Die Haftstätte in der Prenzlauer Allee (1945 – 1956)
Von Reinhard Fuhrmann*
Das sowjetische Gefängnis in Berlin-Prenzlauer Berg (1945–1950)
Drei Jahre und zehn Monate nach Deutschlands Überfall auf die Sowjetunion erreichten die Streitkräfte der Sowjetunion Berlin. Schwere Kämpfe fanden in Prenzlauer Berg um die Schultheißbrauerei und den Bahnhof Schönhauser Allee statt. Das Gelände des Bezirksamtes blieb verschont. Davon zeugen die nahezu unbeschädigten Fassaden der Häuser 6 und 71, in die sich am 20. April ein SS-Verband einquartiert hatte.2 Durch Bombenangriffe wurden das Haus 1 zerstört und die Häuser 2 und 5 beschädigt.3
Am 3. Mai 1945 bezog die sowjetische Kommandantur für Prenzlauer Berg die Bauten des Bezirksamtes in der Nordmarkstraße. Vieles deutet darauf hin, dass im Haus 3 bereits seit diesem Monat 1945 ein Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes NKWD bestand. Wie die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) war auch der sowjetische Sektor Berlins, im Frühjahr 1945 sogar die ganze Stadt, in den Jahren 1945–1950 mit einem Netz von Haftstätten überzogen. Für die Länder der SBZ und für Berlin war je ein geheimdienstlicher »Sektor« zuständig, dazu auf Kreisebene eine oder mehrere »Operativgruppen«.4 In Berlin gab es zunächst zwanzig, im Mai 1946 noch dreizehn Operativgruppen.5 Die Haftstätte in der Prenzlauer Allee war mindestens zwischen August 1945 und August 1948 der »Operativgruppe 4 der Stadt Berlin der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland« (SMAD) zugeordnet.6
Die sowjetischen Sicherheitsdienste in Deutschland
Während des Krieges waren hinter der Front und seit Sommer 1945 in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) mehrere sowjetische Sicherheitsdienste tätig, darunter das Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (NKWD) und das Volkskommissariat für Staatssicherheit (NKGB) mit 2230 bzw. 399 Mitarbeitern im Januar 1946.7 Die Tätigkeit der Dienste wurde ab Juni 1945 durch den NKWD-Generaloberst Serow immer mehr zentralisiert.8 Serow war zugleich Stellvertreter des Chefs der SMAD für die gesamte zivile Verwaltung der SBZ, besaß also eine große Machtfülle. Die Sicherheitsorgane hatten seit dem 11. Januar 1945 durch den »Befehl des Volkskommissars für Inneres Nr. 0016 ›Über Maßnahmen zur Säuberung des Hinterlandes der Roten Armee von feindlichen Elementen‹«, u.a. die »Führungs- und Einsatzkräfte der Polizei, Leitungspersonal von Gefängnissen und Konzentrationslagern, Militärkommandanten, Staatsanwälte, Untersuchungsrichter, Mitglieder von Kriegsgerichten und Militärtribunalen, Leiter von Vertretungen und Verwaltungen auf Gebiets- und Kreisebene, Bürgermeister, Mitglieder faschistischer Organisationen, Leiter großer Wirtschafts- und Verwaltungseinheiten, Zeitungs- und Zeitschriftenredakteure, Autoren antisowjetischer Veröffentlichungen, […] wie auch sonst verdächtige Elemente« zu verhaften.9 Zusätzlich galt seit dem 6. Februar 1945 der »Beschluss des Staatlichen Verteidigungskomitees Nr. 7467ss zur Unterbindung terroristischer Anschläge und zur Ausweitung der Mobilisierung von Deutschen«. Hiernach waren »alle zu körperlicher Arbeit tauglichen und waffenfähigen deutschen Männer im Alter von 17 bis 50 Jahren zu mobilisieren« und wie die Verhafteten in die Sowjetunion zu transportieren.10 Als Mitte April 1945 der Angriff auf Berlin begann, hatte der weitaus größte Teil der Bevölkerung die zuvor eroberten Gebiete bereits in Richtung Westen verlassen. Die zurückgebliebenen oder überrollten deutschen Zivilisten wurden bis auf die Kinder, die nichtorganisierten Frauen, Männer über fünfzig und Nichtarbeitsfähige als Zwangsarbeiter (»Mobilisierte«) in die Sowjetunion geschickt. Alle oben genannten Personen, darunter die Mitglieder von NS-Organisationen, kamen in die Gefängnisse der Sowjetunion.
Wäre bei der Offensive befehlsgemäß verfahren worden, hätten die NKWD-Bevollmächtigten in den nächsten Wochen einen Großteil der Bevölkerung der späteren SBZ und Berlins verhaften und deportieren müssen. Die »Mobilisierung« der arbeitsfähigen Deutschen wurde eingestellt und der Befehl Nr. 0016 geändert.11 Die Abänderung bestand im wesentlichen in der Ersetzung der Kategorie »Mitglieder faschistischer Organisationen« durch »aktive Mitglieder der nationalsozialistischen Partei«. Es wurde befohlen, dass »militärische und politische Offiziers- und Mannschaftsdienstgrade der gegnerischen Armee sowie der paramilitärischen Organisationen Volkssturm, SS, SA, wie auch das Personal von Gefängnissen, Konzentrationslagern, Militärkommandanturen, der Militärstaatsanwaltschaften und Gerichte […] in die Kriegsgefangenenlager des NKWD einzuweisen [sind]«. Der Abtransport der übrigen inhaftierten Personen in die Sowjetunion war einzustellen, und es wurde festgelegt, dass sie »in Internierungslagern zu belassen [sind]«.

Foto 1. Sowjetische Besatzungssoldaten an der Kommandantur

Foto 2. Häftlingsbrief an seine Mutter

Foto 3. Haftgebäude an der Prenzlauer Allee

Foto 4. Ehemalige politische Häftlinge beim Besuch der Anlage
Fotos: Fuhrmann/Lukas-Verlag
Internierungslager
Rechtsgrundlage für Internierungen waren die Abkommen der Siegermächte und die Anordnungen des Alliierten Kontrollrates. Im Potsdamer Abkommen hieß es: »Kriegsverbrecher und alle diejenigen, die an der Planung oder Verwirklichung nazistischer Maßnahmen, die Greuel oder Kriegsverbrechen nach sich zogen oder als Ergebnis hatten, teilgenommen haben, sind zu verhaften und dem Gericht zu übergeben. Nazistische Parteiführer, einflussreiche Nazianhänger und die Leiter der nazistischen Ämter und Organisationen und alle anderen Personen, die für die Besetzung und ihre Ziele gefährlich sind, sind zu verhaften und zu internieren.«12 Jede der vier Besatzungsmächte richtete in ihrer Zone Internierungslager ein. In den Internierungslagern der Westzonen entsprach die Sterblichkeit etwa der unter der übrigen Bevölkerung, seit Anfang 1946 waren Seelsorge und Postverkehr gestattet und die Internierten durften arbeiten, vor allem wurden ihre Fälle später nach der Kontrollratsdirektive 38 überprüft und die Lager leerten sich in den Jahren 1947/48. Ganz anders sah es in der SBZ aus.13 Bis Oktober 1946 galt dort der Befehl des Volkskommissars für Inneres Nr. 00461 »Zur Organisation von Lagern (Gefängnissen) bei den Frontbevollmächtigten des NKWD der UdSSR« vom 10. Mai 1945, wonach die Festgenommenen »in Spezlager eingewiesen werden, nach Sonderregelungen von der Gesellschaft isoliert [werden]; sie werden nicht angeklagt, und über sie werden keine Gerichtsakten wie in der Strafprozessordnung vorgesehen, angelegt«.14
»Entnazifizierung« und Haftanlässe
Schon am 26. April 1945 war der »Befehl des Chefs der Besatzung der Stadt Berlin Nr. 1« ergangen, wonach »das gesamte führende Personal aller Dienststellen der NSDAP, Gestapo, Gendarmerie, des Sicherheitsdienstes, der Gefängnisse und aller übrigen staatlichen Dienststellen sich binnen 48 Stunden [...] in den militärischen Bezirks- und Revierkommandanturen zwecks Registrierung zu melden [hat]«. Das galt auch für die Angehörigen der Wehrmacht, der SS und der SA. Im August wurde die Meldepflicht auf Mitglieder der NSDAP ausgedehnt.15 In diesen Zusammenhang gehören auch zwei Inhaftierte im Haus 316, deren Verhaftung auf einer vermutlich willkürlichen Auslegung der Kategorien »aktives Mitglied der NSDAP« bzw. »Mitarbeiter der Gestapo« basierte. Gab der Betroffene die unterstellte Funktion bzw. Mitgliedschaft zu, konnte das Verhör recht kurz sein. In dem einen Fall dauerte der Aufenthalt in Haus 3 nicht einmal zwei Tage. Die Verhafteten wurden in Internierungslager eingewiesen und ihr Fall nicht weiter untersucht.
