Stadtökologie - eine Bewegung zwischen Denkmalpflege, Alternativen zur Verkehrsplanung, sauberer Luft und Stadtbegrünung

von Matthias Sengewald[1]

Die Friedliche Revolution 1989/90 in der DDR hatte viele Wurzeln. Das Engagement von Bürgern, die Politik und die reale Situation der Menschenrechte in der DDR kritisierten, ging in viele Richtungen: Abrüstung und „Frieden schaffen ohne Waffen“, Veränderungen in der teils katastrophalen Umweltverschmutzung, Frauenrechte jenseits des Rechtes (und der Pflicht) auf Arbeit, keine Diskriminierung von Schwulen und Lesben, Integration von Ausländern, Reisefreiheit und als Voraussetzung für alles eine wirkliche Demokratie mit freien Wahlen und Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit.

Ein Bereich wird oft übersehen oder einfach dem Thema Umwelt zugeordnet: Die Stadtökologie. Nicht nur die Luftverschmutzung in den Städten und das fehlende Grün in den Städten, ebenso der Verfall von Altbausubstanz und Denkmalobjekten, der Wohnungsneubau in „Plattenbauweise“ am Stadtrand und die auf den motorisierten Verkehr ausgerichtete Verkehrsplanung waren „Steine des Anstoßes“.

Tatsächlich regte sich schon früh Bürgerengagement dagegen. Im Unterschied zu den anderen Themen gab es hier deutlich mehr Parallelen zur Bundesrepublik und das Bürgerengagement war ein gewissen Grenzen auch in staatlich geduldeten, manchmal sogar geförderten Strukturen möglich.

Mit der „Verordnung zur Erhaltung und Pflege der nationalen Kulturdenkmale“ (Denkmalschutz) vom 26. Juni 1952 wird die Denkmalpflege zur Aufgabe des Staates erklärt, „Kulturgüter als Gedächtnis des Volkes zu bewahren“. Zuständig war das „Ministerium für Kultur“ mit dem „Institut für Denkmalpflege“ in Berlin und dessen Arbeitsstellen in Ost-Berlin, Dresden, Erfurt, Halle und Schwerin.

„Heimatfreunde“ konnten sich im „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ zusammenfinden, der bereits am 31. Juli 1945 für die Sowjetische Besatzungszone – das Gebiet der späteren DDR – zugelassen worden war.

Die Arbeit der republikweiten Denkmalpflege konnte vor Ort nur durch die Unterstützung vieler ehrenamtlicher Beauftragter erledigt werden. Diese Bürger vor Ort wurden durch die regional zuständigen Chefkonservatoren vorgeschlagen und vom jeweiligen Rat des Kreises für fünf Jahre berufen. Die Organisation der Ehrenamtlichen vor Ort erfolgte dann beispielsweise durch das Aktiv für Denkmalpflege, dessen Vorsitzender gemeinsam mit dem Stadtarchitekten und dem Stadtrat für Kultur die Vorschläge machte. Diese Organisation über den Kulturbund der DDR führte 1977 dazu, dass aus diesem heraus am 3. Juni 1977 in Berlin die Gesellschaft für Denkmalpflege im Kulturbund der DDR gegründet wurde.

Die Arbeit der ehrenamtlichen Denkmalpfleger beschränkte sich jedoch meist auf Arbeiten zur Erhaltung und Pflege der Denkmale. Natürlich setzten sich diese auch dafür ein, Denkmale auf die zentrale oder regionalen Denkmallisten setzen zu lassen und damit deren Schutzstatus festzuschreiben. Jedoch fehlte den ehrenamtlichen, aber auch den staatlich angestellten Denkmalpflegern die Möglichkeit, dies und deren Erhaltung durchzusetzen. Immer wieder wurden Denkmale dennoch bis zum Verfall vernachlässigt oder gar abgerissen. Aber ein Nebeneffekt der Misswirtschaft der DDR war, dass vieles einfach blieb wie es war.

Dies und das teilweise enorme Engagement Einzelner vor Ort, oft auch gegen den Staatswillen, bewahrte viele Zeugen menschlicher Kulturgeschichte auf dem Gebiet der DDR erst einmal vor dem Verschwinden.

