Die kirchliche Umweltgruppe Menz – und das Kernkraftwerk (KKW) Rheinsberg

von Reinhard Dalchow[1]

Anfänge

Anfang der 1980er Jahre gründete sich im Menz (bei Rheinsberg) ein kirchlicher Umweltkreis. Das war für ein Dorf in ländlicher Region etwas Besonderes, gab es doch zu dieser Zeit außerhalb des staatlich kontrollierten Umwelt- und Naturschutzes nur in den großen Städten der DDR Umweltaktionsgruppen, die sich größtenteils mit Unterstützung und in den Räumen von Kirchengemeinden trafen.
Die Themen, mit denen sich der kirchliche Umweltkreis Menz befasste, waren das Naturschutzgebiet (NSG) Stechlin, die Gewässer der Region und weitere Probleme  des Umweltschutzes. Von Anfang an waren auch Mitarbeiter der am Stechlinsee gelegenen Forschungseinrichtung im Umweltkreis vertreten, so das Institut für Gewässerökologie. Mit der Reaktorkatrastrophe von Tschernobyl wurde 1986 das Kernkraftwerk Rheinsberg am Stechlinsee, das erste Kernkraftwerk der DDR, zu einem Schwerpunktthema des kirchlichen Umweltkreises für die nächsten Jahrzehnte.

Umweltsonntage

Nicht ausgeklammert waren natürlich Fragen eines verantwortlichen Lebensstiles, der zu mehr Umweltverträglichkeit beitragen konnte. Energie-, Wasser-und Fleischverbrauch lagen in der DDR um ein Vielfaches über dem europäischen Durchschnitt. Diese ganzheitliche Sicht bestimmte auch die Inhalte der Umweltsonntage, die seit Mitte der achtziger Jahre in Menz veranstaltet wurden.
Immer Anfang Juni in zeitlicher Nähe zum Weltumwelttag. Am Umweltsonntag wurde eine breite Palette von Themen behandelt und diskutiert, wie z.B. Energieverschwendung und Kernenergie, Landwirtschaft und Natur- und Bodenschutz, Gewässerökologie, Ernährungsfragen. Über vegetarische Ernährung wurde in der DDR wenig öffentlich gesprochen; das reichhaltig gestaltete, vegetarische grüne Büfett auf den Umweltsonntagen war vielleicht auch deshalb so beliebt.

Zum Thema Wasser war die Pestizid- und Nitrat- Belastung ein wichtiges Thema.
Aus diesem Grund wurde nach Informationen und Diskussionen Wasser in Sektgläsern an die Teilnehmer verteilt. Der hohe Wert des Grundwassers für die Natur und Ernährung wurde so emotional aufgenommen. Als Gegenbeispiel standen Glasgefäße mit verunreinigtem Wasser auf dem Altar der Kirche in Menz.
Kirchliche Kreise, die sich kritisch mit Umwelt- und Ökologiethemen in der Öffentlichkeit auseinandersetzten, waren für die staatlichen Stellen ungeheuerlich.
Wie nach der Wende den Akten des Staatssicherheitsdienstes zu entnehmen war, nahmen ständig IM (inoffizielle Mitarbeiter) des MfS an den Umweltsonntagen teil.
Man notierte Namen von Teilnehmer, Autokennzeichen sowie Redebeiträge. Besonders verärgert war man über öffentliche Diskussion zur Kernenergie.

Der Physiker Sebastian Pflugbeil, später Minister in der ersten Modrow Regierung nach der Wende, thematisierte 1988 die Energiegewinnung in der DDR, auch die Atomenergie. Grundlage war die von ihm mit verfasste Studie „Energie und Umwelt – Für die Berücksichtigung von Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungsverantwortung bei der Lösung von Energieprobleme in der DDR.“ Die Studie wurde für den Bund evangelischer Kirchen in der DDR erstellt. Sehr verärgert zeigten sich die Staatsfunktionäre, denn das Thema ginge doch die Kirchen nichts an. Über bekannte Mitarbeiter im KKW Rheinsberg gelang die Studie auch ins Werk und wurde auch von leitenden Ingenieuren gelesen.