Im Februar 1947 behauptete die sowjetische Seite: »Die Internierung von Kriegsverbrechern und aktiven Nazis im Lager erfolgte nach einer sorgfältigen Untersuchung und Überprüfung der Unterlagen durch ein Gericht, das durch Beschluss die Dauer des Lageraufenthaltes festlegte.«17 Das hätte den alliierten Vorgaben entsprochen. Im Juli 1947 befanden sich jedoch 58 908 Deutsche in den Speziallagern, von denen nur 8980 (15 Prozent) Verurteilte waren. In einem Schreiben des Leiters der Abteilung Speziallager an Serow vom Juli 1947 hieß es: »Eine Durchsicht der Registerkontrollakten des nicht verurteilten Kontingentes hat ergeben, dass in allen Akten mit Ausnahme einer Haftbescheinigung oder eines Haftbefehls und bestenfalls eines Vernehmungsprotokolls anderes Untersuchungsmaterial fehlt, das die Zugehörigkeit der Inhaftierten zu nazistischen Organisationen und ihre praktische Tätigkeit belegt.«18 Erst im März 1948 setzte der sowjetische Ministerrat eine Kommission zur Überprüfung der Akten und zur Ausarbeitung von Vorschlägen für eine Entlassung der Internierten ein.19 Dies ging zurück auf das offizielle Ende der Entnazifizierung in der SBZ, verbunden mit dem Angebot an reuige Nazis zur Teilnahme am Wiederaufbau. Ein Drittel der über 122 000 deutschen Lagerinsassen in der SBZ war bis dahin schon zu Tode gekommen.20
Ein Zeitzeugenbericht über die erste Verhaftungswelle stammt von Lottchen Fischer, die am 13. Juni 1945 in Berlin-Prenzlauer Berg nach einer Denunziation als »Werwolf«21 verhaftet wurde und ins Haus 3 kam. Der Denunziant Horst Bauer soll ihrem Bericht zufolge zuvor siebzehn Angehörige einer aus der HJ hervorgegangenen Jugendgruppe, denen er sich bei Kriegsende angeschlossen hatte, und die sich bewaffnet und mit Lebensmitteln versehen in der »grauen Schule« in der Pappelallee versteckt hielten, im Mai 1945 bei der Besatzungsmacht angezeigt haben. Die Jugendlichen und der Hausmeister der Schule seien ohne Verfahren sofort auf dem Schulhof von Sowjetsoldaten erschossen worden.22 Anschließend habe Bauer ihm bekannte junge Leute angezeigt. Schließlich befanden sich rund siebzig Personen im Internierungslager Sachsenhausen, stets nach einer Gegenüberstellung mit Bauer im Haus 3.23
Die sowjetischen Militärtribunale
Eine weitere Grundlage für Verhaftungen stellte die sowjetische Strafgesetzgebung dar. Mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches ging ein Justitium einher, ein völliger Stillstand der Rechtspflege auf deutscher Seite.24 Die Zuständigkeit von Militärtribunalen in dem von der Roten Armee besetzten Gebiet ergab sich – zunächst im Einklang mit dem Völkerrecht – aus der sowjetischen Militärgesetzgebung und aus dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 »Bestrafung von Personen, die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben«. Die Militärgerichte waren zuständig für die Ahndung »aller Verbrechen, von wem auch immer sie begangen wurden, in Gebieten, in denen infolge außergewöhnlicher Umstände keine ordentlichen Gerichte funktionieren«.25 Die Militärtribunale wandten das sowjetische Recht an. § 58 des Strafgesetzbuches, »Konterrevolutionäre Verbrechen«, stellte »jede Handlung, die auf den Sturz, die Unterhöhlung oder die Schwächung der Herrschaft der Räte der Arbeiter und Bauern […] und der grundlegenden wirtschaftlichen, politischen und nationalen Errungenschaften der proletarischen Revolution gerichtet ist«, unter unterschiedliche Strafen bis zur »schwerste[n] Maßnahme des sozialen Schutzes – Erschießung«.26 Mit seinen unklaren Tatbestandsmerkmalen und wegen der in der sowjetischen Rechtsprechung erlaubten »strafbegründenden Analogie«27 war der § 58 ein beliebig einsetzbares Verfolgungsinstrument der Besatzungsmacht. Die sowjetischen Militärtribunale (SMT) fällten ihre Urteile aufgrund der Ermittlungsergebnisse der sowjetischen Geheimdienste. Diesen war auch das Haus 3 als Untersuchungsgefängnis unterstellt.
Der »GPU-Keller« in der Prenzlauer Allee
Im Volksmund hießen die Gefängnisse »GPU-Keller«, wohl in Erinnerung an den antisowjetischen Propaganda-Film der UFA »GPU« (1937). Die Zeitzeugin Lottchen Fischer z. B. stellte als Häftling fest, dass »es im Haus 3 wie in dem Film ›GPU‹ zugeht«.28 Zahlreiche Zeitzeugenberichte überlieferten aus den Jahren 1945 bis 1948 Berichte über Festnahmen. In den schon erwähnten Fällen29 gingen der Festnahme durch bewaffnete Soldaten Verhöre voraus. Im November 1945 wurde ein Jugendlicher im elterlichen Geschäft von Soldaten der Revier-Kommandantur Greifswalder Straße verhaftet und im Haus 3 dem NKWD übergeben.30 Eher selten war die unmittelbare Festnahme durch Sowjetsoldaten.31 Manchmal war indirekt deutsche Polizei beteiligt: Ein Polizist überbrachte die Vorladung zur »Kommandantur« oder eine Einbestellung zu einer deutschen Polizeiwache.32 Der Betreffende fühlte sich unschuldig, meinte, für seine verhafteten Freunde etwas tun zu können, und bestand darauf, vorgelassen zu werden.33 Verhaftungen in der Wohnung wurden durch sowjetische Geheimpolizisten in Zivil34, aber auch mit Hilfe Deutscher vorgenommen.35 In einzelnen Fällen erwies sich eine Besprechung in der Kommandantur als Festnahme: »Vor der Kommandantur angelangt, packten mich beide Offiziere plötzlich am Arm und zerrten mich in das neben der Kommandantur liegende Gebäude des MWD.«36 Als Zuführungsstelle für Haus 3 diente das benachbarte Polizeirevier 61 in der Diesterwegstraße. Die Polizeiinspektion Prenzlauer Berg teilte im monatlichen Arbeitsbericht für Mai 1948 mit, dass »dem Polizeirevier 61 laufend zwangsgestellte Personen von der russ. Bezirkskommandantur zugewiesen [werden], mit der Anordnung, dieselben bis zum Abruf festzuhalten. Es kommt sehr häufig vor, dass derartige Personen mehrere Wochen auf dem Polizeirevier verbleiben müssen. Es sind mitunter 2 bis 3 Personen zu gleicher Zeit.« Unter Hinweis auf ungelöste Verpflegungs- und Unterbringungsprobleme wurde darum gebeten, den »untragbaren Übelstand« abzustellen.37
Eine Gruppe von Jugendlichen wurde bei der Einlieferung ins Haus 3 getrennt, die Jugendlichen blieben aber auf dem Flur im zweiten Stock in Sichtkontakt. In der Nacht wurden ihnen dort die Haare geschoren, dann ließ man sie stundenlang warten. Sie hörten Schreie misshandelter Häftlinge, blutende Häftlinge wurden vorbeigeführt. In den Morgenstunden ging es in den Keller in getrennte Zellen.38 Andere Gefangene wurde nach dem ersten Verhör in den Keller gebracht oder zunächst in einen engen Holzverschlag. Einer kam nach einer sofortigen »Filzung« für etwa zwei Stunden in eine enge Kammer, in der er nur geduckt stehen konnte.39
Manchmal erschienen NKWD-Leute bei den Familien der Inhaftierten und ließen sich für diese Bettwäsche und Kleidung mitgeben.40 Dies geschah aufgrund einer Anweisung, die mit der schlechten Ausstattung der Untersuchungsgefängnisse begründet wurde.41 Ausgehändigt wurden die Sachen nach den Zeitzeugenberichten nie.
