Luftverschmutzung und Umweltpolitik in der DDR

Von Tobias Huff[1]

Am 14. Mai 1970 verabschiedete die Volkskammer der DDR das „Gesetz über die planmäßige Gestaltung einer sozialistischen Landeskultur“, kurz das Landeskulturgesetz. Es drückte den Optimismus und das Selbstbewusstsein der damaligen SED-Führung aus, die negativen Begleiterscheinungen der industrialisierten Welt auf Umwelt, Natur und Gesundheit der Menschen im Rahmen der sozialistischen Gesellschaftsordnung lösen zu können. Knapp 20 Jahre später hinterließ die DDR eine teils desaströse Umweltbilanz und galt bei ihrem Zusammenbruch gar in ökologischer Hinsicht als „failed state“. Waren die ambitionierten Ziele der frühen 1970er Jahre schon damals nur Schönfärberei, um der DDR die so dringend benötigte internationale Reputation zu verschaffen? Oder waren die gesteckten Ziele aus der Perspektive jener Jahre als realistisch anzusehen und die Gründe für das offensichtliche Scheitern sind in den späten 1970er und 1980er Jahren zu suchen?[2]

Natur und Umweltpolitik als Legitimationsquelle

Das SED-Regime war sich immer – spätestens seit den Erfahrungen des 17. Juni 1953 – darüber bewusst, dass seine Herrschaft nur schwach legitimiert war. Wirtschaftlicher Wohlstand sollte daher zu einer wichtigen Stütze der eigenen Herrschaft werden. Als Ergänzung suchte die SED-Führung daneben nach weiteren Legitimationsquellen, um sich positiv vom wirtschaftlich prosperierenden Westen abzuheben. Eines dieser Felder war über den gesamten Zeitraum der DDR der Natur- und Umweltschutz. Bereits kurz vor der Staatsgründung begann der Landschaftsarchitekt Reinhold Lingner mit einer groß angelegten „Landschaftsdiagnose“. Lingner kam zu dem Schluss, dass der „Gesamtorganismus unserer Landschaft … krank“ sei, was die Schuld des bisherigen Wirtschaftens sei, das keine Rücksicht auf die Belange der Natur genommen habe. Er sah die Lösung in einer sozialistisch geplanten Wirtschaft, die von Anfang an jene Belange der Natur berücksichtigte. Die groß angelegten Pläne kamen aufgrund der schlechten Versorgungslage nicht zur Verwirklichung. Bereits 1954 erließ die DDR das „Gesetz zur Erhaltung und Pflege der heimatlichen Natur (Naturschutzgesetz), das das Reichsnaturschutzgesetz der Nationalsozialisten ablöste. Neben dem für die SED unerträglichen volksbiologischen Hintergrund des Reichsnaturschutzgesetzes erkannte die Partei die Chancen, mittels dieses Politikfelds ihre Herrschaft im Innern zu legitimieren und sich im Ausland Anerkennung zu verschaffen. In der nicht-öffentlichen Gesetzesbegründung im Ministerrat war dann auch davon die Rede, sich von der Bundesrepublik abzusetzen und ein „Gesetz zu schaffen, das auch auf Westdeutschland vorbildlich und anziehen wirkt“. Die DDR stellte sich hier als progressive Kraft vor der Kontrastfolie der reaktionären Bundesrepublik dar und machte gleichzeitig tendenziell konservativ gesinnten Heimatschützern ein Integrationsangebot, in dem das Gesetz die „deutsche Heimatnatur“ betonte.[3]

Nach dem zweiten Weltkrieg war die DDR von den Steinkohlerevieren in Oberschlesien und im Ruhrgebietabgeschnitten. Die energetische Basis für den forcierten Ausbau der heimischen Schwerindustrie bildete die Braunkohle. Luftreinhalteexperten, wie der Forstwissenschaftler Erich Zieger von der TU Dresden, ahnten, was diese Entwicklung für die DDR bedeutete. Schon im 19. Jahrhundert hatten sich Waldbesitzer über den Industrierauch beklagt, der die Bäume absterben ließ. Angesichts der Wirtschaftspläne warnten die Forstwissenschaftler bereits 1961 vor einer Entwaldung des Erzgebirgskamms in wenigen Jahren.

