Demmlerplatz Schwerin
Von der „Grünen Hölle“ zum Dokumentationszentrum für die Opfer der Diktaturen in Deutschland
Von Christian Glüer[1]
Das Dokumentationszentrum in Schwerin ist zweifellos ein Ort an welchem man inmitten deutscher Geschichte steht. Es ist Teil des von Friedrich Franz IV im Jahr 1916 eröffneten Gerichts- und Gefängniskomplex am Schweriner Demmlerplatz. Es gibt einerseits den monumental gestalteten Repräsentativbau bestehend aus einem Hauptgebäude und zwei seitlichen Flügeln der heute das Amts- und Landgericht beherbergt und andererseits das sich im Innenhof anschließende und mit einer Brücke verbundene Hafthaus, in welchem sich heute das Dokumentationszentrum befindet.
Fiel die Ortsbezeichnung „Demmlerplatz“, lief es vielen Schweriner*innen jahrzehntelang kalt den Rücken herunter. Noch heute berichten Anwohner*innen, sie hätten zwar gewusst, dass hier „irgendetwas mit der Stasi“ und wohl auch ein Gefängnis gewesen sei. Was aber genau, hätten sie nicht gewusst oder das wollten die meisten wohl auch gar nicht wissen, denn es machte Ihnen Angst.
Geschichte des historischen Ortes
Das gesamte Gebäudeensemble wurde bereits im Deutschen Kaiserreich errichtet. Nach seiner Fertigstellung im Herbst 1916 wurde der Komplex einschließlich des sogenannten Gerichtsgefängnisses an die Justiz übergeben und diente der ordentlichen Gerichtsbarkeit: zunächst der kaiserlichen Justiz, später, in weitgehender personeller Kontinuität, der Justiz der ersten deutschen Republik.
Mit Machtantritt der Nationalsozialisten wurde der Ort zu einem Ort des Unrechts. Diese richteten bereits im Frühjahr 1933 ein NS-Sondergericht ein, welches sogenannte „Heimtückefälle“ bearbeitete. Daneben existierte in dem Gebäude mit dem „Erbgesundheitsgericht“ ein weiteres Spezialgericht. Auf der Grundlage des neu erlassenen „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurden hier unzählige Zwangssterilisationen angeordnet.
Im Juli 1945 zog die Rote Armee in Schwerin und in das Gebäude am Demmlerplatz ein und installierte an diesem Ort ein sowjetisches Militärtribunal. Auf Grundlage des berüchtigten Paragrafen 58 des russischen Strafgesetzbuches, der definierte, wer als Klassen- bzw. Volksfeind galt, kam es zu massenhaften willkürlichen Verhaftungen und Prozessen gegen tatsächliche oder vermeintliche Gegner*innen. Bei den „Verhandlungen“ vor dem Militärgericht ging es weniger um die Klärung von Tatsachen als vielmehr um das Verlesen von Geständnissen. Dass es diese Geständnisse gab lag am Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten der Sowjetunion (NKWD) – kurz der sowjetische Geheimpolizei. In deren Verantwortung lag der Betrieb des zeitweise völlig überbelegten Gefängnisses. Die Geständnisse wurden von der Geheimpolizei vor allem auch durch brutale Gewalt erzwungen und erpresst. Den Gefangenen erschien ein Geständnis oft als einziger Ausweg, auch wenn es im Regelfall in den sowjetischen GULag und damit häufig in den Tod führte.
