Die MfS-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Pankow – Gefängnisalltag in der DDR der achtziger Jahr

„Der Spion wurde aufgeschoben
und ein Auge starrte mich an. […]
Es sah sonderbar tot aus,
und ich wußte doch,
daß dazu ein Mensch gehörte.“[1]

Von Nadine Meyer[2] [3]

Die MfS-Untersuchungshaftanstalten waren Orte geheimpolizeilicher Repression. Konspirative Ermittlungsmethoden durch die MfS-Abteilung IX und völlige Überwachung und Kontrolle durch die Abteilung XIV stellten einen wesentlichen Bestandteil des MfS-Gefängniswesens dar. Die Abteilung XIV hatte als »Dienstleisterin« die Haftbedingungen den jeweiligen Vernehmungsstrategien des Ermittlungsorgans IX anzupassen. Das heißt, dass die Vernehmer der Abteilung IX die Belange der Untersuchungshaft festlegten und die Kollegen von der Abteilung XIV diese umzusetzen hatten. Dieses Unterstellungsverhältnis führte oft zu Reibungspunkten, bedingt durch das Imageproblem der Abteilung XIV innerhalb des MfS. Da zu allen Zeiten der »Klassenfeind« gemäß den Prinzipien der MfS-Untersuchungshaft streng isoliert und sicher verwahrt werden musste, änderten sich die Aufgabenfelder der Abteilung XIV nicht wesentlich.

Alle politischen Straftaten fielen in den Zuständigkeitsbereich des MfS, so dass von diesen Ermittlungsverfahren Betroffene grundsätzlich in einer Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit untergebracht wurden. Die Öffentlichkeit erfuhr nie offiziell von den Aktivitäten des MfS. Der Betrieb einer Untersuchungshaftanstalt erlebte keinerlei gesetzliche Berechtigung. In der DDR existierten weder Verwaltungsgerichte noch ein Verfassungsgericht, die für die Kontrolle des staatlichen Handelns zuständig gewesen wären. Allerdings hatte das Recht in der DDR eine »Regelungsfunktion«. Die Fülle an Anweisungen, Statuten und Ordnungen lässt demnach auf eine »Verrechtlichung« der Strafrechtspraxis schließen, die ferner eine Hinwendung zu verdeckten Repressionsmethoden darstellt. Seit Mitte der siebziger Jahre bemühte sich die DDR, ihre gerade gewonnene internationale Anerkennung nicht zu beschädigen. Die internationale Debatte um die Einhaltung der Menschen- und Bürgerrechte wurde vor allem nach der Unterzeichnung der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki 1975 zunehmend zur Herausforderung für die DDR-Führung. Der Spielraum des MfS hinsichtlich offener Gewaltmaßnahmen war seit diesen Bemühungen der DDR um internationale Reputation sehr begrenzt, so dass sich in dieser Zeit eine gewisse rechtliche Bindungswirkung der staatlichen Gewalt entwickelte.[4] Daher kam es zu einem Ausbau der »lautlosen« Gegnerbekämpfung, die Normalität und Rechtsstaatlichkeit vortäuschen sollte.

Die Haftanstalten erfuhren in den siebziger und achtziger Jahren immer wieder Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen, die zwar zu einer Verbesserung der Unterbringung führten, aber auch eine Perfektionierung der Überwachung und der Isolierung der Häftlinge bedeuteten.[5] Die Gestaltung der Untersuchungshaftanstalten wurde den zentralen Haftprinzipien (Desorientierung, Isolation und totale Überwachung) angepasst.[6]

