Die Filmdokumentation ‚Bitteres aus Bitterfeld‘ aus dem Jahr 1988

Wie sie entstand und wer sich später mit dieser Indianerfeder den Hut schmückte

Ein Bericht in eigener Sache

Von Rainer Hällfritzsch, Margit Miosga, Ulrich Neumann[1]

Der ‚kleine‘ Film ‚Bitteres aus Bitterfeld‘ schlug im Jahr 1988, als die von innen ausgehöhlt und trotzdem wild um sich schlagende DDR versuchte, ihre historischeBerechtigung machtvollzu demonstrieren, wie eine Granate ein. Auf bewegten Bildern aus der Chemieregion Bitterfeld konnte man in Ost und West via West-Fernsehen das erste Mal eine ökologische Katastrophe in Aktion sehen: Chemisch schäumende Bäche schlängeln sich durch grüne Gemüsegärten, giftige Abfallseen, in die die örtliche Industrie ihre verseuchten Reste entsorgte, ließen an ferne Wüsten denken, rußschwarze Häuser duckten sich unter dem gelb-braunen Himmel. Nur der Gestank blieb undokumentiert.

Wer sind die Protagonisten der Dokumentation?

1. Hans Zimmermann, Bitterfelder Chemiefacharbeiter, er kannte jede undichte Gifttonne im Gelände, jedes offene Abwasserrohr in der Landschaft. Seit den 70iger Jahren dokumentierte er ungezählte Verstöße auch gegen geltendes DDR-Umweltrecht. Als sein kleiner Sohn an Pseudo-Krupp erkrankte, schrieb er Brandbriefe an die verantwortlichen Stellen, machte ‚Eingaben‘ wie das in der DDR hieß, aber es änderte sich nichts.

2. Ulrich Neumann studierte in der DDR klinische Psychologie. In den 80er Jahren wurde für ihn unausweichlich, dass er die DDR verlassen musste. Er engagiert sich beim Grün-ökologisches Netzwerk Arche, einer Gruppierung innerhalb der DDR-Opposition.

3. Rainer Hällfritzsch arbeitete als Kameramann und unabhängiger Filmemacher für die Westberliner ‚Werkstatt für interkulturelle Medienarbeit e.V (WIM)

4. Margit Miosga, Journalistin beim ‚Sender Freies Berlin‘, war mit Ulrich Neumann ‚verlobt‘, denn mit der gesamtdeutsch ausgehandelten juristischen Krücke ‚Familienzusammenführung‘ konnte man die Ausreise von DDR-BürgerInnen legal betreiben.

5. Edgar Wallisch wurde in den 80iger Jahre, da er sich oppositionell verhielt, als Arzt beruflich kaltgestellt, er engagierte sich ebenfalls beim Netzwerk Arche.

 

Warum musste es ein Film werden?

Das ökologische Desaster war visuell überwältigend, bizarr und entsetzlich. Man musste es zeigen.Hans Zimmermann, der in Bitterfeld verbittert all sein Wissen über die Umweltkatastrophe in seiner Heimat aufschrieb, hatte als Einzelkämpfer Kontakt zum Grün-Ökologischen Netzwerk Arche in Berlin aufgenommen. Eines Tages bekam er Besuch von Neumann und Miosga, die auf einer ihren Touren durch das Land bei ihm anklopften. Die beiden sammelten für die Publikation der Arche ‚Arche-Nova‘ Neuigkeiten aus der gesamten DDR ein, denn überall gab es kleinere und größere Gruppen, die Umweltsauereien in ihrer Heimat dokumentierten. Letzte Station an diesem Tag im Frühjahr 1988: Bitterfeld.

Der Ort hatte durch Monika Marons Roman ‚Flugasche‘ den einschlägigen Klang. Maron integrierte in ihren literarischen Text die dreckigen Fakten aus Bitterfeld. Das Buch erschien folglich nur im Westen. 

