Allgemeiner und Militärstrafvollzug in Berndshof/Ueckermünde 1952–1972

von Falk Bersch und Hans Hermann Dirksen

Im Jahr 2007 beschloss das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommerns aufgrund rückläufiger Gefangenenzahlen eine der sechs Vollzugsanstalten des Landes zu schließen. Die Wahl fiel auf die Justizvollzugsanstalt Ueckermünde, die sich am Oderhaff in Berndshof, seit 1950 ein Ortsteil der Stadt Ueckermünde, befand. Die Justizvollzugsanstalt hatte zu diesem Zeitpunkt fast zwei Jahrzehnte bundesdeutscher Geschichte hinter sich. Dass mit der Schließung der Einrichtung im Mai 2009 allerdings mehr als ein halbes Jahrhundert Strafvollzug endete, war augenscheinlich nicht im öffentlichen Bewusstsein. Man begann mit dem Abriss der Gebäude bzw. deren Vermietung an Gewerbetreibende. An eine Nutzung der Anlage als Gedenk- und Lernort oder zumindest an einen öffentlichen und dauerhaften Hinweis, dass es sich hier um einen DDR-Haftort gehandelt hatte, an dem auch Opfer des SED-Regimes inhaftiert gewesen waren, dachte wohl niemand.

Die Geschichte des Haftortes Berndshof in Verbindung mit den politischen Häftlingen in der DDR war weitgehend unbekannt. Dabei waren die Entwicklungen der Haftanstalt Berndshof vielschichtig und von überragender historischer Bedeutung für den Strafvollzug in der DDR. Standkommando, Haftarbeitslager, Arbeitserziehungskommando, Strafvollzugskommando – allein in den ersten zwanzig Jahren des Bestehens der 1952 zunächst als Arbeitskommando des Zuchthauses Bützow-Dreibergen gegründeten Strafvollzugseinrichtung änderte sich deren Bezeichnung fünfmal. Das deutet sowohl auf die wechselvolle Geschichte der Einrichtung als auch auf die verschiedenen Häftlingsgruppen hin, die am Ort inhaftiert waren. Berndshof war zunächst ein typisches Haftarbeitslager der 1950er Jahre, jedoch spielten sich hier schon bald Vorgänge ab, die es an anderen DDR-Haftorten nicht gegeben hat. Dazu zählt die Tatsache, dass Berndshof gleich zweimal Militärstraflager war. Hier und nicht in Schwedt fand der erste zentrale Militärstrafvollzug der DDR statt.

Erster zentraler Militärstrafvollzug

Zunächst wurde Berndshof eingerichtet um dem Arbeitskräftemangel der umliegenden Ziegelwerke Abhilfe zu leisten. Zivilstrafgefangene, die im Durchschnitt zu nicht mehr als zweieinhalb Jahren Gefängnis- oder Zuchthausstrafen verurteilt worden waren und aus der gesamten Republik kamen, wurden als Arbeitskräfte eingesetzt. Im Frühjahr 1953 begann das Ministerium des Innern eigene Justizorgane aufzubauen, so auch für Angehörige der Kasernierten Volkspolizei (KVP) und der Deutschen Grenzpolizei. Damit wurde in der DDR eine neue Häftlingsgruppe ins Leben gerufen. Straffällig gewordene Angehörige der bewaffneten Dienste teilte man zunächst in unterschiedliche Haftanstalten auf. Im November 1954 erging dann eine Anordnung des damaligen DDR-Innenministers Willi Stoph, die veranlasste, sie ausschließlich in das Straflager Berndshof einzuweisen. Das bedeutete, dass nun neben Zivilstrafgefangenen erstmals auch Militärstrafgefangene in Berndshof inhaftiert waren. Im März 1955 wurden die ersten 80 Militärstrafgefangenen aus der Untersuchungshaftanstalt Prenzlau nach Berndshof überführt. Sie wurden hier als Strafgefangene der „Kategorie B“ bezeichnet und sollten neben ihrer täglichen Arbeit in den umliegenden Arbeitsorten auch eine militärische Ausbildung erhalten. Unter den erwähnten Angehörigen der bewaffneten Dienste sind zunächst Angehörige der KVP und ab 1957 der Nationalen Volksarmee (NVA) zu verstehen, aber auch der Transportpolizei, der Bahnpolizei und anderer staatlicher Einrichtungen jener Zeit. Vereinzelt waren sogar straffällig gewordene Angehörige des Ministeriums für Staatsicherheit in Berndshof inhaftiert.