Es wurde ferner dargestellt, dass die Abteilung XIV keine besondere Beliebtheit innerhalb des MfS genoss und eher ein Schattendasein führte. Ihr dargestellter Arbeitsalltag kann als exemplarischer Einblick in die Alltagsgeschichte des MfS von unten betrachtet werden. Die fachlich-inhaltlichen Anforderungen waren relativ gering und viele MfS-Angehörige waren sich der Eintönigkeit der Arbeit im Untersuchungshaftvollzug bewusst.[7] Die Tätigkeit im MfS-Untersuchungshaftvollzug bot den Mitarbeitern kaum Entwicklungschancen, auch wenn in den achtziger Jahren verstärkt auf Bildungs- und Karriereangebote gesetzt wurde. Junge Perspektivkader wurden für die Abteilung XIV nur gewonnen, indem ihnen nach einer gewissen Zeit der Bewährung die Aussicht auf eine Versetzung in eine operative Abteilung offeriert wurde. Blieb diese Aussicht aus, konnte dies die Arbeitsmoral sowie die innere Einstellung zum »Kampfauftrag« negativ beeinflussen. So kam es immer wieder zu einer Häufung von Disziplinarproblemen seitens der Mitarbeiter der »Linie XIV«. Fehlerhafte Verhaltensweisen wurden mit Tadel, (strengem) Verweis, Arrest in den MfS-Unter- suchungshaftanstalten, Degradierung in der Dienststellung oder sogar Entlassung aus dem MfS streng geahndet. Ein grundlegendes Hauptproblem war jedoch der Alkoholmissbrauch während und außerhalb der Arbeitszeit. Letztendlich blieb die Abteilung XIV ein Auffangbecken für die Untalentierten und war daher das »Abstellgleis für Kader«.[8] Durch unzulängliche Verhaltensweisen bzw. Nachlässigkeiten seitens der Mitarbeiter befürchtete die MfS-Obrigkeit einen diplomatischen Eklat, zum Beispiel im Falle eines Todesfalls im »Stasi-Knast«. Daher regulierte das MfS zur besseren Kontrollierbarkeit des Untersuchungshaftvollzuges mit seinem 1986 intern veröffentlichten Paket an Dienstanweisungen und Ordnungen den Arbeitsablauf und -alltag der Mitarbeiter der »Linie XIV«. Dieser Aufgaben- und Maßnahmenkatalog der einzelnen Unterabteilungen des MfS-Untersuchungshaftvollzugs diente trotz des Bekenntnisses, »die sozialistische Gesetzlichkeit«, die »Menschenwürde« und die »Persönlichkeit der Verhafteten« zu wahren,[9] einzig der Reputation der DDR und des MfS als Staatssicherheitsorgan.

Die Arbeit im Untersuchungshaftvollzug brachte die Mitarbeiter in direkten Kontakt mit dem »Klassenfeind«. Das MfS setzte ein »politisch-ideologisch« geschultes Feindbild bei seinen Mitarbeitern voraus, die sich abermals im »Klassenkampf zwischen Sozialismus und Imperialismus« zu beweisen hatten – soweit jedenfalls das Wunschdenken der Propaganda.[10] Die einseitige Informationspolitik der Abteilung IX gegenüber ihren Kollegen der Abteilung XIV sollte das zentrale Haftprinzip der Isolation sowie die abstrakte Reduzierung der inhaftierten Personen auf ein eindeutiges Feindbild im Sinne der sozialistischen Propaganda begünstigen. Dass dies nicht immer funktionierte, zeigte der Dienstalltag der Untersuchungshaftanstalt in Berlin-Pankow in den achtziger Jahren, deren innenpolitische Krisen zunehmend die Diskrepanz zwischen sozialistischer Propagandawelt und gelebter Wirklichkeit in einer Mangelgesellschaft offenlegte. Schließlich beweist der Einblick in den Dienstalltag der MfS-Bezirksabteilung XIV, dass die Staatssicherheit eine menschengemachte Behörde war.[11] So kam es ebenfalls immer wieder zu Reibungen bzw. Spannungen zwischen den Abteilungen bzw. Institutionen.[12] Als ein Akteur unter anderen stellte somit die Staatssicherheit ein Instrument der SED-Politik dar.[13] In der MfS-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Pankow verhielt sich dies nicht anders.

Die im Nordosten mitten in einem Altbauwohngebiet liegende Untersuchungshaftanstalt der Berliner Bezirksverwaltung der Staatssicherheit wird heute als JVA für Frauen genutzt und kann auf eine wechselvolle Geschichte zurückblicken. Der 1907 im Jugendstil errichtete Gefängnisbau fungierte bis 1928 als Haftanstalt des benachbarten Amtsgerichtes. Nachdem 1933 die SA und nach dem Zweiten Weltkrieg die sowjetische Militäradministration den Gefängnisbau nutze, übernahm die Staatssicherheit Anfang der fünfziger Jahre die Haftanstalt und wurde fast 40 Jahre lang ihr »treuester Mieter«. Im Laufe der Zeit erlebte die Untersuchungshaftanstalt immer wieder Umbaumaßnahmen, die der Perfektionierung des Sicherheitskonzeptes sowie der totalen Überwachung der Häftlinge galten. Technische Ausstattung und Sicherheitsvorkehrungen wie zum Beispiel die »Stopplichtanlage« oder »Nachrichtendienstinstallationen« spiegelten Ende der achtziger Jahre die Ausdifferenzierung des Überwachungsstaates wider und stellten somit die Reaktion der SED-Regierung auf die wachsende Opposition sowie die damit verbundenen inneren Unruhen dar.

Die Unterbringung und Versorgung der Häftlinge erfolgte nach diesem Prinzip des ausgeklügelten Sicherheitsapparates. Bis zum Schluss war die MfS-Untersuchungshaft von diesem rigiden Sicherheitsdenken determiniert, unabhängig aller formalen Konzessionen an internationale Menschenrechtsstandards. Diese spezielle Sicherheitsarchitektur fand auch in der MfS-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Pankow ihre Wirkung und unterschied sich mit ihrem hochkomplexen System an elektronischen bzw. mechanischen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen evident von den Gefängnissen, die dem MdI unterstanden und teilweise vorsintflutliche Verhältnisse aufwiesen.[14]

In diesem Kontext des MfS-Sicherheitsdenkmusters hatte die Untersuchungshaftanstalt in Berlin-Pankow bezüglich ihrer stadtgeographischen Verortung eine wichtige strategische Funktion. Denn sie wurde bis zur Wende bei einer maximalen Belegungskapazität von 200 Inhaftierten betrieben, immer wieder technisch aufgerüstet und im Vergleich zu anderen Bezirksuntersuchungshaftanstalten des MfS mit einem erstaunlichen Personalaufwand betrieben. In Ost-Berlin existierten darüber hinaus auf der Ministeriumsebene zwei zusätzliche Untersuchungshaftanstalten in den Stadtbezirken Lichtenberg (UHA II) und Hohenschönhausen (UHA I), so dass die Hauptstadt der DDR ebenso zur Hauptstadt der MfS-Gefängnisse avancierte. Dabei stellte die UHA I als eine Art Hauptuntersuchungshaftanstalt des MfS mit über 200 Zellen die größte bzw. modernere ihrer Art dar, während die UHA II in Lichtenberg wie jene in Berlin-Pankow ebenso in einem Altbau aus der Kaiserzeit untergebracht war. Die MfS-Untersuchungshaftanstalt in Berlin-Pankow hatte aber eine höhere Belegungskapazität (120 bis max. 200 Häftlinge) als ihre Schwesterhaftanstalt nahe der MfS-Zentrale in Berlin-Lichtenberg (90 Häftlinge). Zudem konnten in der Pankower Haftanstalt ebenso wie in Hohenschönhausen weibliche Personen in Untersuchungshaft genommen werden, während in der UHA II in Lichtenberg hauptsächlich männliche Häftlinge, denen eine Militärstraftat vorgeworfen wurde, einsaßen. Die Haftanstalt in Berlin-Hohenschönhausen befand sich in einem Sperrbezirk, der für MfS-fremde Personen tabu war, und ebenso die kleinere Haftanstalt auf Ministeriumsebene in Berlin-Lichtenberg, über welche die Besuchstermine der U-Häftlinge aus der UHA I abgewickelt wurden, befand sich nahe der Zentrale im »Stasi-Bezirk«. Bei der Untersuchungshaftanstalt der MfS-Bezirksverwaltung Berlin-Pankow war dies anders, da diese mitten im Altbauwohngebiet unweit der Mauer sowie verkehrsgünstig zum Zentrum der Hauptstadt der DDR, dem Alexanderplatz, lag. Nach der Erstvernehmung im zusammen mit der Deutschen Volkspolizei genutzten Stützpunkt in der Keibelstraße nördlich des Alexanderplatzes wurden viele Verhaftete daraufhin in die Untersuchungshaftanstalt in Berlin-Pankow überführt. Damit kontrollierte die Staatssicherheit das Stadtgebiet in den grenznahen Bezirken Mitte, Prenzlauer Berg und Pankow, während die beiden Untersuchungshaftanstalten auf Ministeriumsebene mit ihren Sperrbezirken den weitläufigen Ostteil der Stadt absicherten. In Prenzlauer Berg wohnte nach MfS-Sicht ein nicht unerheblicher Teil der zu überwachenden Klientel. Die Altbauviertel in Mitte, Prenzlauer Berg sowie Pankow waren tatsächlich Kulminationspunkte der Oppositionsbewegungen, aus denen sich letzten Endes die Bürgerbewegung der friedlichen Revolution in Ost-Berlin herausgebildet hat. Viele der oppositionellen Milieus trafen sich dort unter dem Dach der evangelischen Kirchen, wie zum Beispiel in der Zionskirche in Mitte oder in der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg. Diese Besonderheit der stadtgeographischen Verortung sowie der damit verbundene Sicherheitswahn des MfS im Kontext des »Klassenkampfes« nach innen und nach außen begründeten die Nutzung der Haftanstalt in Pankow als Verwahrort politisch Andersdenkender. Mit der Zunahme öffentlicher Proteste in Ost-Berlin Ende der achtziger Jahre füllten sich in immer kürzeren Intervallen die Zellen in der MfS-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Pankow. Hinzu kommt, dass Ost-Berlin Herrschaftszentrum der DDR war und außerdem als »Frontstadt« der einander gegenüberstehenden System eine besondere Symbolik aufwies, so dass aus Sicht des MfS die Grenzübergänge von der Hauptstadt der DDR nach Westberlin neuralgische Punkte bedeuteten, die es zu überwachen und im Falle einer Eskalation zu verteidigen galt. Bekanntermaßen war das MfS in seiner Struktur militärisch gegliedert und konnte mit seinen bewaffneten Kampftruppen wie eine Armee eingesetzt werden. In diesem Kontext wurde auch die Untersuchungshaftanstalt Berlin-Pankow als militärisches Objekt kategorisiert, das nach außen hin konspirativ abgeschottet bzw. bewacht werden sollte. Auch wenn die Gefahr von außen immer wieder propagandistisch in den Akten überhöht wurde, galt der Überwachungswahn mit seinem Repressionsinstrument »Haft« letztendlich vorrangig den inneren Feinden. Dementsprechend zeigte sich, dass sich hinter den sprachlichen Ungetümen der Feindbilddefinition in den MfS-Dokumenten das Misstrauen gegenüber der eigenen Bevölkerung verbarg. Allerdings stellte sich auch heraus, dass sich trotz dieser konspirativen Abschottung der Haftanstalt den benachbarten Anwohnern nicht gänzlich die tatsächliche Bewandtnis des Gebäudekomplexes in der Arkona- bzw. Borkumstraße entzog. Innen- und Außenwahrnehmungen gingen demnach nicht immer kongruent mit den MfS-internen Sicherheitsansprüchen, die in den Akten formuliert wurden. Ungeachtet der Geheimnistuerei seitens der Staatssicherheit partizipierten deren Mitarbeiter zugleich an der DDR-Gesellschaft und entwerteten inflationär die verordnete Dienstpflicht, indem sie Anweisungen von oben nicht immer hundertprozentig Folge leisteten und diese als idiotisch bzw. übertrieben abtaten.