Hans Zimmermann führte seinen Besuch zu den sichtbaren Havarien im direkten Umfeld der Stadt. Es war für Außenseiter kaum zu glauben, was sich abseits jeder öffentlichen Wahrnehmung in und um Bitterfeld abspielte. Das waren Bilder, die man öffentlich machen muss, davon waren Neumann und Miosga überzeugt. War Hans Zimmermann bereit, nochmal an all diese stinkenden, sumpfigen, giftigen Plätze zu gehen, zu den abgrundtiefen Tagebauen mit ihren geisterhaften Abräumbaggern, wenn die beiden mit einem Kameramann wieder kommen würden? Ohne zu zögern sagte er ja. Selbstverständlich würde ihn ein solcher Film für Jahre ins Gefängnis bringen – wenn die kleine Truppe aufflöge.

 

Wie dreht man illegal einen Film in der kleinen DDR?

Der Kameramann war schnell gefunden, Rainer Hällfritzsch hatte eine Kamera, Lust und Erfahrung. Mit einem westlichen Auto sollte man besser nicht in Bitterfeld auftauchen, Edgar Wallisch bot sich als Chauffeur mit seinem Lada an. Der gewählte Zeitpunkt war golden: am 25. Juni fand in München das Endspiel der Fußball Europameisterschaft statt, Niederlande gegen Sowjetunion. Nicht nur Fußballfreunde, besonders auch die ‚Sicherheitsorgane‘ würden an diesem Nachmittag vor den Fernsehern sitzen, sie wollten ja die ‚Großen Brüder‘ siegen sehen. Zeitgleich fand in Halle ein Kirchentag statt, Ulrich Neumann, der schon lange im Visier der Stasi stand, wurde zur Ablenkung dort ‚platziert‘. So konnte die kleine Gruppe ungestört in Bitterfeld den Anweisungen von Hans Zimmermann folgen und einen ganzen Tag Bilder des Grauens drehen. Vorsicht war angesagt, denn das Unternehmen war hochgefährlich, speziell für die ‚DDR-Bürger‘ Zimmermann und Wallisch. Bis jetzt kannte nur Carlo Jordan vom Netzwerk Arche grob das riskante Vorhaben, keine Details, keine Namen.

 

Was aus dem Film-Material machen?

Über Kanäle der DDR-Opposition erreichten dann die bespielten Kassetten Westberlin und das Studio von Rainer Hällfritzschs ‚WIM‘ in Schöneberg. Mittlerweile kam auch Ulrich Neumann in Westberlin an, die Ausreise glückte ohne Hochzeitsglocken. Gemeinsam, begleitet von langen Debatten, schnitten und betexteten die drei den 30 Minuten langen Film.  ‚Bitteres aus Bitterfeld, eine Bestandsaufnahme‘ nannten sie ihre Dokumentation. Niemand hatte den Film bis dahin gesehen. Die Ur-Idee war gewesen, dass er als oppositionelles Produkt der ‚Arche‘ in DDR- Kirchen- und Friedenskreisen gezeigt werden sollte. Die Zusammenarbeit mit ‚Westlern‘ hatte die DDR-Opposition nicht so gerne, auch der Staatsapparat würde die Bilder gleich als westliche Propaganda abtun. Doch die reine „Ost-Schau“ kam nur selten zustande, denn häufigverhinderte die Stasi die Vorführung – sei es, dass der Strom im Vorführungsraum ausfiel oder dass das Kurierauto stundenlang angehalten wurde. Wer die Stasi über Orte und Termine informierte, bleibt dunkel. Der eifrige Stasizuträger Falk Zimmermann, (nicht verwandt mit Hans Zimmermann) der im Grün-ökologischen Netzwerk Arche den engagierten Filmer und Umweltschützer gab….. er verhinderte viele klandestine Aktionen und gab sich unschuldig, bis nach dem Ende der DDR seine Akte bekannt wurde.

 

Wie kamen die Bitterfeldbilder dann doch an die Öffentlichkeit?

