Hoheneck - erster Gedenkort zur Würdigung von Frauen im Widerstand und des Leids der weiblichen Häftlinge
Von Evelyn Zupke[1]
„Hoheneck? Aber dort saßen doch über die Jahrzehnte mehr Männer als Frauen und es gibt doch auch viele weitere Orte, die ebenso für Widerstand und Leid der Frauen stehen.“
Diese Reaktionen habe ich als SED-Opferbeauftragte seit meinem Amtsantritt vor drei Jahren häufiger gehört, wenn es um das ehemalige Frauengefängnis in Stollberg in Sachsen geht.
Welche Orte eignen sich als Gedenkorte von nationaler Bedeutung und welche Voraussetzungen brauchen wir, damit Gedenkstätten – wie Hoheneck – einen Beitrag zur Würdigung der Opfer und zur Aufklärung über die Wirkungsweisen der SED-Diktatur leisten können? Diese Fragen sind zentral, sowohl für die Weiterentwicklung der Gedenkstättenkonzeption des Bundesals auch für jede einzelne Gedenkstätte.
Die Unterdrückung Andersdenkender und politischer Gegnerinnen und Gegner zählte in der DDR zu den wichtigsten Herrschaftsmethoden der Einheitspartei, da jede Form von Widerspruch im totalitären Herrschaftssystem als Systemgefährdung begriffen wurde.
Die Brutalität des Unrechtsapparates gegenüber dem Widerstand von Frauen zeigte sich in besonderem Maße gegenüber den unter anderem wegen Republikflucht, Fluchtversuch, Mitwisserschaft und Ähnlichem inhaftierten Frauen. Viele der ehemals inhaftierten Frauen berichten von zum Teil geschlechtsspezifischen Hafterfahrungen, die geprägt waren von sexueller Gewalt, körperlicher Repression, psychischer Folter oder schlimmsten hygienischen Zuständen.
Sie wurden auch erheblich an der häufig körperlich stark schädigenden Zwangsarbeit beteiligt. Zudem hatte ihre Inhaftierung fast immer schwerwiegende Folgen für die Familienangehörigen, wenn die Kinder entzogen, in Kinderheime eingewiesen oder vereinzelt auch zur Adoption freigegeben wurden. Bis heute entfalten diese Erlebnisse eine der größten traumatisierenden Folgewirkungen in die nachfolgenden Generationen hinein. Es wird geschätzt, dass von den in der SBZ/DDR ca. 250.000 politisch Inhaftierten ungefähr 30.000 weibliche politische Gefangene waren. Für alle Inhaftierten, so auch für die inhaftierten Frauen und ihre Familien, war und bleibt die Inhaftierung ein tiefer biografischer Einschnitt. Die Erfahrung der politischen Haft wirkt mit gesundheitlichen und insbesondere psychischen Folgeschäden bei den Betroffenen bis heute nach.
Was die Gefängnisse als „Schreckensorte politischer Verfolgung“ speziell auch für die Betroffenen Frauen bedeutet haben, darf daher „nicht nur nicht dem Vergessen anheimfallen, es muss gesammelt, rekonstruiert, bewahrt werden“[2].
Um eine solche Sichtbarmachung zu ermöglichen, bedarf es in besonderer Weise eines Ortes, an dem an die Schicksale der weiblichen politischen Häftlinge erinnert wird. Ein Ort, der wie ein Leuchtturm wirken kann, um die politische Verfolgung von Frauen in der DDR insgesamt stärker in den öffentlichen Fokus zu rücken!
