Das MfS-Untersuchungsgefängnis auf dem Neubrandenburger Lindenberg – die modernste Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit der DDR

Von Christian Halbrock[1]

Der Staatssicherheitsdienst hinterließ der Nachwelt 1990 im Norden der DDR vier Untersuchungshaftanstalten. Vier Untersuchungshaftanstalten in drei Bezirken? Wie kam es dazu?Als Untersuchungshaft für den Bezirk Schwerin fungierte das MfS-UntersuchungsgefängnisDemmlerplatz und mit dem Untersuchungsgefängnis in der August-Bebel-Straße in Rostock verfügte der gleichnamige Bezirk über einen adäquaten Gebäudekomplex. Beide ehemalige Gefängnisse sind inzwischen Gedenk- und Erinnerungsorte und können von Betroffenen, ihren Angehörigen, interessierten Besuchern und Schulklassen aufgesucht werden.[2]

Als Besonderheit konnte von Beginn an der Bezirk Neubrandenburg gelten. Zu tunhatte dies mit den Umständen, unter denen die Bezirksgründung im Jahr 1952vollzogen wurde. Im demvon den Planernneu entworfenen Bezirk, dessen namensgebende Bezirkshauptstadt unbedingt Neubrandenburg und nicht die alte Residenzstadt Neustrelitz werden sollte, standen keine Räumlichkeiten für die neu zu bildenden Administration zur Verfügung. Neubrandenburg war zu jenem Zeitpunkt zu großen Teilen zerstört; der Wiederaufbau kam nur schleppend in Gang. In der Folge zog ab 1952 die gesamte administrativ-politische Verwaltung, der Rat des Bezirkes und die nachgegliederten Einrichtungen, nach Neustrelitz, das von vornherein als Provisorium angesehen wurde. Ebenso erhielten alle anderen Instanzen, die auf der Bezirksebene agierten, hier ihre Arbeitsräume. Neben der Bezirksparteizeitung Freie Erde, den Kultureinrichtungen u.Ä. zählte dazu nicht zuletzt die Bezirksverwaltung des MfS samt der Untersuchungshaft. Sie erhieltenihren Standort in der Töpferstraße in Neustrelitz.

Mit der Fertigstellung des Behördenzentrums am Friedrich-Engels-Ring in Neubrandenburg 1968 zog dann bis 1970 die gesamte administrativ-politische Bezirksverwaltung nebst den Partei- und Kultureinrichtungen nach Neubrandenburg. In Neustrelitz verblieb weiterhin die MfS-Bezirksverwaltung und deren Untersuchungshaft. Erst ab 1977 bzw. 1987 erfolgte deren Umzug auf den Lindenberg in Neubrandenburg. Knapp zehn Jahre lang gab es so zwei Standorte. Ein eigens vom MfS betriebenen Busshuttle verband beide Komplexe miteinander, schließlich befanden sich auch noch mehrere MfS-Wohnhäuser in Neustrelitz.  

 

Der Neubau der Bezirksverwaltung und der Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Neubrandenburg

Bereits im Jahr 1956 verwies das MfS die Planungsbehörden des Bezirks auf die Notwendigkeit eines Neubaus in Neubrandenburg. Jenen sollte nach den vorliegenden Planungsunterlage in der Oststadt, das erste große Plattenbaugebiet der Bezirksstadt, entstehen.

Die erste nachweisbare Standortgenehmigung für den Neubau der Bezirksverwaltung einschließlich eines neuen Untersuchungsgefängnisses datiert auf den 18. Mai 1956. In der Begründung des Investitionsvorhabens hieß es, „mit dem Aufbau der Bezirksstadt Neubrandenburg ist auch die Verlegung der Bezirksdienststelle … von Neustrelitz nach Neubrandenburg notwendig geworden, da sämtliche … Institutionen in Neubrandenburg konzentriert werden.“ Bereits im Jahr 1958 wollte man die ersten Gebäude beziehen; die neue Haftanstalt sollte 1960 übergeben werden, doch wurde daraus nichts.