Kettenverhaftungen
Heinz-Joachim Schmidtchen wurde am 11. Mai 1946 wegen der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Jugendlichen im Rahmen einer Kettenverhaftung festgenommen. Die fünf Freunde im Alter von 17 bis 18 Jahren standen der politischen Entwicklung in Ost-Berlin kritisch gegenüber, besonders der Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD. Gelegentlich klebten sie im Prenzlauer Berg aus West-Berlin herbeigeschaffte SPD-Plakate. Dabei wurde einer gefasst und aufgrund seiner Aussagen auch die anderen, darunter Schmidtchen. In den Verhören gaben sie zu, eine »Organisation« gebildet zu haben. Der »Untersuchungsführer der Operativgruppe 4 Berlin der SMA«, Oberleutnant Garulin, nachdem er festgestellt hatte, dass Schmidtchen Mitglied der HJ gewesen war und »nach der Kapitulation Deutschlands […] seine Tätigkeit nicht ab[brach]«, sondern »begann […], sich als überzeugter Hitleranhänger zu zeigen«, »freiwillig einer illegalen Organisation« beigetreten war und »provokative Arbeit gegen die Kommunistische Partei Deutschlands [leistete]«, entschied am 5. Juli 1946, dass dieser »auf der Grundlage des Befehls Nr. 00315 vom 18. April 1945 in ein Speziallager des NKWD einzuweisen ist«. Seine vier Freunde kamen vor ein Militärtribunal und wurden zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Zwei starben 1946 in den Lagern Torgau bzw. Sachsenhausen an den Haftbedingungen.42 Schmidtchen blieb ohne Urteil in Internierungshaft. 1950 wurde er bei der Auflösung der Speziallager der DDR-Justiz übergeben, die ihm in Waldheim den Prozess machte. Dem Gericht lag nichts vor als jener von Garulin ausgefüllte Vordruck. In einem Schnellverfahren wurde Schmidtchen als NS-Verbrecher gemäß der Kontrollratsdirektive Nr. 38 zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Sommer 1954 kam er frei. Schmidtchen und seine Freunde waren nicht die einzigen Jugendlichen, die wegen Plakataktionen im Haus 3 verschwanden.43
Erich Nehlhans wurde am 7. März 1948 verhaftet und ins Haus 3 gebracht. Nehlhans war im Vorstand der Jüdischen Gemeinde Berlins, nach der Befreiung zeitweise ihr Vorsitzender und bearbeitete hauptberuflich an deren Sitz im britischen Sektor Übersiedlungsangelegenheiten auswanderungswilliger Juden. Die Nazizeit hatte er in einem Versteck in Berlin überstanden, und er wohnte nun in der Prenzlauer Allee.44 Am 4. August 1948 wurde er wegen »antisowjetischer Agitation« und »Unterstützung der Desertion sowjetischer Soldaten jüdischen Glaubens« zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt. In Sachsenhausen inhaftiert, kam er von dort im Oktober 1948 in die Sowjetunion, wo er vermutlich 1953 an einem unbekannten Haftort starb.
Gerhard Krüger, Jahrgang 1927, der am 29. November 1946 festgenommen wurde, war Mitglied in einer Jugendgruppe der evangelischen Immanuelgemeinde. Eine Zeitzeugin erinnerte sich an eine Atmosphäre der Sprachlosigkeit im Jugendkreis nach dem Verschwinden Gerhard Krügers.45 Selbst eine enge Freundin, die deshalb vom NKWD im Haus 3 verhört wurde, habe »nie darüber gesprochen«. Die Mitglieder der Gemeinde erfuhren erst 1951 vom Verbleib Gerhard Krügers durch einen Bericht seiner Schwester, die ihn im Zuchthaus Waldheim hatte besuchen dürfen. Anlass der Verhaftung war offenbar eine lockere Bekanntschaft zu einem verhafteten Jugendlichen namens Siegfried Dunkel-Schakinnus, Jahrgang 192446, der vermutlich wegen antisowjetischer Äußerungen denunziert worden war. Nach seiner Festnahme konstruierte der sowjetische Geheimdienst eine »Untergrundbewegung« am Prenzlauer Berg.Dunkel-Schakinnus war Panzersoldat gewesen und wurde im Krieg in schwarzer Uniform, die leicht mit einer SS-Uniform verwechselt wurde, gesehen. Nach einer schweren Kriegsverletzung war er Ausbilder bei der Wehrertüchtigung der HJ gewesen. Er war bei Kriegsende in Lübeck für kurze Zeit in britischer Gefangenschaft. Nach seiner Rückkehr nach Berlin war er arbeitslos und lebte von Schwarzmarktgeschäften. Dunkel-Schakinnus gab zu, mehrere Lehrgänge zur Vorbereitung von Werwolf-Einsätzen durchgeführt zu haben. Aufgrund seiner Aussagen wurde Wolfgang Kückelhahn, geboren 1929, verhaftet, der wiederum die Anschrift Krügers preisgab. Alle drei wohnten nahe der Immanuelkirche und kannten sich, ohne befreundet zu sein. Eine Werwolfausbildung hatten sie nicht erhalten. In den Verhören gestanden sie ihre Mitgliedschaft in einer »antisowjetischen Organisation«. Es bahnte sich eine Kettenverhaftung an, zumal Dunkel-Schakinnus offenbart hatte, dass die Immanuel-Jugendgruppe Kontakt zum Christlichen Verband Junger Männer (CVJM) pflege und dort zuweilen Umgang mit britischen Soldaten habe. In den Verhören gab er zu, ein englischer Major hätte ihn mit dem Auftrag angeworben, die SPD in antisowjetischem Sinne zu unterwandern, Werwolfgruppen zu reaktivieren und für die Engländer zu spionieren. Krüger wiederum gab den CVJM-Kontakt zu, womit er als der Spionage überführt galt.
Eingeleitet und beaufsichtigt wurde das »Untersuchungsverfahren« von Oberstleutnant Alexander Kostikow.47 Die Verhandlung fand nichtöffentlich am 26. Februar 1947 in einem »Saal« von Haus 3 statt.48 Die drei stritten ihre Aussagen in wesentlichen Teilen ab oder versuchten, sie richtig zu stellen. Keiner hatte einen Verteidiger. Dunkel-Schakinnus wurde als Anführer der »Werwolfgruppe« zum Tode verurteilt, während Krüger und Kückelhahn je zehn Jahre Freiheitsstrafe erhielten. Der später begnadigte Dunkel-Schakinnus verstarb 1953 in einem sowjetischen Lager. Krüger kam am 11. März 1947 ins Lager Sachsenhausen und 1950 nach Waldheim, von wo er im Januar 1954 nach jahrelangen Bemühungen der Evangelischen Kirche entlassen wurde. Kückelhahn war schon 1950 freigekommen. Am 25. April 1996 wurden alle drei von der Obersten Militärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation rehabilitiert.49
Die Akte Dunkel-Schakinnus zeigt die Charakteristik des Vorgehens der sowjetischen Sicherheitsorgane, wie sie sich schon in den 1920er und 1930er Jahren herausgebildet hatten: Festnahme auf Verdacht, konstruierte Vorwürfe, Erpressen vorgefertigter Geständnisse in gleichlautenden Formulierungen durch Gewaltanwendung beim Verhör, Verweigerung eines Rechtsbeistandes, Ignorierung entlastender Gesichtspunkte, Unterbindung aller Außenkontakte und Nichtöffentlichkeit des Verfahrens, Verhängung ganz unverhältnismäßig hoher Strafen.
Die Haftbedingungen
In den ersten Wochen und Monaten gab es im Keller des Haus 3 eine kleinere Gemeinschaftszelle für Frauen und eine größere für Männer und mindestens eine Einzelzelle.50 Im Winter 1945/46 müssen umfangreiche Umbauten stattgefunden haben, in deren Folge zahlreiche kleinere Zellen entstanden. Zunächst wurden die Längswände zur Prenzlauer Allee liegenden fünf mal sechs Meter großen Kellerräume dicht an der Flurwand nach Art einer Enfilade mit breiten Öffnungen durchbrochen und durch eine neue Wand mit zwei Türen verkleinert. Dann wurden sie mittels einer Mauer der Länge nach getrennt. Es entstanden etwa zwei mal drei Meter große Zellen und ein etwa alle fünf Meter durch eine Öffnung unterbrochener Korridor. Der ursprünglich nach Osten liegende Korridor wurde mittels Mauern in drei mal fünf Meter große Zellen abgeteilt. Ihre Türen waren nun die der alten Kellerräume und öffneten sich – untypisch für Zellentüren – nach innen.51 Resultat war ein unbelichteter Kellergang, von dem nach Westen und Osten Zellen abgingen. Auch einige der nach Osten liegenden Zellen wurden halbiert, sodass etwa vierzig Zellen entstanden.52 Diese hatten weder Wasseranschluss noch Heizung, die vermauerten Fenster enthielten jeweils eine kleine Metallplatte mit winzigen Luftlöchern. Die Zellen wurden Tag und Nacht künstlich beleuchtet; die Gefangenen konnten also immer überwacht werden.53 Erst in den späten 1940er Jahren wurden sie verputzt.
Die Zellentüren hatten unten eine Reihe von sieben kleinen Luftlöchern, die zum Gang durch eine Sichtblende abgedeckt waren, oben befand sich ein vom Gang abdeckbares Guckloch, ein »Spion«, in der Mitte eine hebelartige Verriegelung und ein Schloss.54 Das Essen für die Häftlinge wurde auf den Flur vor die Tür gelegt, dann die Zellentüren einen Spalt breit geöffnet und die Häftlinge konnten es in die Zelle nehmen. Zwei Zellentüren wurden später umgesetzt und sind auf dem Gelände des Bezirksamtes im Haus 4 heute noch vorhanden.
