Freiheitsk(r)ampf in Deutschland 2023

Rezension zu Thomas A. Seidel, Sebastian Kleinschmidt (Hrsg.): Angst, Politik, Zivilcourage. Rückschau auf die Corona-Krise, EVA Leipzig 2023 (Georgiana Bd.8)

Von Joachim Goertz, Berlin

“Auf der Grundlage einer leidenschaftlichen Christusnachfolge....verfolgen Herausgeber, Autorinnen und Autoren das Ziel, auch im 21. Jahrhundert reformatorische Wege zur Erneuerung unserer Kirche zu suchen”, so beschreiben die Herausgeber der 2015 gestarteten Georgiana-Bände deren geistlichen und theologischen Anspruch. Wer die Latte so hoch hängt, der muss sich allerdings auch gefallen lassen, daß er daran gemessen wird. Um es vorwegzunehmen: Von den 19 Autorinnen und Autoren des hier besprochenen Bandes werden nur wenige diesem Anspruch gerecht, viele reissen die Latte deutlich und einige unterlaufen sie oder springen gar nicht erst ab.

Das knapp über 300 Seiten umfassende Buch ist, gerahmt von einem Vorwort der Herausgeber und einer “Kleine(n) Geschichte der Evangelischen Bruderschaft St. Georgs-Orden" vom Großkomtur Thomas A. Seidel, in drei Abschnitte geteilt:

I. Wege aus der Gefahr II. Formen der Angst III. Profile der Furchtlosigkeit.

     I  Wege aus der Gefahr - Anlauf

Sebastian Kleinschmidt eröffnet den Band mit einer “Kleine’(n) Theologie der Nautik” unter dem Titel “Angst in Sicht”. Zur Corona-Pandemie konstatiert er:” (Wir) haben... uns zu helfen gewusst und werden es weiterhin wissen.” Und zur Angst schreibt er: “Es gibt auch einen Mut zur Angst.” Er empfiehlt das Bannen der Angst, anstatt des Schürens oder Verdrängens. Ein in vielerlei Hinsicht erhellender Beitrag, der Lust auf weitere Lektüre machte. Doch schon der nächste Beitrag enttäuscht auf ganzer Linie: Kathrin Schmidts “Die Politik der Angst und die Poesie der Furchtlosigkeit”. Die 1958 in Gotha geborene Schrifstellerin teilt uns reichlich unpoetisch mit: “Ich werde im öffentlichen Personennahverkehr keine Maske mehr tragen, unter keinen Umständen. Etwas anders sieht es in Fernreisezügen aus, wo ich sie nach der Aufforderung durch den Schaffner lieber aufziehe, um an mein Ziel zu kommen.” 2 Fragen sind mir gekommen: 1. Hat sie ein Deutschlandticket? 2. Hat sie es in Berlin aufgegeben, ans Ziel zu kommen? Aber sie hat ja auch ein schlechtes(sic) Gewissen, dass sie nicht auf jeden Test verzichtet hat. So what? Perfide wird es aber, wenn sie in Bezug auf eine Stuttgarter Malerin der 1930-ger Jahre schreibt: “Ich fühlte ja ganz ähnlich wie sie, in den dreissiger Jahren, den Anfangsjahren des Faschismus!, und natürlich wagte ich nicht gleich, weiterzudenken.” Ulrich Teuschs Versuch in dem folgenden Beitrag, György Konrads Antipolitik für eine wie immer geartete Bürgerbewegung der Unregierbaren in Anspruch zu nehmen, wirkt dagegen vergleichsweise harmlos. Interessanter sind da schon die Ausführungen des Mediziners Erich Freisleben, der uns mit der Frage konfrontiert: “Gehen wir einem Verlust an Selbstbestimmung unseres Lebens entgegen, weil wir leidensunfähig geworden sind?”, allerdings bei seinen sonstigen Ausführungen so tut, als wenn diese Frage nicht auch Impfgegner und Impfunwillige betrifft. Eine von ihm geforderte wie auch immer geartete Versöhnung funktioniert jedenfalls sonst nicht. Die von Wolfgang Sander im folgenden Beitrag eingeforderte caritas scheint mir da hilfreicher.