 

Neubau eines modernen Untersuchungsgefängnisses in Neubrandenburg

Im Jahr 1966 wurde die Dringlichkeit eines Neubaus eines Untersuchungsgefängnisses abermals nachdrücklich angemahnt. Den Anlass bildete der Kontrollbesuch einer Delegation aus der MfS-Zentrale. Im Abschlussbericht bilanzierte diese nach der „eingehenden Besichtigung der jetzigen Haftanstalt“, „daß es dringend erforderlich“ sei, „in Neubrandenburg eine neue Haftanstalt zu bauen.“ Zu sehr waren die Vorgesetzen aus Berlin über die Verhältnisse in der verrottenden Töpferstraße in Neustrelitz erschüttert. Die Delegation empfahl, sich am Neubau des Untersuchungstraktes in Frankfurt/Oder zu orientieren und ein Haftgebäude mit 43 Zellen zu errichten.[3] Schrittweise und mit immer neuen Verzögerungen nahm der Plan zum Bau eines neuen Untersuchungsgefängnisses Gestalt an. Entsprechende Beratungen hierzu lassen sich ab dem Juni 1971 nachweisen.[4] Doch vergingen im planwirtschaftlich organisierten Baugewerbe weiter sieben Jahre bis sich etwas Konkretes tat. Während die Bürogebäude der neuen Bezirksverwaltung 1977 bezogen werden konnten, geschah in Punkto Untersuchungsgefängnis nicht viel.

Erst im März 1978 trat dann erstmalig ein eigens gebildeter abteilungsübergreifender Baustab zusammen, um mit der Planung zum „Bau einer Haftanstalt mit Untersuchungsabteilung und den notwendigen Sicherstellungsbereichen“ zu beginnen. Nur so sei die „Funktionstüchtigkeit der Bezirksverwaltung“ langfristig tatsächlich gesichert. Die Baumaßnahmen seien, so hieß es, „notwendig“ und duldeten nun keinerlei Aufschub mehr.[5]

 

Das neue Gefängnis samt Verwaltungsgebäude, Vernehmer-Trakt und Werkstätten entstand nachfolgend in den Jahren von 1983 bis 1987.[6] Projektiert wurde der Komplex vom Teilbetrieb Stralsund des VEB Industriebaukombinat Rostock; mit dem Bau beauftragte man das Wohnungsbaukombinat Neubrandenburg, das die Gebäude zeitgemäß in Plattenbauweise errichtete.[7] Als offizieller Fertigstellungstermin wurde der 1. Dezember 1986 benannt, doch erfolgten später noch weitere Innenarbeiten.[8] Sicherheitstechnische Erwägungen führten dazu, dass der Gefängniskomplex „als selbständiges Objekt, unmittelbar angrenzend an das Objekt der BV [Bezirksverwaltung] errichtet“ werden sollte.[9] Dies bedeutete, dass beide Objekte jeweils über eine eigene Objektbegrenzung und ein eigenes Sicherheitsregime verfügten. Selbst MfS-Mitarbeiter kamen nicht ohne weiteres von einem Bereich in den anderen. Mitte Juli 1986 vermeldete die Abteilung Rückwärtige Dienste, dass „ab 1987 ... der Dienstkomplex der Abteilungen XIV und IX in ... Neubrandenburg mit überörtlichen Aufgabenstellungen in Nutzung“ genommen werden könne.[10] Dementsprechend konnten 1987 die Untersuchungshäftlinge von Neustrelitz nach Neubrandenburg verlegt werden; ebenso nahmen die Untersuchungsabteilung (Abteilung IX) und die Wach- und Sicherungsabteilung (Abteilung XIV) auf dem Lindenberg ihr neues Quartier in Besitz. Die offizielle Anschrift lautete von nun an „UHA des MfS, Neubrandenburg, Leninstraße 120“. Das hier errichtete Gefängnis stellte das über Jahrzehnte genutzte Provisorium in der Töpferstraße in vielerlei Hinsicht in den Schatten: Der Zellentrakt bestand laut Plan aus „2 Verwahrstationen mit je 33 Verwahrräumen“, was auf 66 Zellen hinauslaufen würde; hingegen gab es nach der vorliegenden Raumaufschlüsselung 59 Zellen, davon 16 Einzelzellen.[11] Der Leiter der Abteilung XIV in Berlin, Oberst Siegfried Rataizick, ging seinerseits davon aus, dass im neuen Gefängnis durchschnittlich zwischen 50 und 60 Untersuchungsgefangene und 30 bis 40 verurteilte Gefangene des Strafarbeitskommandos zukünftig untergebracht werden könnten.[12] Von der Kapazität her sollte das Untersuchungsgefängnis im Normalfall also um die 100 Häftlinge aufnehmen; im innenpolitischen Krisenfall ließ sich die Aufnahmekapazität um mehr als das Dreifache erhöhen.[13] Im Durchschnitt saßen hier seit der Eröffnung im Mai 1987 durchschnittlich 45 Untersuchungshäftlinge ein.[14] Als letzte „Neuzugänge“ wurden am 8. Oktober 1989 drei Jugendliche aus Neustrelitz eingeliefert. Sie hatten zuvor in der Strelitzer Straße sowie im Rietpietschgang „mittels Latexfarbe“ mehrere DDR-kritische Losungen angebracht, um die Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, „dass es in Neustrelitz Menschen gibt wie in Dresden und anderswo.[15]

