Wechselverhältnis zwischen der Staatspartei und Staatssicherheit. VR Polen und die DDR im Vergleich
Von Titus Jaskulowski[1]
In der bis 2015 herausgegebenen polnischen und deutschen Literatur, die sich, leider ohne Komparatistik, mit den Beziehungen zwischen der Staatspartei und dem jeweiligen Sicherheitsministerium in den osteuropäischen Ländern auseinandergesetzt hat, gab es drei Dimensionen, mit denen Hilfe jenes Verhältnis analysiert wird. Die erste - klassische, bezogen auf die normativen systembezogenen Voraussetzungen im Staatssozialismus, nimmt an, dass die Sicherheit als „Schild und Schwert der Partei“ wahrgenommen werden kann. Ihre Mitarbeiterdürfenalso nur als Parteisoldaten oder einfach Dienstleister gesehen werden, die dazu beitragen mussten, die Existenz des Kommunismus zu gewährleisten. Werke die, vor allem nach der Wende und mit Hilfe des bis 1989 nicht zugänglichen Archivmaterials erstellt wurden, fügen dazu zwei weitere Dimensionen an. Dort wurden Partei und Sicherheit als klare Konkurrenten (zweite Dimension) dargestelltund zwar in der Machtauseinandersetzung, so viele Einflussmöglichkeiten wie möglich im Staat zu erobern.
Die dritte und letzte Dimension ändert schließlich die am Anfang hingewiesene Positionierung. Forscher, die jene Dimension vertreten,lehnen grundsätzlich die normative Darstellung ab und sindder Meinung, dass die Sicherheit relevanter als die Partei war und die Parteimitglieder die Sicherheitssoldaten sein konnten, jedoch nicht umgekehrt.
Zwar sind alle vorgeschlagenen Ansätze relevant und wichtig. Für die vergleichende Analyse sollen sie jedoch zusammen und miteinander angewendet werden. In der durchaus dynamischen Welt des politischen Staatssozialismus kam es kaum vor, dass nur vertikale oder nur horizontale Art der Beziehungen beider Institutionen beobachtet werden konnten. Alle Dimensionen jener Beziehungen waren gemischt, je nach Chronologie oder nach Einfluss der externen und internen politischen Umstände. Deswegen wird der nachfolgende Beitrag vor allem durch die geschichtlichen Unterschiede in der Entwicklung der Partei und der Sicherheit in der DDR und der Volksrepublik Polen geprägt, ebenso durch die theoretischen Definitionen beider Sicherheitsministerien und Staatsparteien.
Formell gesehen hatten beide Ministerien und Parteiendie gleiche Aufgabe: das eigene totalitäre Regierungssystem zu schützen, die kommunistische Ideologie zu verwirklichen nach dem Prinzip der Diktatur der Arbeiterklasse und last but not least, seine bzw. Parteigegner zu bekämpfen. Dazu bedienten sich beide Verfolgungsapparate sowohl einer Zahl inoffizieller Mitarbeiter als auch physischer Gewalt, indem sie die Oppositionellen oder alle aus ihrer Sicht Verdächtig verfolgten. Insofern übten Sicherheitsministerien Funktionen der politischen Polizei aus. Da die DDR ein künstlicher Frontstaat ohne Identität war, mussten jene politischpolizeilichen Funktionen aber auch Konsolidierungssgrad der Staatsspartei bzw. der Stasientsprechend umfassender sein.Deshalb waren das ostdeutsche Ministerium für Staatssicherheit sowie die SED ohne Zweifel aus ideologischer, personeller und organisatorischer Sicht erheblich stärker und konsolidierter als das polnische Innenministerium MSW bzw. die polnische Vereinigte Arbeiterpartei. Permanente politische Krisen in der Volksrepublik Polen, regelmäßige Ausbrüche der sozialen Unzufriedenheit sowie die Stärke der Opposition – Geschehnisse, die kaum in der DDR vorstellbar waren - haben allerdings dazu beigetragen, dass das MSW und nicht das MfS die wichtigste Eigenschaft eines Geheimdienstes entwickeln konnte, nämlich die Fähigkeit, den Entscheidungsträgern die politische Lage sowie die Vorschläge für das weitere Vorgehen offen und ideologiefrei zu präsentieren. Die turbulente innenpolitische Lage trug außerdem dazu bei, dass sich die PVAP, mindestens seit 1970, auch mit Hilfe des Geheimdienstes, in Richtung der zynischen, opportunistischen und ideologiefreien Partei der Macht entwickelte, was gewisse Freiräume für die Sicherheit eröffnete, die etwa in der DDR kaum zu finden gewesen wären. Deswegen, so die Hauptthese dieses Beitrages, waren die Beziehungen zwischen der Staatspartei und der Sicherheit in Polen dynamisch und in der DDR statisch.