Erste Regelungen und gesellschaftliche Veränderungen

Im gleichen Jahr forderte Willy Brandt im Bundestagswahlkampf einen blauen Himmel über der Ruhr. Diese Forderung erschien angesichts der damals noch großen Bedeutung von Bergbau und Stahlindustrie in Westdeutschland utopisch. Doch waren bereits in den frühen 1960er Jahren gesellschaftliche Veränderungen im Gange, die eine langfristige Änderung andeuteten. Die nach dem Zweiten Weltkrieg anwachsende Mittelschicht war immer weniger bereit, ein Mehr an Wohlstand und Konsum mit einem Mehr an Verschmutzung und Wohlstand zu bezahlen. Der rauchende Fabrikschlot als Symbol für wirtschaftliche Prosperität hatte zunehmend ausgedient und die Zahl der Fabrikarbeiter begann langsam zu sinken. Etwas anders stellte sich die Situation in der DDR dar. Hier stieg in den 1960er Jahren der Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung noch von 52 auf 57 Prozent an und 1961 versprach kein SED-Politiker den Menschen in den ostdeutschen Industrierevieren einen blauen Himmel, vielmehr galt die Parole „Chemie gibt Brot, Wohlstand und Schönheit“.

Trotz dieser unterschiedlichen Ausgangslage verabschiedeten beide deutschen Staaten nahezu zeitgleich in den 1960er Jahren erste Luftschutzgesetze, die über festgelegte Grenzwerte die Luftqualität verbessern sollten. Interessant ist, dass die Grenzwerte sehr ähnlich gezogen waren und die DDR für den bedeutendsten Schadstoff Schwefeldioxid im internationalen Vergleich durchaus strenge Werte festsetze. Dies deckt sich mit dem Optimismus jener Reformjahre, in der die DDR-Führung davon ausging, die Luftverschmutzung in den Griff zu bekommen. In einer Auseinandersetzung zwischen Waldbesitzern und Industriebetrieben urteilte etwa das Staatliche Vertragsgericht im Mai 1968 wegweisend, dass Emissionen zwar eine Begleiterscheinung des modernen Lebens seien, aber das „gewachsene volkswirtschaftliche Potential“ dazu genutzt werden müsse, „keine weiteren Verschlechterungen auf diesem Gebiet zuzulassen.“[4]

Der Weg zu einem modernen Umweltschutzgesetz

In Rahmen der Wirtschaftsreform des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung (NÖSPL) war die politische Führung bemüht, neben einer allgemeinen Effizienzsteigerung, auch verdeckte Reserven zu entdecken und nutzbar zu machen. Vor diesem Hintergrund ist die Gründung der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Prognose industrielle Abprodukte und planmäßige Gestaltung“ zu sehen, die im Oktober 1967 ihre Arbeit aufnahm. Im September 1968 lag der Bericht vor, der eindringlich darauf aufmerksam machte, dass der nachlässige Umgang mit Abprodukten zu erheblichen Schäden an Natur und Wirtschaft führte. Auf 2 Mrd. Mark schätzte die Arbeitsgruppe die „volkswirtschaftlichen Verluste durch Schäden, Mehraufwendungen und unterbliebene Wertstoffgewinnung“.[5]