Das SFB-Politikmagazin ‚Kontraste‘ kontaktiert auf Vermittlung von Roland Jahn, der zu dieser Zeit freier Mitarbeiter der Sendung war, Ulrich Neumann. Obwohl die Redaktion Repressalien gegen ihrBüro in Ostberlin befürchtete, entschied sie sich, einen eigenen Beitrag zu produzieren. Der Redakteur Peter Wensierski führte mit Ulrich Neumann ein Interview; gemischt mit Originalaufnahmen aus dem Bitterfeld-Film. Bei ‚Kontraste‘ lief dann der ca. 10 Minuten lange Beitrag.Wensierski rief am Sendetag, dem 27.9.1988, im Chemiewerk in Bitterfeld an, um zumindest den Pförtner anzuregen, abends ‚Kontraste‘ anzuschalten und Ulrich Neumann seinerseits klingelte im Bürgermeisterbüro an, die Sekretärin gab die brandheiße Nachricht weiter, dass Bitterfeld am Abend im Zentrum eines West-Senders stand. Bitterfeld saß vor den Empfangsgeräten.

Der Beitrag bestürzte die Zuschauer in Ost und West.Ein Anwohner sagt: ‚es war stellenweise noch viel schlimmer als im Film‘ und der oppositionelle Pfarrer Friedrich Schorlemer: ‚Wir haben erst durch diesen Film im Westfernsehen gemerkt, wie schlimm es bei uns wirklich ist….‘. Nach der Ausstrahlung meldeten sich Fernsehsender von Tokyo bis Los Angeles, weltweit bestaunten die Zuschauer die Chemiestadt Bitterfeld und ihre giftsprudelnden Gewässer. Die nicht unerheblichen Einnahmen ging an das Arche Netzwerk zum Kauf von Computern und Druckmaterial, Kameras, denn es solltennoch mehr derartige ‚Enthüllungsfilme‘ etwa über das rapide verfallende Halberstadt, den toten Wald in Thüringen gedreht werden. Aber die Investitionen in die Opposition wurde vom Stasi-Spitzel Falk Zimmermann regelmäßig sabotiert, nie funktionierte die nagelneue Kamera, wenn es drauf ankam. Aber das wurde erst ein Jahr später aufgedeckt.

 

Und was geschah nach der Ausstrahlung des Kontraste-Beitrags?

Die örtlichen und betrieblichen Stasieinheiten standen Kopf, wie es Hans Zimmermann nannte. Bis zum Politbüro hinauf und in die Zentralen der Sicherheitsapparate befasste man sich mit dem Film. Eilig organisierte Aufräumkommandos schütteten Gruben zu, ließen Fabrikhallen kehren, Deponien verschwanden unter Schutt, aber an der Art, wie produziert wurde, am Giftausstoß, an der Verseuchung von Wasser und Luft, ändere sich nichts. Erst nach dem Ende der DDR, als die Treuhandgesellschaft 1990 das Chemie Kombinat Bitterfeld schloss, verbesserten sich Wasser und Luft. Ein unabsehbares Großprojekt zur Sanierung dieser ganzen Landschaft begann, ein Milliardengrab an Steuermitteln wurde ausgehoben – und immer noch schichtet sich verseuchte Erde metertief, es sickern die alten Gifte weiter ins Grundwasser –ein Ende ist nicht abzusehen.

Hans Zimmermann errang für die CDU einen Sitz im Bundestag, den er nur drei Monate aushielt, aus aller Welt besuchten ihn Journalisten, die sich noch einmal den Silbersee zeigen lassen wollten. Ihm gingalles zu langsam, sowohl das Parlamentarische Prozedere wie die Sanierung seiner Heimat.