Wo lagen die wichtigsten Ähnlichkeiten und Unterschiede jener Beziehungen? Sie lassen sich durch Analyse derkonkreten Bestandteile erkennen, die das Verhältnis beider Institutionen bestimmen und die weder horizontal noch vertikal platziert werden können, wie das in den bereits erwähnten Dimensionen der Fall war.
Der erste Bestandteil hat mit der Entstehungsgeschichte des Verhältnisses zwischen der Partei und Sicherheit selbst zu tun sowie mit der Etablierung des gesamten politischen Systems Volkspolens und der SBZ/DDR. Führungsgremien beider Institutionen wurden bis 1953/1956 direkt bzw. später indirekt durch die Entscheidungen der Sowjetunion und vor allem seiner Geheimdienste und Parteispitze der KPdSU delegiert. Sowohl Rote Armee als auch die NKWD Berater hatten außerdem Strukturen der neuen Sicherheitsorgane bzw. Parteigremien bestimmt oder Leitungsfunktionen übernommen. Dazu kam osteuropaweite Zwangskonsolidierung der politischen Organisationen und Verwirklichung des stalinistischen Modells des politischen Lebens.
Die nominelle Dominanz der kommunistischen Partei in den Beziehungen mit der Sicherheit war jedoch in beiden Staaten von Anfang an anders und zwar auch in der stalinistischen Zeit. In der Tat bestimmten Führer der kommunistischen Vorläufer der SED/PVAP, nämlich KPD bzw. PPR (polnische Arbeiterpartei) über wichtigste Personalentscheidungen an der Spitze der Sicherheit bzw. über Einleitung der politischen Prozesse. Nun aber hattenin der VRP etwa bis 1956 nur 21% der Führungskader der Sicherheit echte Vergangenheit in der kommunistischen Partei Polens. Die anderen waren Vertreter vieler anderen Gemeinschaften, die etwa in den verschieden militanten Einheiten während der Besatzungszeit in Polen bzw. im Ausland gekämpft, vor dem Zweiten Weltkrieg während des Spanischen Bürgerkrieges eigene Erfahrungen gesammelt, in KZ gesessen und, last but not least, daraus eigene Personenkreise gebildet und separate Kontakte mit der Parteispitze Polens oder der Sowjetunion gepflegt hatten. Dies musste zwangsläufig dazu führen, dass irgendwann, nämlich bereits in der ersten politischen Krise im Jahr 1956, die Sicherheit Volkspolens und seine Spitze dazu tendierten, nicht nur ein Instrument der Partei sondern ein Akteur in der innenpolitischen Auseinandersetzung zu werden. Ebenso bemerkenswert war die Tatsache, dass sowohl in der Staatspartei als auch bei der Sicherheit in der VRP die nichtideologischen Faktoren,wie Geld oder Karriere ein Argument waren, dort aktiv zu sein. Diese Tendenzen, obwohl in der SBZ auch zu beobachten, war jedoch in Ostdeutschland durch die absolute Dominanz der sowjetischen Truppen schnell eliminiert. In beiden Ländern konnte der sowjetische Geheimdienst die Auswahlverfahren für sämtliche Sicherheitsbehörden beaufsichtigen und beeinflussen. In einigen Fällen wurden sogar über 80 Prozent der Bewerber für dieVorgängerinstitution des MfS (K-5-Abteilungen) nicht zugelassen. Insofern waren die ideologische Loyalität der Führungskader und Mitarbeiter des späteren MfS nie so ein Thema in der DDR, vor allem wegen der Abhängigkeit gegenüber der UdSSR sowie der brutalen politischen Verfolgung der ersten Nachkriegsjahre.