Die MfS-Untersuchungshaftanstalten waren bekannt als »ungemütliche Orte«, die politische Abweichler einschüchtern sollten. Die meisten DDR-Bürger hatten daher ein diffuses Wissen darüber, da das MfS bewusst eine Omnipräsenz und Allwissenheit gemäß den SED-Herrschaftsansprüchen suggerierte. Das heißt aber nicht, dass die Menschen in der DDR stets verängstigt gewesen wären, sondern eher mit Routine und Gewöhnung öffentlich den gesteckten Handlungsspielraum akzeptierten, während sie im Privaten ihre Nischen der eigenen Entfaltung suchten. Seit dem Mauerbau 1961 wandelte sich die offene Brutalität gegenüber Andersdenkenden in eine subtilere Einschüchterungspraxis, die weniger sichtbar war. Die Feindbekämpfung fand primär nach innen gerichtet statt. Das Selbstverständnis der MfS-Mitarbeiter als eine Art Avantgarde im »Klassenkampf« gegen die stets drohende Gefahr von (außen und) innen prägte auch den Untersuchungshaftvollzug in Berlin-Pankow. Das Aufbegehren Einzelner sollte immer unter Kontrolle gehalten werden. Einen zweiten 17. Juni galt es in diesem Sinn zu verhindern. Dieser Argwohn gegenüber der eigenen Bevölkerung war nicht allein MfS-typisch, sondern symptomatisch für die ganze SED-Führung. Denn das MfS agierte stets eingebettet im Macht- und Herrschaftsgefüge der SED-Funktionäre, arbeitete Hand in Hand mit anderen staatlichen Organen wie Justiz oder Polizei und war nicht, wie oft dargestellt, eine Art monolithischer Akteur bzw. ein Staat im Staate. Das systemimmanente, verinnerlichte Feindbild machte die MfS-Untersuchungshaft zur politischen Haft und prägte auch den Gefängnisalltag in der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Pankow. Der Sicherheitswahn und die militärische Organisationsstruktur formten ein Dienst- sowie Haftregime. Disziplinarprobleme, Alkoholmissbrauch, sinkende Arbeitsmoral sowie unzureichende politische Einstellungen waren in der Haftanstalt in Berlin-Pankow ebenfalls Bestandteil des Dienstalltages. Außerdem reichten die strengen Verhaltensregeln, die politisch-ideologische Erziehung mit wöchentlichen Schulungsmaßnahmen sowie das ständige Berichterstatten über die eigenen Kollegen weit in die Lebensbereiche der Mitarbeiter der Abteilung XIV hinein - so weit, dass sie sich sogar in der Freizeit von der eigenen »Firma« überwacht bzw. beobachtet fühlten. Ferner erhöhten der andauernde Personalnotstand und die völlige Auslastung der Belegungskapazität in immer kürzeren Intervallen Ende der achtziger Jahre den Stressfaktor im Dienst. So konnte ein Konglomerat an rigiden, starren Verhaltensregeln, an ideologisch geprägtem Sicherheitsdenken mit diktiertem Feindbild, an Stresszunahme gegenüber Motivationsabnahme sowie wachsenden Selbstzweifeln im Arbeitsalltag in der MfS-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Pankow ausgemacht werden. Hinzu kommen Monotonie, Schematismus sowie eine bedrückende Sicherheitsarchitektur, die den Mitarbeitern, aber umso mehr den Häftlingen zusetzten. Interne Berichte zeigen, dass der Altbau der Untersuchungshaftanstalt in der MfS-Bezirksverwaltung teilweise schlechte Haftbedingungen aufwies und trotz sukzessiver Verbesserung der Ausstattung bis zur Schließung im Herbst 1990 von einem rechtsstaatlichen Haftvollzug gemäß der Menschenrechtskonventionen weit entfernt war. Die baulichen Besonderheiten wie zum Beispiel die Glasbausteinfenster in den Verwahrräumen hätten nach der Wende 1989/90, verbunden mit einem hohen Kostenaufwand, ab- bzw. umgebaut werden müssen. Die Sicherheitsarchitektur der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Pankow entsprach den zentralen MfS-Haftprinzipien der Isolation, Desorientierung sowie der totalen Überwachung. Die Ungewissheit über die eigene Situation, die Reizarmut, die Monotonie des Haftalltages, die schlechte Luft in den Zellen und die ständige Beobachtung durch die Wärter führten zu einer äußeren sowie inneren Isolation der Häftlinge. Dies begünstigte wiederum die gewünschte Redebereitschaft bei den Vernehmungen, aber ebenso eine latente Suizidgefahr, die die MfS-Mitarbeiter mit dem verordneten Überwachungsdrang abzuwehren hatten und somit selbst teilweise als bedrückend empfanden. Durch diese ständige Beobachtung blieb den Häftlingen keinerlei Rückzugsraum. Die angeführten Beispiele bestätigen die von Passens allgemein formulierten Subfunktionen der MfS-Untersuchungshaft auch für die Haft in Berlin-Pankow: »Ausschaltung von Opposition«, »Eindämmung der Flucht- und Ausreisebewegung«, »Devisenbeschaffung mittels Freikauf«, »Informationsbeschaffung« und »SED-Öffentlichkeitsmonopol absichern – Gegenöffentlichkeit verhindern«.