Gegen den Widerstand des mächtigen Chemieministeriums fasste der Ministerrat im Dezember 1969 den Beschluss über die planmäßige Entwicklung einer sozialistischen Landeskultur. Teil des Beschlusses war ein groß angelegtes ökonomisches Experiment, das 1969 und 1970 in den Kreisen Bitterfeld, Halle und Merseburg des Bezirks Halle durchgeführt werden sollte. Kern des ökonomischen Experiments waren das Staub- und Abgasgeld, das Wassernutzungsentgelt und das Abwassereinleitungsgeld. Ein Teil der Ausgaben – bis zu einem behördlich vorgegebenen Grenzwert – waren für die Betriebe planbare Kosten. Bei Grenzwertüberschreitungen drohten nicht planbare Sanktionen, die den Gewinn der Betriebe schmälerten. Zum ersten Mal mussten Betriebe für die Nutzung von Wasser und für ihre Emissionen eine Gebühr bezahlen. Die Hoffnungen, auf diese Weise ein Umdenken auf der Seite der Betriebe herbeizuführen, erfüllten sich jedoch nicht uneingeschränkt. Einerseits war der Kontrolldruck zu niedrig, da die zuständigen Hygieneinspektionen die Emissionskontrolle nicht schnell genug ausbauen konnten. Andererseits war gerade das Staub- und Abgasgeld zu niedrig angesetzt, denn es gab schlicht kein System der Schwefeldioxidfilterung, das dem Stand der Technik entsprach. Für diesen Mangel wollte die Politik die Betriebe nicht bestrafen, zudem ließ die gesetzliche Regelung viele Ausnahmen zu.

Noch während das Experiment lief, verabschiedete die Volkskammer das eingangs erwähnte Landeskulturgesetz, das von seinem Aufbau her ein Rahmengesetz war, das in groben Schnitten die Konturen vorgab, die in einzelnen Durchführungsverordnungen (DVO) stärker herausgearbeitet wurden.Ein wesentliches Ziel des Gesetzes war es, die Ideen des Umweltschutzes in den Köpfen der Menschen zu verankern. Ein schonender und sparsamer Umgang der Bürger mit den Umweltressourcen hätte dazu führen können, dass der Wirtschaft mehr Rohstoffe zur Verfügung ständen. Ein Mittel der Wahl, die Bürger zu erreichen und ihnen die für nötig erachteten ökologischen Grundkenntnisse zu vermitteln, waren die „Wochen der sozialistischen Landeskultur“. Der Ministerrat sah 1970 in einer solchen Veranstaltung den passenden Rahmen für die Propagierung der Aufgaben der sozialistischen Landeskultur und zur Entwicklung der Initiative der Betriebe und Bürger. Der Ministerrat legte den Beginn der ersten Woche der Landeskultur auf den 29. August 1971 fest. Auf landesweiten Veranstaltungen sollten sich die Menschen mit den Erfordernissen der sozialistischen Landeskultur vertraut machen, staatliche Stellen sollten öffentlich Rechenschaft über die planmäßige Verwirklichung landeskultureller Maßnahmen ablegen, und es sollten die neuesten wissenschaftlichen, technischen und ökonomischen Erkenntnisse für die rationelle Lösung landeskultureller Aufgaben vermittelt werden. 1973 wurde schließlich die für die Fragen der Luftreinhaltung 5. DVO „Reinhaltung der Luft“ erlassen. Einzelne, durchaus innovative Elemente aus dem ökonomischen Experiment wurden zwar beibehalten. Doch die grundsätzliche Idee, dass die Staub- und Abgasgelder wie eine Ökologiesteuer wirken und das Investitionsverhalten der Betriebsleitungen beeinflussten sollten, wurde durch die niedrige Höhe der Strafzahlungen verwässert. Die einstündige Außerbetriebnahme eines Kessels in den Leunawerken schlug etwa mit Kosten von einer Million Mark zu Buche. Dieses Missverhältnis brachte das Satire-Magazin Eulenspiegel in einer Karikatur auf den Punkt. „Was tust du für den Umweltschutz, Genosse?“ wird darin ein Betriebsleiter gefragt. „Ich zahle jedes Jahr meine Vertragsstrafe“, antwortet dieser.