Kernkraftwerk Rheinsberg( KKW)

Das Kernkraftwerk Rheinsberg, Renommierprojekt der DDR, ging 1966 ans Netz.
Der Zehnmarkschein der DDR trug das Bild des KKW Rheinsberg. Noch dazu war es das erste deutsche Kernkraftwerk überhaupt, das Strom produzierte. Erst einige Monate später ging das AKW Grundremmingen in Westdeutschland in Betrieb. Allerdings wesentlich leistungsstärker als Rheinsberg.
Neben der Strahlenbelastung wurde das KKW Rheinsberg in einem der größten Naturschutzgebiete der DDR am Stechlinsee errichtet. Der Standort in einem ländlichen, bevölkerungsarmen Gebiet war bewusst gewählt. Denn hier konnte man problemlos Absperrungen einrichten. Das klare und nährstoffarme Wasser des Stechlin-  und Nehmitzsee war für den 70 Megawatt Druckwasserreaktor sowjetischer Bauart besonders geeignet. Heute wird nicht mehr bestritten, dass der Bau eines Kernkraftwerkes im ältesten Naturschutzgebiet Brandenburgs ein großer Fehler war.
Kanäle sind zwischen den Seen errichtet worden, der sagenumwobene Stechlinsee wurde mit der Abwärme des Kühlwassers sowie mit Pflanzennährstoffen belastet. 20 Jahre lang sind täglich fast 300tausend Kubikmeter Kühlwasser aus dem Nehmitzsee entnommen, im Atomkraftwerk um 10° C aufgeheizt und in den Stechlinsee geleitet worden.

1987 wurde das AKW für eine Generalüberholung vom Netz genommen, um ab 1990 wieder in Betrieb zu gehen. Mit der Wende wurde daraus nichts mehr. Es begann der sehr komplizierte Rückbau.
4 frische Brennelemente, 220 verbrauchte Brennstäbe und 26 Sonder - Brennelemente mussten in Castor-Transportbehälter verladen werden. Der überwiegende Teil kam 2001 ins Zwischenlager Greifswald (ZLN). Der Rückbau eines AKW ist ein gigantisches Unternehmen. Im Fall Rheinsberg haben sich die Kosten des Rückbaus für die Bundesrepublik auf aktuell etwa 600 Mill. Euro verdoppelt, denn sie ist alleiniger Gesellschafter der Energiewerke Nord GmbH. Rund 70 000 t müssen bewegt werden, davon etwa 40 000 t radioaktiv verseuchtes Material. Für den Rückbau ist ein Teil der Technik neu entwickelt worden. Viele Teile wurden ferngesteuert, teilweise unter Wasser im Abklingbecken zerlegt. Das radioaktive Material musste in tausenden Fässern sicher verpackt werden.

1990 fanden die ersten Gespräche mit Sebastian Pflugbeil, Vertretern des Ökoinstitut Darmstadt und des KKW im Pfarrhaus in Menz statt. Schon aus diesen Gesprächen war für mich ersichtlich, das KKW wird nicht wieder ans Netzt gehen. Dafür sprachen viele Gründe, u.a. würde man wohl keinen Versicherer für das Werk finden. Die Mitglieder des Umweltkreises Menz konnten damals, 1990, das erste mal das KKW in allen Bereichen besichtigen.