Anders gestaltete sich der Haftalltag in der MfS-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Pankow für die Strafgefangenen. Der Einsatz in einer MfS-Untersuchungshaftanstalt stellte für die Strafgefangenen eine privilegiertere Haftsituation als im Strafvollzug des MdI dar. Vorrangig wurden sie als Arbeitskräfte gemäß ihrer beruflichen Qualifikation in so genannten Strafgefangenenarbeitskommandos eingesetzt. Die Strafgefangenen waren nicht so streng isoliert wie die Untersuchungshäftlinge und arbeiteten meistens als Kalfaktoren, in der Küche, in der Wäscherei oder in Reinigungs- und Instandsetzungskommandos. Neben der schlichten Nutzung der Strafgefangenen als Arbeitskräfte wurden die verurteilten Häftlinge für ihren Einsatz in einer MfS-Untersuchungshaftanstalt auch nach geheimdienstlichen Kriterien vom MfS ausgewählt. Mit dem Einsatz von Zelleninformatoren fand die allgegenwärtige Bespitzelung gleichermaßen in den Strafgefangenenarbeitskommandos statt. Für die Untersuchungshaftanstalt Berlin-Pankow konnte festgestellt werden, dass die Auswahl sowie der Einsatz von Strafgefangenen eher nach pragmatischen Prämissen hinsichtlich der Organisation interner Betriebsabläufe stattfand. Nichtsdestotrotz mussten die Strafgefangenen der MfS-Untersuchungshaftanstalt neben ihrer beruflichen Qualifikation auch eine gewisse Bereitschaft, mit dem MfS zu kooperieren, aufweisen. Für die Bewirtschaftung der Haftanstalt war der Einsatz von sogenannten »Hausarbeitern« auch in Berlin-Pankow für das MfS unabkömmlich. Denn letzten Endes hätte das MfS kaum Personal für diese Tätigkeiten gefunden bzw. hätte ein Heranholen externer Dienstleister das Konspirations- und Sicherheitsprinzip der MfS-Untersuchungshaftanstalten untergraben. Zudem waren die Strafgefangenen günstige Arbeitskräfte - ein wirtschaftlicher Nutzeffekt, insbesondere in Zeiten volkswirtschaftlicher Unregelmäßigkeiten.Wie wichtig die Strafgefangenen für den Erhalt der internen Betriebsabläufe waren, verdeutlichten vorzeitige Entlassungen von Strafgefangenen durch staatlich verordnete Amnestien, die wiederum organisatorische Probleme in den MfS-Untersuchungshaftanstalten nach sich zogen. Auch hier spielten wieder außen- bzw. innenpolitische Motive eine wichtige Rolle. Im Vorfeld des Honecker-Besuches in Bonn 1987 wurde auch in Berlin-Pankow eine Amnestie vollzogen. Im Kontext der Ausreisewelle im Sommer 1989 war die SED-Führung erneut gezwungen, eine Amnestie - insbesondere im Bezug des Straftatbestandes der Republikflucht - zu erlassen.