Insgesamt betraf dass in den Jahren 1955 bis 1959 ca. 900 verurteilte Angehörige der bewaffneten Dienste. Die Praxis zeigte jedoch, dass eine gemeinsame Unterbringung und Erziehung von Militärstrafgefangenen und Zivilstrafgefangenen kaum durchführbar war. So musste dieses Experiment, dass als der erste zentrale Militärstrafvollzug der DDR angesehen werden muss, schon nach ca. zwei Jahren aufgegeben werden. 1957 wurde beschlossen, die Militärstrafgefangenen in das Haftarbeitslager Nitzow zu verlegen. Im Gegenzug kamen die Zivilstrafgefangenen aus Nitzow nach Berndshof, so dass man hier wieder einen zivilen Strafvollzug durchführen konnte. Ab 1957 verbüßten nur noch vereinzelt Angehörige der bewaffneten Dienste ihre Haftstrafe in Berndshof.

Auswertung des „Gefangenenbuches Berndshof 1954–1959“: Ein Viertel aller Gefangenen war aus politischen Gründen in Berndshof inhaftiert. (Grafik: Falk Bersch).

Eine Auswertung des „Gefangenenbuches Berndshof 1954–1959“[1] ergibt ein deutliches Bild der Delikte der in Berndshof inhaftierten Strafgefangenen.  Dabei konnten lediglich 4 % als militärische Delikte ausgemacht werden, wie z. B. Fahnenflucht, Angriff auf Vorgesetzte und Befehlsverweigerung. Der Anteil der kriminellen Straftaten liegt bei 67 % und umfasste vor allem Eigentums- und Vermögensdelikte sowie Sittlichkeitsverbrechen. Ganze 25% – also ein Viertel aller Inhaftierten – waren aus politischen Gründen inhaftiert, vor allem auf Grund von Hetze- und Spionagevorwürfen. Dazu kommen 4 % Strafgefangene, die wegen Vergehen gegen das Wirtschaftsrecht verurteilt worden, in der Regel Angehörige der Privatwirtschaft, die man kriminalisierte.

Arbeitserziehungskommando

Nachdem seit 1952 bereits zivile Gefangene und später auch Militärstrafgefangene in Berndshof arbeiten mussten, erweiterte sich der Kreis der „Arbeitspflichtigen“ mit einer 1961 vom Ministerrat der DDR erlassenen Verordnung über die Aufenthaltsbeschränkung. Dadurch wurden die Staatsorgane berechtigt, Personen wegen angeblicher oder tatsächlicher Arbeitsbummelei zu verurteilen und zur Arbeit zu zwingen. Um das konsequent umzusetzen, wurden bald besondere Vollzugseinrichtungen geschaffen: die Arbeitserziehungskommandos. Und um keine völlig neuen Lager errichten zu müssen, wurden Haftarbeitslager wie Berndshof in Arbeitserziehungskommandos umgewandelt. Die Einrichtung in Berndshof wurde 1962 infolgedessen von Haftarbeitslager in Arbeitserziehungskommando umbenannt. Bald waren ca. 200 „Arbeitserziehungshäftlinge“ dort, die durch Arbeit umerzogen werden sollten. Dabei sollte dem Strafvollzugspersonal in einer groß angelegten Veranstaltung im Juli 1962 klargemacht werden, dass „Arbeitserziehung kein Strafvollzug [sei. Sie verlange] ideologische Klarheit über Probleme, hohe Qualität der Arbeit und das Vorbild eines Erziehers für alle Genossen.“[2] Allerdings scheiterte dieses Experiment, nicht nur in Berndshof, sondern auch in anderen Arbeitserziehungskommandos der DDR, was nicht zuletzt an dem nur unzureichend ausgebildeten Personal lag. Und man konnte Menschen nicht einfach von der Richtigkeit eines Systems, dass sie zudem noch einsperrte, überzeugen und zu „sozialistischen Menschen“ erziehen. In Berndshof musste dieses Experiment aber auch aus ganz profanen, wirtschaftlichen Gründen abgebrochen werden. Denn in den folgenden Jahren verfiel die Ziegelindustrie in der Region mehr und mehr, sodass immer weniger Strafgefangene dort beschäftigt werden konnten. Ende 1962 kündigte das Ziegelkombinat Ueckermünde sämtliche Arbeitsplätze für die Strafgefangenen. So mussten die Arbeitspflichtigen und Strafgefangenen verlegt werden. Im April 1963 wurde das Arbeitserziehungskommandos Berndshof schließlich geschlossen.

