerksam & NIE WIEDER KRIEG!“ (ebd.). In 18 Einträgen wird (4.) das jugendliche Alter der Recherchierenden begrüßt: „Das Gute der Ausstellung ist, dass junge Menschen sich diesem Thema annehmen.“ Diese Aussagen enthalten Lob für Engagement, Fleiß und Mut – und sind in manchen Abschnitten auch paternalistisch zu lesen. In einem (5.) Cluster werden diejenigen Sequenzen zusammengefasst, die sich inhaltlich zustimmend auf die Ausstellung beziehen, indem sie eigene Erfahrungen mit Antisemitismus in der DDR beschreiben. Aus diesen Beiträgen spricht Erleichterung darüber, dass nun hierzu auch öffentlich gesprochen werden kann, gleichzeitig schwingen z. T. Enttäuschung und Verbitterung über die eigene ostdeutsche Vergangenheit mit. (Meyer 2010: 52).

Ambivalente Gästebucheinträge

Neben diesen zustimmenden Gästebucheinträgen zeigen sich solche, die als inhaltlich ambivalent charakterisiert werden können. Es handelt sich hierbei um 12 % der untersuchten Einträge. Inhaltlich beginnen diese Beiträge mit einer Zustimmung – beispielsweise zur Aufklärung über das Thema – und gehen über in eine Kritik, wie beispielsweise an der Umsetzung der Ausstellung: „Das Thema steht weiter an, aber als sachliche und streitbare Auseinandersetzung …“ Insgesamt wird deutlich, dass die einleitende Zustimmung quantitativ und qualitativ gegenüber einer umfangreicher ausfallenden Kritik in den Hintergrund gerät. Auch wenn diese Beiträge nicht als uneingeschränkt ablehnend, sondern eher abwägend/ambivalent zu charakterisieren sind, enthalten sie doch bereits eine Vielzahl der Kritiken, die in die Kategorie „Ablehnung“ subsumiert sind und im Folgenden zusammenfassend vorgestellt werden.