Die geostrategische Bedeutung der MfS-Untersuchungshaftanstalt im Nordosten Berlins wird ein letztes Mal hinsichtlich der Ereignisse 1989 veranschaulicht. Das MfS selbst bemerkte im Zusammenhang der Proteste zu den Kommunalwahlen im Mai 1989 eine »territoriale Konzentrationen von Nichtwählern« insbesondere in Wohngebieten »mit einer hohen Altbausubstanz«, speziell ebenfalls im Einzugsbereich der Untersuchungshaftanstalt. Parallel zu den Ereignissen in den innerstädtischen Krisenherden füllten sich auch die Zellen in der MfS-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Pankow. Zugleich wurden MfS-Mitarbeiter der Haftanstalt für Sondereinsätze und Zuführungsaktionen abkommandiert. Die daraus resultierenden Dienstumstellungen bedeuteten für die MfS-Mitarbeiter eine erhöhte Stresssituation. Überdies entwickelte sich eine offene, unverblümte Kritik vieler Protestler an der Existenzberechtigung des MfS, die auch von den MfS-Mitarbeitern nicht unbemerkt blieb. Der MfS-Untersuchungshaftvollzug versinnbildlichte daher wie ein gesellschaftlicher Seismograph die politischen Entwicklungen der DDR in den achtziger Jahren. Das Pankower Gefängnis stellte ein Abbild der gesellschaftlichen Verhältnisse dar. Es symbolisierte in Form einer geradezu perfide ausgeklügelten Sicherheitsburg die staatliche Verfügungsgewalt gegenüber politischen Abweichlern. Eruptive Ausschläge wie die Ausreisebewegung oder die innere Oppositionsbewegung beunruhigten zunehmend den Sicherheitsapparat der SED-Führung. In Zeiten zunehmender ökonomischer Abhängigkeit von Devisen wurde das vom MfS genutzte Prinzip der Angst, mit dem politische Gegner bzw. Andersdenkende eingeschüchtert werden sollten, vom System selbst ausgehöhlt. Das MfS-Repressionsinstrument »Haft« verlor durch die staatliche Devisenbeschaffung mit den Häftlingsfreikäufen an Wirkungskraft. Die gewaltsamen Zuführungen in den Tagen um den 7. Oktober 1989 vor den Augen der Welt bedeutete für viele Beteiligte einen Schock und stellte damit den Kulminationspunkt dar, mit dem das MfS aus Sicht vieler DDR-Bürger seine Daseinsberechtigung verwirkt hatte. Die Wucht der gesellschaftlichen Empörung traf wie eine Naturgewalt auf die erstarrte, ohnmächtige SED-Führung. Die staatliche Verfügungsgewalt der SED und somit auch ihr »Schild und Schwert« erodierte endgültig. Nach dem Mauerfall folgte dementsprechend der Abgesang für die MfS-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Pankow. In einem kurzen Intermezzo wurde die Haftanstalt zunächst dem MdI übergeben, bis sie schließlich im Zuge des Einigungsprozesses geschlossen wurde. Die Haftanstalt beherbergte 1990 im Verhältnis zur maximalen Belegungskapazität nur noch wenige Häftlinge, so dass die Kostenfrage, die MfS-Sicherheitsarchitektur sowie eine umstrittene Personalfrage bezüglich politisch belasteter Mitarbeiter eine Weiterführung eines strafrechtlichen Haftvollzugs unmöglich machten.