Militärstrafvollzug 1963–1967

Da das Haftarbeitslager Nitzow, in dem ab 1957 Militärstrafgefangene untergebracht waren, aufgrund verschiedener Probleme 1962 ebenfalls kurz vor der Schließung stand, machte man sich Gedanken über einen neuen Ort für einen zentralen Militärstrafvollzug. Nachdem ca. ein Jahr lang die verschiedensten Orte in Augenschein genommen wurden, kam man im August 1963 wieder auf die inzwischen geschlossene Einrichtung Berndshof zurück. Ende des Jahres 1963 kamen die ersten Militärstrafgefangenen und Militärarrestanten in die neu eröffnete und nun Strafvollzugskommando genannte Einrichtung.

Der Militärarrest war eine neue zusätzliche Strafart. Aus einem Bericht über eine Aussprache der Militärstaatsanwaltschaft mit der Verwaltung Strafvollzug Anfang 1964 geht hervor, was mit dem Militärarrest erreicht werden sollte: „Der Arrestant müsse spüren, dass er sich zu fügen habe. Das müsse so nachhaltig geschehen, damit er sich sagt: ‚Nie wieder nach Berndshof!’“[3] Schwererziehbare Armeeangehörige sollten also außerhalb ihrer Einheit erzogen werden. Allein der Name „Berndshof“ sollte – ähnlich wie später Schwedt – abschreckend und erzieherisch auf Angehörige der NVA wirken.

Bausoldaten

In Berndshof war während dieser Zeit zudem eine Gruppe inhaftiert, die mit dem Militär grundsätzlich nichts zu tun haben wollte: die Wehrdienstverweigerer. Nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahr 1962 gab es eine unerwartete Welle von Verweigerungen vor allem aus christlicher Motivation, was die DDR-Führung veranlasste, am 7.  September 1964 eine Verordnung zur Schaffung von Bausoldaten in Kraft treten zu lassen – also einen Militärdienst ohne Waffe. Gerade aus den ersten Bausoldatenjahrgängen ging ein großer Teil der DDR-Opposition und Friedensbewegung hervor. Die Erfahrungen, die die Baussoldaten während ihrer Dienst-Zeit und – falls inhaftiert – während der Haft in Berndshof machten, prägten sie und machten sie für spätere Repressalien unanfälliger. Insgesamt sind 21 Bausoldaten bekannt, die mit sechs verschiedenen Gruppen nach Berndshof kamen, nachdem sie militärische Arbeiten oder das Ablegen des Gelöbnisses verweigert hatten.

Bei den ersten beiden handelte es sich um Zeugen Jehovas, die zunächst den Bausoldatendienst anraten, bald aber in Gewissenskonflikte kamen und komplett verweigerten. Im Juni 1965 kam eine Gruppe von sechs jungen Christen, die auf Prora Forstarbeiten verweigerten, nachdem sie erfahren hatten, dass dort ein Panzerschießplatz gebaut werden sollte, nach Berndshof. Sie hatten jeweils eine sechsmonatige Gefängnisstrafe erhalten. Drei weitere Bausoldaten, unter ihnen auch Jörg Hildebrandt[4], wurden einen Monat später nach Berndshof verlegt. Auch sie hatten die Arbeit an Militärobjekten abgelehnt. Wenig später trafen Rainer Eppelmann [5]und Hans-Joachim Ebert in Berndshof ein, die das Ablegen des Gelöbnisses verweigert hatten. 1966 gab es schließlich noch acht Bausoldaten in Berndshof, die wegen Befehlsverweigerung zu dreimonatigen Arreststrafen verurteilt worden waren. Sie hatten in ihrer Einheit die Arbeit am Sonntag mit der Begründung, den Feiertag heiligen zu wollen, abgelehnt.

