Braunkohlenindustrie und Umwelt in Ostdeutschland seit 1945

von Martin Baumert[1]

Für viele Menschen ist die Erinnerung an die DDR mit dem schwefligen Geruch verbrannter Braunkohlen verbunden. Kein anderes Land der Welt war von einem einzigen Rohstoff in der Energiegewinnung so abhängig, wie die DDR von der Braunkohle. 1987 hatte der kleine Staat einen 29%igen Anteil an der weltweiten Förderung. Mindestens 83 % der Primärenergie im nationalen Energieverbund wurden in den 1980er-Jahren durch Verbrennung aus dieser Ressource gewonnen. Mit der Gewinnung im Tagebau, bei der sämtliche darüberliegenden Erdschichten devastiert werden, und mit der chemischen Zusammensetzung, die in Teilen Ostdeutschlands einen besonders hohen Anteil an Schwefel enthält, sind Braunkohlen ein aus ökologischer Sicht problembehafteter Rohstoff. Entsprechend entzündeten sich an den Braunkohlen und ihrer Verwendung zahlreiche Umweltkonflikte, die, wie im Falle des Hambacher Forst oder des inzwischen devastierten Ortes Lützerath, bis in die Gegenwart des wiedervereinigten Deutschlands reichen.

Mit der Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen und dem Abbruch der Lieferung von Steinkohlen aus dem westdeutschen Ruhrgebiet und dem polnischen Schlesien, blieb in der ressourcenarmen SBZ/DDR ab 1947 nur die Braunkohle als heimischer Energieträger übrig. Entsprechend begann der massive Ausbau der Förderung. Bis 1965 erhielten die Kohle-, Energie- und Chemieindustrie den Großteil der Investitionen. Allein zwischen 1951 und 1960 flossen über 35 % der Gesamtindustrieinvestitionen in diesen Sektor. Zwischen 1949 und 1985 steigerte die DDR die Braunkohlenförderung um über 150 % von 124,9 Mio. t auf 312,2 Mio. t. Mit der Entwicklung des Braunkohlenhochtemperaturkoks gelang es zudem ein Ersatzprodukt für die Stahlherstellung zu entwickeln. Ebenso erzeugte die Braunkohlenindustrie bis 1965 einen Großteil der Kraftstoffe für Fahrzeuge. Allerdings nahmen zwangsläufig mit der Ausweitung der Produktion die Umweltprobleme zu: Die Tagebaue devastierten jährlich bis zu 2.000 ha Landschaft, die als „Mondlandschaften“ zurückblieben. Der Schwefel aus der Verbrennung trug zur Entstehung von sauren Regen bei, der wiederum die Wälder schädigte. Koks- und Treibstoffproduktion wiederum führten zum Eintrag von Phenolen in Gewässer, die diese in stinkende Kloaken verwandelte. Für die kleine DDR war der Verlust von land- und forstwirtschaftlichen Nutzflächen sowie der knappen Ressource Wasser – Ostdeutschland gilt als eines der wasserärmsten Gebiete Europas – nicht hinnehmbar. Deshalb gab es bereits von Beginn der DDR an Bestrebungen Lösungen für die braunkohlenbasierten Umweltprobleme zu finden.

