„Grenzübergreifende Umweltprobleme in der DDR, Protest und politische Versuche“

Von Julia E. Ault[1][2]*

Die DDR wird oft als abgegrenztes, hinter dem Eisernen Vorhang verstecktes Land, gesehen. Auf gewisse Weise stimmt das auch. Reisemöglichkeiten und Informationen waren streng kontrolliert. Doch die DDR war weder komplett von Nachbarländern noch von globalen Trends abgegrenzt. Es gibt mindestens drei klare Weise auf den die DDR und zum Teil DDR-Bürger  mit anderen Ländern eng verbunden war. Erstens, gab es geologische und geographische Verbindungen. Physische Umwelten halten nicht an politischen Grenzen an. Zum Schlesien, Nordböhmen, die Lausitz und Sachsen etwa überdecken sich teilweise und historisch gesehen gehören sie zu unterschiedlichen Staaten. Die Elbe floß durch die Tschechoslowakei, die DDR und die Bundesrepublik bis in die Nordsee. Zweitens, kann die DDR aufgrund der grenzübergreifenden Umweltverschmutzung über Luft, Wasser und Boden nicht isoliert betrachtet werden. Emissionen aus der DDR schadeten die polnischen Wälder, während die Luftverschmutzung aus Nordböhmen das Waldsterben im Erzgebirge der DDR verursachte. Über die Flüsse gelangte die Wasserverschmutzung der DDR in die Bundesrepublik . Drittens, waren nicht nur die Umweltprobleme transnational, sondern auch die politischen Lösungen und Proteste, besonders in den 1980er Jahren an. Die Umweltprobleme der DDR verbanden die Diktatur und ihre Bürger mit Nachbarländern in einer globalen Diskussion um Umweltschutz.

Schon seit 1949 war der SED bekannt, dass die DDR einen Mangel anNaturressourcen aufweise und deswegen eine vernünftige Nutzung wichtig war. Selbstverständlich gab es Gesetze innerhalb der DDR, die Umwelt und Naturressourcen zu regeln. Ab 1954 wurde ein neues Naturschutzgesetz eingeführt. Die SED verstand aber auch, dass viele Fragen der Naturressourcen und Naturschutz grenzüberschreitend waren. Insbesondere war die DDR der Empfänger von „Verunreinigungen“ aus der Tschechoslowakei (CSSR). Wasserwege und Flüsse, vor allem die Elbe, floß von der CSSR in die DDR.[3] Aus Nordböhmen gelangten Emissionen über die Grenze in die DDR.[4] Spätestens in den 1960er Jahren versuchte die SED Abkommen und Verträge mit Nachbarländern zu unterzeichnen. Probleme mit der Wasserwirtschaft und -verschmutzung bedeutete, dass die DDR mit Polen und der CSSR gemeinsam handeln musste. Spätestens seit 1965 begann die DDR Verhandlungen mit beiden Staaten zur Reinhaltung von Grenzgewässern aufzunehmen. „Auf dem Gebiet des Schutzes der Grenzgewässer vor Verunreinigungen“, schlossen die DDR und Polen 1965 ein gemeinsames Abkommen. Das Abkommen betraf nicht (oder nicht nur) den Umweltschutz, sondern die industriellen und ökonomischen Folge von Verschmutzung.[5] 1967 klagte der Leiter des Amtes für Wasserwirtschaft beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA), dass “…zum wiederholten Mal eine starke Verunreinigung, hervorgerufen durch die CSSR, der Elbe eingetreten ist.“ Der Leiter betonte die ökonomische Nachwirkungen von der Verunreinigung: „Der Volkswirtschaft der DDR sind wiederum Schäden in Höhe von ca. 200 000 MDN entstanden.“[6] Verhandlungen mit sozialistischen Nachbarn zum Umweltschutz waren sowohl für die Umwelt in der DDR, als auch die industrielle Produktion und die Landwirtschaft wichtig.