In Berndshof waren die Bausoldaten bei den regulären Militärstrafgefangenen untergebracht. Sie versuchten sich im Militärstrafvollzug zu behaupten. Das begann mit dem Kampf, eine Bibel zu bekommen, oder Gottesdienste besuchen zu dürfen – in der Regel erfolglose Unterfangen. Wie schon angedeutet, die Zeit in Berndshof hat die betroffenen Bausoldaten geprägt. Rainer Eppelmann sagte über die Nachwirkungen seiner Haftzeit, er habe „jede Angst und jeden ungesunden Respekt vor [s]einen Vorgesetzten verloren. Ich bin als junger Bursche in den Knast gekommen und als Mann wieder raus gekommen. […] Unter anderem weil ich festgestellt habe: Du hältst viel mehr aus, als du vorher gedacht hättest. […] Und das alles hat mich wachsen lassen.“[6] Berndshof hat also zumindest bei der Gruppe der Bausoldaten nicht die bezweckte einschüchternde Wirkung erreicht, sondern das Gegenteil.

Totalverweigerer

Nicht alle Wehrdienstverweigerer reagierten auf die Einführung des Baussoldatendienstes mit einer weitgehenden, wenn auch zähneknirschenden Akzeptanz. Prinzipielle Verweigerer des Militärdienstes, heute so genannte Totalverweigerer, lehnten auch den Bausoldatendienst aufgrund seiner militärischen Strukturen von vornherein ab. Das waren in der Mehrzahl Zeugen Jehovas. An ihnen wurde in Berndshof ein weiteres Experiment durchgeführt, das seinesgleichen in der DDR-Geschichte sucht und zu einer der beeindruckendsten Geschichten der Strafanstalt gehört. Vom Dezember 1964 bis zum Februar 1965 wurden 150 Totalverweigerer in Berndshof eingeliefert. Bis auf vier Personen aus den Reihen der evangelischen Landeskirchen handelte es sich um Zeugen Jehovas. Die meisten stammten aus dem Süden der DDR. In Berndshof sollten sie völlig isoliert von den regulären Militärstrafgefangenen werden. Einer Beeinflussung durch die Totalverweigerer sollte dadurch entgegengewirkt werden. So waren zwei der drei Gefangenenbaracken ausschließlich mit Totalverweigerern belegt.

Die Totalverweigerer wurden hauptsächlich im Gleisbau eingesetzt, aber auch als Hausarbeiter oder in der Landwirtschaft. Dabei war es für die Zeugen Jehovas etwas Besonderes mit soviel Gleichgesinnten zusammen sein zu können. Die Glaubensgemeinschaft war 1950 in der DDR verboten worden, Angehörige wurden vor allem in den 1950er Jahren grausam verfolgt und lebten ihren Glauben klandestin aus. Die meisten der jungen Männer, die jetzt in Berndshof waren, hatten noch nie so viele Glaubensangehörige zusammen gesehen, so dass man der Inhaftierung auch positive Aspekte abgewinnen konnte. Es wurden Gottesdienste durchgeführt, Vorträge gehalten und organisiert, dass in allen Stuben täglich derselbe Bibeltext besprochen wurde. Sogar Bibeln und die in der DDR verbotene Literatur der Glaubensgemeinschaft wurden ins Lager geschmuggelt. So kam es, dass die Zeugen Jehovas in Berndshof Möglichkeiten zur gegenseitigen Ermutigung fanden, die sie in Freiheit nicht gehabt hätten.

Aber die Gruppe der Totalverweigerer in Berndshof sollte umerzogen werden. Zumindest zur Aufnahme des Bausoldatendienstes wollte man sie während der Haftzeit bewegen. Die dafür durchgeführten theoretischen Schulungen ließen die jungen Männer meist über sich ergehen, eine praktische militärische Ausbildung lehnten sie hingegen ab. Über eine Vielzahl von Versuchen wird berichtet, bei denen die Totalverweigerer gezwungen werden sollten, zu exerzieren, Militärsport durchzuführen oder militärische Anlagen zu bauen. Die Versuche scheiterten am Widerstand der Zeugen Jehovas. Als beispielsweise am 13. Mai 1965 von einer Brigade eine Sturmbahn errichtet werden sollte, weigerte sich schon der Brigadier den Befehl weiterzugeben und musste daraufhin mehrere Tage in eine Arrestzelle. Auch die anderen Totalverweigerer lehnten diese Arbeit ab und wurden mit Strafstehen in praller Sonne bestraft. Anschließend mussten sie eine Fäkaliengrube leeren und reinigen. Am 15. Januar 1965 sollte eine weitere Brigade unter dem Vorwand Ordnungsübungen durchzuführen mit Holzgewehrattrappen exerzieren, was sie geschlossen ablehnte. Wolfgang Barth, einer der Totalverweigerer, erinnert sich an das, was dann passierte: „Strafstehen. Eisiger Wind weht über die Fläche […] Außerhalb des Lagers müssen wir zwei Schritte voneinander auf Lücke stehen – Sprechverbot – innerhalb einer halben Stunde kriecht die Kälte unaufhörlich in die Glieder. Aus der warmen Wachstube werden wir hinter angelaufenen Fenstern beobachtet. Keiner zuckt sich – heute müssen wir es beweisen, dass wir zu unserem Wort stehen. Wir erhalten das Angebot, abtreten zu dürfen, wenn wir nachgeben. Niemand will abtreten.“[7] Schließlich wurde ein ziviler Kraftfahrer, der immer wieder vorbeifuhr, auf die Gruppe aufmerksam. Daraufhin musste sie sich im Innenbereich des Lagers aufstellen und weiter stehen. Der Ausbilder, im dicken Uniformpelz, soll geäußert haben: „Ich friere nicht. Ihr friert! Wenn ihr dann [marschieren] wollt, könnt ihr es sagen!“[8] Die Tortur dauert nach den Aussagen ca. zwei Stunden.

