„Grüne Ritzen“ in der DDR.

Umweltgruppen und ihre Vernetzung nach Ost und West Ende der 1980er Jahre

Von Sophie Lange[1]

„…es grünt aus allen Ritzen, auch in der DDR!“ Das schrieb die Politikerin der westdeutschen Partei Die Grünen Petra Kelly am 15. Januar 1985 an den Staatsratsvorsitzenden und Generalsekretär der SED Erich Honecker. Und weiter: „Man wird nicht sehr lange eine ökologische, emanzipative grüne Basisbewegung in der DDR als Zweig am weltweit wachsenden grünen Baum unterdrücken oder einschüchtern können […].“[2]

Wir befinden uns mitten in den 1980er Jahren. Die westdeutsche Umweltbewegung hatte 1979/80 eine Grüne Partei hervorgebracht; große Umweltproteste, teilweise auch mit Polizeigewalt, ergriffen das Land, wenn es gegen den Ausbau der Atomenergie ging. Das Wendland wurde besetzt und zur „Republik Freies Wendland“ erklärt. Robin Wood erklomm Schornsteine mit Transparenten und Greenpeace-Mitglieder bildeten menschliche Seeblockaden gegen die Verklappung von Sondermüll in der Nordsee. Und in der DDR?

Solche spektakulären, Aufmerksamkeit heischenden Aktionen wie im Westen lagen den Aktivisten und Aktivistinnen im Osten fern. Nicht, dass sie es nicht gewollt hätten, doch liegt die Ursache im repressiven Charakter des Staatssystems der DDR begründet: Hätte jemand zur Demonstration gegen die Umweltsünden im Chemiedreieck Halle-Bitterfeld/Wolfen-Leipzig aufgerufen, hätte dies den Straftatbestand der „Zusammenrottung“ erfüllen können – von einer vermutlich fehlenden Genehmigung ganz zu schweigen.

Von welchen „grünen Ritzen“ in der DDR sprach Petra Kelly also? Im Laufe der 1980er Jahre gründeten sich immer mehr unabhängige Gruppen unter dem Dach der evangelischen Kirche. Sie beschäftigten sich mit Fragen der sogenannten „Dritten Welt“, dem Frieden und eben auch der Umwelt bzw. Ökologie. Letztere vereinte zunächst das christliche Motiv der „Bewahrung der Schöpfung“. Ihre Aktionen beschränkten sich eher auf systemkonforme Formen des Protests, die möglichst keine Verhaftungen durch v. a. das Ministerium für Staatssicherheit (MfS/Stasi) nach sich ziehen konnten. Oder sie waren nur lokal öffentlich, sodass sich Protest gegen mögliche Verhaftungen direkt am Ort regen konnte. So begann ein alternatives Umweltengagement für die DDR beispielsweise 1979 mit Baumpflanzaktionen entlang einer Straßenbahnlinie in Schwerin. Die Gruppen veranstalteten Informationsveranstaltungen, Fahrradkorsos (was das MfS schlecht einordnen konnte) und produzierten Informationsmaterial für die interessierte (klandestine) Öffentlichkeit.[3]

Wichtige Zentren in dieser kleinen, aber feinen Umweltbewegung der DDR(zuletzt ca. 550 bis 1500 Aktive) warenzum Beispiel das Kirchliche Forschungsheim Wittenberg, das unter Hans-Peter Gensichen versuchte einzelne Gruppen miteinander zu vernetzen und eigene Umweltstudien betrieb; der in Dresden arbeitende Ökologische Arbeitskreis der Dresdener Kirchenbezirke; und die 1986 gegründete Ost-Berliner Umwelt-Bibliothek. Aus letzterer ging später zum Teil auch das Grün-Ökologische Netzwerk Arche hervor, und sie inspiriertezur Gründung weiterer Umwelt-Bibliotheken im Land. Während der Süden, also beispielsweise die Umweltgruppe in Dresden, eher spärlichen Westkontakt hatten, waren die Mitglieder der Umwelt-Bibliothek,beziehungsweise Arche, sowohl in den Westen als auch in den Osten gut vernetzt. Dabei spielte ihre zentrale Lage in Ost-Berlin eine wichtige Rolle. So legten dort Besucher und Besucherinnen aus Ost und West beispielweise einen Zwischenstopp ein. Bei dieser asymmetrischen Kontaktlage waren aber nicht nur die Grünen aus dem Westen aktiv, die zwischenzeitlich sogar mit einem Einreiseverbot belegt wurden, sondern auch die Ostmitteleuropäer und -europäerinnen.[4]