Die längste Landesgrenze hatte die DDR mit der BRD, an der die transnationalen Umweltprobleme schwerpunktmäßig lagen. Während in die DDR Verschmutzungen aus Polen und der Tschechoslowakei aufgrund der geografischen Lage und über die Wasser- und Wetterströme gelangte, kam es wiederum zu Verschmutzungen der Umwelt in der BRD aus der DDR. Wegen der starken Verschmutzung der Elbe war es schon in den 1950iger Jahren verboten, in der Nähe von Hamburg darin zu baden.[7] In den nächsten Jahrzehnten verschlimmerte sich die grenzüberschreitende Umweltverschmutzung, was die DDR zur Vertuschung des eigenen Verschuldens bewegte. Diese Situation führte die DDR in unglaubhafte Richtungen. 1976 berichtete die Stasi über ein „Fischsterben“ in der Jeetze, „verursacht durch Salzsäureeinleitung in den Fluß.“ Die „Schadwelle“ floß über die Staatsgrenze in die BRD, woraufhin die Stasi Grenztruppen einsetzte, um Sperren zu errichten, damit „keine toten Fische auf das Territorium der BRD abtreiben.“[8] Ähnliche Zustände waren im Kalibergbau in der Nähe des Grenzgebiets zu sehen. Obwohl der Bergbau auf beiden Seiten der Grenze betrieben wurde, waren in der BRD die negativen Auswirkungen unverhältnismäßig spürbarer, weil die Werra von Thüringen aus über die Grenze und durch drei westdeutsche Bundesländer floß. Die Regierungen der Bundesländer und der Republik versuchten mit der DDR ein Abkommen zu verhandeln, was 1988 zu einer Lösung führte.. Die BRD stellte die nötige Technik und 200 Millionen Mark zur Verfügung, um die Anlage in der DDR zu installieren.[9] In der kurzen Zeit bis zur politischen Wende konnte die im Abkommen festgelegte Verbesserung der Wasserqualität nicht erfüllt werden.

DDR Bürger und ihre Nachbarn wussten aus eigenen Beobachtungen und Erfahrungen, wie schlimm die Umweltzerstörung in der DDR war: Bäume starben, Gewässer waren verfärbt und schaumig, dazu lag auf Häuser und Autos Staub. Kinder und ältere Leute litten unter Bronchitis und anderen Atemwegerkrankungen.[10] Dass dies auf die Umweltverschmutzung zurückzuführen war, konnte nicht bewiesen werden, besonders weil die Umweltdaten ab 1982 komplett geheim gehalten wurden.[11] Schon davor war es nahezu unmöglich auf solche Daten zuzugreifen, obwohl die Ministerien für Umweltschutz und Wasserwirtschaft und der Staatsicherheit vor 1982 und danach die Daten sorgfältig gesammelt haben.[12] Durch den Mangel von Umweltdaten waren für die DDR-Bürger deshalb transnationale Beziehungen wichtig, um ihre Situation zu verstehen. Nachrichten, Informationen und technische Daten (z.B. ph-Werte aus grenzüberschreitenden Flüssen) waren besonders wichtig. Hier spielte die BRD eine zentrale Rolle. Aufgrund der gemeinsamen Sprache und kultureller Ähnlichkeiten konnten viele Informationen aus der BRD in die DDR gelangen. Seit den 1980er Jahre berichtete die westdeutschen Medien regelmäßig über die Umweltverschmutzung in der DDR. Besonders bedeutsam waren westdeutsche Reportagen, die die Perspektiven von DDR Bürger aufgenommen haben. 1985 publizierte Der Spiegel eine Reportage von westdeutsche Journalisten Peter Wensierski. Er hatte viele Kontakte in der DDR und zitierte diese und offizielle Mitteilungen, wie zum Beispiel, dass saure Regen „ganz normaler Regen“ sei.[13] Solche Nebeneinanderstellungen verdeutlichten den westdeutschen, und über geheime Umwege auch ostdeutschen Lesern, die Widersprüche der DDR-Regierung.

