Mit ARGUS-Augen auf Potsdam blicken!

Die Erfolgsgeschichte einer Stadtökologiegruppe

Von Saskia Hünecke[1]

Am 7. April 1988 haben engagierte Bürger und Bürgerinnen in Potsdam wie Carola Stabe, Christoph Jannecke, Carsten Linke, Albrecht Gülzow und Matthias Platzeck, der nach 1990 erster Umweltminister und später Ministerpräsident des Landes Brandenburg wurde, die „Arbeitsgruppe Umweltschutz und Stadtökologie“ gegründet. Anfang 1989 wurde sie umbenannt in die Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz und Stadtgestaltung, kurz ARGUS. Man traf sich in der Villa Kellermann in der Mangerstraße, die als Sitz des Kulturbundes schon länger ein wichtiger Treffpunkt für Gruppen war, die sich im Rahmen des in der DDR möglichen auch schon für Umweltschutz und Denkmalpflege eingesetzt hatten. ARGUS agierte unter dem Dach der seit 1980 bestehenden „Gesellschaft für Natur und Umwelt“ beim Kulturbund der DDR.

Die Gruppe berief sich bei ihren Aktivitäten auf das Naturschutzgesetz der DDR von 1954, das Umweltschutzgesetz von 1970 und auf den Artikel 15 der Verfassung, der den Umweltschutz zum Staatsziel erklärte. Sie wollte über Fehlentwicklungen aufklären, in erster Linie durch die Veranstaltungen, konnte aber 1989 auch schon einen Infokasten des Kulturbundes für die Kritik am Abriss des Storm-Hauses nutzen oder erste Informationsblätter wie „ARGUS. Ansichten. Einschichten. Aussichten“ 1, 89 veröffentlichen. Darin heißt es in deutlich angepasster Sprachregelung:

„Wir wollen dazu beitragen, in unserer Stadt Potsdam die ökologischen, sozialen, ästhetischen und anderen Anforderungen in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit, wie wir sie sehen und empfinden, deutlich zu machen, bewusstseinsfördernd zu wirken und zu Aktivitäten innerhalb und außerhalb der privaten Sphäre anzuregen.

Wir wollen aktiv an der Planung und Gestaltung der Umweltbedingungen in der Bezirksstadt mitwirken und uns dabei für sinnvolle Strukturen einsetzen, die wiederum sinnvolle soziale Verhaltensweisen hervorrufen und bestimmen. Wir berücksichtigen dabei, dass eine Stadt immer ein Kompromiss, ein Optimierungsproblem ist – wir wollen in Zusammenarbeit mit dem Rat der Stadt, den Betrieben und Institutionen, den Natur- und Artenschützern, den Denkmalpflegern und vielen anderen engagierten Bürgern mithelfen, dass alle Parameter erkannt und berücksichtigt werden.“

Diplomatisch und von der Staatssicherheit immer gut beobachtet ging es dabei also nicht um die 1988 schon immer deutlicher im Raum stehenden systemkritischen Fragen, sondern um konkrete aktuelle Umweltprobleme, wie beispielsweise die Müllberäumung von Gewässern im Heiligen See und im Bornstedter See, oder um die von der glühenden Asche aus den Dauerbrandöfen verursachten giftigen Dämpfe, die den stetig brennenden Müllcontainern am Straßenrand entwichen. (Abb.1) Hinzu kam ab Januar 1989 die Analyse vom Abriss bedrohten historischen Bauten, insbesondere in der „Zweiten barocken Stadterweiterung“ bzw. die Bergung von Baumaterial. (Abb. 2,3) Erste Erfolge waren die Erprobung eines anderen Modells zur Entsorgung der Kohleasche aus Privathaushalten; der Abrisstopp am 1. November 1989, bei dem die Häuser der zweiten Barocken Stadterweiterung in der Potsdamer Innenstadt (bis heute und saniert) erhalten bleiben konnten; und sehr bald 1990 ein erstes nachhaltiges Verkehrskonzept für Potsdam.

Wichtig für das Gelingen waren eine große Sachkunde im Bereich der Aktiven aus Umweltschutz, Verkehrsplanung und Denkmalpflege, aber auch die Bemühungen um Vernetzung und Erweiterung des Handlungsrahmens. Es gab lebendige Verbindungen zu kirchlichen und anderen gleichgesinnten Kräften in der Stadt wie der Gruppe Pfingstberg, die ARGUS bei der Durchführung des ersten Pfingstbergfestes 1989 „Kultur in der Natur“ unterstützte. Einzelpersonen verfügten außerdem über Kontakte zu ökologischen Gruppen und Organisationen im Westen, wie die Firmen der Behutsamen Stadterneuerung, die in West-Berlin aus der Hausbesetzerszene hervorgegangen waren.

Ein besonderes Erlebnis war das erste Treffen der Stadtökologie-Gruppen in der DDR im April 1989 in Potsdam: Vor dem Hintergrund, dass die meisten Menschen damals kein Telefon hatten, Papiere nicht kopiert, sondern nur abgetippt werden konnten und die öffentlichen Medien nicht zur Verfügung standen, war es eine Offenbarung, den Gleichklang der Probleme, Ideen und Aktivitäten an vielen Orten in der DDR zu erfahren. Noch wichtiger war das zweite landesweite Treffen in Potsdam am 7. und 8. Oktober 1989, zu dem eine Willenserklärung von 58 Teilnehmern aus 25 Interessen- und Arbeitsgemeinschaften in der DDR verabschiedet wurde, in der u.a. hieß: „Wir sollten den Kulturbund zum Boden für Veränderungen machen, Entwürfe liefern und Akteure sein“. (Zitat Rolf Caspar) Am selben Abend wurde auch der Grundstein für die Entwicklung der „Grüne Liga“ als unabhängiges Netzwerk mit Carola Stabe als Vorsitzender gelegt. 

Die spätere Gründung eines Vereins „GRÜNE LIGA“, aber auch gemeinsame Aktivitäten im Bauministerium (dann schon in der Zeit der Modrowregierung) zur Rettung der Bausubstanz der historischen Städte weisen dann schon in die neue Zeit, in der ab 1990 die Gründung von Vereinen möglich wurde und ein neuer Diskursrahmen entstand.

Auch ARGUS Potsdam e.V. wurde 1990 gegründet, seine Mitglieder waren in der ersten freien Wahlperiode 1990-1993 Teil der Stadtfraktion Neues Forum/ARGUS. Der Verein ist mit Themen zu Stadtentwicklung und Verkehr in Potsdam und überregional bis heute aktiv. Aktuell steht die Unterstützung der Planung für die Wiederaufnahme der Stammbahnstrecke als wichtiges Element einer nachhaltigen Mobilität in der Region Berlin-Brandenburg auf der Tagesordnung.


[1] Saskia Hüneke. Einstieg bei ARGUS im Dezember 1988, dann aktiv in der Gruppe Stadtgestaltung, Vorstandsmitglied ARGUS Potsdam e.V. und Förderverein Haus der Natur, Potsdam, sowie Mitglied der Grünen Liga, seit 1998 Stadtverordnete für Bündnis 90/Die Grünen, derzeit Co-Fraktionsvorsitzende sowie u.a. Mitglied im Ausschuss für Stadtentwicklung, Bauen, Wirtschaft und Entwicklung des ländlichen Raumes.

 

Abb. 1 Brennende Müllcontainer,
Foto: Christoph Jannecke, 1989

Abb. 2 Analyse der Fassade Dortustraße,
Foto: Nobert Blumert, 1989

Abb. 3 Bergung von historischem Baumaterial,
Foto: Christoph Jannecke, 1989