 

Als Besonderheit des modernen Gefängnisses sollten die Einbauten zur weitgehend lückenlosen Abschottung der Untersuchungshäftlinge dienen. An verschiedenen Stellen befanden sich in den Gängen verschließbare Unterstellzellen.[16] Im „Aufnahmebereich“ existierten sechs und im sogenannten Verbinder - dem Gebäudeteil zwischen dem Zellentrakt und dem Verwaltungsgebäude - pro Durchgang zwei Stehzellen. Im Hafttrakt gab es auf jeder Etage zudem drei nebeneinanderliegende Isolier-Stehzellen.[17] Häftlinge, die man woandershin brachte, konnten, falls sich ein anderer Häftling auf Transport befand, unkompliziert in einer solchen Stehzelle versteckt werden. Somit ließ sich das Risiko, dass sich zwei Häftlinge begegneten, minimieren. Die in den Untersuchungshaftanstalten übliche Weisung „Wegdrehen. Gesicht zur Wand“ entfiel weitgehend. 

 

Wie sah es aus mit den Planungen für das innere Regime im Gebäude, die Kontrolle und Überwachung der Häftlinge und deren Abschottung voneinander?

In einem Schreiben forderte das MfS im Oktober 1982 vom Wohnungsbaukombinat, dass die bauliche Ausführung so erfolgen muss, dass jeder Klopfkontakt zur Nachbarzelle unmöglich ist. Zur „Schallisolierung“ sollten die Plattenheizkörper nicht unterhalb der Fenster angebracht werden, sondern in die Zellenwände integriert werden. Zwischen dem Mittelgang, der den Zellentrakt durchzieht, und jeweils den Wänden von jeweils zwei der angrenzenden Zellen integrierten die Ingenieure einen dreieckigen Steigschacht. In ihm befand sich in den Wandverkleidungen unter anderem die Heizung.