Für jeden Kraftwerksteil, der abgebaut wurde, sind detaillierte Pläne vorgelegt und in einem umfangreichen Genehmigungsverfahren durch das Land genehmigt worden. Im Vorfeld verschiedener Entscheidungen wurde der kirchliche Umweltkreis Menz beteiligt. Ebenso wurde regelmäßig über den Rückbau im AKW mit Besichtigung informiert. Der Umweltkreis hatte erreicht, dass das Ökoinstitut Darmstadt als Gutachter für den Rückbau beteiligt wurde. Wegen der radioaktiven Belastung musste als erstes mit dem Rückbau des sogenannten „Friedhofs“ begonnen werden. Hierbei handelt es sich um Betonbehälter im Erdreich, in die feste und flüssige radioaktive Abfälle aus dem Betrieb des AKW verbracht worden waren. Bei der Konstruktion war geplant, radioaktive Abfälle dort vor Ort zu lagern. Grundwasserproben aus dem Umfeld des AKW zeigten schon in den 80 iger Jahren eine Kontaminierung. Die wurde in der DDR geheim gehalten und die Bevölkerung nicht informiert. Das radioaktive Material war aus den Betonbehältern ausgetreten, in deren Wänden sich Risse befanden. Über die 484 Störfälle die es im AKW während seiner Betriebszeit von 1966 – 1990 gegeben hatte, ist die Bevölkerung nie informiert worden. Vieles lag unter strengem Verschluss der Staatssicherheit.

Mehr als 25 Jahre wurden für den Rückbau des relativ kleinen AKW Rheinsberg eingeplant. Er sollte um 2015 abgeschlossen sein, ist es aber bis heute noch nicht,  und ein Ende schwer absehbar. Doch auch danach wird das Reaktorgebäude noch stehen bleiben, denn die entdeckten Verunreinigungen der Wände sollen erst in 30 bis 50 Jahren abklingen, bevor auch dieses Gebäude abgerissen werden kann. Ein großer Teil der verseuchten Abfälle ist nach Morsleben verbracht worden. Ein noch größerer Teil lagert mit den Castoren und dem kompletten 120 t schweren Reaktordruckbehälter in Greifswald. Ein sicheres Endlager ist bisher in Deutschland und weltweit nicht in Sicht.

Dynamik der Antiatombewegung in der DDR-eigene Wahlkandidaten

Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl gab es auch in der DDR kritische Fragen. Dem musste sich auch die Leitung des AKW in Gemeindeversammlungen stellen. Gerade im Ort Neuglosow, unmittelbar am Stechlinsee und dem Kraftwerk gelegen, wurden kritische Fragen gestellt. Doch der damalige Leiter des AKW formulierte. „Jeder vernünftig denkende Mensch ist für die Kernenergie.“
Es gab keine Zweifel, alles ist in Ordnung, wir haben alles im Griff.
Widerstand und kritische Fragen gab es von Umweltaktivisten auch am Forschungsreaktor Rossendorf bei Dresden und beim Uranabbau der Wismut AG.
Bei der Wismut AG war das ganze Ausmaß der Schäden und Kontaminationen erst nach der Wende ersichtlich.

Zur Kommunalwahl 1989 kam es in Neuglobsow zu Protesten bei der Aufstellung der Kandidaten. Auch Mitglieder des kirchlichen Umweltkreises waren dabei. Es gelang den Teilnehmern einer Wahlversammlung, dass Kandidaten von der Wahlliste gestrichen und durch neue Kandidaten ersetzt wurden. Das war ein ziemlicher Paukenschlag, zeigte aber da schon die Unsicherheit mancher Parteifunktionäre.

Am 3.Januar 1990 war der kirchliche Umweltkreis Menz maßgeblich an Gründung des Umweltverbandes GRÜNEN LIGA für den Landkreis Gransee beteiligt. Grundlage war der Gründungsaufruf vieler Umweltgruppen in der DDR vom 18.November 1989.
Der kirchliche Umweltkreis Menz verstand sich im Sinne der ökumenischen Versammlung: Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Deshalb schloss er sich schon Anfang der 80iger Jahre der kirchlichen Bewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ an.

[1] Pfarrer i.R, 1977 - 1995  Pfarrer in Menz bei Rheinsberg, 1995 - 2011  Umweltbeauftragter der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg/Schlesische Oberlausitz, seit 2018  Stellvertretender Bundesvorsitzender der GRÜNEN LIGA e.V.