Den Totalverweigerern gelang es trotz vieler Diskussionen zu einer einheitlichen Haltung zu kommen, wie sie sich bei verschiedenen Forderungen des Strafvollzugspersonals verhalten sollten. Was das Exerzieren betraf, drückte es einer von ihnen einem Strafvollzugsangestellten gegenüber mit folgenden Worten aus: „Herr Polizeimeister. Rechtsrum, linksrum, gerade aus, mehr nicht!“[9] Aus praktischen Gründen stellte man sich in Reih und Glied auf, machte Gleichschrittübungen, lehnte jedoch jede Annäherung an militärische Verhaltenformen ab, auch was die Kommunikation betraf. Der Brigadier Klaus D. sagte zum Beispiel nicht nach Vorschrift: „Augen nach rechts!“ oder „Im Gleichschritt marsch!“  sondern lächelnd „Also Brüder, guckt mich mal an. Wir müssen uns nun rechts rum drehen“ oder „Jungs, lauft mal los“[10], sehr zur Verzweiflung des Personals.

Die Umerziehung der Totalverweigerer war zum Scheitern verurteilt. Der Kontakt zwischen dieser Gruppe und den Militärstrafgefangenen konnte nicht völlig unterbunden werden. Zudem war man in und um Ueckermünde auf diese Gruppe aufmerksam geworden. So verlegte man in einer streng geheimen Nacht- und Nebelaktion die Totalverweigerer Ende August 1965 in die Strafvollzugsanstalt Bautzen. Seitdem wurden Totalverweigerer nicht mehr in eine Militärstrafanstalt eingeliefert, sondern in unterschiedliche Zivilstrafanstalten aufgeteilt.

Das Ende des Militärstrafvollzuges in Berndshof

1966 war die Einrichtung in Berndshof nur zu 60 % ausgelastet, weswegen letztlich erneut ca. 100 Strafgefangene des allgemeinen Vollzugs aufgenommen wurden. Damit wurde die Durchführung eines Militärstrafvollzuges noch schwieriger als sie ohnehin schon war. Berndshof war nun Haftort für Militärstrafgefangene, Militärarrestanten und Zivilstrafgefangene. Jede Gruppe sollte separat erzogen werden und das mit einem völlig überlasteten und dafür nicht geeigneten Personal. So wurde 1968 der Militärstrafvollzug in das neue Militärstrafgefängnis nach Schwedt/Oder verlegt. Hier bemühte man sich, dem Ruf des Schreckens, den Berndshof nie erreichte, gerecht zu werden. Nach 1968 waren in Berndshof ausschließlich Zivilstrafgefangene inhaftiert. Wie viele politische Gefangene in den 1970er und 1980er Jahren hier ihre Haftstrafe absitzen mussten, kann noch nicht abgeschätzt werden.