In den Zellen befanden sich außer hölzernen Pritschen bzw. Betten und den Kübeln keine weiteren Einrichtungsgegenstände. In einigen Zellen hatte die Pritsche die Form eines Kastens, der die ganze Breit- oder Längsseite der Zelle einnahm (russisch: Narre). In der Regel waren die Gefangenen in der Zelle nicht allein. Am Tage galt Schlaf- und Liegeverbot, alle waren übernächtigt, »man war leicht abwesend, ging und sprach wie in Trance. […] Zur körperlichen Zerschlagenheit kam das drückende Schweigen in der Zelle, die totale Zentrierung auf die eigene Person«55, das Zeitgefühl ging verloren. Zusammen mit den deutschen Gefangenen waren »Russen« inhaftiert; das NKWD/MGB war auch zuständig für in jeder Hinsicht verdächtige Angehörige der sowjetischen Besatzungsmacht. Auch einige entführte oder in Ost-Berlin festgenommene West-Berliner und ein Engländer befanden sich im Jahre 1947 in den Zellen von Haus 3.56
Die Bewachung
Nach einer Anordnung Serows vom 12. August 1945 sollten für 15 bis 20 Zellen je ein Wachhabender und ein Läufer eingeteilt werden. Für das Haus 3 war bei einem Dreischichtsystem mit etwa 20 Mann zu rechnen.57 Das Bewachungspersonal der Gefängnisse und Lager in der SBZ wurde zum Teil aus befreiten Kriegsgefangenen und verschleppten Sowjetbürgern rekrutiert. Obwohl die meisten während ihrer Gefangenschaft nur selten gute Erfahrungen mit Deutschen gemacht haben dürften, sind den Zeitzeugen die Wärter eher als gleichgültig denn als besonders brutal in Erinnerung, auch wenn sie routinemäßig die Häftlinge als »Faschisten« beschimpften.58
Die Verhörmethoden
Der sowjetische Geheimdienst arbeitete im allgemeinen mit Hilfe eines Spitzelnetzes. Die Spitzelberichte wurden zu Geständnissen der Beschuldigten umgeformt, und die Verhöre dienten der Geständniserpressung. Lottchen Fischer wurde mit einem Gummiknüppel brutal misshandelt und versuchte in Panik aus dem Fenster zu springen: »Mir war alles egal geworden, nur raus, weg von diesem Mann, der immer wieder schrie und schlug.«59 Frau Kroissenbrunner wurden in der – einzigen – Vernehmung im September 1945 mit einem Hieb mehrere Zähne mit einem Pistolengriff ausgeschlagen. Hans-Jürgen Metzing wurde erst bei der zweiten Vernehmung, aber dann bis zur Ohnmacht, geprügelt.60 Heinz-Joachim Schmidtchen erlebte bei der ersten Vernehmung zunächst Geschrei und Einschüchterung, später wurde er bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen.61 Die erste Vernehmung Wolfgang Völzkes, schon mit Schlägen, fand in der auf die Festnahme folgenden Nacht statt. Später setzten die Vernehmer Schläge, Anspucken, Demütigungen und Blendlicht ein. Die Verhöre fanden immer nachts statt.62 Als Strafe für ein in die Zellenwand gekritzeltes Gedicht kam Völzke in einen kleinen, feuchten Stehkarzer, von dessen Decke Wasser tropfte. Für die Nacht bekam er ein enges Gestell zum Liegen, ohne sich ausstrecken zu können.63 Beim Verhör hörten die Gefangenen Gebrüll und Schmerzensschreie aus den Nachbarräumen.64 Unterblieb die körperliche Misshandlung, so bekamen die Gefangenen doch die Geräusche einer Folterung zu hören.65 Die Vorgänge sind auch den Passanten auf der Prenzlauer Allee nicht entgangen. Die Zeitzeugin Erika Meusel, Jahrgang 1924, berichtet über die erste Zeit der Besatzungsherrschaft: »Im Bezirksamt Prenzlauer Berg sind doch sehr viele Menschen misshandelt worden. Man hörte die Schreie auf der Prenzlauer Allee.«66 Die erschütternde Brutalität, mit der Vernehmer im Haus 3 die Gefangenen verhörten, entsprang nicht einer spontan ausbrechenden Wut gegen die Deutschen, sondern war eine seit langem eingeübte Methode.
Das Verschwinden der Verhafteten
Lage, Beschaffenheit und Dienstbetrieb der Untersuchungsgefängnisse des NKWD regelte eine von Serow bestätigte »Vorläufige Anordnung« vom 12. August 1945.67 Darin ist ausdrücklich die vollständige Isolierung der Untersuchungshäftlinge bestimmt, einschließlich des Verbots, Briefe zu erhalten oder zu versenden. Besuchsregelungen gab es nicht, Seelsorger ließ die SMAD nicht mehr zu. Gegenüber der Außenwelt wurden die Geheimdienste schon seit Juni 1945 auf Vorschlag Serows als »Organe der SMAD maskiert«.68 Der Untersuchungsgefangene verschwand aus den Augen seiner Angehörigen und der Öffentlichkeit. Weder zu den Verhaftungsgründen, zu Ort und Verlauf der Untersuchung, noch zu den Urteilen und zum Ort des Strafvollzugs äußerte sich die Besatzungsmacht. Nachfragen gingen ins Leere, bei Todesfällen gab es keine Benachrichtigung.
Das »Verschwinden« von Angehörigen, Freunden und Kollegen trug in der Bevölkerung zu einer erheblichen Verunsicherung bei und führte zu noch stärkerer Ablehnung der Besatzungsmacht. Unter dem Druck der Parteimitglieder beschäftigte sich sogar der Parteivorstand der SED im Mai Juni und 1946 mit dem Vorschlag, eine Auskunftsstelle für Verhaftungen bei der SMAD in Karlshorst und beim Parteivorstand einzurichten.69 Beratungen zum Verschwinden »alter Sozialdemokraten«, von ehemaligen SPD-Mitgliedern initiiert, blieben ohne Ergebnis. Allein bis zum 31. Dezember 1947 hatten sich Angehörige von 6455 Verschwundenen an den Berliner Parteivorstand der SPD gewandt. 1871 Fälle betrafen Berlin. Nicht einmal die Hälfte davon waren nach Angaben der Angehörigen Mitglieder in NS-Organisationen gewesen.70
Im September 1948 wurden zwei Stadträte in Prenzlauer Berg und Weißensee verhaftet.71 Werner Rüdiger, der in der Auseinandersetzung um die Vereinigung zur SED eine herausragende Rolle gespielt hatte (siehe den Beitrag von Kay Kufeke), wurde wegen der Verbreitung des verbotenen Parteiorgans »Telegraf« 1949 zu 25 Jahren Freiheitsentzug verurteilt.72 Erst 1954 wurde er auf Drängen des SPD-Vorstandes entlassen.
Das »Verschwindenlassen« war ein in zweifacher Hinsicht bedeutendes politisches Instrument der sowjetischen Militäradministration. Dass »Nazis« von der Besatzungsmacht festgenommen wurden und verschwanden, mag einem Teil der Berliner angesichts der deutschen Schandtaten in den besetzten Gebieten eingeleuchtet haben. Auch wurde gewünscht, die Verbrechen der Gestapo, der SA und der SS in den Jahren 1933–45 bestraft zu sehen. Die Meinung, die Täter von einst hätten es nicht besser verdient, war durchaus verbreitet. Aber auf die Dauer zeigte sich eine fatale Auswirkung: Wenn nicht mitgeteilt wird, weshalb jemand spurlos verschwindet, sind Rückschlüsse auf den möglichen Denunzianten beinahe unmöglich. Und: Wer den Verhafteten kannte, vielleicht sogar gut kannte, fragte sich, ob er der nächste sein könnte, und wurde vorsichtig. Auch das war ein Vorteil für die Konstituierung eines politischen Systems, in dem Andersdenkende keinen Platz haben sollten.
Untersuchungsgefängnis der Verwaltung Groß-Berlin der Staatssicherheit (1950–1956)
Mitten in der Sowjetischen Besatzungszone, unzugänglich für den Zugriff der Sowjetmacht und ihrer deutschen Verbündeten, lagen die Westsektoren Berlins. Die Bildung der SED hatte dort die Gründung eines Ost-Büros der SPD zur Folge, das den Zusammenhalt ihrer Mitglieder in der SBZ wahren sollte. Die Bildung des »Demokratischen Blocks« in der DDR führte zur Gründung ebensolcher Ost-Büros der CDU und der LDP. Die Existenz der Speziallager veranlasste die Gründung einer »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit«, die andauernden Rechtsbrüche, wie Verhaftungen, Spitzeleien und Enteignungen, führten zur Entstehung eines »Untersuchungsausschusses Freiheitlicher Juristen«. Die Erzeugnisse der freien Presse West-Berlins gelangten in die SBZ/DDR, und rund um die Uhr strahlten West-Berliner Rundfunksender ihre kritischen Beiträge aus. Dies alles geschah vor dem Hintergrund einer weltweiten Auseinandersetzung der Sowjetunion mit den Westmächten, die diese Initiativen schützten, politisch unterstützten und mitfinanzierten, um sie in dieser Auseinandersetzung zu instrumentalisieren.