Die von dem überzeugten Sozialisten Reinhold Lingner (1902–1968) initiierte „Landschaftsdiagnose der DDR“ war das erste nationale Umweltmonitoring weltweit und stellte den umweltpolitischen Aufbruch Ostdeutschlands dar. Dabei wurde anhand der Messtischblätter das Staatsgebiet in den Jahren 1949–52 systematisch untersucht. Drei der vier Erfassungskategorien waren unmittelbar mit der Braunkohlenindustrie verbunden: 1. Kulturbodenvernichtung durch den Bergbau, 2. Wasserhaushaltsstörung, besonders durch den Grundwasserentzug des Tagebaus, und 3. Luftverunreinigung durch die Industrie, die mehrheitlich Braunkohlen verbrannte. Die letzte Kategorie betraf mit der Gehölzentblößung von Flächen einen Bereich, der nicht zwangsläufig mit der Braunkohlenförderung und -verarbeitung verbunden war. Nach Lingners Vorstellung sollten in einem zweiten Schritt Methoden zur Behebung der Probleme entwickelt werden. Dazu kam es allerdings nicht mehr: Das gerade gegründete Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sah die Daten in den Händen potentieller Spione und beschlagnahmte die Unterlagen. Erst 1957 konnten die Ergebnisse publiziert werden, blieben aber einem kleinen Kreis von Landschaftsplaner*innen vorbehalten. Dennoch lässt sich die Landschaftsdiagnose als Ausgangspunkt umfangreicher ökologischer Aktivitäten in Bezug auf die Probleme der Braunkohlenindustrie deuten. In Tharandt bei Dresden entwickelte der Rauchschadensforscher Erich Ziegner (1902–1960) das Projekt zur Großraumdiagnose fort, bei der durch Messstationen die Luftverunreinigung in der gesamten DDR erfasst werden sollte. Gleichzeitig züchtete er rauchfeste Baumarten für belastete Standorte. An der Humboldt-Universität zu Berlin erhielt der Forstwissenschaftler Wilhelm Knabe (1923–2021) den Auftrag, ein Verfahren zur Aufbereitung der „Mondlandschaften“ zu entwickeln. Bereits 1954 entwarf er eine Methode zur Wiedernutzbarmachung, die er bis 1959 zum anwendungsreifen Domsdorfer Verfahren weiterentwickelte, das sich zur Herstellung forstwirtschaftlicher Nutzflächen eignete. Dabei reagierte Knabe in genialer Weise auf die Mängel der DDR-Wirtschaft: Zur Melioration der sauren Böden setzte er basische Kraftwerksaschen ein. Zeitgleich erarbeitete eine Forschungsgruppe unter Gerhard Darmer (1902–1992) an der Karl-Marx-Universität Leipzig das Böhlener Verfahren, eine erste Methode zur Herstellung landwirtschaftlicher Nutzflächen. Sowohl Knabe als auch Darmer verließen die DDR noch in den 1950er-Jahren und brachten ihre Innovation in den Westen. Während Knabe die Haldenbegrünung im Ruhrgebiet aufbaute und später zu einem der Gründungsmitglieder der Partei „Die Grünen“ wurde, publizierte Darmer als Professor in Hannover das zweibändige Standardwerk zur Rekultivierung von Tagebauen in der Bundesrepublik. Knabe verfügte in seiner Rolle als einer der ersten Grünen-Bundestagsabgeordnetenüber Kontakte zur Umweltopposition in der DDR und schmuggelte 1987eine Druckmaschine in die DDR, die im selben Jahr Ziel der Razzia des MfS in der Umweltbibliothek der Ostberliner Zionskirche war.

Trotz der Emigration bedeutender Akteure blieben die Forschungen zur Behebung der Umweltprobleme mit dem Rohstoff Braunkohle bestehen. Während unter Ziegers Nachfolger Hans-Günther Däßler (geb. 1925) in Tharandt die Rauchschadensforschung weitergeführt wurde, konnte ein industriell umsetzbares Verfahren zur Schwefelabscheidung bis zum Ende der DDR nicht eingeführt werden. Das 1978 praxisreife Kalkstein-Additiv-Verfahren wurde aus ökonomischen Gründen nur in wenigen Kraftwerken, wie Block zwölf das Kraftwerkes Vockerode (zwischen Dessau und Bitterfeld) sowie im Heizkraftwerk Lindenau (Leipzig) eingebaut. Das Problem der Luftverunreinigung, die damit auftretenden Gesundheitsgefährdungen, sowie die Schäden der Wälder ließen sich damit nicht beheben. Anders sah es in der Forschung zur Wiedernutzbarmachungen der „Mondlandschaften“ aus. Hier wurden die Forschungsergebnisse bis Mitte der 1970er-Jahre verfeinert und durch die Entwicklung von Spezialgeräten in den Bergbauprozess integriert. Den Höhepunkt stellte die Veröffentlichung des Kleinleipischer Verfahrens 1974 durch Kurt Illner (1917–1990) und Joachim Katzur (1937–2014) dar. Neben der akademischen Forschung bestanden in Dölzig bei Leipzig und in Finsterwalde (Lausitz) zwei Außenstellen des Instituts für Landesforschung und Naturschutz, deren Aufgabe, neben der Verfeinerung und Überprüfung der Verfahren, in der Vermittlung der Forschungsergebnisse in die Praxis bestand. Ebenso wurde die Braunkohlenindustrie selbst tätig.