Haftbedingungen

Viele ehemalige Strafgefangene aus Berndshof berichten immer wieder über unzureichende Ernährung, mangelnder Hygiene und von äußerst schwerer körperlicher, ja sogar gefährlicher Arbeit. Dennoch gibt es insbesondere im Vergleich mit anderen DDR-Haftorten der 1950er und 1960er Jahre auch andere Stimmen. So erklärt Ernst Brodak, Strafgefangener der 1950er Jahre: „Wenn ich Bützow und Ueckermünde vergleichen soll, das kann man nicht vergleichen, das war wie Tag und Nacht. In Bützow warst du in der Zelle, da warst du Schwerverbrecher, Staatsfeind Nr. 1, und in Ueckermünde da warst du eben normaler, na ja, normaler Strafgefangener.“[11] D.h. Berndshof war nicht Bützow, nicht Bautzen und nicht Waldheim. Es waren andere Haftbedingungen, man war nicht zu sechst in einer Dreimannzelle, man konnte den Himmel über sich sehen, man konnte sogar mal Blumen pflücken. Dass soll den Strafvollzug in Berndshof nicht verharmlosen und bagatellisieren. Doch diese gewissen zeitweiligen Freiheiten waren einmal der Struktur eines Haftarbeitslagers geschuldet, zum anderen auch der Unprofessionalität und Mangelhaftigkeit mit der Berndshof geführt wurde. Symptomatisch ist beispielsweise, dass von 1962–1972 nicht weniger als 17 unterschiedliche Leiter die Führung über das Haftarbeitslager innehatten - einige sogar mehrfach. Dadurch entstanden Schlupfwinkel, die sich die Strafgefangenen zu Nutzen machten.

Heute erinnert nur noch ein nicht abgerissener Wachtturm an das Straflager Berndshof. Eine Gedenktafel oder einen anderen sichtbaren Hinweis, auf den DDR-Haftort sucht man vergebens.


[1] Bersch, Falk/Dirksen, Hans Hermann (2012): Strafvollzug Berndshof/Ueckermünde (1952–1972). Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Schwerin, S. 44–55.

[2] Ebd., S. 59.

[3] Ebd., S. 74.

[4] Jörg Hildebrandt (* 17. Juli 1939 in Johannisburg/Ostpreußen) ist ein deutscher Verlagslektor, Anthologist und Hörfunkjournalist. Als freier Autor beschäftigt er sich vorwiegend mit familiären Zeitzeugen-Dokumentationen deutscher Kriegs- und Nachkriegsgeschichte. (Wikipedia-Eintrag)

[5] Rainer Eppelmann (* 12. Februar 1943 in Berlin) ist ein deutscher evangelischer Pfarrer, ehemaliger DDR-Bürgerrechtler und Politiker (DA, CDU). Nachdem er innerhalb der DDR Bekanntheit als Oppositioneller erlangt hatte, war er 1990 Minister für Abrüstung und Verteidigung in der letzten DDR-Regierung. Von 1990 bis 2005 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit 1998 ist er Vorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. (Wikipedia-Eintrag)

[6] Ebd., S. 98.

[7] Ebd., S. 135.

[8] Ebd., S. 136.

[9] Ebd.

[10] Ebd., S. 135.

[11] Ebd., S. 28.

Falk Bersch/Hans Hermann Dirksen: Strafvollzug Berndshof/Ueckermünde (1952–1972), Hrg. Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Schwerin 2020.

Die Autoren:

Falk Bersch, geb. 1972, forscht u.a. zum DDR-Strafvollzug, zur Verfolgung der Zeugen Jehovas unter beiden deutschen Diktaturen und zur jüdischen Emigration nach Shanghai in der Zeit des Nationalsozialismus.

Hans Hermann Dirksen, geb. 1966, Prof. Dr. jur., Volljurist und Rechtshistoriker, forscht zum Nationalsozialismus, zur DDR und zu kommunistischen Regimen.

Im Mai 2023 erinnerten nur ein ehemaliger Wachturm und die Ruine des 1967 errichtetes Verwahrhauses 4 an den Strafvollzug in Berndshof. (Foto: Junimedia Rostock).

Gefangenenbaracke in Berndshof, Mitte der 1960er Jahre. (Quelle: LAGw JVA Ueckermünde, ZG 13/2009, Nr. 28.)

Die Gefangenenbaracken II, III und IV (hinten) Anfang der 1970er Jahre (Quelle: LAGw JVA Ueckermünde, ZG 13/2009, Nr. 28.)

Ansicht des Lagers Berndshof 1964/65. Erinnerungsskizzen des ehemaligen Häftlings Siegfried Merz, 2010. (Quelle: Privatarchiv Falk Bersch.)

Innenansicht einer Baracke und der Verwahrräume, 1964/65. Erinnerungsskizzen des ehemaligen Häftlings Siegfried Merz, 2010. (Quelle: Privatarchiv Falk Bersch.)