Die Entstehungsgeschichte war mit dem zweiten Bestandteil verbunden, nämlich mit der institutionellen Struktur der Partei innerhalb der Sicherheitsministerien.Die wichtigste Sache war dabei die formelle Verbindung der Parteimitgliedschaft mit der Aufnahme ins jeweilige Ministerium. Vergleichbar ist in beiden Staaten jedoch nur die Herkunft der Neueingestellten in der Anfangsphase des Stalinismus: 93 Prozent der ersten polnischen und 100 Prozent der ersten ostdeutschen Geheimdienstgeneration gehörten der „Arbeiter- und Bauernklasse“ an. Der Anteil der Parteimitglieder im MSW sank jedoch seit 1957 kontinuierlich: in den Bezirksverwaltungen von 92 auf 78 Prozent im Jahr 1986, in der „Zentrale“ von 73 auf 65 Prozent in der gleichen Periode. Ideologie wurde im MSW zu einem Ritual ohne jegliche inhaltliche Bedeutung außerhalb von Propagandazwecken, außer wenn die Parteizugehörigkeit für eine aus finanziellen Gründen lukrative Auslandsreise die Voraussetzung darstellte. Ein interner MSW-Bericht von 1988 über das geheimdienstliche Personal besagt eindeutig, dass die meisten Mitarbeiter aus finanziellen, nicht aus ideologischen Motiven handelten. Dies wäre in der DDR bzw. im MfS unmöglich gewesen, ebenso nicht die Tatsache, dass etwa die Parteieinheiten innerhalb des MSW etwa bis 1956 nur als eine Art Abteilung für Soziales galten und dann, und als Folge der Entstalinisierung, Ort der heftigen politischen Auseinandersetzungen wurden.Beim MfS war Parteimitgliedschaft eine Pflicht, wahrgenommen genauso selbstverständlich wie das Gehorsamsprinzip und die große hauptamtliche Präsenz der SED mit 160 Stellen in der Berliner Zentrale oder die Anbindung des MfS in den Grundsatzdokumenten an die Partei.. Der Leiter der zentralen Parteieinheit blieb stellvertretender Minister für Staatssicherheit. In der 1. Satzung des MfS wurde außerdem etwa darauf hingewiesen, dass die Grundlage für die Arbeit des MfS zuerst die Richtlinien des ZK und der PB, später noch das Parteiprogramm der SED waren, und erst dann z. B. Verfassung der DDR. In den polnischen Dokumenten. hingegen, etwa internen Beschreibungen der Geschichte der Aufklärung beschränkten sich nur auf Verweise, dass die PVAP eine allgemeine Leitungsfunktion hatte, dass der Geheimdienst den Sozialismus schützt, bzw. dass das Innenministerium verpflichtet wurde, mit den gesellschaftlichen Organisationen zusammenzuarbeiten. Zwar definieren die Forscher, wie in der VRP, die Rolle der Parteieinheiten des MfS als die einer Zentrale für ideologische Bildung, wo die zuständigen Parteisekretäre keine Operativen Abteilungen leiten durften. Sie durften aber in den Kollektivorganen sitzen, auch auf der zentralen Ministerebene, was zwangsläufig eine klare Trennung zwischen Partei und Sicherheit unmöglich machte.