Ablehnende Gästebucheinträge

73 Gästebucheinträge und damit ca. 30 % aller untersuchten Beiträge lassen sich als uneingeschränkt ablehnend gegenüber der Ausstellung kennzeichnen. Meyer unterscheidet entsprechend der Anzahl der Nennungen sechs Unterkategorien. Am häufigsten wird in den Beiträgen versucht, (1.) den Antifaschismus der DDR zu verteidigen, z. B. mit Aussagen wie: „Wir wurden gegen den Antisemitismus erzogen.“ Dabei werden unterschiedliche Thesen eingebracht: Es wird verwiesen auf die Wirksamkeit antifaschistischer Erziehung oder behauptet, dass antisemitische Straftaten in der DDR nur Einzelfälle gewesen seien; der Staat habe vielmehr Antisemitismus rigoros verfolgt und Juden hätten im Sozialismus ein sicheres Leben geführt. Diese Einschätzungen basieren auf persönlichen Erinnerungen, die generalisiert werden, Belege werden nur selten beigefügt. Die Beiträge sind als Protest formuliert gegenüber einer Ausstellung, die von diesen BesucherInnen als Zumutung und unwahr wahrgenommen wird: „Da ich in der DDR von der Gründung bis zu ihrem Untergang gelebt habe, kann ich beurteilen, wie das mit dem ‚Antisemitismus‘ hier war. Er war nicht vorhanden […].“ (ebd.: 58). Ein Teil der Beiträge reproduziert DDR-Ideologie mit der Motivation, den Inhalten der Ausstellung etwas entgegenzusetzen: „Mit der Gründung der DDR im Jahr 1949 wurde ein antifaschistischer Staat errichtet, in dem der deutsche Militarismus u. Faschismus zerschlagen wurde“ und „Die DDR war ein antifaschistischer Staat, wo die Verbrechen des Nationalsozialismus aufgeklärt u. eine Auseinandersetzung dazu erfolgte.“ (ebd.: 60). Nicht zuletzt werden wiederkehrend Jüdinnen und Juden instrumentalisiert, um den Aussagen der Ausstellung zu widersprechen, hier auch in nationalsozialistischer Sprachverwendung: „Als Jude oder Halbjude brauchte man in der DDR keine Angst zu haben.“ Das Beharren auf der Wirksamkeit des Antifaschismus steht im Zusammenhang mit einem fast ebenso häufig geäußerten Vorwurf, (2.) die Ausstellung wolle die DDR rückwirkend delegitimieren: „Die Ausstellung erfüllt ihre Aufgabe – die DDR zu delegitimieren, zu verleumden“ oder „Diese Ausstellung ist nichts anderes als ein weiteres Delegitimat. Die Absicht ist eindeutig.“ (ebd.: 66). In diesen Aussagen deutet sich bereits an, was als ein weiterer (3.) Diskursstrang innerhalb der Ablehnungen herausgearbeitet wird: Sabine Meyer spricht von einer „funktionalisierte[n] Gegenüberstellung von BRD und DDR“ (ebd.: 65). In vielen Beiträgen ist das Motiv erkennbar, den Antisemitismus in der DDR auf dem Wege der Externalisierung zu relativieren: „Fest steht, das der Antisemitismus in der ehemaligen DDR nicht so verbreitet war wie in der BRD. […] Eine Ausstellung Antisemitismus in der BRD, dazu würde der Platz hier nicht ausreichen.“ (ebd.: 66). Die Aussagen versuchen, die DDR als den moralisch besseren Staat zu behaupten. Dies geschieht häufig mit dem Verweis darauf, dass NS-Kriegsverbrecher in der DDR rigoros und wirksam verfolgt worden wären, während diese in der Bundesrepublik in politisch verantwortlichen Positionen vertreten waren und sind. Diese Beiträge erinnern an ideologische Kämpfe aus den Zeiten der Blockkonfrontationen und greifen auch die gegenwärtige Bundesrepublik an. Zudem wird in einem weiteren Diskursstrang (4.) die Wissenschaftlichkeit der Ausstellung infrage gestellt. Diese Aussagen stehen oft im Zusammenhang mit dem Anwurf, die DDR würde delegitimiert: „Es ist leider in Mode gekommen, Ereignisse und Entwicklungen ahistorisch darzustellen. Die Ausstellung lässt völlig außer Acht, dass viele Tatsachen und Geschehnisse nur im Kontext des Kalten Krieges zu verstehen sind. Der Kalte Krieg ist noch nicht vorbei. Er wird mit Vehemenz gegen die frühere DDR weitergeführt. Auch diese Ausstellung atmet diesen Geist.“ (ebd.: 69). Der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit wird in den seltensten Fällen fundiert; oft scheint ausreichend, dass die Frage nach der Existenz von Antisemitismus gestellt wurde.