Kontakte mit Ostblocknachbarn waren im Vergleich zur BRD nicht so zahlreich, spielten aber eine wichtige Rolle, wenn es um Umweltproteste ging. In Polen gab es ab 1980 mit der Solidarność (Solidariät) eine starke antikommunistische Protestbewegung, die sich nicht besonders um Umwelprobleme kümmerte, aber einen politischen Raum anbot, wo sich Natur- und Umweltschützer treffen konnten. Schon 1980 wurde in Polen die erste unäbhangige Umweltgruppe in dem Ostblock gegründet, der Polnische Ökologische Club (Polski Klub Ekologiczny, PKE oder PÖC auf Deutsch). Die Gründer erklärten (auf Deutsch) Ihre Positionen und Ziele: „Der PKE ist eine unabhängige soziale Bewegung ohne politische oder religiöse Ausrichtung, von Menschen die sich der Gefahren bewußt sind, die die Störung des ökologischen Gleichgewichts in der Epoche technisch-industriellen Fortschritts und konsum-orientierten Lebenstils mit sich bringt.”[14] Der Klub organisierte gemeinsam mit einer ungarischen Umweltgruppe mehrere internationale Umwelttreffen in Polen. Der PKE und die ungarische Gruppe spielten eine leitende Rolle bei der Vernetzung osteuropäischer Umweltgruppen, die sich „Greenway” nannte. Polen war dann eine Art Knotenpunkt für die Umweltaktivisten hinter dem Eisernen Vorhang, aber auch jene aus dem Westen, die an den Treffen teilnahmen nahmen teil. Manche ostdeutsche Aktivisten, die in kirchlichen Gruppen tätig waren, un nach Krakau reisten um an den Treffen teilzunehmen, waren von der Zusammenarbeit zwischen „staatlichen Institution[en] und dem unabhängigen PÖC trotz vieler unterschiedlicher Meinungen“ beeindruckt.[15] Polen brachte Umweltschützer aus ganzen Europa zusammen, damit sie gemeinsame Probleme und Lösungen diskutierten konnten. Für die DDR Aktivisiten, die mitgemacht haben, war es auch eine Gelegenheit zu lernen und ihre Erfahrungen in der DDR zu teilen.

In den letzten Jahren der DDR fanden mehrere kleine aber wichtige transnationale Umweltproteste statt. Gemeinsame ost- und westdeutsche Protestaktionen weisen auf  die Verflechtungen von Umweltthemen und politischen Vorstellungen in beiden deutschen Ländern hin. Am 14. November 1987 demonstrierten fünf Greenpeace Mitglieder aus Hamburg gegen Elbeverschmutzung in Dresden. Sie trugen ein Plakat, worauf stand “Schadstoffe sind grenzenlos. Dresden – Hamburg – Nordsee. Wasser ist Leben.” Sie forderte, dass die DDR an einer Nordseekonferenz teilnahmen sollte und deklarierte “Schadstoffe sind grenzenlos, deshalb müssen wir grenzüberschreitend handeln!”[16] Protestaktionen gegen Mülldeponien wie Schöneiche und Schönberg in der DDR, die die DDR von der BRD und Westberlin abkaufte. Am 1. November 1988 demonstrierten die Umweltgruppe “Robin Wood” aus Hamburg und die Umweltbibliothek-Berlin gemeinsam gegen westdeutsche Müllexporte in die DDR, doch die Stasi wusste schon vorher darüber und löste die Demonstration auf. Als die DDR-Regierung auf die Müllproblematik nicht reagierte, wendeten DDR-Bürger sich an westdeutsche Politiker für Hilfe. In Februar 1989 schrieben Einwohner aus der Stadt Wismar an den westdeutschen Ministerpräsidenten. Sie forderten, seinen “Einfluß geltend zu machen, daß die Mülldeponie Schönberg nicht mehr micht bundesdeutschen Müll beliefert wird. Unser Land hat genügend Probleme mit seinem eigenen Müll. Die DDR darf nicht zur Müllkippe Europas werden!”[17] Wenige Monate später nahmen fast alle Bürgerbewegungen das Thema Umweltschutz auf, was an den Plakaten von Demonstrierenden zu sehen war, die „Ökologie vor Ökonomie“ forderten.[18]

Die DDR wird oft als isoliertes Land hinter dem Eisernen Vorhang dargestellt. Doch im Hinblick auf die Umweltprobleme und damit verbundene Politik und Proteste wird klar, dass die DDR ein Teil einer größeren physischen Umwelt und Diskussion über ökologische Themen war. Die Verflechtungen des Staates und seiner Bürger reichte von Kontakten mit Nachbarländern bis hin zur Herausbildung eines globalen Umweltbewusstseins.