Das Haus 3 in der Prenzlauer Allee war einer der Schauplätze dieses Kampfes. Knapp ein Jahr nach Gründung der DDR wurde der Komplex in der Prenzlauer Allee von der sowjetischen Kommandantur geräumt und ab August 1950 von der Staatssicherheit bewacht. Spätestens ab Januar 1951 war das Gefängnis im Haus 3 wieder in Betrieb.73 Nun diente es dem DDR-Staatssicherheitsdienst als Verhörzentrum und Untersuchungshaftanstalt.
Im September 1950 erließ der Staatssekretär für Staatssicherheit, Erich Mielke, »Richtlinien über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen«.74 »Feindlich« war die Tätigkeit, wenn sie »auf die Untergrabung der Grundlagen der Deutschen Demokratischen Republik gerichtet« war, ausgeübt durch »Agenten ausländischer Spionageorganisationen, Terroristen, Diversanten, Schädlinge, Saboteure, Teilnehmer an der Schumacher’schen illegalen Arbeit, Trotzkisten«, aber auch »Angehörige religiöser Sekten und andere Personen«. »Ferner« sollten »aktive Anhänger des ehemaligen Hitlerstaates« vom MfS erfasst werden.
Die »Richtlinien« hatten in Berlin einen ruckartigen Anstieg der Verurteilungen wegen einer »Gefährdung des Friedens des deutschen Volkes und der Welt« im Sinne der Kontrollratsdirektive 38 zur Folge.75 Waren es 20 Fälle im gesamten Jahr 1949, stieg die Zahl bis September 1950 auf 17, um im letzten Quartal etwa 215 zu erreichen. 1951 blieb das Niveau mit rund 235 Fällen hoch, 1952 sank die Zahl auf 81. Das durchschnittliche Strafmaß stieg für die vier beobachteten Jahre von 7,6 Monaten über 19,6 Monate auf 22,7 und 22,8 Monate an. Bei etwa zehn vom Autor willkürlich herausgegriffenen Fällen der Jahre 1950/51 ergab die Nachfrage bei der BStU, dass sechs von der Verwaltung Groß-Berlin der Staatssicherheit bearbeitet wurden. In allen Fällen handelte es sich bei den Festgenommenen um Zeugen Jehovas.76
»Feinde« des MfS
Eine klassische Feindorganisation war die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). Im Oktober 1948 in West-Berlin gegründet, wollte sie »die Wahrheit über Verbrechen an der Menschlichkeit [...] in die Welt hinaustragen«. Ferner wollte sie »Opfer der Unmenschlichkeit« unterstützen und »Namenslisten der in sowjetischen Konzentrationslagern Verstorbenen und noch Lebenden« anlegen.77 Die Gründung der KgU ist ohne die Praxis des »Verschwindens« durch den sowjetischen Geheimdienst nicht vorstellbar. Ihre Anhänger waren zum Teil die entlassenen jugendlichen Speziallagerinsassen des Sommers 1948 und die Angehörigen der Verschwundenen, aber auch Flüchtlinge und Jugendliche aus Ost-Berlin und der SBZ.
Einer der ersten Inhaftierten in Haus 3 war im Dezember 1950 der Ost-Berliner Ulrich Fahlpahl, Jahrgang 1930.78 Ihm wurde, zu Unrecht, vorgeworfen, Mitglied der KgU zu sein. Horst Jänichen hatte als Angehöriger der KgU am 1. Mai 1950 auf dem Alexanderplatz Flugblätter gegen politische Inhaftierungen verbreitet. Er war als Jugendlicher von 1945 bis 1948 interniert gewesen und wollte mit den Flugblättern politische Inhaftierungen in der DDR anprangern und die Freilassung der Gefangenen fordern. Nach viermonatiger Untersuchungshaft wurde er in einem Schauprozess in Berlin zu neun Jahren Zuchthaus verurteilt. Siegfried Poenitzsch, geboren 1929, war freier Rundfunkjournalist in West-Berlin und hatte zuvor auch für Ost-Berliner Sender gearbeitet. Nachdem ihn eine Agentin nach Prenzlauer Berg gelockt hatte, wurde er am 4. Mai 1955 verhaftet und ins Haus 3 eingeliefert.79 In Neustrelitz wurde er etwa Ende Februar 1956 zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und im Sommer 1957 nach West-Berlin abgeschoben. Horst Kreeter aus Petershagen, Jahrgang 1931, hatte sich vom US-Geheimdienst bei einem Besuch in West-Berlin als Funker für den Krisenfall anwerben lassen.
Nach dem Scheitern des Aufstandes vom 17. Juni 1953 hatten es westliche Geheimdienste leicht, jungen, oppositionell eingestellten DDR-Bürgern eine Möglichkeit des Widerstands anzubieten. Horst Kreeter wurde mit dem Argument angeworben, bei einem erneuten Aufstand müsse es Verbindungen aus der DDR zu einer Zentrale in West-Berlin geben. Monatelang fuhr er regelmäßig nach West-Berlin, um an einer Funkerausbildung teilzunehmen. Während dieser Ausbildung wurde von amerikanischer Seite die Konspiration verletzt und ein später festgenommener Agentenführer wahrscheinlich im Haus 3 dazu gebracht, ihn zu verraten. Er war von Januar bis Ende April 1956 in Haus 3 inhaftiert. Dann wurde auch er zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. 1964 kaufte ihn die Bundesregierung frei.80
Die Gefangennahme der Häftlinge des Hauses 3
Horst Jänichen wurde unter dem Vorwand einer Ausweiskontrolle festgenommen und ins Polizeigefängnis Alexanderstraße eingeliefert. Dort wurden die Inhaftierten unter Decknamen registriert, um Nachforschungen der Angehörigen ins Leere gehen zu lassen. Nach einigen Tagen wurde er ins Haus 3 gebracht. Er erhielt monatelang, solange er in der Gewalt des MfS war, keinen Haftbefehl.81 Siegfried Poenitzsch wurde aus West-Berlin nach Prenzlauer Berg gelockt und dort zum Einsteigen in einen PKW genötigt, der ihn zu einem Polizeirevier brachte, wo er übernachten musste. Anderntags brachte man ihn mit einem Gefangenentransportwagen ins Haus 3.82 Die Staatssicherheit bemühte sich, die Häftlinge beim Transport in die Prenzlauer Allee zu desorientieren. Später wurden Verhaftete direkt ins Haus 3 eingeliefert.83
Der Hundekeller
Die Gefangenen betraten das Gebäude durch den Nordeingang und mussten sich in einem Raum hinter dem Eingang entkleiden. Dann wurden die Körperöffnungen untersucht und sie wurden in alte, dunkelblau gefärbte, Uniformen eingekleidet. Meistens begannen die Vernehmungen in der ersten Nacht. Der Eingang in den Keller für Gefangene lag am Südende des Flures im Hochparterre. Nach der Übergabe an das MfS befanden sich Hunde im Keller. Hans-Eberhard Zahn und Siegfried Poenitzsch erinnern sich an den Einsatz der Hunde.84 Sie kennen aus ihrer Haftzeit im DDR-Strafvollzug durch Mitgefangene die Bezeichnung »Hundekeller« für das Untersuchungsgefängnis in Haus 3. Es existierte eine elektrische Alarmanlage aus Reißleinen entlang den Wänden im Keller und der Flure. Wurde die Leine unterbrochen, ertönte ein Geräusch. Ein System roter Lampen zeigte den Wärtern an, in welchem Abschnitt des Flures oder des Treppenhauses gerade ein Kollege mit oder ohne Häftling unterwegs war. Dieser Abschnitt durfte erst betreten werden, wenn die rote Lampe ausgeschaltet war. So wurde verhindert, dass der Häftling andere Menschen als Wärter und Vernehmer sah.85 Nach 1950 wurden Heizungen in die Zellen eingebaut, allerdings mit schwacher Leistung. Der Heizkörper befand sich in einer Nische neben der Zellentür und war mit einer Lochplatte abgedeckt.86 Aus dieser Zeit ist die Existenz von Freigangzellen an der Ostseite zwischen mittlerem und nördlichem Kopfbau bezeugt.87 Zwar waren die Häftlinge nach wie vor rechtlos und die Zellen (mit einer Ausnahme) ohne Tageslicht, aber Siegfried Poenitzsch und Horst Kreeter bewohnten ihre Einzelzellen mit einem richtigen Bett und das Essen war ausreichend. Von willkürlichen Misshandlungen durch das Wachpersonal während der Untersuchungshaft berichten die Zeitzeugen nicht.