Aber die DDR hatte erst einmal andere Ziele im Weideraufbau der zerstörten Städte: In den 50er Jahren legte das“ Aufbaugesetz“ mit den „16 Grundsätze des Städtebaus“ das Leitbild für den Städtebau der DDR fest, geprägt von den Idealvorstellungen der „sozialistischen Stadt“. Bei aller ideologischen Überhöhung orientierten sie sich – wie im Westen - an der „Charta von Athen“ mit einer radikalen Loslösung vom gewachsenen Grundriss der Stadt. Dazu kam der - zwar langsam wachsende - Wohlstand mit dem Wunsch nach einem eigenen Auto. Auch wenn die DDR an ihrem Ende nur etwa halb soviele private PKW pro Einwohner wie die Bundesrepublik hatte, auch wenn der Öffentliche Nahverkehr eine deutlich größere Rolle spielte, der „verkehrsgerechte“, sprich „autogerechte“ Umbau der Städte wurde und blieb ebenso Ziel.

1969 wurden an der „Hochschule für Architektur und Bauwesen“ (HAB) in Weimar zwei neue Studienrichtungen eingerichtet: „Technische Gebiets- und Stadtplanung“ und „Städtebau“. Mit Forschungsprojekten wie in Greifswald und städtebaullichen Wettbewerben wie in Dresden sollte die „Umgestaltung der Städte“ forciert werden.

Aber nach dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker 1973 trat die Umgestaltung der Stadtzentren in den Hintergrund: Priorität hatte fortan der Wohnungsbau an den Stadträndern, um schnell das Wohnungsproblem zu lösen.

Die zunehmende ökonomische Misere, insbesondere durch die immer stärkere Hinwendung zur „industriellen Bauweise“, also das Bauen mit vorgefertigten Großplatten, dadurch das Fehlen traditioneller Baumaterialien und der sich ausweitende Mangel an Handwerkern mit traditionellen Techniken durch die Kollektivierung der Handwerksbetriebe machten die Erhaltung der alten Gebäudesubstanz und von Denkmalen zu einem Wettlauf mit der Zeit, der immer weniger gewonnen werden konnte. Tatsächlich gingen in den 80er Jahren mehr Wohnungen durch Verfall verloren, als auf der „Grünen Wiese“ neu gebaut werden konnten.

Deshalb erfolgte ab den 80er Jahren eine Hinwendung zur „komplexen Rekonstruktion“ der Städte.

Auch wenn der Neubau von Wohnungen auf der grünen Wiese weiterlief, die Erneuerung der Innenstädte wurde ab 1982 zur baupolitischen Leitlinie. Diese „intensive“ Stadtentwicklung sollte ressourcenschonend und ökonomisch effizienter sein als. Dafür wurde die Plattenbautechnologie so angepasst, dass auch einigermaßen altstadtgerechte Lösungen möglich waren.

Letztlich hatte das alles aber zur Folge, dass nun der Abriss der verfallenen Bausubstanz vorangetrieben wurde. Viele Denkmalobjekte, aber insbesondere die gewachsenen Strukturen der Altstädte mit ihren unverwechselbaren Straßen und Gassen, den Kneipen und kleinen Läden, dem (manchmal auch wild) gewachsenen Grün, letztlich die Urbanität der Städte ging verloren. Gleichzeitig waren der Lärm und die Luftverschmutzung der Innenstädte immer unerträglicher geworden.

Das rief – neben den anderen zunehmenden oppositionellen „Basisgruppen“ nun auch Gruppen für „Stadtökolologie“ auf den Plan. Der „Arbeitskreis Innenstadt Halle“ gründete sich im Januar 1983 aus einer Bürgerinitiative zur Rettung des Renaissancefriedhofes Stadtgottesacker, er schloss sich dem Kulturbund an. Im November 1986 gründete sich in Erfurt die „Arbeitsgruppe Stadt- und Wohnumwelt" unter dem Dach von Stadtmission und Gemeindedienst der evangelischen Kirche, ab 1990 dann “Bürgerinitiative Altstadtentwicklung Erfurt e.V”. Am 7. April 1988 gründete sich in Potsdam die „Arbeitsgruppe Umweltschutz und Stadtökologie“, ab 1989 „Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz und Stadtgestaltung“, kurz ARGUS. Diese drei seien beispielhaft für das Spektrum der „Stadtökologiegruppen genannt, von denen eine ganze Reihe bis heute existieren.