Schuldenfinanzierter Konsum und das Ende der Umweltpolitik

Hier zeigt sich bereits deutlich der Zielkonflikt, vor dem die DDR-Umweltpolitik seit ihrer Formierung stand. Der Ansatz, auch in der Planwirtschaft Umweltschutz verstärkt über Marktmechanismen zu steuern und bei den Wirtschaftsakteuren ein Bewusstsein für die von Ihnen verursachten Umweltkosten zu wecken, scheiterte letztlich an zwei Rahmenbedingungen. Erstens fehlt im System der Planwirtschaft den Betrieben die realistische Bedrohung, aufgrund umweltpolitischer Vorgaben Konkurs zu gehen oder die Produktion einstellen zu müssen. Zweitens waren die Preise für Luft und Wasser letztlich politische Preise. Es hing erheblich von der Einstellung der politischen Führung und ihrer Haltung zu Umweltfragen ab, ob die Höhe der Staub- und Abgasgelder tatsächlich eine Lenkungswirkung entfalten konnte. Während Ulbricht in der Umweltpolitik ein Handlungsfeld sah, um Ressourcen effizienter einzusetzen und so die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, waren für Honecker Umweltschutzmaßnahmen primär ein Kostenfaktor. Er wollte mit der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik schnell den Lebensstandard in der DDR erhöhen. Dank des günstig erworbenen sowjetischen Erdöls konnte der Zielkonflikt zwischen schuldenfinanziertem Konsum und enger werdenden Investitionsspielraum bis 1975 verdeckt werden. Während die Akzeptanz der Bevölkerung mit dem sozialistischen Gesellschaftssystem stieg, sanken im Zuge der Umstellung einiger Kraftwerke von Braunkohle auf Erdöl die Emissionen von Staub und Schwefeldioxid. Doch die von Honecker erhoffte Produktivitätssteigerung blieb aus, während sich die Menschen an den hohen Konsumstandard gewöhnt hatten. Als sich dann im Zuge sowjetischer Wirtschaftskrisen der Ölpreis für die DDR allein 1975 verdoppelte, musste sich die SED-Führung entscheiden. Entweder sie senkte die niedrige Investitionsquote noch weiter ab oder sie beschnitt die Konsummöglichkeiten. Die in der Weltwirtschaftskrise sozialisierte und vom Juni 1953 geprägte SED-Führung entschied sich dafür, den Konsum stabil zu halten. Schon 1972 investierte die DDR lediglich 0,6 Prozent ihres Nationaleinkommens für Umweltschutzmaßnahmen. Dieser Wert sank in den 1980er Jahren auf 0,4 Prozent ab, obwohl im Gegenzug die tatsächlich benötigten Mittel stark angestiegen waren. Eigentlich schon zur Stilllegung vorgesehene, auf Verschleiß gefahrene Braunkohlebetriebe wurden reaktiviert und blieben bis 1990 in Betrieb. Ein bekanntes Beispiel ist das Schwelwerk Espenhain, das mit seinen extrem hohen Schwefeldioxidemissionen, die teils um den Faktor 1000 über den gesetzlichen Grenzwerten lagen, 450.000 Menschen massiv belastete.

Gesellschaftlicher Widerspruch

In dieser Zeit artikulierte sich zum ersten Mal breiterer gesellschaftlicher Widerspruch gegen die nicht abnehmende Umweltbelastung. Für die DDR war die Nähe von Wohn- und Arbeitsort wesentlich ausgeprägter und länger stabil als in der Bundesrepublik. Hatten die DDR-Bürger in den 1950er und 1960er die industrielle Überformung der Landschaft und die zunehmende Umweltbelastung noch weitgehend hingenommen, änderte sich dies in der folgenden Zeit. Die Kritik wurde dabei in den Anfangsjahren nicht öffentlich geäußert, sondern über Eingaben. Wohnungs- und Versorgungsfragen dominierten stets das Eingabenaufkommen. Doch ab den 1970er Jahren nahmen Umweltfragen einen größeren Anteil ein. Eine Ursache dafür liegt in der Umweltpolitik der DDR selbst. Die Wochen der sozialistischen Landeskultur hatten ja bewusst für eine ökologische Sensibilisierung der Bevölkerung sorgen sollen. Zum anderen war eine stärkere Belastung der Luft mit Schadstoffen bemerkbar. Nach dem kurzen Erfolg der Heizmittelumstellung auf Erdöl und dem Schritt wieder zurück zur Braunkohle, fiel die Staub- und Schwefeldioxidbelastung umso stärker auf. Den Anlass für erstere größere Proteste bildeten aber in den Industrieregionen die Havarien, die aufgrund der maroder werdenden Industrieanlagen zunahmen. Die Eingaben lassen deutlich erkennen, dass den Menschen bewusst war, dass sie in einer Industrieregion lebten und keine Luftqualität wie an der Ostsee erwarten konnten. Doch schien das erträgliche Maß erreicht und es zeichnete sich ab, dass selbst für eine weitere Zunahme an Einkommen und Konsummöglichkeiten eine weitere Verschlechterung der Umweltsituation nicht akzeptiert wurde. Das zeigte sich auch an den zunehmenden Schwierigkeiten der großen Chemiekombinate, trotz Zulagen und anderweitigen Vergünstigungen und Bevorzugungen ausreichend Nachwuchs zu rekrutieren.[6]

Unter den Bedingungen des SED-Regimes führten diese offensichtlichen Missachtungen der Umweltgesetze nicht zu einem öffentlichen Protest, doch nahm der in Eingaben und Versammlungen geäußerte Unmut solche Wucht an, dass sich die staatlichen Institutionen und das Ministerium für Staatssicherheit zunehmend mit der Sache befassten. Das MfS registrierte dann auch, dass die Bewohner der stark belasteten Gebiete das Vertrauen zu den staatlichen Institutionen zu verlieren begannen. Tatsächlich war das Interesse der SED-Spitze an Umweltfragen in den späten 1970er Jahren nicht besonders ausgebildet. Das noch unter Ulbricht konzipierte und im Nachgang zum Landeskulturgesetz 1972 gegründete Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft war nach dem Amtsantritt Honeckers nicht weiterentwickelt worden und im Institutionengefüge der DDR machtlos.

Das Erstarken der Umweltbewegung in der Bundesrepublik ab den späten 1970er Jahren erweiterte den Handlungsspielraum des Ministeriums und seines Ministers Hans Reichelt etwas. Dies lässt sich besonders an den Verhandlungen zur Genfer Konvention beobachten, die die grenzüberschreitenden Schwefeldioxidemissionen regulieren sollte. Das Phänomen des „sauren Regens“, das in der Bundesrepublik in der besonderen Form der Waldsterbensdebatte verhandelt wurde, setzte die DDR massiv unter internationalen Druck, war sie doch einer der größten Schwefeldioxidemittenten der Welt. Die eingegangenen Verpflichtungen versuchte die DDR einerseits zu unterlaufen, in dem sie das Erheben von Umweltdaten 1982 zur Verschlusssache erklärte. Andererseits versuchte Reichelt Ressourcen zu mobilisieren, um die Schwefeldioxidemissionen auch realiter zu senken. Die DDR litt allerdings auch darunter, dass es für Entschwefelungsanlagen für Braunkohlefeuerungsanlagen keinen Weltmarkt gab und eigene Verfahren nicht die gewünschten Ergebnisse lieferten. Um ihrer internationalen Verpflichtung, die grenzüberschreitenden Schwefeldioxidemissionen bis 1992 im Vergleich zu 1980 um 30 Prozent zu senken, zu erfüllen, übermittelte die DDR stattdessen gefälschte Zahlen. Statt den tatsächlichen 5,56 Mio. Tonnen meldete sie an die internationalen Organisationen 4,99 Mio. Tonnen Schwefeldioxidemissionen.

Es gelang dem SED-Regime jedoch immer weniger, im Inneren kritische Stimmen zu unterdrücken. Die Umwelt war stellenweise in einem so kritischen Zustand, dass dieser den Erfolgsmeldungen in der offiziösen Presse Hohn sprach. Für ökologische Fragen durch die westliche Medienberichterstattung sensibilisiert, häuften sich in den Eingaben kritisch Nachfragen zur Luftbelastung, Gewässerverschmutzung oder zum Zustand der Wälder im Erzgebirge. Nicht zuletzt wurden in Berlin auch die Absurditäten des deutsch-deutschen Aufeinanderprallens unterschiedlicher Umweltregelungen offensichtlich und für jeden DDR-Bürger erfahrbar. Die Westberliner SMOG-Warnung vom Januar 1988 blieb im Osten nicht unbemerkt, und die Frage, warum es in Ost-Berlin keinen Alarm gegeben habe, machte den Inhalt vieler Eingaben an das Umweltministerium aus. Ein Bürger fragte Minister Reichelt, ob „wir eine andere Luft haben“.[7] Das Akronym SMOG wurde daraufhin in der DDR scherzhaft aufgelöst zu Sozialistischer Morgennebel ohne Gesundheitsgefährdung.

Das umweltpolitische Versagen des SED-Regimes

Das SED-Regime hatte versucht, mit der 1980 erfolgten Gründung der Gesellschaft für Natur und Umwelt die aufkommende Umweltbewegung in regimekonformen Bahnen zu kanalisieren. Auch wenn die GNU zur am stärksten wachsenden Untergruppe des Kulturbundes wurde, nahm auch die Zahl und Größe der unabhängigen Umweltgruppen im Umfeld der Evangelischen Kirche zu. Ab Mitte der 1980er Jahre wagten sich diese Gruppen verstärkt in den öffentlichen Raum uns suchten die Konfrontation mit der Staatsmacht. Am deutlichsten wurde das staatliche Versagen in Espenhain. Das Umweltministerium nahm der dortigen Umweltgruppe jede Hoffnung, dass sich in den kommenden zehn Jahren etwas ändern würde, da kein Geld für Filter zur Verfügung stände. Daraufhin starteten örtliche Umweltgruppen die Aktion „Eine Mark für Espenhain“, mit der innerhalb eines Jahres 100.000 Mark gesammelt wurde. Dieser Betrag war natürlich zu niedrig, um tatsächlich entsprechende Technik kaufen zu können. Die Spendenaktion war ein offener Affront gegen das Regime, dem jede Lösungskompetenz in Umweltfragen abgesprochen wurde. Sie stellte dasHerrschafts- und Machtverständnisder SED grundlegend infrage, bezog die Partei doch ihr Selbstverständnis daraus, dass sie die Interessen des Volkes verkörpert und seinen Willen verwirklicht.

Die Umweltsituation kann sicherlich nicht als alleinige Ursache für die wachsenden Unzufriedenheit der ostdeutschen Bevölkerung herangezogen werden. Allerdings konnten die Umweltgruppen aufgrund ihres Organisationsgrades in der Wende eine hervorgehobene Rolle spielen und ihre Anliegen in den politischen Apparat einbringen. Als die SED im Herbst 1989 begann, die Macht zu verlieren, gaben sich die Gruppen stabilere Organisationsformen, wie etwas das Neue Forum am 9. September, die Grüne Liga am 18. November oder die Grüne Partei der DDR am 24. November 1989. Gemeinsam mit den alten Parteien und Massenorganisationen bildeten sich den Runden Tisch. Am 5. Februar 1990 traten Klaus Schlüte für die Grüne Liga und Matthias Platzeck für die Grünen in das Kabinett Modrow ein. Michael Succow war bereits am 14. Januar 1990 Staatssekretär im Umweltministerium geworden. Zu den bemerkenswerten Vorhaben dieser Zeit zählt der Versuch, zehn Prozent des Staatsgebietes in Nationalsparks, Naturschutzgebiete und Biosphärenreservate umzuwandeln. Am Ende wurden unter der Regierung de Maiziere 4,3 Prozent des Hoheitsgebiets daraus. 

Fazit

Wie klein die gesellschaftliche Basis der Ökologiegruppen jedoch letztendlich war, lässt sich auch am schwachen Abschneiden grüner Parteien bei Wahlen in Ostdeutschland nach 1990 festhalten. Hier wirkt auch die Legitimationshierarchie der SED nach. Umweltschutz sprach in der DDR bestimmte Gruppen an und wirkte unter diesen herrschaftsstabilisierend. Die SED fokussierte ihre Politik – und hier wird eine der Lehren vom Juni 1953 wirksam – auf die Bedürfnisse der breiten Bevölkerungsmehrheit. Stabile Preise, günstiges Wohnen, niedrige Gebühren für Wasser und Strom hatten einen hohen Stellenwert. Kam es zu einem Zielkonflikt zwischen Umweltschutz und Güterproduktion, trug letzterer den Sieg davon denn das Umsturzpotential einer unzufriedenen Arbeiterschaft wurde höher eingeschätzt als das besorgter Ortsgruppen der Heimat- und Naturfreunde. Damit entfiel der Preis, um das Nutzerverhalten hin zu Sparsamkeit und nachhaltiger Nutzung zu steuern. Nur etwa 20 Prozent der Haushalte mussten überhaupt etwas für ihr Wasser zahlen und die DDR hatte einen der höchsten Pro-Kopf-Verbräuche der Welt, den der Staat mit 3,1 Mrd. Mark subventionierte. Der Strompreis von 8 Pfennig pro Kilowattstunde kostete den Haushalt weitere 5 Mrd. Mark. Es war der SED anscheinend nicht möglich – zumindest fehlte der politische Wille – allein für Trinkwasser einen kostendeckenden Preis festzusetzen, was zumindest in Teilen die mangelhafte Ausstattung mit Kläranlagen erklärt. Die von der SED zumindest zeitweise betriebenen Versuche, etwa mit den Staub- und Abgasgeldern das Nutznießerprinzip ökonomisch zu einem Verursacherprinzip zu verändern, wurden immer dann abgebrochen oder abgemildert, wenn sich die Endpreise für die Konsumenten erhöht hätten. Die Umweltgeschichte ist damit auch ein mahnendes Beispiel dafür, dass externe Umweltkosten nicht gänzlich zu Lasten sozialer Kosten ausgeblendet werden sollten.

 


[1]Akademischer Oberrat, Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Mainz, Zürich und Gävle (Schweden). Promotion in Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Freiburg zur Umweltpolitik der DDR. Derzeit Geschäftsführer des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften der Universität Mainz.

[2] Vgl. zu den Hintergründen des Landeskulturgesetzes Tobias Huff: Natur und Industrie im Sozialismus. Eine Umweltgeschichte der DDR, Göttingen 2015, S. 166-180 sowie Christian Möller: Umwelt und Herrschaft in der DDR. Politik, Protest und die Grenzen der Partizipation in der Diktatur, Göttingen 2020, S. 117-187.

[3] BArch DC 20-I/3/230, Dokumente der 164. Sitzung der Regierung der DDR vom 8. Juli 1954, Anlage E: Entwurf des Gesetzes zur Erhaltung und Pflege der heimatlichen Natur (Naturschutzgesetz); Begründung; Durchführungsbestimmung, pag. 49-62, hier pag. 59.

[4] Sächsisches Staatsarchiv Chemnitz 33209/623, VertragsschiedverfahrenStFB Dübener Heide gegen VEB Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld, pag. 7.

[5] BArch DC 20/I/3/715, Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik, Beschluß über die planmäßige Entwicklung einer sozialistischen Landeskultur in der Deutschen Demokratischen Republik. 5.2.1969, pag. 41–109.

[6] Vgl. dazu Martin Stief: „Stellt die Bürger ruhig“. Staatssicherheit und Umweltzerstörung im Chemierevier Halle-Bitterfeld, Göttingen 2019, S. 199-202.

[7] BArch DY 30/2837, Information zu Hörerfragen an Hans Reichelt, 27.01.1988, pag. 231.