Am Wissenschaftlich-Technischen Institut Regis, das dem Industriezweig zugeordnet war, wandte sich Albrecht Krummsdorf (1926–2014), ein Schüler von Gerhard Darmer, der Wiedernutzbarmachung zu. Unter seiner Ägide wurden nicht nur zwei Spezialgeräte zur mechanisierten Wiedernutzbarmachung (Regiser Bodenfräse und Zweiwegearbeitsmaschine) entwickelt und in Kleinserie gebaut, sondern er verfasste nach seiner Berufung an die Wilhelm-Pieck-Universität Rostock auch das populäre Buch „Landschaften vom Reißbrett“, dass die Wiedernutzbarmachungstechnologien in der DDR der Öffentlichkeit nahebrachte.

Synthese und Höhepunkt der Wiedernutzbarmachung ausgekohlter Tagebaue stellte die Entstehung des Senftenberger Sees aus dem Tagebau Niemtsch im Lausitzer Braunkohlenrevier dar. Auf einer Fläche von über 1.544 ha konnte der Landschaftsplaner Otto Rindt (1906–1994) seine Visionen für eine Bergbaufolgelandschaft realisieren. Das Bemerkenswerte an der Entstehung des Senftenberger See ist die Anwendung der Ergebnisse bisheriger Forschung durch die Infpflichtnahme der Industrie und politischer Unterstützung durch den Bezirk. Bereits vor Auslauf des Bergbaubetriebes begann mit der Gestaltung der Böschungen eine der wichtigsten Sanierungsmaßnahmen. Rindt konnte den Bergbau überzeugen, ihre Abflachung im Tagebaubetrieb durchzuführen. Dadurch reduzierten sich die Kosten von 1.500.000 M auf gerade einmal 35.000 M – ein schlagkräftiges Argument in der chronisch klammen DDR. Diese Ideen publizierte Rindt unter dem Titel „Doppelter Nutzen durch gelenkte Bodenbewegung“ als Anleitung zur Restlochgestaltung im Bergbauprozess, der bis heutig Gültigkeit hat. Zur Sicherstellung der Wasserqualität wurde ein ausgekohlter benachbarter Tagebau in eine Flusskläranlage umgewandelt. Zusätzlich wurden die Flächen außerhalb des Sees mit Hilfe der Wiedernutzbarmachungsverfahren melioriert. Selbst die Erholungsnutzung wurde durch einen Erholungswald und anspruchsvolle Strandgestaltung nicht dem Zufall überlassen. Neu war auch die Bildung eines Kommunalen Zweckverband, der das Erholungsgebiet verwalten und entwickeln sollte. Der Erfolg lässt sich an den Zahlen der Besuchenden ablesen: Waren es in der Eröffnungssaison 1973 545.000 Menschen, stieg diese Zahl bis 1975 bereits auf 1.700.000. Selbst das erste Naturschutzgebiet in einem ehemaligen Tagebau wurde im Senftenberger See 1981 deklariert. Noch heute ist der Senftenberger See ein beliebtes Überregionales Reise- und Erholungsziel.

Während die Entschwefelung der Rauchgase kaum umgesetzt wurde, konnte die DDR ab den 1960er-Jahren Erfolge in der Wiedernutzbarmachung feiern. So stieg die jährlich wiedernutzbargemachte Fläche von 700 ha im Jahr 1958 auf über 2.700 ha Mitte der 1970er-Jahre. Insgesamt zeigen die Bestrebungen zur Wiedernutzbarmachung die Bereitschaft der DDR-Obrigkeit sich den Problemen der Braunkohlenindustrie zu zuwenden (Tab. 1). Diese Erfolge lassen sich als eine „Umweltbewegung von Oben“ bezeichnen, bei der staatliche Institutionen und engagierte Einzelpersonen aus ökologischen oder ökonomischen Interessen eine staatliche Umweltpolitik forcierten. Ebenso wurde von staatlicher Seite die Rechtsgrundlage für die Wiedernutzbarmachung permanent verbessert und Ausnahmen für Unternehmen abgeschafft. Allein bis 1971 wurden zwei Wiedernutzbarmachungsanordnungen, eine Rekultivierungsanordnung und eine Bodennutzungsverordnung, jeweils mit mehreren Durchführungsanordnungen erlassen. Hinzu kamen umweltrechtliche Bestimmungen in der Verfassung von 1968 sowie im Berg- und Landeskulturgesetz.