Gesprochen wird weithin von „doppelten Wänden und Decken“. Laut einem Schreiben der Entwurfsabteilung sollte mit Hilfe von „doppelten Wänden und Decken“ eine möglichst hohe Schallisolierung erreicht werden:[18] Dies entsprach der „Forderung nach jeder Unterbindung von Klopfkontakten“. Würde dies, wie vom MfS bestellt, so auch ausgeführt, könne „eine vollkommene Schalldämmung von Luft- und Körperschall angenommen werden.“ Anzustreben sei eine Reduzierung der Geräuschabgabe von 2 bis 5 dB nach außen. Tatsächlich kamen zwischen den Zellen sogenannte Sandwichplatten zum Einsatz. Diese bestanden im Kern aus einer 15 cm starken Betonschicht. Auf beiden Seiten folgte jeweils eine drei Zentimeter dicke Dämmschicht aus so genannten „Sauerkrautplatten“[19], auf die links und rechts außen nochmals eine sechs Zentimeter breite Betonlage aufgebracht wurde. Zusammengehalten wurden die Schichten mittels Stahlarmierungen.Die Räume durften laut Bauauftrag keine Steckdosen und im Innenbereich keine Lichtschalter haben. Schallschutzkassetten sollten eine optimale Isolierung garantieren.

Empört zeigte sich das MfS, dass die Planer des Baubetriebes zunächst vorhatten, die „Verwahrräume mit normalen Fenstern“ zu versehen. „Wen will man darin verwahren?“, fragte man entsetzt, doch nicht etwa gefährlich politische Straftäter. Wie in anderen Untersuchungsgefängnissen auch, ließ die Staatssicherheit Glasbausteine einsetzen. Vor diesen wurde mit einem entsprechenden Abstand, der die Lüftung noch ermöglichte, eine mit Drahtgeflecht versehene Glasscheibe montiert. Wie Zeitzeugen berichten, erwiesen sich die Zellen im Ergebnis als weitgehend Geräuschisoliert. Von außen war faktisch kein Geräusch mehr zu vernehmen; weder das, was auf dem Innenhof vor sich ging, noch eine von den vielen Möwen vom nahen Tollensesee, die den Komplex auf der Suche nach Essbarem immer wieder umkreisten.

Auch konnten die Zellen jederzeit abgehört werden.[20]Die Mithöranlage und Tonaufzeichnungsgeräte dafür wurden im untersten des Verwaltungsgebäudes des UHA-Komplexes stationiert.

Bei der dann fertig gestellten UHA handelte es sich um das modernste Untersuchungsgefängnis des MfS in der DDR überhaupt:

Als besondere Neuerung galten die Freigangzellen – elf im Kreis wie Tortenstücke angeordnete Betonkäfige in Plattenbauweise, die von einem Wachposten in der Mitte der Anlage überwacht wurden.[21] Die mehrere Meter hohen Wände gestatteten keinerlei Blick nach außen und machten jegliche Kontaktaufnahme zum Häftling in der Nachbarzelle unmöglich; zugleich entsprach die Anlage der Forderung nach einem möglich effektiven Kräfteeinsatz. 

Die UHA verfügte ferner über eine netzunabhängige Notbeleuchtung mit einer eigenen Notstromanlage und Leuchtstoffröhren. HQ-Lampen durften aufgrund ihren längeren Zuschaltzeit nicht eingebaut werden. Erwähnenswert ist der auffallend groß ausgestattete Bereich des medizinischen Dienstes, bestehend aus zwei Arztpraxen mit insgesamt 10 Räumen

 

Die Sonderfunktion der Untersuchungshaftanstalt in Neubrandenburg – Funktionen der Berliner MfS-Zentrale, die nach Neubrandenburg ausgelagert wurden 

Im Jahre 1987 wurde das neue Untersuchungshaftgebäude vom MfS übernommen, als Tag der Dienstaufnahme wird der 5. Mai 1987 genannt. Bereits im Juli 1986 war in einem internen Schreiben die Rede von den „überörtlichen Aufgabenstellungen“ der zukünftigen Einrichtung.

In einem anderen Schreiben heißt es im behäbigen Stasi-Deutsch: die UHA sei für die „zentrale Erfüllung von Aufgaben des Untersuchungshaft- und Strafvollzuges im MfS vorgesehen.“ Daraus ergebe sich die Doppelfunktion und ebenso auch die Größe der Einrichtung.