 

Bitteres aus Bitterfeld nach 1989

Der Film wurde ausgezeichnet und zuallen möglichen nationalen und internationalen Festivals eingeladen. In diesem Umfeld entwickelte sich ein merkwürdiges Phänomen: Anfänglich war ja nicht bekannt, wer den Film gedreht hatte, denn im Abspann standen keine Namen.  Und so war immer wieder in Filmemacherkreisen zu hören, dass ein Teilnehmer – sorry, es waren immer Männer - die Autorenschaft für sich beanspruchten. Etwas nebelhaft, aber doch: ich war dabei, habe mitgemacht!  Das ging ein paar Jahre gut, bis Rainer Hällfritzsch, Ulrike Hemberger und Margit Miosga eine 45-minütige Dokumentation über das ‚makingof‘ von ‚Bitteres aus Bitterfeld’ erstellten. Die WIM eV und der MDR kooperierten, im März 2006 erfolgte die Erstausstrahlung. Da sah man endlich Hans Zimmermann, den wahren Helden des Films, wie er auf seinem Moped mit wehendem Bart über die Straßen seiner zerstörten Heimat knattert.

 

Die Indianerfeder, die man sich gerne an den Hut steckt

Der 30 Minuten Original-Film war das wirkungsvollste und nachhaltigste Projekt aus der Mitte der Bürgerbewegung – wie Zeitgenossen meinen, der Dreh eineehrenamtliche und ziemlich riskante Angelegenheit. Ein Honorar war von keinem der Beteiligten erwartet worden. Edgar Wallisch hat nicht mal Benzingeld für seine Chauffeurdienste bekommen oder Rainer Hällfritzsch den Preis der Videokassetten. Die Einnahmen aus dem Rechteverkauf war vollständig für zukünftige Projekte der DDR- Umweltbewegung gedacht, obwohl in der Szene gemunkelt wurde, Neumann habe sich in seinem neuen Westheim goldene Wasserhähne anmontiert…Missgunst gehörte offensichtlich zur DNA der Bürgerbewegung.

Was auch einen etwas faden Nachgeschmack hinterlässt, ist die Selbstverständlichkeit, mit der sich Akteure aus dem Umfeld der Medienweltsowie aus der Bürgerbewegung bei ‚Bitteres aus Bitterfeld‘ bedienten und bedienen. Irgendwie scheint dieser Film eine Aura zu besitzen, von deren Schein etliche gerne etwas abhaben wollen.

 

Da gibt es den ehemaligen Fernsehredakteur, der auf seiner Website eine Dokumentation mit dem Titel „Bitteres aus Bitterfeld“ zeigt, da mischen sich Passagen aus dem originalen Film mit anderen Aufnahmen. Quellenangabe? Lizenzrechte? Fehlanzeige.

 

Da gibt es den ehemaligen freien Mitarbeiter jenes Redakteurs, der in einer Jubiläumssendung des Politmagazins zu Bildern aus „Bitteres aus Bitterfeld“ schildert, wie er die Opposition in der DDR mit Kameras versorgt hat. Das hat er zweifelsohne getan. Aber nicht für dieses Projekt.

 

Da gibt es den DDR-Umweltaktivisten, der als einziger im Netzwerk Arche von dem Vorhaben in Bitterfeld wusste, aber sonst nichts damit zu tun hatte. Und nach dem Ende der DDR in Interviews gerne erzählt wie erfolgreich der Film war, implizierend, dass er involviert war.

Und, und und…

 

Man könnte jetzt eine Liste aufmachen, auf der Urheberrechtsverletzungen, Anmaßungen und Nutzungen ohne Quellenangaben aufgelistet sind. Aber wer möchte schon über solche unappetitlichen Geschichten reden? Allerdings: wenn das immer so weiter geht, wird es vielleicht doch noch nötig, sich juristisch zu wehren.

 

Eines steht allerdings fest:

Dem die größte und bunteste Feder am Hut gebührt, kann sie nicht mehr zeigen – Hans Zimmermann starb bereits 2015.

 

(der detailgenaue Eintrag bei Wikipedia beschreibt ‚Bitteres aus Bitterfeld‘ am besten.)

 


[1] Damalige Autoren und Realisatoren des Filmes