Die Vernehmungen durch die Staatssicherheit
Die Häftlinge aus der Stasi-Zeit überliefern keine Prügel durch die Vernehmer. Für Täuschungsversuche gegenüber den Vernehmern kamen Jänichen und Zahn jedoch in eine Stehzelle. Jänichen berichtet von einer gemauerte Sitzbank, die er nur beim Essen benutzen durfte, Zahn beschreibt einen ähnlichen Stehkarzer wie Wolfgang Völzke, mit eingemauerten Handschellen, an die er für die ersten zwölf Stunden angeschlossen wurde. Er blieb drei Tage in dieser Folterzelle.88 Die körperliche Folter wurde erst im April 1953 offiziell abgeschafft.89 Ohne Zweifel strahlte dieses Verbot, vermittelt durch die sowjetischen Instrukteure, auch auf die Methoden des MfS aus.90 Aus der Zeit nach 1954 berichtet kein Zeitzeuge mehr vom Gebrauch des Stehkarzers. Die Spezialität des Leiters der Untersuchungsabteilung ab Juli 1953, Major Klaszynski, waren Dauerverhöre.91 Nachtverhöre gehörten zum Repertoire der Vernehmer. Im Mai 1953 wurde per Dienstanweisung vom Nachtdiensthabenden eine Aufstellung darüber gefordert, »wer wen und wann vernommen« habe.92
Die Untersuchungsgefangenen waren vollständig isoliert und desorientiert, ihre Sinneswahrnehmungen waren in der fensterlosen Zelle auf ein Minimum einschränkt.93 Vorgeschrieben waren ständige Beleuchtung sowie tagsüber ein Schlaf- und Liegeverbot. Öffnete ein Posten die Zellentür, musste der Gefangene ihm mit auf den Rücken gelegten Händen den Rücken zukehren. Nachts war den Gefangenen untersagt, »Hände und Gesicht zu verbergen«.94 Kontakte nach außen gab es nicht. Keiner der Zeitzeugen berichtet über Besuche von Angehörigen, eines Pfarrers oder Rechtsanwalts. Neben dem Wärter und manchmal einem Zellengenossen war für lange Monate der Vernehmer der einzige Mensch, mit dem der Gefangene Umgang hatte.
Ortswechsel
Drei Jahre nach Stalins Tod und nach dem »Tauwetter« in der Sowjetunion griff 1956 Aufbruchstimmung um sich. Im Jahr zuvor hatte die Bundesrepublik Beziehungen zur Sowjetunion aufgenommen. Dort und in der DDR kamen tausende Verurteilte frei. Manch einer, wie Werner Rösler, schöpfte Hoffnung, blieb nach seiner Haftentlassung in der DDR und begann ein Studium. Es sollte nicht so bleiben, wie es war. Das betraf auch die Untersuchungshaft bei der Staatssicherheit. Vorsichtig wurden Haftbedingungen und Methoden »kritisch überprüft« und verändert.95 Etwa Ende 1956 wurde die Untersuchungsabteilung und die Haftanstalt in die Kissingenstraße nach Pankow verlegt und der Hundekeller geschlossen.
Anmerkungen
* Mit freundlicher Genehmigung des Lukas-Verlages. Aus: Berlin-Brandenburgische Geschichtswerkstatt (Hg.): Prenzlauer, Ecke Fröbelstraße. Hospital der Reichshauptstadt, Haftort der Geheimdienste, Bezirksamt Prenzlauer Berg 1889–1989.
Reinhard Fuhrmann, geb. 1948 in Berlin, 1966–71 Studium der Mathematik, Philosophie und Geschichte an der Universität Jena, exmatrikuliert während des Staatsexamens, dann Hilfsarbeiter. Ab 1973 Studium der Geschichte und Politik an der Freien Universität Berlin. Seit 1979 verschiedene Tätigkeiten u.a. für Verlage, Goethe-Institute, die Gedenkstätte Hohenschönhausen und das Prenzlauer Berg Museum. Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Geschichtswerkstatt.
1 Einzelheiten dazu in: Venghaus 1982, S. 56ff., und Scheel 1985, S. 117. Vgl. demgegenüber Schulaufsätze 1996, S. 227; Leisering 1994, S. 39.
2 Schulaufsätze 1996, S. 22.
3 Im Keller von Haus 1 war später ein Kohlenlager. Leisering 1994, S. 24 mit Foto, S. 26, S. 35, S. 63.
4 So Sacharov/Filippovyich/Kubina 1998, S. 301.
5 Ebenda, S. 305. Für jeden Bezirk eine. Bei der Bildung der Viermächteverwaltung Berlins im Juli 1945 räumte das NKWD die Westsektoren und verlegte die Dienstsitze der entsprechenden Gruppen ins Umland oder nach Ost-Berlin.
6 Abgeleitet aus der Dienstzeit des Leiters. Die Benennung der Operativgruppen erfolgte nach der in Berlin üblichen Nummerierung der Verwaltungsbezirke. Dazu Erler 2005.
7 Das NKWD hieß ab März 1946 MWD (Ministerium für Innere Angelegenheiten), das NKGB hieß dann MGB (Ministerium für Staatssicherheit) und seit März 1953 KGB (Komitee für Staatssicherheit); der Smersch (russ. Abkürzung für »Tod den Spionen«), im Jahre 1943 als militärische Abwehr im Verteidigungsministerium gebildet, war seit 1946 als 3. Hauptverwaltung dem MGB eingegliedert. Zu den Zahlen: Sacharov/Filippovyich/Kubina 1998, S. 299.
8 Zur Biographie Serows ebd., S. 298. Iwan Serow (1905–1990), seit 1939 beim NKWD, leitete das ukrainische Innenministerium und war ab September 1939 zuständig für Deportationen ins Innere der Sowjetunion, die etwa drei Millionen Menschen betrafen, von denen mindestens eine halbe Million ums Leben kamen. Weitere Nachweise bei Musial 2000, S. 31–36. Als NKWD-Bevollmächtigtem der 1. Bjelorussischen Front oblag Serow 1944 die Niederkämpfung des polnischen Widerstands gegen die kommunistische Marionettenregierung. Im Juni 1945 wurde Serow die Leitung des NKGB in der SBZ übertragen.
9 Possekel 1998, S. 142.
10 Ebenda, S. 146 und S. 133.
11 Betroffen waren bis dahin knapp 100 000 »mobilisierte« und rund 140 000 »verhaftete« Deutsche, Kozlov, Vladimir: Die Operationen des NKVD in Deutschland (Januar bis April 1945), in: Plato 1998, S. 141. »Befehl des Volkskommissariats für Inneres Nr. 00315 ›Zur teilweisen Abänderung des Befehls des NKWD der UdSSR Nr. 0016 vom 11. Januar 1945‹ vom 18. April 1945«. Abgedruckt in Possekel 1998, S. 178.
12 Zit. nach Bittel 1959, S. 79–80.
13 Niethammer 1998 mit weiterführenden Literaturangaben.
14 Es müsste wohl heißen: »… keine Gerichtsakten, wie sie in der Strafprozessordnung vorgesehen sind, angelegt«. Zit. nach Plato 1998, S. 29, Quellenangabe: GARF, f. 9401, op. 1, d. 525, 1. 55. (mit – ungewöhnlicher – Hervorhebung des Übersetzers).
15 Befehl Nr. 42 vom 27.8.1945, in: Befehle des Obersten Chefs der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland, Sammelheft 1, Berlin 1946, S. 17.
16 Max Müller (1899–1975), Fischhändler, war Zellenleiter der NSDAP, am 17.8.1945 verhaftet, am 6.8.1948 aus Sachsenhausen entlassen. Dora Kroissenbrunner (1925–2005), Angestellte in der Karteistelle der Berliner Gestapo in der Burgstraße, wurde am 28.9.1945 verhaftet und am 29.9.1945 ins Internierungslager Hohenschönhausen gebracht, später nach Sachsenhausen, am 11.8.1948 freigelassen. Zeitzeugensammlung Prenzlauer Berg Museum (ZPBM), dort auch verschiedene Dokumente in Fotokopie, sowie Auskunft der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten.
17 Zit. nach »Bericht des Alliierten Kontrollrats in Deutschland (hier: der SMAD) an den (vom 20.–25.2.1947 tagenden) Rat der Außenminister (der vier Mächte)«, in: Dokumente 1968, S. 388.
18 Abgedruckt in: Possekel 1998, S. 290–291. GARF, f. 9401, op. 1, d. 4152, 198–201. Neben den deutschen Gefangenen befanden sich 1852 Sowjetbürger und 226 Personen anderer Nationalität in den Lagern. Von ihnen waren 90 Prozent verurteilt.
19 Petrow 1998.
20 So Possekel 1998, S. 85. Nach einem Bericht vom 20.8.1948 an den GULAG-Chef Dobrynin, GARF, f. 9414, op. 1, d. 360, l. 26. Auch: Plato 1998, S. 54–55.