Das katastrophale Scheitern der Umweltpolitik der DDR in Bezug auf die Braunkohlen hatte drei Ursachen: 1.Die ökonomische Schwäche der DDR, die durch die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik ab Mitte der 1970er-Jahre weiter verschärft wurde. 2.Die Erdölkrise und ihre Folgen seit Anfang der 1980er-Jahre. Beide Ereignisse entzogen der Wiedernutzbarmachung, aber auch der Luft- und Gewässereinhaltung Mittel und führten zu einer Ressourcenallokation von der Wiedernutzbarmachung hin zur Braunkohlenförderung. 3.Muss das verringerte Interesse an Umweltthemen in der Ära Honecker benannt werden. Walter Ulbricht (1893–1973) sah Umweltzerstörungen als Folge der kapitalistischen Wirtschaftsweise, die es im Sozialismus zu überwinden galt. Erich Honecker (1912–1994) hingegen verfolgte mit seiner Umweltpolitik vor allem außenpolitische Ziele, die sich spätestens mit der Aufnahme in UNO und KSZE erfüllt hatten. Umweltdaten fielen ab 1982 unter die höchste Geheimhaltungsstufe. Ein weiteres Problem bestand darin, dass durch die fehlende Verwaltungsgerichtsbarkeit keine Möglichkeit bestand die Kombinate zur Einhaltung der Umweltbestimmungen juristisch zu bewegen. Strafen waren zu gering und schufen keine Anreize zum Umweltschutz.

Ab Mitte der 1970er-Jahre spitzte sich die Umweltsituation zu. Die Reduzierung der gelieferten Erdölmengen führte zu einem weiteren Ausbau der Braunkohlenförderung. Gleichzeitig waren besonders die karbochemischen Anlagen der Braunkohlenindustrie in einem maroden Zustand. Die geplante Einstellung ihre Produktion hatte zu einem Stopp an Investitionen geführt. Das sollte sich in doppelter Weise rächen, da die veralteten Anlagen nun noch umweltschädlicher waren und nur noch schwer Personal für ihren Betrieb gewonnen werden konnte. Symbolhaft hierfür stand der VEB Braunkohlenveredlung Espenhain, der in der Bevölkerung als „Dreckschleuder der Nation“ wahrgenommen wurde.

Erst diese Entwicklung ließ eine Umweltopposition in der DDR entstehen. Zwar gab es schon 1949eine erste zivilgesellschaftliche Umweltinitiative in Tharandt, in die Wilhelm Knabe involviert war, doch durch die repressive Unterdrückung solcher couragierten Aktivitäten blieb sie ein Einzelfall. Im Großen und Ganzen entwickelte sich das Thema Umwelt erst ab den 1970er-Jahren zu einem Spielfeld der DDR-Opposition. Damit steht die Entwicklung in einem globalen Zusammenhang, wonach vor allem mit der Studie „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome im Jahr 1972, der Umweltschutz in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen wurde. Seit 1973 beschäftigte sich das kirchliche Forschungsheim Wittenberg mit Fragen des Umweltschutzes. Dabei war der erste Berührungspunkt mit der Braunkohle die Auswirkungen der Rauchgasbelastung und des sauren Regens. Das Absterben der Wälder führte zu Baumpflanzaktionen als Aktionsform. Diese stellten eine Mischform aus Umweltaktivismus und oppositionellen Protest dar. Teilweise wurde bei diesen sogar mit lokalen Behörden kooperiert. Erst die zunehmende Politisierung der Umwelt durch das Veröffentlichungsverbot der Umweltdaten im Jahr 1982, sowie die gleichzeitig immer prekärer (und sichtbarer) werdende ökologische Situation ließen die Bewegung wachsen.