Wichtig war die Arbeitsteilung mit dem zentralen Untersuchungsgefängnis in der Berliner Magdalenenstraße, in der Ministeriumszentrale in Berlin-Lichtenberg. Neben den politischen Gegnern saßen in der Berliner Magdalenenstraße ab den Siebzigerjahren schwerpunktmäßig Häftlinge ein, die aus den „bewaffneten Organen“, zu denen auch das MfS selbst zählte, stammten. 

Schon zu Zeiten der UHA Töpferstraße in Neustrelitz gab es eine gewisse Aufgabenteilung: Untersuchungshäftlinge der zentralen Ebene, also aus der UHA Magdalenenstraße und aus Hohenschönhausen, wurden nicht selten vor dem 1. Strafsenat der Bezirksgerichts Neubrandenburg angeklagt. Meist handelte es sich um sogenannte Angehörige aus den bewaffneten Organen, also Polizei, Armee und Staatssicherheit, oder auch um Mitarbeiter aus dem Staatsapparat. Nach dem Abschluss der Ermittlungen und der Eröffnung des Prozesses saßen sie häufig in der UHA Töpferstraße und ab 1987 in der MfS-UHA Neubrandenburg ein.

Ab Mitte 1987 wurde die Untersuchungshaftanstalt Neubrandenburg voll in Betrieb genommen. Zeitlich parallel dazu erhielt das Gefängnis in der Magdalenenstraße, neben der Unterbringung der sich auf Transport befindenden Inhaftierten, eine neue Funktion. Mit den Möglichkeiten und den räumlichen Kapazitäten, die Neubrandenburg bot, konnte der alte und hellhörige Gefängnisbau in Berlin weitgehend einer anderen Nutzung zugeführt werden. 

Ab Januar 1988 nutzte das MfS das Untersuchungsgefängnis in Berlin als „zentralen Zuführungspunkt“ für den Fall politischer Proteste in Ost-Berlin. Vorläufig festgenommene Demonstranten sollten hier verhört und bis zur Entscheidung über die etwaige Eröffnung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens festgehalten werden. So kam ein Teil der Demonstranten, die bei den Protesten gegen das Verbot der Kirchenzeitungen 1988 in Ost-Berlin festgenommen wurden in den Zellentrakt der Magdalenenstraße. Ebenso erging es einem Teil der Demonstranten, die am 7. Juni 1989 gegen die Wahlfälschung in der DDR protestierten und einigen, die am 7. Oktober 1989 bei den Protesten festgenommen wurden. Auch sie kamen in die nun als zentralen Zuführungspunkt fungierende Magdalenenstraße. Die Entscheidung, ob ein in diesem Zusammenhang Festgenommener in die Magdalenenstraße oder in den zentralen Zuführungspunkt des Ministeriums des Innern nach Berlin-Rummelsburg kam, erfolgt auf der Grundlage zuvor vorbereiteter Listen. Die vermeintlichen führenden Exponenten der politischen illegalen Tätigkeiten verbrachte des MfS meist in die Magdalenenstraße; für die anderen Festgenommen gab es zur Unterbringung Kapazitäten in Berlin-Rummelsburg. 

Unter den Untersuchungshäftlingen, die in Neubrandenburg einsaßen, gab es drei Gruppen. 1. Die MfS-Untersuchungsgefangenen, aus dem Bezirk Neubrandenburg oder, die aus anderen Gründen, meist weil es einen Bezug zum Bezirk gab, hierhin kamen. 2. Häftlinge der zentralen Ebene, die aus Berlin nach Neubrandenburg überstellt worden waren und 3. Festgenommene, gegen die die Militärstaatsanwaltschaft bzw. das Militärobergericht Neubrandenburg ermitteln ließ bzw. Anklage erhoben hatte. Beim Letzteren konnte es sich um politische, aber auch um andere Vergehen handeln. Da das Militär über keine eigenen Ermittlungskapazitäten verfügte, beauftragten die Militärstaatsanwaltschaften in der DDR häufig die zur MfS-Untersuchungsabteilung gehörende Sonderkommission mit den Ermittlungen. Die betreffenden Armeeangehörigen kamen dementsprechend in die Untersuchungshaftanstalten der Staatssicherheit.