Die Autorin kommt zum Ergebnis, dass die „vielfach geäußerten Zweifel an Wissenschaftlichkeit und Objektivität der Ausstellung Ausdruck einer Haltung [sind], die die Auseinandersetzung mit dem Thema ‚Antisemitismus in der DDR‘ grundsätzlich ablehnt“ (ebd.: 70). In einer weiteren Kategorie werden (5.) Ablehnungen zusammengefasst, die sich gegen die Auseinandersetzung mit israelfeindlichen Politiken der DDR – dem Thema eines Ausstellungskapitels – richten. Ungeachtet der dezidierten Begriffsunterscheidung, die in der Ausstellung vorgenommen wird, unterstellen viele Gästebucheinträge, dass in der Ausstellung jede Form von Israelkritik als antisemitisch dargestellt würde. Letztlich wird auf diesem Wege der Antizionismus der DDR gerechtfertigt; eine Auseinandersetzung mit den vielfältigen Beispielen in der Ausstellung bleibt aus: „Leider liegt in der Ausstellung die Meinung zugrunde, Kritik an der Nachkriegspolitik Israels sei Antisemitismus. Das ist leider falsch.“ (ebd.: 71). Es werden geschichtsrelativierende Vergleiche9 – weit verbreitet in der Medienberichterstattung zu den Krisenzeiten im Nahostkonflikt – genauso legitimiert wie die Unterstützung palästinensischer Terrorgruppen durch die DDR. In vielen Aussagen wird das Bedürfnis deutlich, israelische Politik als das ursächliche und eigentliche Problem herauszustellen: „Eine staatlich gebilligte oder gar geförderte Judenfeindlichkeit hat es in der DDR nicht gegeben, dafür eine klare Unterstützung der PLO in ihrem Kampf gegen den Staatsterrorismus Israels in den besetzten Gebieten.“ Und auch hier zeigt sich wiederum der externalisierende Verweis auf die BRD: „Die Berichterstattung zur israelischen Aggression (1967) war in der DDR ehrlicher und sachlicher als in der BRD. Leider hat Israel schon damals Völkerrecht u. Menschenrechte verletzt u. z. T. rassistische Politik zur Unterdrückung von Palästinensern durchgeführt.“ In beiden Zitaten dokumentieren sich antisemitische Strukturen, die in der Ausstellung erklärend thematisiert werden. Bei manchen Besucher*innen – so lässt sich hier bereits schlussfolgern – stößt die aufklärerische Absicht der Ausstellung an ihre Grenzen, beim Thema antisemitische Israelkritik ist dies überdeutlich. Antisemitische Strukturen – hier eine sekundärantisemitische und eine Täter-Opfer-Umkehrung - zeigen sich auch im folgenden Eintrag: „Ich erinnere daran, das [sic!] Israel eng mit den übelsten Regimes zusammengearbeitet hat. […] Als junger Mensch habe ich mich damals gefragt, haben die Juden in Israel aus der Geschichte des Rassismus nichts gelernt.“ (ebd.: 72). Im Kontext antisemitischer Israelkritik werden Aussagen getätigt, die als offen antisemitisch gelten müssen: „Am Antisemitismus haben die Juden selbst das größte Interesse, weil sie was Besonderes sein und sich wichtig machen wollen“ oder „Der Staat Israel wird von kriegstreiberischen Zionisten geführt und gesteuert.“ (ebd.: 73). Die hier deutlich werdenden antisemitischen Stereotypen und Täterkonstruktionen werden durchaus von anderen Ausstellungsbesucher*innen im Gästebuch kommentiert, sie bleiben insofern nicht ohne Widerspruch. Deutlich wird jedoch, dass gerade beim Thema Israel Antisemitismus reproduziert wird; dies dokumentiert sich ebenfalls in der Medienberichterstattung. Als (6.) Kategorie arbeitet Sabine Meyer den Vorwurf der Einseitigkeit heraus. Viele Besucher*innen kritisieren, die Ausstellung würde die DDR ausschließlich negativ darstellen. Verwiesen wird häufig auf positive persönliche Erfahrungen im Kontext von Kunst und Kultur, insbesondere Literatur und Film.

Auch wenn viele ablehnende Beiträge vermuten lassen, dass die Inhalte der Ausstellung die hier Schreibenden kaum oder auch gar nicht erreichen konnten, sollte nicht aus dem Blick geraten, dass diese lediglich 30 % der Einträge ausmachen (auch wenn dies kein unbedeutender Anteil ist).

Insgesamt dokumentiert sich in den Gästebucheinträgen, dass eine Debatte initiiert werden konnte, die für einige Besucher*innen durchaus neue Perspektiven und kritische Selbstreflektionen eröffnet zu haben scheint. Gleichzeitig wird deutlich: Es ist erst der Beginn einer Auseinandersetzung, die auf vielen gesellschaftlichen Ebenen weitergeführt werden muss. Und: Es braucht weitere Forschung, wobei lokalhistorische Recherchen eine sinnvolle Möglichkeit sind, Antisemitismus verständlich in seiner Wirkungsweise zu beschreiben und Solidarität mit denjenigen zu ermöglichen, die dessen Folgen zu (er)tragen haben.

  1. Fazit

Bereits über die Eröffnung der Ausstellung im Roten Rathaus Berlin im April 2007 wurde medial breit berichtet. Eine äußerst lebendige, in Teilen kontroverse Debatte begleitete das erste Jahr der Wanderschaft, neben überregionalen Medien berichteten Lokalzeitungen an den jeweiligen Ausstellungsorten. Nicht selten enthielten Leserbriefe unterstützende, aber auch kontroverse Meinungen. In den darauffolgenden Jahren verlief diese Debatte medial etwas ruhiger, bis heute allerdings ruft die Ausstellung an den Orten ihrer Wanderschaft lebendige Diskussionen über lokale Geschichte hervor. Eine Dekade nach Eröffnung der Ausstellung ist zu beobachten, dass es mittlerweile an vielen Orten ein präsenteres Wissen über Antisemitismus in der DDR gibt, zumindest scheint die Abwehr gegenüber dem Thema weniger stark. Dem langjährigen Beschweigen wurden verschiedene Thematisierungen entgegengesetzt. Neben der Wanderausstellung der Amadeu-Antonio-Stiftung haben – zum Teil durch sie ausgelöst - mediale Thematisierungen hierzu beigetragen, (familien-)biografische Veröffentlichungen sowie kritische Debatten innerhalb der Partei „Die Linke“.