Für eine solche Rolle ist, trotz aller Schwierigkeiten, die es offen zu thematisieren gilt, das ehemalige Frauengefängnis in Stollberg besonderes geeignet. Zwischen 1945 und 1989 waren in Hoheneck ca. 8.000 weibliche politische Häftlinge inhaftiert. Dieser Ort steht daher symbolisch für das gegenüber Frauen verübte Unrecht des SED-Staates. Gerade in Hoheneck können die meist menschenunwürdigen Umstände, in denen die weiblichen Gefangenen in den unterschiedlichen Gefängnissen der DDR leben mussten, in besonderer Weise dargestellt werden. In der Vermittlung gilt es, weitere Orte des Unrechts insbesondere gegenüber Frauen wie bspw. den Roten Ochsen und Hohenleuben einzubeziehen. Gerade vor dem Hintergrund, dass insbesondere viele der ehemals inhaftierten Frauen bis heute, mitunter auch im engsten persönlichen Umfeld, nicht über die traumatisierenden Erlebnisse der Haft sprechen können, kann die Gedenkstätte Hoheneck Sichtbarkeit schaffen für Leid, über welches bis heute noch immer häufig in unserer Gesellschaft geschwiegen wird. Oder, wie es der Bundespräsident bei der Eröffnung der Gedenkstätte ausdrückte:„Diese Gedenkstätte spricht auch für die Frauen, die bis heute nicht selbst über ihre Haftzeit sprechen können, nicht darüber sprechen können, was ihnen damals hier angetan wurde.“[3]
Trotz seiner besonderen Eignung als Gedenkort von nationaler Bedeutungstand und steht Hoheneck vor großen Herausforderungen. Die heutige Gedenkstätte in Stollberg entstand nicht durch eine zivilgesellschaftliche Initiative wie an manch anderen Orten. Orten, an denen die Arbeit von Gedenkstätten ganz wesentlich auch von Ehrenamtlichen getragen wird. Wesentlicher Motor der Entwicklung zur Gedenkstätte in Stollberg waren die ehemals inhaftierte Frauen selbst, die sich gegenüber der Politik wieder und wieder für eine Entwicklung des Ortes einsetzten. Frauen, die jedoch heute über das gesamte Bundesgebiet verteilt wohnen. Sie leisteten und leisten einen unschätzbaren Beitrag für die Gedenkstätte. Eine durchgehende Präsenz vor Ort aber kann durch sie nicht in die Entwicklung der Gedenkstätte eingebracht werden. Hier braucht es andere Kräfte, die vor Ort verankert sind.
Viel wurde für Hoheneck in den letzten Jahren erreicht. Die Sanierung großer Teile des Geländes, die Einrichtung der Dauerausstellung und die Zusicherung einer laufenden Finanzierung durch den Freistaat Sachsen und den Bund sind Meilensteine dieses langen Weges. Ein Weg, der nur durch die engagierten Frauen und viele Unterstützerinnen und Unterstützung in Politik und Öffentlichkeit möglich wurde.
Für eine erfolgreiche Gedenkstättenarbeit, die der in den Ort gesetzten Erwartung gerecht wird, bedarf es jedoch in den nächsten Jahren vieler weiterer Schritte. Hierzu gehören insbesondere die Sicherstellung täglicher Öffnungszeiten, die Etablierung als außerschulischer Lernort mit eigenen Bildungsangeboten in der sächsischen Bildungslandschaft, weitere vertiefte Forschung zur Geschichte des Ortes und ganz wesentlich die weitere Sanierung und Zugänglichmachung des ehemaligen Zellentraktes für den Besuchsverkehr.
Zuletzt war die mediale Berichterstattung über die Gedenkstätte nicht von ihrer eigentlichen Arbeit in der Vermittlung von Geschichte in die heutige Gesellschaft bestimmt, sondern vielmehr durch die Nutzung des Areals als Veranstaltungsort für Proteste aus der Landwirtschaft oder einen Auftritt des ehemaligen TV-Moderators Peter Hahne. Es sind Veranstaltungen, bei denen es anmutet, als wenn mit der Wahl des Veranstaltungsortes das ehemalige Gefängnis wie eine Kulisse genutzt wird, um das heutige Eintreten für politische Ziele in Beziehung zu setzen, zum in Hoheneck verübten Unrecht. Hier braucht es dringend eine Klärung mit der Gemeinde Stollberg und weiteren Akteuren, welche Art von Veranstaltungen im Einklang stehen mit der Bedeutung des Ortes und der Arbeit der Gedenkstätte.
Für Hoheneck wurde in den zurückliegenden Jahren viel erreicht. Ein großer Teil der Wegstrecke hin zu einer Gedenkstätte, die tagtäglich ihren Beitrag zur Aufklärung über Diktatur und Widerstand leistet, liegt jedoch noch vor uns.
[1] SED-Opferbeauftragte des deutschen Bundestages
[2] Schacht, Ulrich (Hrsg.) (2004). Hohenecker Protokolle. Aussagen zur Geschichte der politischen Verfolgung von Frauen in der DDR. Leipzig.
[3] Steinmeier, Frank-Walter (2024). „Was für ein Ort! Was für ein Unrecht!“ Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur Eröffnung der Gedenkstätte Hoheneck am 11. Juli 2024 in Stollberg im Erzgebirge.
URL: www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2024/07/240711-Gedenkstaette-Hoheneck.html