Der Erinnerungsort Stasi-Haftanstalt Töpferstraße Neustrelitz
Über Grenzen des Ehrenamts und Verantwortung der Gesellschaft in der Erinnerungsarbeit
Von Falk Jagszent[1]
Der Staatssicherheitsdienst hinterließ in den drei Nordbezirken, aus denen das Land Mecklenburg-Vorpommern hervorging, vier Untersuchungshaftanstalten. In den 1990er Jahren entschied sich die Landesregierung, Schwerin und Rostock zu erhalten und als Gedenk- und Erinnerungsorte in Trägerschaft des Landes zu etablieren. Im ehemaligen Bezirk Neubrandenburg tat sich lange Zeit nur wenig.
Von 1953 bis 1987 diente das Gefängnis in der Neustrelitzer Töpferstraße als Untersuchungsgefängnis der MfS-Bezirksverwaltung Neubrandenburg. Bevorzugt brachte man die politischen Untersuchungsgefangenen in der zweiten, der oberen Etage des Hafthauses unter.Insgesamt sind hier etwa 3.000 Menschen inhaftiert worden.
Die Haftbedingungen in der Untersuchungshaftanstalt (UHA) wurden auf Isolation und psychologische Terrorisierung der Häftlinge ausgerichtet. Erst im Laufe des Jahres 1972 lässt man Toiletten und Waschbecken in die Zellen einbauen. Die UHA kann 45 Häftlinge aufnehmen, ist aber im Durchschnitt mit 20 bis 30 Häftlingen belegt, die von 21 (1965) bis 35 (1984) Wachleuten beaufsichtigt werden.
Als eine Besonderheit von Neustrelitz kann die „große Anzahl inhaftierter Militärpersonen“ angeführt werden, deren Verhandlung vor dem Militärobergericht Neubrandenburg anstand. Sowohl die desaströsen hygienischen Verhältnisse in dem abgewirtschafteten Zellenhaus als auch der Umstand, dass sich das Gefängnis im Nirgendwo der ostdeutschen Provinz zu befinden schien, sollten einschüchternd auf die Untersuchungshäftlinge wirken. (Bild 1).
Initiative zur Einrichtung eines Gedenk- und Erinnerungsortes
Seit dem Jahr 2005 gab es in Neustrelitz eine Reihe von Anstrengungen, die ehemalige Untersuchungshaft „dem Vergessen zu entreißen“, wie es die bürgerschaftliche Initiative rund um den Landtagsabgeordneten Dr. Klaus-Michael Körner und den Amtsgerichtsdirektor Heiko Wettenfeld als Ziel formulierte. Dass es dieser Initiative bedurfte, bezeugt alleine das 15 Jahre lang fehlende Interesse und Engagement staatlicher Stellen. Aus dieser Initiative heraus gründete sich im August 2011 der Verein Stasi-Haftanstalt Töpferstraße, der 2023 seinen Namen um „Neustrelitz“ ergänzte. Erste große Aufgabe für den Verein war die Erhaltung des Gefängnisses bei der Gebäudesanierung. Es gelang gegen erhebliche Widerstände in der Verwaltung, wenigstens die im Zustand von 1987 weitgehend originalgetreu erhaltene 3. Etage zu erhalten. Nicht gerettet werden konnte die sogenannte Schleuse, die Zufahrt zur UHA.
Mit der konzeptionellen Ausformulierung des Ziels seitens des Vereins, den Ort als Gedenk- und Erinnerungsort zu etablieren, erhielt die Vereinsarbeit 2012 einen Schub. Als erstes konnte im Jahr 2014 der Ort der auf dem Innenhof liegenden Untersuchungshaftanstalt zur Straße hin durch Hinweis- und Erläuterungsstelen kenntlich gemacht werden. Unter Leitung des neuen Vorstands Klaus-Michael Körner und Falk Jagszent wurde im Jahr 2016 erstmals die Öffnung des Erinnerungsorts für die Öffentlichkeit möglich, da es gelang, mittels Projektfördermitteln die vom Land MV verlangten Betriebskosten finanziell abzusichern. Über 200 Menschen kamen zur Eröffnung. Seitdem wird der Erinnerungsort mit Fördermitteln des Landes MV, des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte und der Stadt Neustrelitz sowie zeitweise des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ auf Ehrenamtsbasis durch den Verein betrieben.
Im Jahr 2018 wurden Gelder für eine Dauerausstellung eingeworben und die Zeitzeugenarbeit, die von Julia Reichheim umgesetzt wurde, vorangetrieben. 20 professionell auf Video aufgezeichnete Zeitzeugeninterviews bilden die Grundlage und Zentrum der Dauerausstellung, die zum „Tag des offenen Denkmals“ 2022 eröffnet werden konnte.
Von etwa 100 recherchierten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen erklärten sich 20 zu ausführlichen Interviews bereit sowie zwei ehemalige Mitarbeiter des Wachpersonals, die an den Audiostationen in der Ausstellung präsent sind. Einen deutlichen Schwerpunkt bei den Fallkonstellationen bildet neben den Militärangehörigen der Tatbestand der Republikflucht aus der Zeit der 70er Jahre.
Auch in dem bereits im Jahr 2009 entstandenen Dokumentarfilm „Einen Namen hast Du nicht gehabt“, der im Erinnerungsort gezeigt wird und auch erworben werden kann, schildern Oswin Quast und Thorsten Schmidt eindrücklich ihre gescheiterte Flucht und ihre Zeit in der UHA Neustrelitz.