Die Inhalte und den Verlauf der Debatte um die Wanderausstellung hat Michael Barthel (2010) mit einer Untersuchung der Medienberichterstattung analysiert. Sabine Meyer (2010) untersuchte diskursanalytisch die Einträge in den Gästebüchern der Wanderausstellung. Die Rekonstruktionen beider Autor*innen zeigen, dass bei den Besucher*innen eine Auseinandersetzung initiiert werden konnte, die für einige neue Perspektiven und kritische Selbstreflektionen gesorgt hat. Gleichzeitig wird deutlich: Es ist erst der Beginn einer Auseinandersetzung, die auf vielen gesellschaftlichen Ebenen weitergeführt werden muss. Und: Es braucht weitere Forschung, um die begonnenen Prozesse zu verstetigen. Lokalhistorische Recherchen sind hierbei eine sinnvolle Möglichkeit, um Antisemitismus in seiner Wirkungsweise zu beschreiben und Solidarität mit denjenigen zu ermöglichen, die dessen Folgen zu tragen haben.

 

Literatur

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Maser, Peter (1991): Juden und Jüdische Gemeinden in der DDR bis in das Jahr 1988. In: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte XX (1991), S.393-426.

Mertens, Lothar (1997): Davidstern unter Hammer und Zirkel. Die jüdischen Gemeinden in der SBZ/DDR und ihre Behandlung durch Partei und Staat 1945-1990, Hildesheim/Zürich/New York.

Meyer, Sabine (2010): „’Das hat’s bei uns nicht gegeben!’ – Antisemitismus in der DDR“ – Debatten über eine Ausstellung in Gästebüchern und deutscher Presse zwischen 2007 und 2010, unveröffentlichte Magisterarbeit an der Leuphana Universität Lüneburg.

Offenberg, Ulrike (1998): "Seid vorsichtig gegen die Machthaber". Die jüdischen Gemeinden in der SBZ und der DDR 1945-1990, Berlin.

Radvan, Heike (2010): „Mein Großvater hat gesagt, da lernst Du Sachen, die es gar nicht gab“. Lokalhistorische Recherchen zum Antisemitismus – Pädagogische Überlegungen. In: Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.): „Das hat´s bei uns nicht gegeben“ – Antisemitismus in der DDR. Das Buch zur Ausstellung, Berlin, S. 11–14.

Rensmann, Lars (2004): Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden.

Schmidt, Monika (2007): Schändungen jüdischer Friedhöfe in der DDR. Eine Dokumentation. Berlin.

Süß, Walter (2000): Zu Wahrnehmung und Interpretation des Rechtsextremismus in der DDR durch das MfS, 3. Auflage, BStU, Abteilung Bildung und Forschung.

Timm, Angelika (1997): Hammer, Zirkel, Davidstern. Das gestörte Verhältnis der DDR zu Zionismus und Staat Israel. Bonn.

Virchow, Fabian/Häusler, Alexander (2020): Pandemie-Leugnung und extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen. Kurzgutachten, Nr. 3. Bonn, www.bicc.de/uploads/tx_bicctools/CoRE_Kurzgutachten3_2020.pdf, [29.05.2021].

Völter, Bettina (2003): Judentum und Kommunismus. Deutsche Familiengeschichten in drei Generationen. Opladen.

Weigelt, Andreas/Simon, Hermann (2008): Zwischen Bleiben und Gehen. Juden in Ostdeutschland 1945 bis 1956. Zehn Biographien. Berlin.

Wolffsohn, Michael (1995): Die Deutschland-Akte. Juden und Deutsche in Ost und West. Tatsachen und Legenden. München.

Zick, Andreas (2021): Herabwürdigungen und Respekt gegenüber Gruppen in der Mitte. In: Zick, Andreas/Küpper, Beate (Hg.): Die geforderte Mitte, Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/21, Bonn, S. 181–212.

Anmerkungen:

1Zitiert aus Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 9. April 1968, online unter http://www.verfassungen.de/ddr/verf68-i.htm (gesehen 21.5.2020).