Auffällig ist die Diskrepanz der Umweltproteste zwischen den beiden großen Braunkohlenrevieren der DDR. Während es im Mitteldeutschen Revier, besonders in den Bezirken Halle und Leipzig zu zahlreichen oppositionellen Aktionen in Bezug auf die ökologische Situation kam, blieb es im Bezirk Cottbus weitestgehend ruhig. Das mag erstaunlich klingen, galt doch der Bezirk Cottbus als das Kohle- und Energiezentrum der DDR. 1988 wurden hier über 200 Mio. t der 310 Mio. t Gesamtbraunkohlenförderung gewonnen. Auch waren die Devastierungen der Landschaft ausufernder. Zusätzlich war von dem Landschaftszerstörungen die nationale Minderheit der Sorben stark betroffen, da sorbische Dörfer dem Tagebau wichen und sie ihre Kultur in den anonymen Plattenbausiedlungen nicht entfalten konnten. Dennoch waren die Widerstände gering. Eingaben in dem Bezirk forderten bei Umsiedlungen meist nur eine adäquate Besitzentschädigung, z. B. in der Form eines neuen Einfamilienhauses. Das mag verblüffen, ist aber der Wahrnehmung geschuldet: Nicht der Tagebau mit seinen „Mondlandschaften“ erregte die Gemüter, sondern die schlechte Luftqualität. Aufgrund der vorherrschenden Westwinde belasteten die Lausitzer Luft vor allem die polnischen Nachbarn. Dennoch gab es auch hier Proteste. Mit der „Grubenkante“ erschien in Hoyerswerda eine eigene periodische Samisdat, die im Titel auf die Problematik der Braunkohlentagebaue anspielte. Ebenso sind Proteste von Einzelpersonen belegt. Selbst die Ikone des Reviers, der „singende Baggerfahrer“ Gerhard Gundermann (1955–1998) fragte provokativ den 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, Werner Walde (1926–2010), welche Pläne es für die Zukunft des Reviers nach der Kohle es gäbe. Die Überlieferungen des Lausitzer Umweltprotestes befinden sich heute in der Umweltbibliothek Großhennersdorf bei Zittau und warten noch auf eine systematische Auswertung.

Ganz anders die Situation im Mitteldeutschen Revier, wo die Leute jeden Tag die Umweltauswirkungen der Braunkohle sehen und riechen konnten. Zwei Aktionen stechen bis heute in der Erinnerung hervor: Die Geldspende- und Unterschriftenaktion „Eine Mark für Espenhain“ des Christlichen Umweltseminars Rötha (CUR) und der „Pleißegedenkmarsch“, ausgeführt durch die „Initiativgruppe Leben“ – einer unabhängigen Umweltgruppe. Hieran wird gleichwohl die ganze Bandbreite der Umweltopposition klar: bürgerlich-christliche Gruppen, die durch Öffentlichkeit und Verhandlungen/Kooperation mit dem Staat die Situationen verbessern wollten und jugendlich-subkulturelle Gruppen, die durch Protest die gezielte Konfrontation mit dem Staat suchten. Beide Milieus kannten sich und es gab vielfältige Überschneidungen, jedoch auch Abgrenzungen.