Dritter Bestandteil des Verhältnisses zwischen Partei und Sicherheit war die Frage nach der realen Aufsicht und Kontrolle des Sicherheitsministeriums durch die zuständigen Parteigremien, wo rein theoretisch sehr viele Ähnlichkeiten zwischen der DDR und der VRP zu sehen waren. Zuerst geht es um die bereits angesprochene personelle Undurchsichtigkeit. Formell gesehen durfte die Partei sich nicht mit dem Operativen beschäftigen. Dies war aber nicht komplett der Fall. In der VRP und in der DDR durften sich allerdings nur die Spitzenpolitiker der jeweiligen Partei, am besten mit Erfahrung als Geheimdienstler, durchsetzen um einige Konkrete Schritte, etwa gegen Opposition einzuleiten oder, etwa in den 70ern, via Beschlüsse der Tagungen, allgemeine Richtlinien zu bestimmen, dass die Verfolgung der Dissidenz, etwa wegen der Entspannungspolitik sanfter realisiert werden muss.
Ohne Zweifel bestimmten auch Parteigremien allgemeine Entscheidungen über Etat der Geheimdienste. Fakt bleibt aber auch, dass etwa die ehemaligen polnischen Leiter der Parteieinheiten innerhalb der Auslandsaufklärung etwa, später wichtige operative Posten übernommen haben. Ein klassischer Beispiel dafür auch ist, das formelle und nie ernst genommene Verbot, Parteimitglieder anzuwerben, es sei denn, es liegt die Zusage der polnischen Parteigremien, bzw. den Generalsekräters/1. Sekretärs vor. In der Tat musste in Polen die Parteizentrale, d.h. Zentralkomitee der Besetzung von ca.330 Stellen im Innenministerium zustimmen. Dazu kamen die üblichen und notwendigen Parteigutachten. Sollte die Parteieinheit etwas Negatives Sagen, insbesondere in der DDR, konnte dies theoretisch das Ende der hauptamtlichen Tätigkeit bedeuten. Nun aber wenn etwa in der gleichen DDR mehr als 1/3 der IM SED Mitglieder waren und in den zuständigen Kontrollgremien entweder abgeordnete hauptamtliche Mitarbeiter oder ObiE tätig gewesen waren, war die Wahrscheinlichkeit einer wirksamen Aufsicht sehr niedrig. Dazu kam die Tatsache, signalisiert in der Literatur über beide Länder, dass die Sicherheit als Personenkreis sich selbst als etwas Besseres als die bloße Parteimasse selbst wahrgenommen hatte. Insofern akzeptierte man, auch wegen die Militärdisziplin und der zentralistischen Struktur des Geheimdienstes sehr viele absurde Schritte eigener Vorgesetzten, allerdings nicht die Kontrollmaßnahmen einer fremden Einheit, die man de facto operativ bearbeitete. Dies konnte auf der Provinz anders aussehen, und zwar wenn der lokale Parteisekretär den Leiter der örtlichen Sicherheit beeinflussen konnte. Dies blieb jedoch eher eine Ausnahme der Zeit, verbunden vor allem mit der immer stärkeren Schwäche der polnischen PVAP und der Dekade von Parteisekretär Gierek. Es wurden viele neue Woiwodschaften gegründet, was jene lokale Spannung zwischen Partei und Sicherheit ermöglichte. Spätestens aber ab 1980 war die polnische Sicherheit komplett von der Partei emanzipiert und zentralisiert, was mit der neuen militärisch geprägten Staatsführung zu tun hatte. Die ostdeutsche hingegen war verpflichtet, den zuständigen Kreissekretären auf der Ebene der Bezirksverwaltungen eigene Jahrespläne zur Konsultation vorzulegen.Allerdings war es unwahrscheinlich,, dass die lokalen Parteiaktivisten, etwa ohne Verbündeten im Politbüro, wirklich etwas gegen jene Pläne unternehmen konnten, zumal beide Geheimdienste Sicherheitsüberprüfungen von Mitgliedern beider Staatsparteien durchführen durften.
In der Tat entwickelte man in der Partei die bereits erwähnten Kontrolleinheiten, die vor allem in Polen nach 1956 aktiv waren. Wenn aber dagegen einer der Vorgänger Mielkes, W. Zaisser, alleine im Politbüro für Sicherheit zuständig war, konnte man nicht über eine wahre oder externe Kontrolle sprechen. Fakt bleibt aber, dass spätere Parteisekretäre, nämlich Honecker und Krenz waren ZK Sekretäre für Sicherheitsfragen waren, was ihre spätere Karriere definitiv beschleunigte.