Nach 1990 traten nur noch wenige MfS-Angehörige in Erscheinung. Bekanntermaßen haben wenige in Erinnerungs- bzw. Rechtfertigungsbände ihre Sicht der Dinge kundgetan, wie zum Beispiel auch der ehemalige Leiter der Abteilung XIV auf Ministeriumsebene.[15] Hauptsächlich standen nun die älteren Genossen bzw. Funktionäre vor den Trümmern ihrer eigenen Biographie, die einem tiefgreifenden Neuanfang zuwiderlief.[16] Dass aber über 70 Prozent der MfS-Mitarbeiter, wie auch jene aus der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Pankow, 1989 jünger als 40 Jahre waren und über deren weiteres Leben sowie Einstellungen nichts bekannt ist, wird in den Untersuchungen über das MfS kaum beachtet.[17] Die Darstellung des ambivalenten Dienstalltages der MfS-Mitarbeiter in der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Pankow in den achtziger Jahren lässt annehmen, dass gerade die jüngeren MfS-Angehörigen 1989/90 als mögliche Chance für einen Neuanfang begriffen und sich sogar unter Umständen von ihren einstigen Genossen bzw. ihrem eigenen Tun distanziert haben. Der hohe Altersdurchschnitt bei Veranstaltungen der Ewiggestrigen lässt dies jedenfalls vermuten.[18] Zugleich beförderten IM-Enttarnungen, kollektive Ächtung sowie die Fixierung auf die Tätigkeit der Staatssicherheit im Aufarbeitungsdiskurs nach der Wende mediale bzw. öffentliche Verzerrungen, die der Komplexität des DDR-Alltages nicht gerecht werden.[19]  Emotionale Überwältigung der vom SED-Regime Verfolgten, wie sie zum Beispiel in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen[20] stattfindet, und Geschichtsrevisionismus der oben genannten Ewiggestrigen zeigen, dass das Thema »Stasi« als relevanter Teil der Erinnerungskultur bis heute Gegenwartsbefindlichkeiten tangiert, aber ebenso alltags- bzw. mentalitätsgeschichtlich kaum untersucht wurde.[21] Gedenkstätten, die meistens in ehemaligen Gefängnissen oder Dienststellen errichtet wurden, bezwecken per definitionem und meistens bedeutungsbeladen ein Erinnern an Verfolgung und Unterdrückung.[22] Dies birgt aber ebenso die Gefahr der De-facto-Identifikation mit dem Erinnerungs- bzw. Gedächtnisort »Stasi«.[23] Hier kann konstatiert werden, dass die Metaebene des Erinnerungsdiskurses insbesondere in Gedenkstätten und Museen im Allgemeinen einer kritischen Gesamtbetrachtung unterzogen werden sollte, so wie auch die MfS-Untersuchungshaftanstalten als Orte politischer Repression und deren Alltag, inklusive Gegenperspektiven und MfS-eigenen Konstruktionen im Wandel der Zeiten , sowohl in Lokal- bzw. Stadtgeographie als auch in der Peripherie und im Zentrum der Macht gegenübergestellt werden sollten. Die vorgelegte Studie über den Gefängnisalltag der relativ unbekannten MfS-Untersuchungshaftanstalt in Berlin-Pankow soll daher als Anregung für weitere wissenschaftliche Studien zu DDR-Themen wie der »Stasi« dienen.