Das CUR wurde von dem Pfarrer Walter-Christian Steinbach (geb. 1944) und anderer engagierter Menschen 1981 mitten im Revier gegründet. Nach anfänglichen Baumpflanzaktionen, verschob sich ihr Interesse auf Mölbis, ein Dorf in der Rauchfahne des Espenhainer Werkes. Hier wurden ab 1983 Umweltgottesdienste unter dem Motto „Unsere Zukunft hat schon begonnen“ initiiert, die nicht nur die lokale, sondern auch die regionale Bevölkerung erreichte. Durch ihr geschicktes Vorgehen konnten immer wieder auch Vertreter*innen der Administration und Industrie zur Teilnahme bewegt werden, während zeitgleich das MfS die Akteure überwachte und mit Repressionen überzog. Auf dem 5. Umweltgottesdienst 1987 kam die Forderung nach einer sofort Rekonstruktion des Werkes Espenhain auf. Nachdem Eingaben nicht zum Erfolg führten, hatte Steinbach die Idee eine Geldspendeaktion zur Unterstützung der notwendigen Baumaßnahmen mit dem Namen „Eine Mark für Espenhain“ zu starten. Da Unterschriftenaktionen untersagt waren, wurden die Spenden quittiert und dadurch eine legale Unterschriftenliste geschaffen: eine geniale Idee um dasVerbot zu umgehen. Die Aktion tourte zusammen mit einem Diavortrag durch die Kirchgemeinden der DDR, so dass über 100.000 Unterschriften zusammenkamen. Freilich reichte dieses Geld nicht für eine Modernisierung, allerdings war der erzeugte Druck so hoch, dass nach der „Friedlichen Revolution“ bis zum27. August 1990 die für die hohe Umweltbelastung verantwortlichen letzten Schwelöfen abgeschaltet wurde.

Die zweite Aktion, der „Pleißegedenkmarsch“, war radikaler und subversiver. Die Pleiße wurde durch die braunkohlenbasierte Karbochemie in Böhlen und Espenhain schon seit Mitte der 1930er-Jahre mit Phenolen und anderen Schadstoffen verseucht. In den 1950er-Jahren wurde der Fluss in Leipzig teilweise unterirdisch kanalisiert, um die Geruchsbelästigung zu senken. Allerdings gab es genügend Stellen, wie im Leipziger Auwald, an dem der ökologische Zustand der Pleiße für alle sichtbar war. Versuche zur Senkung der Schadstoffbelastungen durch neue Kläranlagen in den 1970er-Jahren wurden aufgrund des geplanten Auslaufens der Karbochemie abgelehnt. Die Kürzung des Erdölkontingentes durch die Sowjetunion machte den Weiterbetrieb der Anlagen jedoch notwendig, so dass die Verschmutzung weiter anstieg. Schon seit 1981 existierte eine kirchliche Arbeitsgruppe Umweltschutz in Leipzig, die aber den offenen Konflikt mit staatlichen Stellen scheute. Deshalb spaltete sich 1987 mit der Initiativgruppe Leben besonders junge Menschen ab, die ihre Zukunft bedroht sahen. Sie waren es, die am 5. Juni 1988 im „Pleißegedenkmarsch“ von der Paul-Gehrhardt-Kirche in Connewitz in die Leipziger Innenstadt zog. Trotz der Beobachtung durch das MfS konnten sich die bis zu 230 Teilnehmenden ungehindert bewegen. Sie hatten mit ihrer radikalen Aktion als erste das staatliche Demonstrationsverbot unterlaufen. Bei der Wiederholung am 4. Juni 1989 nahmen, trotz erheblicher Repressionen, bereits 1.000 Menschen teil. Damit war diese Aktion ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur „Friedlichen Revolution.“ Zwar hatten die CUR und die Initiativgruppe Leben sehr unterschiedlichen Auffassung von Opposition und Protest, dennoch bestand zwischen ihnen ein aktiver Austausch. So informierten Teilnehmer des „Pleißegedenkmarsches“ am 12. Juni 1988, also nur eine Woche nach der Aktion, auf dem Umweltgottesdienst der CUR in Deutzen über ihre Aktion und den Zustand der Pleiße.