Undurchsichtigkeit prägte die Parteikontrolle, die jedoch in Polen ein bisschen und nur zeitweise besser entwickelt war als die in der DDR. Dies hatte vor allem mit der politischen Lage beider Länder zu tun sowie mit der völlig anderen Personalkonsolidierung sowie der Rolle des Sicherheitsministers.
Das MfS wurde während seines gesamten Bestehens von nur drei Personen geleitet; Mielke bekleidete das Amt von 1957 bis 1989. Er spielte nie die Rolle eines aktiven innenpolitischen Akteurs bzw. eines Initiators von machtpolitischen Veränderungen, solange eine potenzielle Wende keine endgültige Zustimmung der sowjetischen Machthaber fand. Auseinandersetzungen innerhalb der SED, bei denen der Minister für Staatssicherheit eine aktive Rolle spielte, fanden nur zwei Mal statt. Es handelte sich dabei um die beiden Vorgänger Mielkes: Zaisser und Wollweber. Beide mussten ihr Amt als Folge des bereits erwähnten Volksaufstandes 1953 bzw. des internen Kampfes innerhalb der Partei aufgeben, bei denen Mielke, der inzwischen Karriere im MfS/StS machte, den SED-Generalsekretär Walter Ulbricht unterstützte. Als dieser im Zuge einer von der Sowjetunion geduldeten Intrige von seinem Herausforderer Honecker Anfang der 1970er Jahre abgelöst wurde, hielt Mielke Honecker so lange die Treue, bis dieser 1989, mit Zustimmung der KPdSU, auf ähnliche Weise durch Egon Krenz ersetzt wurde wie fast 20 Jahre zuvor Ulbricht durch Honecker. Wichtig ist, dass die Leitungsebene im MfS in dem für die vorliegende Arbeit relevanten Zeitraum vollständig konsolidiert wurde. Von 1974 bis 1989 leiteten ununterbrochen die gleichen Personen nicht nur das Ministerium selbst sowie andere Schlüsseleinheiten, wie z. B. die Hauptverwaltung Aufklärung, die Markus Wolf von 1952 bis 1986 anführte.
In der Geschichte der VRP leiteten insgesamt neun verschiedene Personen das MSW. Stets handelte es sich um aktive Parteipolitiker, die im Mittelpunkt der wichtigsten innenpolitischen und innerparteilichen Turbulenzen standen, sei es als Gewinner oder Verlierer. Grundsätzlich bedeutete also jede Änderung an der Staats- und Parteispitze gleichzeitig einen Wechsel im MSW. Eine ähnliche Situation lässt sich in der 40-jährigen Geschichte der DDR nur drei Mal verzeichnen. In der VRP hingegen wiederholte sie sich fast regelmäßig alle 6 Jahre, und zwar als Folge der ebenso üblichen gesellschaftlichen Proteste.
Da das MSW in der Bevölkerung spätestens seit den stalinistischen Säuberungen einen extrem schlechten Ruf hatte, begannen ab 1956 die neuen Parteispitzenfunktionäre ihre Amtszeit mit entsprechenden Säuberungen in den Geheimdiensten. Erstens traute niemand in der Partei der „alten“ MSW-Leitung. Der neue 1. Sekretär der PVAP wollte verständlicherweise eigene Verbündete im Innenministerium haben. In der Zeit von Parteisekretär Gomułka, war etwa der Innenminister kein Politbüromitglied. Sein Nachfolger, Gierek, akzeptierte Politbüromitgliedschaft des Innenministers erst 3 Jahre nach seiner Ernennung.