1989 begannen sich diese Gruppen mit ihren Themen zu vernetzen: Im Januar gab es ein erstes Treffen in Halle, im September in Erfurt. Mit der Friedlichen Revolution setzte auch hier eine ungeahnte Dynamik ein:  

Am 6. Und 7. Januar 1990 entstand die 1. Leipziger Volksbaukonferenz auf Anregung der Bezirksleitung des Kulturbundes, des Verbandes bildender Künstler, von Bürgergruppen und des Bundes der Architekten und forderte die Demokratisierung der Strukturen. Am 16. Januar 1990 fand der Erste Runde Tisch der Bürgerinitiativen beim Ministerium für Bauwesen und Wohnungswirtschaft, initiiert vom Sprecherrat der Berliner Bürgerinitiativen statt. Bis September 1990 fanden monatliche Treffen statt. Vom 6. bis 7. April 1990 fand im Gebäude des Ministeriums für Bauwesen und Wohnungswirtschaft in der Scharrenstraße 2, Ost-Berlin das erste offizielle Arbeitstreffen der Initiativgruppen in der Stadterhaltung mit ca. 100 Teilnehmer*innen aus 20 Städten statt. Organisiert wurde das Treffen von IBIS, dem Informations- und Beratungsinstitut für bürgernahe Stadterneuerung.

Aber auch unter den Architekten und Stadtplanern in den Städten rumorte es. Eine für September 1989 geplante Plenarsitzung der Bauakademie wurde nach politischem Druck abgesetzt und konnte erst im Januar 1990 unter dem Titel „Gesellschaftskonzeption und Stadtentwicklung“ als wissenschaftliches Kolloquium nachgeholt werden. Am 11. DEZEMBER 1989 erfolgte der Aufruf und eine Veranstaltung „Rettet unsere Altstädte“ in der Akademie der Künste der DDR mit Künstler*innen, Denkmalpfleger*innen, Architekt*innen, Restaurator*innen und dem Berliner Sprecherrat der Bürgerinitiativen unter dem Motto „Gegen den Untergang unserer Städte – für eine neue Baupolitik“.

Im Januar 1990 sendete das ZDF in seiner Reihe „Aspekte“ erstmals eine Livesendung aus der Galerie im Roten Ochsen in Erfurt, mit dabei war Hardt-Waltherr „Gustav“ Hämer, der „Vater der behutsamen Stadterneuerung“. Auch zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften machten auf das Problem der verfallenden Altstädte in der DDR aufmerksam. Bundesdeutsche Landesparlamente beschlossen finanzielle Hilfen. Für Thüringen stellte Hessen und Rheinland-Pfalz je 50 Mio DM an Soforthilfe zur Verfügung.

Das alles zusammen ermöglichte es, dass mit den politischen Veränderungen sehr schnell auch die Sanierung der Altstädte in den Neuen Bundesländern anlief. Heute sind viele dieser Städte herausgeputzt, so manche mehr als die in der alten Bundesrepublik. Das Forschungsprojekt „Stadtwende“ hat erstmals einen DDR-weiten Überblick über diese Entwicklung und ihre Akteure ermöglicht.


[1] Matthias Sengewald, Religions- und Gemeindepädagoge, Sozialpädagoge, Diakon, in Dresden, Leipzig und Erfurt tätig als Mitarbeiter für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche, zuletzt in der Landesgeschäftsstelle der Evangelischen Jugend in Mitteldeutschland. engagiert in mehreren Basisgruppen und deren Vernetzung, 1990-99 Stadtrat in Erfurt, Mitglied der „Gesellschaft für Zeitgeschichte Erfurt“.