2Im Jahr 2004 lagen thematisch verschiedene Veröffentlichungen vor: Zu den jüdischen Gemeinden, jüdischem Leben und dem staatlichen Umgang vgl. u.a. Burgauer 1993; Keßler 1995; Mertens 1997; Offenberg1998; Keßler 1995; Maser 1991. Zur antisemitischen Verfolgungswelle 1952/53 vgl. u.a. Gröhler 1993; Haury 2002; Weigelt, Andreas/Simon, Hermann 2008; Kießling 1994. Zur Geschichte jüdischer Kommunist*innen in der DDR vgl. u.a. Hartewig 2000; Völter 2003. Zum Verhältnis der DDR gegenüber Juden, Israel, Zionismus und Nahostkonflikt vgl. u.a. Timm 1997; Wolffsohn 1995. Zum Antifaschismus und Fragen der Erinnerungskultur vgl. u.a.: Bergmann/Erb/Lichtblau 1995; Danyel 1995; Leo/Reif-Spirek 1999; dies. 2001.

3Bis auf begründete Ausnahmen verwende ich im Artikel eine geschlechterreflektierende Schreibweise mit dem Gender-Stern. In Bezug auf „NationalsozialistInnen“ verwende ich das Binnen-I, da die Ideologie der „Volksgemeinschaft“ auf einer biologistischen und starren Annahme von Zweigeschlechtlichkeit basierte.

 

4Die Ursachen dessen sind vielfältig, sie sind sowohl im Umgang der DDR mit Antisemitismus und mit jüdischer Kultur und dessen Alltag zu suchen als auch in den Umgangsweisen in der Bundesrepublik nach 1989 (zum Antisemitismus in der Bundesrepublik vgl. Rensmann 2004). Bis zum Ende der DDR war eine öffentlich-kritische Auseinandersetzung mit zeitgenössischem Antisemitismus nicht erwünscht. Schändungen von jüdischen Friedhöfen wurden beschwiegen; in mehreren Fällen setzten staatliche Stellen eine Zweckentfremdung der Grundstücke durch oder auch eine Umbettung von Gräbern, wobei wissentlich gegen den jüdischen Ritus entschieden wurde, der eine unbefristete Totenruhe vorschreibt, sowie gegen den Einspruch der jüdischen Gemeinde (Schmidt 2007; AAS 2010).

5Der Zeitzeuge erinnert sich: „Die Steine, die haben wir denn ja, - ich meine, die war´n ja schwer ne…wir haben dann ja eine Garage gebaut und da haben wir denn die Grabsteine mitversenkt“ (vgl. Radvan 2010: 13); an anderer Stelle dokumentierte sich die im Ort verbreitete Meinung, derzufolge es „für die Steine [ …] ja keine[n] Verwendung mehr [gab]“ (AAS 2010: 89).

6Ein besonderer Dank geht an den Direktor des Museums für Alltagskultur der Griesen Gegend und der Alten Synagoge in Hagenow, Henry Gawlick, und an die Lehrerin Jane Thorun von der Regionalen Schule für die historische und pädagogische (Beg)Leitung der Recherchen.

7Die Konzeption der Ausstellung wurde erarbeitet von Dr. Bettina Leder und der Amadeu Antonio Stiftung. Für die Aktualisierung und Erweiterung der Ausstellung in 2009 zeichnet Dr. Frank Sobich verantwortlich. Mitglieder des wissenschaftlichen Fachbeirates waren Dr. Dr. Lothar Mertens, Dr. Peter Fischer, Dr. Thomas Haury sowie Dr. Hermann Simon.

8In der Analyse unberücksichtigt bleiben „ablehnende Argumentationen, die ausschließlich formale Kritik an der Ausstellung üben. Dazu gehört beispielsweise die häufig benannte Auffassung, die Ausstellung sei zu ‚textlastig‘“ (Meyer 2010: 43).

9In der aktuellen Einstellungsforschung werden als geschichtsrelativierende Vergleiche unter der Kategorie israelbezogener Antisemitismus die Zustimmung zu Items untersucht, mit denen das Handeln des Staates Israel im aktuellen Nahostkonflikt gleichgesetzt wird mit den NS-Verbrechen gegenüber Jüdinnen und Juden. Untersucht wird das Item „Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das,

was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben“ (Zick 2021: 188). Entsprechende Gleichsetzungen prägen die antizionistische mediale Berichterstattung in der DDR insbesondere über den Sechstagekrieg 1967 und den Libanonkrieg 1982. In der Ausstellung der Amadeu Antonio Stiftung werden eine Vielzahl an Beispielen dokumentiert (vgl. AAS 2010: 100ff.).