Zweitens war eine grundlegende Wirtschaftsreform des Landes kaum realistisch, so dass die neuen Machthaber Ersatzmaßnahmen wie etwa eine Reform des MSW durchführten, um ihren Veränderungswillen zu unterstreichen. Drittens trugen die Angriffe der Partei gegen das MSW, z. B. in Form fingierter Propagandaprozesse gegen vormalige hauptamtliche Mitarbeiter, dazu bei, das Vertrauen der Bevölkerung zu stärken. Das wichtigste Beispiel ist in dieser Hinsicht die Flucht des Oberst JózefŚwiatło vom Dezember 1953. Seine Radiosendungen im „Radio Free Europe“, in denen er grausame Interna der Sicherheit enthüllte, haben die politische Wende in Polen im Jahr 1956 maßgeblich beschleunigt undGomułkazur Macht verhalfen. In seine Amtszeit fällt nicht nur die Entstehung des MSW, sondern auch das Ende des stalinistischen Terrors, die Entlassung politischer Häftlinge, die drastische Reduzierung der hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeiter sowie Schauprozesse gegen meist durch Folteranwendung belastete Geheimdienstler. All das wäre im MfS unvorstellbar gewesen, ebenso das permanente Misstrauen der Parteispitze gegenüber dem Innenministerium, das von den politischen Ambitionen seiner Führung, aber auch von deren engen Beziehungen zur Sowjetunion genährt wurde. Die Generäle MieczysławMoczar und MirosławMilewski fielen beide als Innenminister in den 1970er Jahren dieser Politik zum Opfer. Erst seit 1981 kann man von einer Symbiose der zivilen sowie militärischen Teile des volkspolnischen Geheimdienstes mit der Parteipolitik sprechen. General Jaruzelski, der die Ämter des Partei- und Regierungschefs sowie des Verteidigungsministers in sich vereinte, ernannte in jenem Jahr einen seiner engsten Vertrauten, General Kiszczak, zum Innenminister. Daraufhin wurden, wie üblich, die wichtigsten MSW-Posten mit Berufsoffizieren besetzt. Dies war eine Gemeinsamkeit zwischen der DDR und VRP, und zwar die, dass de facto zwei höchste Parteimitglieder über die Arbeit der Geheimdienste entschieden. Und das ist eigentlich die beste Zusammenfassung des Verhältnisses zwischen der Partei und Sicherheit. Wo lag darin der Unterschied zwischen der Dynamik und Statik. Die Hauptaufgabe des Geheimdienstes bestand nicht darin nicht, Parteigegner zu bekämpfen, sondern Parteiführung über die Lage im Lande ehrlich zu informieren. Das konnte und wollte das MfS nicht. Das MSW hingegen schon.
Zur Verifizierung dieser These sei auf einen Vermerk verwiesen, der Anfang März 1987 von einem polnischen Geheimdienstler angefertigt wurde. Dieses wurde nach einem Gespräch mit einem hochrangigen hauptamtlichen Mitarbeiter der HVA verfasst. Zwei Fragmente sind dabei besonders markant: […] Als besonders gefährlich erachtet man die Tatsache, dass die Parteileitung nur solche Informationen von den Geheimdiensten will und toleriert, die ins Bild passen und die vor allem die Einschätzung der Stimmung innerhalb der Gesellschaft nicht in Frage stellen […] Der Gesprächspartner unterstrich, dass die von ihm geäußerten Ansichten repräsentativ für das Geheimdienstmilieu [des MfS A.d.V.] seien und betonte, dass in den übrigen Abteilungen des Sicherheitsapparates keine derartige Meinungsgleichheit herrsche. Er unterstrich zudem, dass die Offenheit, mit der er seine Ansichten äußere, selten anzutreffen sei.
Vermerke dieser Art trugen also dazu bei, dass es dem polnischen Geheimdienst und der Partei gelang, die bevorstehende Wende vorauszusehen und sich entsprechend vorzubereiten. Die Parteispitze war in der Lage, die Informationen des MSW zu erhalten und zu verstehen, was in der SED nicht möglich war. Infolgedessen wurde Kiszczak als Vertreter der Regierung am Runden Tisch Anfang 1989 in Polen als Gegenpart der Opposition eingesetzt. Und er hatte in Polen nach 1989 was einiges zu sagen. Die SED und MfS im Jahr 1989 hingegen nicht.
[1]Dr. habil. Tytus Jaskułowski ist Universitätsprofessor, Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte am Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaft der Universität Grünberg (Uniwersytet Zielonogórski)