 


[1] Winkler, Karl: Made in GDR. Jugendszenen aus Ost-Berlin, Berlin (2) 1984, S. 34.

[2] Schlusskapitel der Masterarbeit »Die MfS-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Pankow – Gefängnisalltag in der DDR der achtziger Jahre« an der Universität Potsdam aus dem Jahr 2013 https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/7053/file/meyer_master.pdf (zuletzt abgerufen am 14.10.2024).

[3] Nadine Meyer ist Historikerin.

[4] Vgl. Beleites 2004, S. 27.

[5] Vgl. Passens 2012, S. 66-80.

[6] Ebd., S. 80.

[7] Ebd., S. 40.

[8] Ebd., S. 41; Weinke, Annette, Hacke, Gerald: U-Haft am Elbhang. Die Untersuchungshaftanstalt der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit in Dresden 1945 bis 1989/1990, Dresden 2004 (= Schriftenreihe der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft, Bd. 9), S. 68.

[9] MfS/Abt. XIV: Vortrag: Der Untersuchungshaftvollzug im MfS, in: BStU, MfS Abt. XIV Nr. 1222, o. J., Bl. 1-59, hier: Bl. 8.

[10] Ebd., Bl. 28.

[11] Vgl. Nicht, Frank Lothar: Die »Stasi« als Erinnerungsort im vereinigten Deutschland 1990-2010, Marburg 2011, S. 131f.

[12] Ebd.

[13] Ebd., S. 135.

[14] Vgl. Weinke/Hacke 2004, S.109f.; Dölling, Birger: Strafvollzug zwischen Wende und Wiedervereinigung. Kriminalpolitik und Gefangenenprotest im letzten Jahr der DDR, Berlin 2009, S.249; Beleites 2004, S. 19.

[15] Insbesondere der Verlag Edition Ost weist einige Titel ehemaliger DDR-Funktionäre auf. Vgl. Rataizick, Siegfried: Der Untersuchungshaftvollzug im MfS (Abt. XIV im MfS und in den BV), in: Reinhard Grimmer, Werner Irmler, u.a. (Hrsg.): Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS. Bd. 2., 3. korrigierte und ergänzte Aufl., Berlin 2003, S. 495-519; siehe unter: http://www.edition-ost.de/ (letzter Zugriff: 26.06.2013).

[16] Vgl. Kowalczuk 2013, S.348.

[17] Ebd.

[18] Ebd., S. 350. Dazu ausführlich siehe auch: Nolte, Barbara: Die Stasi-Rentner, in DIE ZEIT vom 20.07.2006, Nr. 30, online verfügbar unter: http://pdf.zeit.de/2006/30/Stasi.pdf (letzter Zugriff: 03.08.2013).

[19] Vgl. Kowalczuk 2013, S. 356f.

[20] Die Zeitzeugenarbeit in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen ist umstritten, da ehemalige Häftlinge als Besucherbetreuer für die politische Bildungsarbeit eingesetzt werden. Damit wird das Überwältigungsverbot gemäß dem Beutelsbacher Konsens sowie eine kritische, multiperspektivische Auseinandersetzung konterkariert. Siehe unter: www.bpb.de/die-bpb/51310/beutelsbacher-konsens (letzter Zugriff: 26.06.2013); www.arbeit-mit-zeitzeugen.org/teil-4/abschlussdiskussion-emotionale-ueberwaeltigung-oder-multiperspektivitaet-chancen-und-probleme-der-arbeit-mit-zeitzeugen/ (letzter Zugriff: 26.06.2013).

[21] Vgl. Nicht 2011, S. 14f.

[22] Ebd., S. 42f.

[23] Ebd.