21 Im Oktober 1944 hatte der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, die Bildung von deutschen Partisanengruppen mit der Bezeichnung »Werwolf« angeordnet. Nach Angaben des letzten Berliner Polizeipräsidenten, SS-Gruppenführer Kurt Gerun, begann die Umsetzung dieser Anordnung für den Berliner Raum erst im Februar 1945. Im Krieg fanden in der SBZ keine nennenswerten Werwolf-Aktionen statt. Nach Ansicht Serows war jedoch im Juni 1945 mit einem Losschlagen des Werwolfs zu rechnen und in der SBZ begannen größere »Werwolf«-Fahndungsaktionen. Plato 1998, S. 30–32; Hilger/Schmeitzner/Schmidt 2003, S. 196–211.
22 Im Beschluss Nr. 7467 war angeordnet worden, dass »durch gnadenlose Liquidierung an Ort und Stelle […] schonungslos mit Personen abzurechnen [ist], die terroristischer Anschläge und Diversionsakte überführt sind«. Possekel 1998, Bd. 2, S. 145.
23 Vgl. L. Fischers Darstellung in: Erler/Friedrich 1995, S. 81–82. Der Fall Bauer beschäftigte noch im Jahre 2002 die Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt Berlin, vgl. deren Suchanzeige in der Zeitschrift »Stacheldraht« 2002, Nr. 9, S. 11.
24 Dieser Zustand endete am 20.10.1945 mit der Proklamation Nr. 3 des Alliierten Kontrollrates – aber nicht im vollen Umfang, denn die alliierten Gerichte sprachen weiterhin in den Fällen Recht, für die sie sich zuständig fühlten.
25 Fricke 1990, S. 102–103.
26 Strafgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjet-Republik vom 22.11.1926 in der am 1.1.1952 gültigen Fassung mit Nebengesetzen und Materialien, übersetzt von Dr. Wilhelm Gallas, Berlin 1953, der §58 vom 6.6.1927, ergänzt am 20.7.1934, S. 16–20.
27 Strafgesetzbuch »Allgemeiner Teil, Dritter Abschnitt, Art. 16: Wenn die eine oder die andere sozialgefährliche Handlung in diesem Gesetzbuch nicht ausdrücklich vorgesehen ist, so bestimmen sich Grund und Umfang der Verantwortlichkeit dafür nach den Artikeln dieses Gesetzbuchs, die ihrer Art nach am meisten ähnliche Verbrechen vorsehen«, S. 4.
28 Zeitzeugenbericht in: Erler/Friedrich 1995, S. 83, S. 91 und S. 120. Der Begriff fand auch Eingang in die Sprache der Politiker. Das Mitglied des Berliner Parteivorstandes der SPD, Willy Brandt, erklärte auf einer internationalen Pressekonferenz im September 1948, dass politische Gegner in der Ostzone »härter verfolgt (werden) als kriminelle Elemente. Sie werden in GPU-Keller verschleppt, in Missachtung der elementarsten Humanitätsbegriffe schonungslos der Kälte, dem Schmutz und dem Hunger ausgeliefert, … mit mittelalterlichen Methoden gefoltert und seelisch zermürbt.« Zit. nach Schmeitzner 2003, S. 335.
29 Zeitzeugenberichte M. Müller und D. Kroissenbrunner, August/September 1945, in: ZPBM.
30 Fall Metzing in: Erler/Friedrich 1995, S. 87.
31 Beim Plakatekleben, Frühjahr 1946, Zeitzeugenbericht Schmidtchen, in: ZPBM.
32 Fall Naujocks (November 1945), in: ZPBM.
33 Zeitzeugenbericht Schmidtchen, in: ZPBM.
34 Zeitzeugenberichte Krüger (November 1946), Taut (März 1947), Nehlhans (März 1948), in: ZPBM.
35 Laut Erler/Friedrich 1995, S. 12, wirkte in Berlin ab Juli 1945 eine Gruppe von »politisch besonders einwandfreien« Volkspolizisten, die dem Polizeipräsidenten Markgraf unterstanden und offenbar auf Anforderung Festnahmen für das NKWD in Berlin durchführten. Als Quelle geben Erler/Friedrich an: Franz Neumann Archiv (Berlin), Vb 1/1. Völzke hat Teile seiner Biografie in literarischer Form veröffentlicht: Völzke 2001.
36 Fall Manfred Klein, März 1947, zit. nach Fricke 1990, S. 60f. Vgl. auch Klein 1968, S. 86. Die gleiche Methode wurde bei Werner Rösler, ebenfalls im März 1947, angewandt, mit dem Unterschied, dass das Ziel die Kommandantur in der Schumannstraße war. Tonband-Protokoll, ZPBM.
37 LAB C Rep. 303-9, Nr. 24, Bl. 115 »Mängel und Missstände aller Art, die sich im Dienstbetrieb ergeben haben« im Bericht an den Polizeisektor-Assistenten für den sowjetischen Sektor vom 3.6.1948.
38 Fall Metzing in: Erler/Friedrich 1995, S. 87.
39 Schmidtchen, Völzke, Naujocks in ZPBM, S. 14, zum Holzverschlag: Krüger, Zeitzeugeninterviews, auch Klein 1968, S. 86 und Völzke 2001, S. 10. »Filzung« bezeichnet in der Gefangenen- und Soldatensprache eine eingehende Kleiderdurchsuchung.
40 Völzke 2001, S. 4, 18f., hier sind es ein »Russe« und zwei Deutsche gelegentlich einer Wohnungsdurchsuchung, siehe auch: Krüger, Interview, S. 19 (ZPBM), für den Fall Nehlhans siehe Klose 2001.
41 Anweisung des Chefs der Abteilung Speziallager, Oberst Sviridov, an die Chefs der operativen Sektoren des NKVD, vom August 1945 mit der Quellenangabe GARF, f. 9409, op. 1, d. 488, I. 7. Siehe Hammermann, Gabriele: Verhaftungen und Haftanstalten der sowjetischen Geheimdienstorgane am Beispiel Thüringens, in: Plato 1998, S. 158–171, hier S. 170.
42 Auskunft der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Zeitzeugenbericht Schmidtchen, in: ZPBM.
43 Zu einer anderen Gruppe aus Prenzlauer Berg befinden sich Überlieferungen (Briefe der Eltern an den SPD-Vorsitzenden Franz Neumann) im Franz-Neumann-Archiv: FNA 11,2 Verhaftete, alphabetisch geordnet, unpaginiert zu Kluwe, Medenwald und Wähler.
44 Klose 2001, S. 16. Vgl. Leo 2001 (hier wird in Widerspruch zur Zeitzeugenaussage von Klose ohne Quellenbeleg als U-Haftanstalt Magdalenenstraße in Lichtenberg genannt), mit weiteren Quellenangaben. Nehlhans war geboren am 12.2.1899.
45 Die Darstellung folgt der inhaltlichen Wiedergabe von Zeitzeugengesprächen mit Gerhard Krüger vom Februar 2006, Frau Walter vom 1.9.2003 und Frau Bransch am 20.10.2005. Die Akte Dunkel-Schakinnus ist in Kopie, nicht ganz vollständig, erhalten, alle in: ZPBM.
46 Der spätere Ehemann der Zeitzeugin Walter, als Jugenddiakon damals eine Vertrauensperson Krügers, kam in den 1960er Jahren in einem öffentlichen Vortrag als Pfarrer in West-Berlin auf das Geschehen zu sprechen. Der Tonbandmitschnitt ist in Frau Walters Besitz.
47 Vatlin 2004, S. 271–277, Zitat S. 275, mit der Quellenangabe GARF, Fond 10035, Bestand 2, Akte P-23556. Kostikow war seit 1930 bei der OGPU, nachmals NKWD, wo er zur Zeit des »Großen Terrors« in Kalinin diente. Seit 1943 hatte er höhere Funktionen beim Smersch inne, bevor er von Mai 1945 bis August 1948 die Operativgruppe Nr. 4 leitete. Er blieb bis 1952 in Deutschland. Angaben von Nikita Petrov, Memorial Moskau, Mai 2006.
48 Blatt 17/18 des Interviews Krüger. Das Verhandlungsprotokoll befindet sich vollständig in der Akte, ZPBM.
49 Kopie der Bescheinigung in der Akte Dunkel-Schakinnus, ZPBM.
50 Erler/Friedrich 1995, S. 81 und 83.
51 Völzke, Begehungsprotokoll, Prenzlauer Berg Museum. Diese Gestalt hat der Keller noch heute.
52 Erst Völzke (Juli 1946) erinnert sich an etwa den Grundriss von 1957 (Begehungsprotokoll) und Krüger, im November 1946 eingeliefert, spricht von »Zellengefängnis« (siehe Prieß, S. 181).
53 Hier fällt die Übereinstimmung mit den Baulichkeiten im »U-Boot« auf, der Zentral-Haftanstalt des NKWD in Berlin-Hohenschönhausen. Sie wurde im Herbst 1946 eingerichtet. Im Haus 3 hat heute noch ein Kellerfenster die Vermauerung mit der Lochplatte.