    II  Formen der Angst- Absprung

Hier erreicht der Band seinen Tiefpunkt. Weder der Theologe Rochus Leonhardt, noch die Publizisten Heimo Schwilk, Andre Kruschke und Vera Lengsfeld liefern Erkenntnisse, die als solche benannt werden können.

Rochus Leonhardt sprach 2022 in einem Interview, dass er nicht mehr Tagesschau und Heute-Nachrichten schaue, weil sie ihn an die “Aktuelle Kamera” der DDR erinnerten, aber auch davon, dass man Mitte der 1980-ger dort “nichts hätte machen können”, ausser im Privaten solidarisch zu sein (er nennt das Beispiel einer ausreisewilligen Ärztin). Der Rezensent, der 3 Jahre bevor Leonhardt sein Theologiestudium am KOS Naumburg begann, es dort abgeschlossen hat, kann beides nicht nachvollziehen.

Auch Leonhardt bläst in das Horn, das wie ein schriller Alarmton fast den ganzen Band durchzieht, indem er die staatliche Corona-Politik als sich unfehlbar hinstellend (auch im Hinblick auf die Impfwirkung) darstellt, um dann den Kirchen vorzuwerfen, sie hätten der kritischen Solidarität gegenüber dem Staat nicht Genüge geleistet, weil sie neben der Solidarität die Kritik vergessen hätten. Als damals noch aktiver Gemeindepfarrer habe ich die Berichte unserer Partnergemeinde aus Bergamo vor Augen, in denen davon erzählt wurde, wie italienische Priester in die Altersheime gingen, um Sterbende zu trösten und dann selber sich und andere zu Tode infizierten. Da helfen auch keine Verweise auf Luther oder gar Jesus- Hochmut kommt vor dem Fall.

Leonhardt nennt ideologisch, was ihm seinen Freiheitsbegriff im Wege steht, und nennt die Kritik daran theologisch. Wahrlich arme Theologie, möchte man entgegnen. Der von ihm propagierten Testpflicht für alle hätte sich ja auch Kathrin Schmidt entziehen wollen.

Wahrlich ideologisch kommt dann Heimo Schwilk daher, der zunächst beklagt, dass die Verzögerung der Zulassung von Impfstoffen uns 25000 Tote gekostet hätte, um ein paar Zeilen weiter zu beklagen, dass die Kritiker der Impfstoffe mundtot gemacht wurden. Auch weiß er, dass die Bilder aus Bergamo manipuliert waren und das italienische Gesundheitssystem katastrophal sei.

Andre Kruschke von der Partei “Die Basis” fordert Menschlichkeit und wechselseitige Achtsamkeit vom infantil gemachten Bürger, schließt dabei sich und seine Gesinnungsgenossen davon aber aus.

Und Vera Lengsfeld bescheinigt den FFF-Kids und denen der “Letzten Generation”: ...diese Jugendlichen (haben) jeglichen Lebensmut und offenbar auch die Freude am kreativen Engagement verloren.” In ihrer Forderung an die Kirchen, sich nicht mit dieser sektenhaften Apokalyptik zu solidarisieren, erinnert sie freilich an den Patriarchalismus der DDR-Kirchenleitungen gegenüber den damaligen Basisgruppen der Opposition.

     III  Profile der Furchtlosigkeit - Landung

Natürlich kann man sich immer Vorbilder suchen, an denen man sich misst. Dies aber in Demut zu tun, scheint gerade für Ordensbrüder, noch dazu wenn sie sich auf den heiligen Georg berufen, geboten.

Elisabeth von Thüringen, Martin Luther, Dietrich Bonhoeffer, Sophie Scholl oder auch Ulrich Schacht (grandios gewürdigt von Uwe Kolbe) liefern dazu ausreichend Lebensstoff. Ob man allerdings den vergifteten Begriff des “Querdenkers” wieder in seiner Ursprünglichkeit zurückgewinnen kann, bezweifle ich.

Gregor Gysi möchte einen Untersuchungsausschuss zur Corona-Pandemie einrichten. Wird er Unterstützung erfahren, nicht nur von Wolfgang Kubicki, sondern auch aus den Kirchen, aus der Mitte der Gesellschaft?  Ich bin gespannt.

Ein Beitrag zur Debatte ist das vorliegende Buch auf jeden Fall – ob ein wertvoller, bezweifle ich aber weitestgehend.

Warum fehlt eigentlich der Beitrag von Hans-Joachim Maaz?