Ansonsten sprach Oberst Siegfried Rataizick, der Leiter der Abteilung XIV, von „zukünftig … [Neubrandenburg zu] übertragenen Sonderaufgaben“ und „völlig neuen Anforderungen“, ohne dies genauer zu präzisieren, doch bezogen sich die Ausführungen anscheinend auf die Zusammensetzung des Strafarbeitskommandos.[22]

Im Zellentrakt war neben den Untersuchungshäftlingen das Strafgefangenenarbeitskommando mit ungefähr dreißig Häftlingen untergebracht, die in den benachbarten Werkstätten Arbeiten zu verrichten hatten. Es handelte sich dabei um kein gewöhnliches Strafgefangenenarbeitskommando: Eingesetzt werden sollten in Neubrandenburg schwerpunktmäßig „straffällig gewordene … ehemalige Angehörige des MfS, Familienangehörige … von [Mitarbeitern] des MfS, inoffizielle Mitarbeiter, … Angehörige anderer bewaffneter Organe“, verurteilte leitende Angestellte von Staats- und Regierungsstellen und aus dem Bereich der Wirtschaft sowie Verurteilte, an denen das MfS ein besonderes Interesse hatte.[23] Es ging nicht nur um die erfolgreiche „Wiedereingliederung“ im erwünschten politisch-ideologischen Sinne und eine so garantierte bessere Überwachung. Auch bedeutete dies nicht nur eine Art Hafterleichterung im Vergleich zu anderen Gefängnissen und Zuchthäusern der DDR mit durchorganisierter Zwangsarbeit im Akkord-Schichtsystem und der Unterbringung in überfüllten Zellen. Wer her kam, dem wurde auch ein bestimmter Schutz zuteil. In dieser besonderen Einrichtung waren verurteilte MfS-Mitarbeiter und SED-Funktionäre besser vor Übergriffen anderer Häftlinge geschützt, als es im normalen Strafvollzug der Fall gewesen wäre. Denn es ließ sich nicht ausschließen, dass sie in der Haft auf von ihnen zuvor drangsalierte Opfer treffen würden. Das Strafgefangenenkommando sei, hieß es, „solchen Personen“ vorbehalten, „die aus politisch-operativen Erwägungen nicht in Strafvollzugseinrichtungen des MdI [Ministeriums des Innern] … eingegliedert werden können.“[24]

Überdies bot der Einsatz die Möglichkeit, sie mit Spezialaufträgen zu betrauen. So ist in dem entsprechenden Strategiepapier von „besonderen Erfordernissen … des MfS“ und „einer hohen Konspiration und Geheimhaltung“ bei den „zu lösenden politisch-operativen … Maßnahmen“ die Rede.[25] Die Staatssicherheit nutzte die Werkstätten des Strafgefangenenarbeitskommandos, um Sonderarbeiten durchzuführen. Übernommen werden sollte von den Neubrandenburger Spezialwerkstätten unter anderem der als sensibel eingestufte „Umbau von B 1000 zu GTW“ [des Kleintransporters Barkas B 1000] zu Gefangenentransportwagen.[26]

Der Gefängnisneubau in Neubrandenburg erwies sich als wesentlich besser ausgestattet als sein Vorgänger in der Töpferstraße. Auffällig ist die großzügige Ausstattung mit medizinischen Geräten in der Abteilung des medizinischen Dienstes. Wurde in Neustrelitz bei gesundheitlichen Problemen noch notdürftig improvisiert, so standen in Neubrandenburg dafür mindestens sechs gut ausgestattete Räume zur Verfügung.[27] Auch dies wies auf die überregionale Funktion, die Neubrandenburg zukam, hin.