Ein solcher Besucher war beispielsweise der polnische Chemiker Dr. Zygmunt Fura vom Polnischen Ökologischen Klub (Polski Klub Ekologiczny), der auf seinen Reisen zwischen West und Ost, Nachrichten und Material unter anderem von den Grünen in Bonn mitbringen konnte. Oder auch die Ungarin Andrea Dunai pendelte oft zwischen Ost-Berlin und Budapest. Dadurch konnte sie die Ost-Berliner und -Berlinerinnen mit Informationen aus den „Brüderländern“ versorgen. Auch die ostdeutschen Mitglieder der Umweltbibliothek waren oft mit Reiseverboten belegt, weshalb diese Zwischenstopps umso mehr eine wichtige Informationsquelle darstellten. Die Reiseverbote stellen ein wichtiges Merkmal insbesondere der DDR-Umweltgruppen dar: Nicht nur durften sie selten, wenn überhaupt in den Westen fahren, ihren Mitgliedern wurde auch oft genug ein Reiseverbot in den Osten auferlegt – so zum Beispiel Carlo Jordan von der Umweltbibliothek bzw. dem grün-ökologischen Netzwerk Arche.[5] Und dennoch entwickelte sich eine Art der Zusammenarbeit, die sich auf Grund der Verhältnisse in sozialistischen Diktaturen vom westlichen Aktionismus deutlich abhob, der aber dennoch auch ein Vorbild zu sein schien.

Kontakte nach Osteuropa – „Greenway“

Während die Westkontakte bereits sehr gut erforscht sind, bestehen für den Osten leider noch immer sehr große weiße Flecken.[6] Dabei müsste eine solche Untersuchung noch nicht einmal an mangelnden Sprachkenntnissen scheitern, da eine entscheidende ostmitteleuropäische Organisation namens „Greenway“ auf Englisch publizierte und (vermutlich) auch kommunizierte.[7](DDR-)Umweltschützer Michael Beleites stellte sogar die These auf, dass zunächst Anfang der 1980er Jahre der Westen die wichtigsten Impulse für die DDR-Umweltbewegung lieferte, Ende der 1980er Jahre jedoch der Osten mit ebendiesem Netzwerk das Vorbild für die Archegründung 1988 war.[8]„Greenway“, offensichtlich an „Greenpeace“ im Namen angelehnt, entwickelte sich jedoch ganz anders als das westliche Vorbild: Es ging eher in Richtung einer Dachorganisation für bereits bestehende ostmitteleuropäische Umweltgruppen. Gegründet von polnischen, ungarischen und tschechoslowakischen Aktivisten und Aktivistinnen, wie besagter Dr. Fura oder der Ungarin Erzsebet Pasztor, am 4. September 1985 in Tata, Ungarn.[9] Zwei Jahre später erklärten sie, dass sie kein „Club“, sondern ein Netzwerk sein wollten.[10]

Hauptziel bestand in der gegenseitigen Information und Kooperation. Damit sticht auch ein wesentlicher Unterschied zu Greenpeace ins Auge. Die Regenbogenkämpferinnen machten eher mit spektakulären, medial inszenierten Aktionen auf Umweltprobleme aufmerksam, um neben der entsprechenden Aufmerksamkeit für das Thema auch Spenden zu generieren. Ganz anders im Osten. Wie bereits angedeutet, konnten krasse Aktionen auch harte, repressive Reaktionen des Staates nach sich ziehen. Diese Voraussetzungen in den staatssozialistischen Ländern zogen andere, wiederum eigene Übersetzungsformen des Umweltengagements nach sich. Für die ostmitteleuropäischen Gruppen bedeutete es deshalb eher eine grüne,auf den Osten zentrierte Informations- und Bildungsgemeinschaft zu begründen, die den Kontakt zu westeuropäischen Gruppen nicht ausschloss. Im September 1987 auf dem dritten jährlichen Treffen Greenways in Krakau nahmen beispielsweise Vertreter und Vertreterinnen der ČSSR, Ungarn, DDR und Polen sowie Beobachter und Beobachterinnen aus der UdSSR, Schweiz, Bundesrepublik, den Niederlanden und Schweden teil.[11]