[1]Dieser Text stammt aus früheren Publikationen, die hierin zitiert werden, insbesondere Julia E. Ault, Saving Nature under Socialism: Transnational Environmentalism in the GDR, 1968-1990 (Cambridge: Cambridge University Press, 2021) und Julia E. Ault, „A River Runs Through It: The Elbe, Socialist Security, and East Germany’s Borders,“ Central European History 56 (2023), 196-213.

[2]*Julia E. Ault ist “Associate Professor“ der europäischen Geschichte an der University of Utah in Salt Lake City, Utah, USA. Sie schreibt zur Umweltgeschichte, Geschichte des 20. Jahrhunderts und globalen Geschichte. Ihr Buch Saving Nature under Socialism: Transnational Environmentalism in East Germany, 1968-1990 ist 2021 im Cambridge University Press erschienen.

[3]Ault, „A River Runs Through It“, 203ff.

[4] Tobias Huff, Natur und Industrie im Sozialismus: Eine Umweltgeschichte der DDR (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2015), 225ff.

[5]Bundesarchiv (BArch) DK 5 4382, „Vereinbarung von Grundsätzen über die Zusammenarbeit der Wasserwirtschaftsorgane der Deutschen Demokratischen Republik und der Volksrepublik Polen auf dem Gebiet des Schutzes der Grenzgewässer vor Verunreinigungen,“ 26.7.1970.

[6]Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA) M 2 B 1655 77, Schriftwechselzwischen Johannes Rochlitzer und Oskar Fischer, 2.11.1967.

[7] Tim Grady, “A Shared Environment: German-German Relations along the Border, 1945-1972,” Journal of Contemporary History 50, no. 3 (July 2015), 661.

[8]Barch MfS HA XIX 19386, „Information über Fischsterben in der Jeetze, Krs. Salzwedel/Magdeburg,“ 11. September 1976.

[9][9]Astrid M. Eckert, West Germany and the Iron Curtain: Environment, Economy, and Culture in the Borderland (New York: Oxford University Press, 2019), 254-257.

[10]Robert Havemann Geselleschaft (RGH) ÜG 03, „Eine Reise nach Mölbis, Rötha und Espenhain: Erlebnisse, Fakten und ein Aufruf!“ undated.

[11]BArch DC 20-I/4/5063, „Anordnung zur Gewinnung oder Bearbeitung und zum Schutz von Informationen über den Zustand der natürlichen Umwelt in der DDR vom 16. November 1982.“

[12] Zur Schwierigkeit von “exakten Materialien” zu bekommen, sehe Evangelisches Zentral Archiv 101/633, Protokoll über die 8. Sitzung des Ausschusses Kirche und Gesellschaft am 4./5. Februarz 1972, in Berlin, Anlage „Stellungnahme zur Vorlage des Johann-Gerhard-Institutes zum Thema ‚Christ und Umweltverschmutzung.‘“ Zur Sammlung von Umweltdaten, sehe Ault, Saving Nature under Socialism, 144-147

[13]Peter Wensierski, „‘Wir haben Angst um unsere Kinder‘ – Spiegel Report über die Umweltverschmutzung in der DDR (I), Der Spiegel 28/1985, 7.7.1985, www.spiegel.de/politik/wir-haben-angst-um-unsere-kinder-a-b76ea8cb-0002-0001-0000-000013514308.

[14]RHG TH 12/03, “Polski Klub Ekologiczny (PKE) – wer wir sind . . .”, undated.

[15]RHG HJT 14, Jörg Naumann, „3. Greenway-Treffen in Krakow“, Briefe zur Orientierung im Konflikt Mensch-Erde (Wittenberg: Kirchliches Forschungsheim), April 1988, 3-4.

[16]RHG Th 02/07, „Schadstoffe sind grenzenlos: Dresden – Hamburg – Nordsee,“ 14.11.1987

[17]RHG Th 02/09, Brief an den Ministerpräsident, 3.2.1989

[18]Ault, Saving Nature under Socialism, 207-209.