Die Nachwendezeit hat den ökologischen Diskurs in der DDR weitestgehend überlagert. Den westdeutschen Beobachtern und Experten erschien die Situation als ein „sozialistischer Ökozid“, der dem Staatssozialismus immanent sei. Differenzierende Darstellungen, die nach den Gründen für die katastrophale Umweltsituation suchten und andere Phasen des Umgangs mit der Umwelt berücksichtigten, gab es in dieser Zeit nur wenige. Ebenso bewegte der Arbeitsplatzabbau – von den einstmals 139.192 Beschäftigten des Braunkohlenbergbaus 1988 waren im Jahr 2000 noch 10.077 übrig –den Fokus von der Umwelt auf die soziale Situation. Die Argumentation dieser Zeit, die Umweltzerstörungen einseitig dem Sozialismus zuschrieben, wirken bis heute nach. Andererseits verweisen viele Ostdeutsche in den gegenwärtigen Klimadiskursen, nicht zu Unrecht, darauf, dass die CO2-Einsparungen seit 1990 vor allem durch Abwicklung der DDR-Industrie erreicht wurde. Entsprechend wird der geplante Kohleausstieg im Osten häufiger abgelehnt, zumal ganze Regionen wie die Lausitz von der Wertschöpfungskette des Braunkohlenbergbaus abhängen. Gleichzeitig wird aber durch diese Opferperspektive die Notwendigkeit für eine aktive Klimapolitik verstellt. Folgend bestehen gegenwärtig in der ostdeutschen Gesellschaft größere Konflikte um den Kohleausstieg als im Westen. Das zeigt sich an politisch rechts motivierten Übergriffen auf Gruppen wie „Ende Gelände!“ oder „Alle Dörfer bleiben“, die von der Mehrheitsgesellschaft teils gebilligt werden. Selbst die Polizei verteidigt hier nicht nur die privatwirtschaftlichen Interessen der Bergbautreibenden, sondern bezieht teils zwielichtige Position, wie das posieren einer Gruppe der brandenburgischen Bereitschaftspolizei vor einem faschistischen Graffiti im Jahr 2019 belegt.

Der heutige Konflikt lässt dabei die 1990er-Jahre nahezu vollkommen außer Blick. 1990/91 schaffte das Bündnis „StoppCospuden‘90!“ den Tagebau, der den Leipziger Auwald bedrohte, Einhalt zu gebieten. Heute ist der „Cossi“, der aus dem Tagebau resultierende Restlochsee, beliebtes Naherholungsgebiet. In Zwenkau, nur wenige Kilometer weiter südlich, gab es hingegen einen massiven Konflikt zwischen den Befürwortern und Gegnern des Braunkohlenbergbaus, der nur durch mehrere Mediationen beigelegt werden konnte. Auch der Widerstand der Menschen gegen die Umsiedlung nahm zu. Heuerdorf (südlich von Leipzig) und Lakoma (östlich von Cottbus) stehen heute symbolhaft für diesen Widerstand. Im Fall von Heuerdorf zog sich der Streit quer durch alle Parteien im Sächsischen Landtag und verkehrte zum Teil die Frontenstellungen der DDR: Nun trat die Regierungspartei CDU, in der auch einige frühere Umweltschützer, wie Walter Christian Steinbach als Regierungspräsident von Leipzig, aktiv waren, gegen den Erhalt des Dorfes ein, während die SED-Nachfolgepartei PDS für einen Erhalt argumentierte. Das Versöhnungszeichen der Umsetzung der Heuersdorfer Emmaus-Kirche nach Borna 2007 wurde nur von einem Teil der Menschen akzeptiert, wie Konflikte um die möglichen Umsiedlungen von Pödelwitz, Proschim oder Mühlrose in der Gegenwart zeigen.

Wie in anderen Bereichen auch, prägt die Umweltgeschichte der DDR, die aktuellen ökologischen Diskurse. Nicht nur finden wir ehemalige Umweltschützer in allen Parteien – besonders die Zuwendung zu rechten demokratiefeindlichen Gruppierungen wie der AfD wäre eine eigene Untersuchung wert – sondern auch das Hauptkonfliktfeld bleibt mit den Braunkohlen gleich. So wie die Sanierung der Landschaft nach 1990, die zweifelsohne beachtliche Erfolge zeigt, die dauerhaften Narben des Bergbaus überdeckt, wird die DDR-Umweltgeschichte ebenso von den heutigen Konflikten überlagert und ihr Erbe im öffentlichen Diskurs verzehrt.

 


[1]Der Autor hat in Leipzig und Lyon studiert und 2020 eine Promotion über die Braunkohleindustrie im Nationalsozialismus und der DDR vorgelegt. Zu weiteren Interessensschwerpunkten zählen die DDR-Umweltgeschichte, NS-Zwangsarbeit, sowie die wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformation in Deutschland seit 1990.