Themen, denen sich Greenway widmete, waren vor allem Energiefragen (Atomkraft und alternative Energien sowie ihre rationelle Nutzung), Luftverschmutzung und Waldsterben. So veranstalteten sie beispielsweise im April 1987 eine „Acid Rain Week“ in Budapest, von der sogar im Fernsehen und im Radio auf nationaler Ebene und in lokalen Zeitungen berichtet wurde. Es sei eine kleine, aber attraktive Straßendemonstration in der Innenstadt gewesen. Die Zahl der Organisationsmitglieder überstieg nicht die zehn und die Studierenden der Universität zeigten kein Interesse, so die Berichterstattung im eigenen Magazin.[12] Darin finden sich auch Informationen zu einem „Forest Camp“[13] in Krakau oder dem EKO Film-Festival in der ČSSR, das berechtigterweise von sich behaupten kann, das älteste Umwelt-Filmfestival der Welt zu sein. Es besteht seit 1974.[14]

Hier böte sich an, nachzufragen und international vergleichend zu evaluieren, inwieweit Ungarn hier schon von Seiten des Regimes liberaler agierte, als andere sozialistische Staaten. Zum Beispiel soll nach der Historikerin Julia Ault, die Volksrepublik Polen ebenfalls nicht so repressiv gegenüber Umweltschützern aufgetreten sein, was wiederum Ostdeutsche allgemein ermutigt habe.[15]

Und nach 1989?

Wie entwickelte sich die Zusammenarbeit zwischen ost- und westeuropäischen Gruppen nach 1989? Ein erster Blick darauf suggeriert einen eher ambivalenten Eindruck. Zwar gründete Greenpeace bereits 1988 ein erstes Büro in Budapest, gefolgt von Moskau und Anfang 1990 in der DDR. Greenway unterdessen sollte sich nicht mit Greenpeace arrangieren, sondern erst einmal so weiter machen wie bisher – als Dachverband für 30 osteuropäische Gruppen mit NGO-Status. Das Hauptbüro wechselte von Budapest nach Bratislava und der Newsletter erschien nachweislich bis 1999. Doch die Informationsarbeit war in den neuen Gesellschaften nicht mehr so wichtig, weshalb der Hauptschwerpunkt für alle zunehmend in der ökonomischen Transformation und dessen Auswirkungen auf die Umwelt lag.[16]

Die Umbrüche in Ostmitteleuropa und in der DDR hatten viele Kräfte an anderen Stellen gebunden, sodass viele Umweltgruppen nicht bestehen bleiben konnten. Auf einmal hieß es Geld sammeln zu müssen, um in der kapitalistischen Gesellschaft überhaupt bestehen bleiben zu können. Das Stilllegen großer umweltverschmutzender Industrien und damit einhergehende Arbeitslosigkeit ließen die vorbehaltlose Unterstützung durch die Bevölkerung schwinden. In Greifswald gab es zur Stilllegung des Atomkraftwerkes in der DDR beispielsweise Pro-Atomproteste.[17]Das westliche, respektive westdeutsche Vorbild schien für ostmitteleuropäische Verhältnisse auch nicht immer die Lösung gewesen zu sein. So zerfiel beispielsweise polnische Grüne Partei in den 1990er Jahren. War sie 1988 noch als erste grüne Partei im Ostblock gegründet worden, wollte sie ähnlich wie die Westgrünen, ein breites Bündnis bilden, um möglichst viele Menschen einzuschließen. Das zerfiel, laut Zygmunt Fura, aufgrund nicht bedachter „polnischer Mentalität“ und der starken Rolle des Katholizismus im Land. Fura zog sich ab Mitte der 1990er Jahre ebenfalls aus der Politik zurück.[18] Erzsebet Pasztor hatte sich bereits 1989 aus Greenway zurückgezogen, das sie vier Jahre lang mit aufgebaut hatte, weil sie einen Job bekam, so der Newsletter.[19]

Es zeigt auch, wie bedeutend einzelne Akteure solcher Gruppen gewesen sind, die sie am Leben gehalten hatten. Viel hing von persönlichen Kontakten ab, die im Laufe der 1990er Jahre nachließen, da die Menschen, vor allem mit der Transformation auch im privaten Bereich umzugehen hatten. Einige, der von Kelly eingangs erwähnten grünen Ritzen in der DDR hatten aufgrund der besonderen Lage in der DDR ihre „Eigenständigkeit“ schon zu DDR-Zeiten beschlossen. Das setzte sich zum Teil in der beispielsweise nur in Ostdeutschland 1990 neugegründeten Grünen Liga fort. Eine Überwindung dieser Strukturen zwischen Ost und West ist wohl nur in der Neugründung von Gruppen wie Extinction Rebellion, Fridays for Future etc. zu finden, also einer neuen Generation, die aus den vormals „grünen Ritzen“ ins Freie drängt.