54 Sie glichen damit denen im »U-Boot« Hohenschönhausen. Die Türen sind wahrscheinlich im dortigen Arbeitslager nach sowjetischer Vorgabe im Laufe des Jahres 1946 hergestellt worden.
55 Völzke 2001, S. 25.
56 Rösler, Interview, ZPBM.
57 Das Aktenstück mit der Signatur GARF f. 9409. op. 1, d. 129, 1. 68–71 liegt in Kopie im Archiv der Gedenkstätte Sachsenhausen vor.
58 Völzke 2001, S. 23, auch Jänichen, Interview, ZPBM.
59 Erler/Friedrich 1995, S. 83.
60 Ebenda, S. 89.
61 Zeitzeugenbericht Schmidtchen, S. 4, ZPBM.
62 Interview, S. 18.
63 Völzke 2001, S. 45.
64 Völzke 2001, S. 18, letzteres auch bei Metzing. Erler/Friedrich 1995.
65 Taut, Interview, S. 9, ZPBM, und Klein, der auch Frauenschreie hörte. Klein 1968, S. 89.
66 Jansen 1996, S. 109.
67 Das Aktenstück mit der Signatur GARF f. 9409. op.1, d. 129, 1. 68–71 liegt in Kopie im Archiv der Gedenkstätte Sachsenhausen vor.
68 Mironjenko/Niethammer/Plato 1998, Bd. 1, S. 33.
69 In der Diskussion verteidigte W. Ulbricht das Vorgehen des NKWD/MWD mit dem Argument, den verhafteten »Faschisten« gegenüber sei »keinerlei Menschlichkeit angebracht«. Der Parteivorsitzende W. Pieck beendete die Auseinandersetzung, indem er klarstellte, »mit Phrasen über Menschlichkeit und Sozialismus« werde im Sinne der »Gegner« versucht, »gegen die sowj. Besatzungszone und auch gegen Sowjet-Rußland eine gewisse Stimmung zu erzielen«. Es gebe es keine politischen Gefangenen in der sowjetischen Besatzungszone. Bouvier 1996, S. 72–78; Naimark 1997, S. 490–492.
70 FNA VII 11,1 SBZ–DDR Verhaftete, unpaginiert. Die Gesamtzahl der Verhafteten in Berlin lag bei etwa 25 000–28 000.
71 Paul Nagel und Rudolf Meyer, FNA, II b1/ 2,2 »Aktennotiz für die Gen. Kay und Sünderhauf als Material für die Vorstandssitzung« mit Angaben über die »bisher 14 entlassenen bzw. verhafteten Bezirksräte« vom 15.9.1948, unpaginiert.
72 Zum Fall Rüdiger siehe Hilger/Schmeitzner/Schmidt 2003, S. 307–310.
73 MfS KS 245/72, Nerlich, Alfred, geb. am 2.8.1911, Bl. 19.
74 BStU MfS-BdL/Dok. Nr. 2505, Bll. 1ff. vom 20.9.1950.
75 Die folgenden Angaben stützen sich auf eine Auswertung von namentlichen, aber äußerst knappen, Mitteilungen des Landgerichtes (Ost-Berlin) an den Magistrat, der von Sühnemaßnahmen, wozu z. B. der Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts gehörte, informiert werden musste. Weil vereinzelt Paragraphen des StGB herangezogen wurden, ist die Einordnung schwierig und nicht in jedem Falle korrekt. LAB C Rep.108, Nr. 52–56.
76 Das bedeutet keineswegs, dass die Staatssicherheit in ihrer Frühzeit ausschließlich diese Gruppe verfolgte. Das Eintreten ihrer Mitglieder für eine absolute politische Neutralität, die Weigerung, an Wahlen und politischen Abstimmungen teilzunehmen, wurde als Sabotage an der Mobilisierung des Volkes zum demokratischen Neuaufbau gesehen. Darüber hinaus argwöhnte das MfS Spionage, zumal der Berliner Sitz der ursprünglich amerikanischen Sekte sich im Französischen Sektor befand. Dirksen 1998, S. 256–276.
77 Aus dem Gründungsaufruf vom 17.10.1948, zit. nach Finn 2000, S. 12. Die KgU existierte bis 1958.
78 Zeitzeugenvorgang Fahlpahl, Prenzlauer Berg Museum, von ihm kommentierte Auszüge aus den Stasi-Akten, darunter Gerichtsakten, ergänzt durch umfangreiche Namenslisten aus der Zeit seiner Haftentlassung sowie Fotos und Tonbandinterview vom 28.1.04.
79 Welche konkreten Vorwürfe ihm gemacht wurden, geht aus dem Interview vom 8.8.1992 nicht hervor (ZPBM). Offenbar waren die Urteilsgründe derart konfus, dass er nach einer allgemeinen Überprüfung der Spruchpraxis in der DDR im Jahre 1957, einem Abglanz der Entstalinisierung, trotz seiner zehnjährigen Haftstrafe schon nach zwei Jahren freigelassen wurde.
80 Auszug aus den MfS-Akten im Zeitzeugenvorgang Kreeter, ZPBM.
81 Im Interview unterscheidet der Zeitzeuge zwischen dem Aufenthalt in Haus 3 bei der Stasi und der »richtigen U-Haft«, ZPBM.
82 Interview im Prenzlauer Berg Museum, S. 7
83 Fotokopie des Festnahmeberichtes im Prenzlauer Berg Museum, dort heißt es »Haus III«, die Stasi bevorzugte römische Ziffern. Die Haftanstalt Hohenschönhausen hatte die Nummer I, die in Lichtenberg die Nummer II.
84 Zahn 1999, S. 35, auch Poenitzsch, Interview, S. 13, Mai 1955.
85 Solche Anlagen sind im 1959–1961 errichteten zentralen MfS-Untersuchungsgefängnisbau in Berlin-Hohenschönhausen noch heute erhalten.
86 Brief Kreeter v. 7.8.2002, Zeitzeugenakte Prenzlauer Berg Museum.
87 Kreeter, Brief und Begehungsprotokoll. Prenzlauer Berg Museum. Die entsprechenden Vermauerungen sind auf einem Foto aus dem Jahre 1955 zu erkennen, ebd. (im Besitz von Frau Walter, Berlin-Rosenthal).
88 Zahn 1999, S. 42f. Auch ein weiterer Zeitzeuge berichtet aus dem Jahre 1951 von einem nassen Stehkarzer, vgl. Zeitzeugenvorgang Jost, ZPBM.
89 Laut »Befehl des Innenministers der UdSSR L. P. Berija‚ Über das Verbot der Anwendung von beliebigen Zwangsmaßnahmen und körperlicher Gewalteinwirkung gegenüber Verhafteten (Nr. 0068)« vom 4.4.1953, in: Istoriceskij archiv, Nr. 4, 1996, S. 123–164, Dok. Nr. A 372. Nach der Aufzählung einiger Foltermethoden, darunter »brutales Verprügeln, […] langzeitiger Schlafentzug, Einsperren nackter Häftlinge in den kalten Karzer«, nach Hinweisen auf »speziell […] eingerichtete Räume«, ordnete Berija an, dass »die Anwendung von beliebigen Zwangsmaßnahmen und körperlicher Gewalteinwirkung grundsätzlich zu verbieten [ist]« und dass »die […] in den inneren Gefängnissen eingerichteten Räumlichkeiten für die Anwendung körperlicher Gewaltmaßnahmen liquidiert und alle Foltergeräte vernichtet [werden]«.
90 Nach einer Dienstanweisung von 1952 hatten die »Instrukteure« freien Zugang zur Haftanstalt. BStU MfS-Abt. XIV 127, Bl. 43. Einige Häftlinge des MfS sind auch von sowjetischen Vernehmern verhört worden.
91 BStU MfS KS 368/72, Bl. 39, Beurteilung des neuen Leiters: »[K.] legt das Schwergewicht auf die Verlängerung der Vernehmungszeit.« MfS AU 948/58, Bd. 1, Bl. 98, ein Vernehmungsprotokoll vom 14.7.1953 besteht nur aus einer Frage und der Antwort. Dauer: 8¼ Stunden.
92 BStU, MfS-Abt. XIV, 127, Bl. 17. Die Anweisung betraf das Haus II in Lichtenberg.
93 Zahn gibt einen Überblick zu Vernehmungstechniken, wie sie von der Staatssicherheit seit den fünfziger Jahren angewandt und immer mehr verfeinert wurden. Zahn 1999, hier bes. S. 26–45.
94 Beleuchtung, ständige Kontrolle, Aufstellungsweise und Schlafstellung sind in einer »Dienstanweisung für den Dienst und die Ordnung in den Untersuchungs-Haftanstalten des Staatssekretariats für Staatssicherheit« aus dem Jahre 1955 enthalten. BStU Zentralarchiv MfS-BdL/Dok. Nr. 002207, S. 31f.
95 Fricke 1990, S. 319–352, bes. S. 323–331.