Seitens der Staatssicherheit versahen 59 Mitarbeiter in der neuen Untersuchungshaftanstalt ihren Dienst. Neun Posten sicherten pro Schicht den Komplex im Innern wie außen ab; mit drei Außenkameras und zehn Innenkameras ließ sich das Geschehen überwachen. Zusätzlich gab es die auch andernorts übliche Reißleinenanlage „in allen Bereichen mit Inhaftierten-Verkehr“, eine lückenlose „Objektumfriedung“ bestehend aus einer Betonmauer, Stacheldraht, „elektronischen Mauerkronen bzw. Fassadensicherungsanlagen“ und Wachtürme.[28] Anders als in Neustrelitz lag die Außensicherung nun nicht mehr in den Händen der Abteilung XIV, die in Neustrelitz aus Hauptamtlichen und Zeitsoldaten bestand. Den Dienst an den Außenmauern und in den Wachtürmen versahen nun durchweg Rekruten des MfS-Wachregiments „Feliks Dzierzynski“.[29]

 


[1] Freischaffender Historiker

[2] Seihe dazu die Beiträge von Brüning und Glüer in dieser Ausgabe.

[3] MfS, Abt. XIV, Anlage Nr. II zum Bericht der Kontrolle der BV Neubrandenburg, 9.6.1966, BStU, MfS, Abt. XIV 544, p. 93-95, hier 93. 

[4] MfS, Abt. XIV, Aktenvermerk vom 22.7.1971, BStU, MfS, Abt. XIV 544, p. 104-106, hier 104.

[5] BV Neubrandenburg, Rückwärtige Dienste, Plan der Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung der Baumaßnahmen Haftanstalt und U-Abteilung der Bezirksverwaltung, Neubrandenburg, 20.2.1978, sowie BV Neubrandenburg, Leiter Rückwärtige Dienste, über Verteiler u.a. an den Leiter der Abt. IX, Beratung über bevorstehenden Bau der Haftanstalt und Untersuchungsabteilung, BStU, MfS, Abt. XIV 544, p. 101f.   

[6] Schreiben des Leiters der BV Neubrandenburg, Generalmajor Koch, an den Leiter der Verwaltung Rückwärtige Dienste in Berlin, Generalmajor Müller, Neubrandenburg, 24.9.1985, BStU, MfS, BV Neubrandenburg, RD 34, p. 1. 

[7] Projekt Komplex 03/11 (Investitionsobjekt 7713/03/0311), BStU, MfS, BV Neubrandenburg, RD 469, p. 1.

[8] MfS, Abt. XIV, Leiter, Schreiben an Genossen Minister, betr. Verwendungszweck des Dienstobjektes der Abteilung XIV der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Neubrandenburg (UHA Neustrelitz), Berlin, 27.2.1985, BStU, MfS, Abt. XIV 146, p. 76f.; MfS, Abt. XIV, Leiter, Oberst Rataizick, Schreiben an die HA Kader und Schulung, betr. Veränderungen der Struktur der Abteilung XIV der BVfS Neubrandenburg, Berlin, 16.12.1983, BStU, MfS, Abt. XIV 544, p. 34-39. 

[9] BV Neubrandenburg, Leiter, Schreiben an den Leiter der HA Kader und Schulung, Bestätigung des Struktur- und Stellenplanes der Abteilung XIV der BV Neubrandenburg, Neubrandenburg, Durch- oder Abschrift, ohne Datum, BStU, MfS, Abt. XIV 146, p. 22-28.

[10] Schreiben der BV Neubrandenburg, Abt. RD, an den Leiter der AKG der VRD in Berlin, betr. Bewirtschaftung  eines neuen Dienstkomplexes, Neubrandenburg, 10.7.1986, BStU, MfS, BV Neubrandenburg, RD 360, p. 1.

[11] Übersichtsblatt BV Neubrandenburg, Stand 1/1988, BStU, MfS, Abt. XIV 146, p. 12-16.

[12] MfS, Abt. XIV, Leiter, Oberst Rataizick, Schreiben an die HA Kader und Schulung, betr. Veränderungen der Struktur der Abteilung XIV der BVfS Neubrandenburg, Berlin, 16.12.1983, BStU, MfS, Abt. XIV 544, p. 34-39, hier 36.