Ein Plan informiert im Außenbereich über das Gelände der ehemaligen MfS-Bezirksverwaltung und die Anlagen der UHA. Parallel zur Erarbeitung der Dauerausstellung wurde eine pädagogische Konzeption erarbeitet, für die ebenfalls umfangreiche Fördermittantragstellungen und -abrechnungen erforderlich waren. Die Projektleitung hierzu hatte die mittlerweile amtierende Vereinsvorsitzende Kathrin Engel. Im Ergebnis liegt eine 39 Seiten umfassende „Pädagogische Handreichung zur Ausstellung im Erinnerungsort Stasi-Untersuchungshaftanstalt Töpferstraße“ vor, die aus insgesamt 4 Modulen besteht: Einem Führungsleitfaden, einem thematischen Rundgang (Wirkung der Haft auf das soziale Umfeld), einem Actionbound zum Gelände der MfS Bezirksverwaltung und ihrer Einbettung in das Neustrelitzer Stadtbild, einem Workshop zum Thema „Staatssicherheit in der Diktatur, Polizei in der Demokratie“ und einem Anhang aus weiteren Arbeitsblättern und einem Fortbildungskonzept. (Bild 2)
Für die Jahre 2023 und 2024 stellte der Verein für den laufenden Betrieb des Jahres jeweils wie seit 2016 Projektförderanträge an die Landeszentrale für politische Bildung MV, den Landkreis Mecklenburgische Seenplatte und die Stadt Neustrelitz. In dem Gesamtvolumen von derzeit ca. 15.000 Euro sind die Betriebskosten mit 400 Euro im Monat ebenso zu planen wie die Vortrags- oder Musikveranstaltungen, die der Verein jährlich in einer Kultureinrichtung in der Stadt Neustrelitz anbietet, da der Erinnerungsort selbst hierfür keine geeignete Räumlichkeit darstellt. Seit 2023 sind in dieser Summe auch Personalkosten enthalten, um über einen Minijob und 2 Schüler als Ausstellungsdienst den Erinnerungsort von Mai bis Oktober zweimal wöchentlich für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dabei übernimmt einmal pro Woche Vereinsmitglied und Zeitzeuge Dietrich Conrad eine einstündige Führung (Bild 3).
Weitergehende pädagogische Arbeit wie z.B. die regelmäßigen Besuche von Auszubildenden des örtlichen Aus- und Fortbildungszentrums der Bundespolizei können mit beschränkten zeitlichen Möglichkeiten und fernab des Wünschenswerten bzw. Optimalen über den Minijob nur teilweise abgesichert werden. Schulklassenarbeit fand in sehr beschränktem Maß derzeit nur mit dem örtlichen Gymnasium und lediglich über ehrenamtliche Begleitung durch den Verein statt.
Der Verein hat gegenüber der Öffentlichkeit und den Fördermittelgebern erklärt, dieses Modell der Projektfinanzierung nicht über das Jahr 2025 hinaus fortsetzen zu können, da die Antragstellung und die Verwendungsnachweise vollständig ehrenamtlich durch den Vereinsvorstand abgedeckt werden müssen. Es ist bei einem kleinen Verein von etwa 30 Mitgliedern niemand mehr bereit, diese zeitaufwändigen Arbeiten dauerhaft fortzuführen. Diese „Sollbruchstelle“ war seit Jahren durch den Verein kommuniziert worden. Die Wunschlösung seitens des Vereins ist die Übernahme der Trägerschaft durch eine öffentliche Einrichtung auf Ebene von Stadt, Landkreis oder Land. Erst die Ankündigung einer im Raum stehenden Schließung brachte Bewegung in die Diskussion. Die Wunschlösung des Vereins ist jedoch derzeit nicht realisierbar.
Derzeit (Jahresende 2024) zeichnet sich folgende Lösung zunächst für die Jahre 2025 bis 2027 ab:Seit September gibt es Abordnungsstunden im Umfang eines Arbeitstages einer Lehrkraft des örtlichen Gymnasiums, um die pädagogische Arbeit als Kernanliegen des Vereins aufzubauen und schrittweise umzusetzen. Weiterhin wird derzeit ein „Letter ofIntent“ zwischen Land MV, Landkreis und Stadt sowie dem Verein final abgestimmt, mit dem eine Förderung in einem finanziellen Volumen ermöglicht wird, die die Einstellung einer 2/3-Stelle erlaubt. Auch diese Lösung wird weiterhin hohes ehrenamtliches Engagement mit Arbeitgeberpflichten seitens des Vereins erfordern. Für die Gedenklandschaft zwischen Rostock und Berlin ist der Erinnerungsort in Neustrelitz einmalig und für das Lernen am authentischen Ort unverzichtbar – sofern denn eine professionelle entsprechende Arbeit der Gesellschaft nach 35 Jahren noch wichtig ist. Es wird abzuwarten sein, ob und in welcher Form der Erinnerungsort mittelfristig bestehen bleibt und mit Leben erfüllt wird.
Bildunterschriften:
Bild 1: Untersuchungsgefängnis zu DDR-Zeiten (Bild: C. Halbrock)
Bild 2: Pädagogische Handreichung (Bild: F. Jagszent)
Bild 3: Zeitzeugenführung mit Dietrich Conrad (Bild: F. Jagszent)
Lit.: Christian Halbrock: Die Untersuchungshaftanstalt der DDR-Staatssicherheit in Neustrelitz 1953-1987 (Erinnerungsorte in Mecklenburg-Vorpommern, hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung MV; 5). Schwerin 2021.
[1] Stellvertretender Vorsitzender Stasi-Haftanstalt Töpferstraße Neustrelitz e.V.