[1] Sophie Lange ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibnitz Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Siestudierte und promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin zum Thema „Deutsch-deutsche Umweltpolitik 1970–1990 im internationalen und gesellschaftlichen Kontext des Kalten Krieges“.

[2] Schreiben von Petra Kelly an Erich Honecker, 15.1.1985, in: OWK 1, Robert-Havemann-Gesellschaft (RHG), Bl. 72 f.

[3] Vgl. Beleites, Michael: Dicke Luft: ZwischenRuß und Revolte. Die unabhängigeUmweltbewegung in

der DDR,Leipzig 2016, sieheu.a. S. 72, 106, 112, 119.

[4] Vgl. ebenda, S. 37; Möller, Christian: Umwelt und Herrschaft in der DDR. Politik, Protest und die Grenzen der Partizipation in der Diktatur, Göttingen 2020, S. 287, 305 f.; Gieseke, Jens/Bahr, Andrea: Die Staatssicherheit und die Grünen, Berlin 2016, S. 99, 104–105, 222–238.

[5] Vgl. Jordan, Carlo: „Greenway“, in: Horch und Guck 53 (2006), S. 31-37.

[6] Erste Ansätze, sowohl ost- als auch westeuropäische, hier vor allem bundesdeutsche Umweltgruppen transnational zu erforschen, liefert die erst vor kurzem erschienene Studie von Julia Ault, die leider dennoch wieder einen verstärkten Fokus auf die bundesdeutschen Grünen legt. Ault, Julia E.: Saving Nature Under Socialism. Transnational Environmentalism in East Germany, 1968–1990, Cambridge 2021.

[7] Siehe beispielsweise den Artikel zu „Greenway“ von Carlo Jordan, in: Horch und Guck 53 (2006), S. 31–37; Ault, Saving Nature; Beleites, Dicke Luft, S. 37.

[8] Vgl. Beleites, Dicke Luft, S. 38-39.

[9] Ohne Verfasser: ‘If there is a will, there is a GREENway’. The History of Greenway, in: Greenway. An East-European Newsletter, Dezember/Januar 1989, in: Archiv Grünes Gedächtnis (AGG) 130, B.II.4 (Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion 1998-2002); siehe auch Greenway. An East European Newsletter, 1987/2 July, hrsg. Vom ELTE Nature Conservation Club, in: AGG 576, B.II.1 (Die Grünen im Bundestag 1983-1990); Jordan, Carlo: „Greenway“, in: Horch und Guck 53 (2006), S. 31-37.

[10] 3rd Annual Greenway Meeting, 17.-20.9.1987 in PEC, Cracow (Poland), Gabor Hanko, in: Greenway. An East European Newsletter, 11.12.1987, edited by ELTE Nature Conservation Club, in: AGG 576, B.II.1.

[11] Vgl. ebenda.

[12] „…small but attractive walking street demonstration in the inner city. The number of the organizers didn’t exceed 10 and the university students didn’t show any interest.”Greenway. An East European Newsletter, 1987/2 July, hrsg. Vom ELTE Nature Conservation Club, in: AGG 576, B.II.1.

[13] Greenway. An East European Newsletter, 1987/2 July, hrsg. vom ELTE Nature Conservation Club, in: AGG 576, B.II.1.

[14] Siehe zu Eko-Film: URL: www.ekofilm.cz/en/ [26.8.2023].

[15] Vgl. Ault, Saving Nature, S. 94.

[16] Vgl. Jordan, „Greenway“, S. 31-37.

[17] Vgl. Stude, Sebastian, Strom für die Republik. Die Stasi und das Kernkraftwerk Greifswald, Göttingen 2019, S. 163 f., 240-243.

[18] Vgl. Feffer, John: Poland’s uncivil society, 1.5.2015, in: Foreign Policy in Focus (FPIF), URL: fpif.org/polands-uncivil-society/ [30.7.2023].

[19] Vgl. Ohne Verfasser: ‘If there is a will, there is a GREENway’. The History of Greenway, in: Greenway. An East- European Newsletter, Dezember/Januar 1989, in: AGG 130, B.II.4.