[13] Übersichtsblatt BV Neubrandenburg, Stand 1/1988, BStU, MfS, Abt. XIV 146, p. 12-16.

[14] Ebd.

[15] Rapportmeldung 281/89 vom 8.10.1989, BStU, MfS, BV Neubrandenburg, AKG 185, p. 49f.

[16] Dies könnte auch die Differenz bei der Zahl der jeweils aufgeführten Zellen erklären. Vgl. Fotodokumentation des Gefängnisses Neubrandenburg-Lindenberg 2018/2019/Auskunft Personal, Gefängnisleitung.

[17] Brandschutztechnische Stellungsnahme zum Bauvorhaben 7713/03/0311 (Aufgabenstellung Haftanstalt), Berlin, 10.4.1981, BStU, MfS, BV Neubrandenburg, Abt. RD 447, p. 23-33, hier 30.

[18] Schreiben der Abt. Entwurf, an die BV Neubrandenburg, Diensteinheit 8000, betr. Vorhaben 7713/03/0311 – 7. TGE, 26.10.1982, BStU, MfS, BV Neubrandenburg, Abt. RD 447, p. 100f.

[19]Umgangssprachlich für Holzwoll-Leichtbauplatten (HWL), die praktisch keine Wärme-, dafür aber eine hohe Schalldämmung bewirken.

[20] Ehemalige Untersuchungshaftanstalten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. zusammengestellt im Auftrag der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Berlin 2000, S. 27f.

[21] Plan der Freiganganlage, BStU, BV Neubrandenburg, Abt. RD 301, p. 24.

[22] MfS, Abt. XIV, Leiter, Oberst Rataizick, Schreiben an die HA Kader und Schulung, betr. Veränderungen der Struktur der Abteilung XIV der BVfS Neubrandenburg, Berlin, 16.12.1983, BStU, MfS, Abt. XIV 544, p. 34-39, hier 35.

[23] BV Neubrandenburg, Leiter, Schreiben an den Leiter der HA Kader und Schulung, Bestätigung des Struktur- und Stellenplanes der Abteilung XIV der BV Neubrandenburg, Neubrandenburg, Durch- oder Abschrift, ohne Datum, BStU, MfS, Abt. XIV 146, p. 22-28, hier 23.

[24] MfS, Abt. XIV, Leiter, Schreiben an Genossen Minister, betr. Verwendungszweck des Dienstobjektes der Abteilung XIV der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Neubrandenburg (UHA Neustrelitz), Berlin, 27.2.1985, BStU, MfS, Abt. XIV 146, p. 76f.

[25] BV Neubrandenburg, Leiter, Schreiben an den Leiter der HA Kader und Schulung, Bestätigung des Struktur- und Stellenplanes der Abteilung XIV der BV Neubrandenburg, Neubrandenburg, Durch- oder Abschrift, ohne Datum, BStU, MfS, Abt. XIV 146, p. 22-28, hier 23.

[26] BV Neubrandenburg Abt. XIV, Entwurf. Konzept zur Veränderung des Arbeitsprofils für männliche Strafgefangene in der Abteilung XIV, Neubrandenburg, 2.5.1988, BStU, MfS, Abt. XIV 146, p. 78-82, hier 82.

[27] Ebd., p. 13. Es gab folgende Räume: „1. praktischer Arzt, 2. Stomatologie, 3. Gynäkologie, 4. EKG-Raum, 5. Therapieräume, 6. Röntgenraum.“

[28] Übersichtsblatt BV Neubrandenburg, Stand 1/1988, BStU, MfS, Abt. XIV 146, p. 12-16.

[29] MfS, Abt. XIV, Leiter, Oberst Rataizick, Schreiben an die HA Kader und Schulung, betr. Veränderungen der Struktur der Abteilung XIV der BVfS Neubrandenburg, Berlin, 16.12.1983, BStU, MfS, Abt. XIV 544, p. 34-39, hier 39.