Nach dem Ende der sowjetischen „Rechtssprechung“ zog 1954 die Justiz vorübergehend aus; stattdessen wurde die Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) Hausherrin. Das Hafthaus wurde zu einem Untersuchungsgefängnis der DDR-Geheimpolizei. Zeitweise gab es auch parallele Strukturen: sowohl sowjetische als auch deutsche. Das Ministerium für Staatssicherheit war während dieser gemeinsamen Zeit ein sehr gelehriger Schüler des NKWD/KGB. Sowohl im Blick auf die Gegner, als auch auf die Methoden. Die Haftbedingungen in Schwerin waren berüchtigt: Wegen des grünen Anstrichs der Zellen wurde das Gefängnis auch als „grüne Hölle“ bezeichnet. An der Tagesordnung waren wie auch in anderen UHA vom NKWD/KGB übernommene Methoden wie Schlafentzug, Essensentzug, Dauerverhöre, vor allem aber die völlige Isolation der Inhaftierten. Die Gefangenen sahen oftmals über Wochen und Monate nur Ihre Vernehmer. Auch trug das Wachpersonal zumindest zeitweise Filzschuhe. Dies geschah nicht aus Gründen der Rücksichtnahme den Gefangenen gegenüber. Im Gegenteil war es das Ziel, das Gefühl des „Verlassenseins“ zu verstärken. Die Gefangenen sollten in völliger Stille mit sich und Ihren Gedanken alleine sein – völlige Isolation auch akustisch. Im scheinbaren Gegensatz dazu wurde dann jedoch (wie in anderen UHA auch) das vorgeschriebene „Schlafregiment“ – auf dem Rücken liegend, Gesicht zur Tür, Hände sichtbar auf der Bettdecke – nicht nur alle 8 – 15 min durch Einschalten des Lichts kontrolliert, sondern bei „Abweichungen“ auch durch immer wiederkehrendes Wecken durchgesetzt.
Das Schweriner Hafthaus verfügt über 90 Zellen die ursprünglich für jeweils zwei Personen ausgelegt waren. Diese Zahl wurde in der Nachkriegszeit um ein Vielfaches überschritten. Zeitzeugen berichteten, dass zeiteilig 10 und mehr Gefangene eine Zelle belegten. In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist der Umstand, dass sanitäre Einrichtungen erst in den 1970er Jahren in die Zellen kamen.
Vom Stasi-Untersuchungsgefängnis räumlich streng getrennt war die heute als Ausstellungs- und Seminarraum genutzte Wäscherei. In dieser waren Strafgefangene aus dem nahegelegenen Gefängnis Bützow- Dreibergen tätig.
Der letzte Häftling wurde im November 1989 entlassen. Der gesamte Baukomplex wurde nach der Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit (Nachfolgeinstitution des MfS) wieder der Justiz und dem Rechtsstaat übergeben.
Entstehung und Konzeption der Gedenkstätte
Nach längeren Diskussionen beschloss 1998 die damalige und bundesweit erste rot-rote Landesregierung, in der ehemaligen MfS-Untersuchungshaftanstalt einen Gedenkort zu etablieren. Als Einrichtung der Landeszentrale für politische Bildung wurde am 6. Juni 2001 in einem Teil des Hafthauses das Dokumentationszentrum des Landes für die Opfer der Diktaturen in Deutschland eröffnet. Der historische Ort blieb dabei weitgehend erhalten. Kernstück des Dokumentationszentrums ist eine zeitlich und räumlich dreigeteilte Dauerausstellung, in welcher den Besucher*innen insbesondere Einzelschicksale nähergebracht werden. Es wird ermöglicht, sich am authentischen Ort mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts auseinanderzusetzen. Neben Schüler*innen, Student*innen, Bundesfreiwilligen, Angehörigen der Bundeswehr und weiteren Gruppen besuchen viele Tourist*innen und Einzelbesucher*innen den Gedenkort.
Dieser erfüllt eine Doppelfunktion: einerseits ist es ein Ort des Gedenkens und Erinnerns, andererseits eine Stätte politischer Bildung. Beide Aspekte sind in der Arbeit des Dokumentationszentrums nicht voneinander zu trennen. Themenfelder der politischen Bildungsarbeit sind u.a. der Missbrauch politischer Strafjustiz, die Strukturen von Unrecht (gerade im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der Epochen) sowie die Bedeutung von Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit. Diese werden in unterschiedlichen Formaten wie Führungen, Workshops, Projekttagen, Zeitzeugengesprächen, digitale Angebote u.v.m. aufbereitet.
Das Dokumentationszentrum trägt eine besondere Verantwortung. Es erinnert an die Opfer unterschiedlichster Diktaturen auf deutschem Boden. In einer Zeit, in der Zeitzeugen zunehmend fehlen, ist die Dokumentation von Schicksalen und die Vermittlung von Geschichte eine wichtige Aufgabe. Dabei geht es nicht nur um die Vergangenheit, sondern auch um die Frage, wie sich diese Geschichte heute noch in der Gesellschaft auswirkt.
[1] Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern