Eine Erfahrung die mich bis heute trägt

Als Jugendlicher in der bekannten Ostberliner Umweltbibliothek- unversehens festgenommen

von Tim Eisenlohr1

Oft wissen wir nicht recht, wann ein Wendepunkt in unserem Leben eingetreten ist, der alles verändert. Ich kann behaupten, das bei mir relativ genau festmachen zu können.

In der Schule war ich spätestens seit meinem Austritt aus den Thälmann-Pionieren2 zum Außenseiter geworden: Ein 14 jähriger Teenager mit Nickelbrille und Strickmantel, dem das Label „Öko“ wohl deutlich auf der Stirn stand.

Die spürbare Umweltzerstörung, der Mangel an elementaren Bürgerrechten und die Verlogenheit unseres Staates machten mich zunehmend wütend, und meine Möglichkeiten als Einzelner daran etwas zu ändern waren frustrierend begrenzt.

Ich sehnte mich danach, Menschen zu finden, die ihre Unzufriedenheit mit den Zuständen in unserer Gesellschaft, nicht nur hinter verschlossenen in Gesprächen mit guten Freunden und Freundinnen thematisierten, sondern sich stattdessen offen für einen Wandel engagierten.

So war es 1987 der „Kirchentag von Unten“3, der alles ändern sollte. Hier entdeckte ich den Stand der Umweltbibliothek und während sich im Hintergrund Punks zu lauter Musik tanzend anrempelten, vertiefte ich mich bald in ein Gespräch mit einer jungen Frau zu Themen wie Atomkraft und Bitterfeld. Obwohl ich erst 14 war, redete sie in gewisser Weise auf Augenhöhe mit mir. Ich könnte doch mal vorbeikommen, meinte sie am Ende: Hinterhof, in den Kellerräumen der Zionsgemeinde, Öffnungszeiten Di,Mi,Do 18-22 Uhr.

Als ich einige Tage später das erste Mal die Kellertreppe zu den Räumen der Umweltbibliothek herunterlief, eröffneten sich mir buchstäblich vollkommen neue Räume an Möglichkeiten. Die einfachen Holzregale waren voll mit Büchern zu meinen Themen und sie waren wirklich fast ausschließlich aus dem Westen. Bald hatte ich die maximale Anzahl der ausleihbaren Bücher zusammen, und nachdem ich mich als Leser hatte registrieren lassen, machte ich mich mit meinen Schätzen auf den Heimweg. Für das nächste Mal hatte ich mir fest vorgenommen, meine Schüchternheit zu überwinden und zu fragen, ob ich irgendwie mitmachen kann.

Genau eine Woche hielt ich es bis zum nächsten Mal aus. Wolfgang Rüddenklau, einer der Gründer der UB, nahm meine Wunsch des Mitmachens mit einer Mischung aus Neugierde und freundlicher Skepsis auf. Zum einen war ich erst 14 und zum anderen kannte mich keiner der Mitglieder. Schon damals war mir der Grund dieser Vorsicht bewusst. Wer konnte sicher sein, dass ich kein Spitzel war, der die Gruppe unterwandern wollte?

Da war natürlich auch ein Gefühl der Verantwortung gegenüber mir als sehr jungem Menschen. Schließlich war es nicht ganz ohne Risiko, sich so offen gegen die Politik der DDR zu positionieren. Nicht nur wegen der für alle ausleihbaren Westbüchern zu Umwelt und Politik, sondern wegen der eigenen Produktion der Umweltblätter, die als Pseudogemeindeblatt getarnt, sehr kritische Themen ansprachen.

Letztlich einigte sich die Gruppe, dass ein Mitmachen bei den Ausleihdiensten ein für beide Seiten überschaubares Risiko darstellen würde. Ich war euphorisch und überglücklich. Wahrscheinlich hätte ich auch das Fegen der Treppen und das Rausbringen des Mülls übernommen, um dabei sein zu dürfen.

Auch wenn ich natürlich in dieser Zeit nie wirklich auf Augenhöhe mit meinen Mitstreiter/innen war, so fühlte ich das erste Mal in meinem Leben (und auch das letzte Mal), so etwas wie eine politische Heimat gefunden zu haben Für die Mitglieder der UB war ich einfach „der Kleine“ , der erst mit den Ereignissen um die „Aktion Falle“ im November ´87 eine Art Gesicht bekommen sollte.

Kerstin und Sarah arbeiteten mich in den Ausleihdienst ein und ein paar mal die Woche war ich jetzt fest dabei. Was mich aber natürlich nicht davon abhielt auch sonst jede freie Minute dort zu verbringen. Natürlich auch oft in den Räumen der UB Galerie, bei Konzerten von Liedermachern oder Ausstellungen.

Neben den westlichen Büchern und Zeitschriften veröffentlichten das Team der UB die regelmäßig erscheinende Umweltblätter. Hierbei wurde eine Lücke in der Gesetzgebung genutzt. Mit dem aufgedruckten Satz -Nur zum innerkirchlichen Dienstgebrauch- wurden sie zu einer Art Gemeindeblatt. In einem anderen Kellerraum gab es ein Verteilerregal in dem viele Oppositionsgruppen ihr eigenes Fach hatten und sich die Umweltblätter, ähnliche Druckerzeugnisse und teilweise auch westliche Zeitschriften direkt abholen konnten und somit den kontrollierten Postweg umgingen.

In  der UB wurden Umweltseminare veranstaltet und sie diente ebenso als Treffpunkt für verschiedenste Oppositionsgruppen. Später entstand hier das ökologische Netzwerk Arche, welches sich im Verlauf von der Gruppe der UB emanzipierte und im Gegensatz zu der sehr politischen Arbeit der UB, mehr rein ökologische Themen in den Vordergrund ihrer Arbeit stellte. Die Umweltbibliothek funktionierte, mit ihrem Anliegen, Aufklärung, Vernetzung und Kultur stattfinden zu lassen und der Möglichkeit, sich frei zu informieren sehr effektiv. Für die Sicherheitsbehörden wohl etwas zu effektiv.

So kam man wohl zu dem Schluss, dass das Abschöpfen von Informationen durch die eingeschleusten inoffiziellen Mitarbeiter/innen nicht mehr im rechten Kosten Nutzen Verhältnis, zu der vermuteten Gefahr für das System stand. Die „Aktion Falle“ war das Ergebnis dieser Erwägung. Dessen Ziel es war, uns beim Druck des illegalen Zeitschrift „Grenzfall“ zu erwischen. Die wurde damals von der Gruppe Frieden und Menschenrechte herausgegeben. Der Druck wurde immer konspirativ organisiert, ohne das Wissen der Minderjährigen in unserer Gruppe. Wir sollten vor den möglichen Konsequenzen geschützt werden, da die daraus entstehenden Tatvorwürfe bis Landesverrat gehen konnten.

Mein Vater hat mich einmal in der UBt besucht und bei der Gelegenheit Wolfgang das Versprechen abgenommen, auf mich aufzupassen. Was im Nachhinein betrachtet wohl eher ein Akt der Hilflosigkeit war.

In der Nacht vom 24. auf den 25. November sollte die Falle dann zuschnappen. Der Plan war, uns auf frischer Tat bei der Herstellung der verbotenen Zeitschrift zu erwischen und als Bonus obendrauf die Redaktion der Gruppe Frieden und Menschenrechte. In dieser Nacht war wirklich geplant, die Umweltblätter zu drucken und später konspirativ den Grenzfall. Allerdings erst nachdem die Minderjährigen nach Hause gegangen waren. Das Problem war allerdings, dass meine Eltern nicht in Berlin waren und ich keinen Grund sah, pünktlich zu Hause zu sein, wenn niemand da war, der das kontrollierte.

Der geplante Druck verschobe sich also immer weiter nach hinten. Normalerweise wurde vermieden, dass die Gruppe beim Druck anwesend war, um für sie das Risiko zu minimieren. Ein eingeschleuster Spitzel sollte das ändern und versuchen, das Team zu überreden, doch dabei zu sein. Das gelang ihm aber nicht und er erzählte später seinem Führungsoffizier, der Trabi, mit dem sie kommen wollte, wäre nicht angesprungen.

So kam es, dass die Stasi als sie mit gezogenen Waffen die Räume der UB stürmte, weder die Redaktion der Gruppe Frieden und Menschenrechte vorfand noch uns beim Druck der verbotenen Zeitschrift erwischte.

Es sollte zum einer der größten Niederlagen der Stasi werden. Es wurde statt dessen ein starkes Fanal der Ermutigung für oppositionelle Kräfte ganzen Land. Die DDR, welche sich unter Beobachtung gerne als Rechtsstaat präsentieren wollte, gelang es nicht, den Mitgliedern strafbare Handlungen nachzuweisen oder die UB zu schließen. Die Zugeführten (ich war auch darunter) kamen nach einer Nacht Verhör raus und die Beiden die in Untersuchungshaft genommen wurden waren nach 3 Tagen wieder auf freiem Fuß.

Als positiver Nebeneffekt wurde die Umweltbibliothek durch die Berichterstattung in den Westmedien über Nacht landesweit bekannt.

Was für mich bis heute aus dieser Zeit bleibt, neben der Erfahrung, wie es sich anfühlt Teil einer kleinen Gruppe zu sein, die einen scheinbar übermächtigen Überwachungsapparat in die Knie zwingt, ist ein daraus erwachsendes Selbstbewusstsein gegenüber anmaßenden Autoritäten jeder Art.

Die Welt in der ich heute lebe, zeichnet sich durch eine nie gekanntes Maß an Freiheit und technischen Möglichkeiten aus, welches aber beide natürlich nicht nur denen zur Verfügung stehen, die sich für eine bessere Welt einsetzen wollen. Auf gewisse Weise braucht es heute noch Einiges mehr an Entschlossenheit und Ausdauer, um Wandel zu bewirken. Was uns nicht daran hindern sollte, es trotzdem zu versuchen.

1Mitglied der Umweltbibliothek Berlin

2Staatliche Kinderorganisation

3Veranstaltung von kirchlichen Basisgruppen als Kontrast zum offiziellen Kirchtag. Musste der Kirchenleitung abgetrotzt werden.