Einsatz für die Umwelt unter dem Dach der Kirche

von Edmund Käbisch[1]

Der Jugendliche Michael Paschold war seit 1980 hauptamtlicher Küster am Dom St. Marien in Zwickau. Er besaß eine kircheneigene Wohnung, in die er öfters Jugendliche einlud. Dort hörten sie Musik, spielten und feierten zusammen. Oft übernachteten Jugendliche bei ihm. Eines Tages hatten sie die Idee, den Hinterhof freundlicher zu gestalten. Die Haustüren und die Mülltonnen wurden mit bunten Blumen bemalt. Dann meinte man auch, die Stadt etwas sauberer und freundlicher machen zu müssen. Die Jugendlichen zogen mit Plastesäcken durch die Stadt. Sie sammelten das herumliegende Papier und den Unrat ein und entsorgten dieses. Da die Zwickauer Mulde wie eine Müllkippe benutzt wurde, holten die Jugendlichen aus dem Fluss Autoreifen, Schrott, Leiterwagen, Fahrräder etc. heraus und reinigten sogar ein Stück Uferpromenade. Danach forderten sie die Stadtverwaltung auf, die Dreckberge zu beseitigen, was auch geschah.

In der Weihnachtszeit 1983, als die Hochrüstung in Ost und West auf Hochtouren lief, gingen die Jugendlichen auf den Weihnachtsmarkt. Sie hatten sich mit Bettlaken als Engel gekleidet und schenkten den Besuchern brennende Kerzen als Zeichen des Friedens. Diese Aktion wurde von der Stasi als „Vermummungsaktion“ ausgelegt und ab da wurden die Jugendlichen geheimdienstlich bearbeitet. Ende 1983 erzählte mir Michael, wir waren per Du, dass gestern wieder einmal Bullen (Polizisten) in seiner Wohnung gewesen seien. Er schilderte mir folgenden Hergang: Es klingelte an der Wohnungstür. Beim Öffnen standen zwei Uniformierte davor. Einer setze sofort seinen Fuß zwischen Tür und Schwelle, damit die Tür nicht zugeschlagen werden konnte. Ohne zu fragen drangen sie in die Wohnung ein, durchsuchten alle Räume, kontrollierten die Ausweise der Anwesenden und machten sich entsprechende Notizen. Abschließend äußerte Michael, so etwas sei in der letzten Zeit häufig vorgekommen. Für mich war das ein Zeichen äußerster Gefährdung. Michael, die Gruppe und ihr Tun wurden beobachtet!

Ich schlug innerkirchlichen Alarm, indem ich den Superintendenten, Günter Mieth und den Kirchenvorstand informierte. Im Kirchenvorstand kamen wir überein, dass der Superintendent einen Brief an die Direktion des Volkspolizeikreisamtes (VPKA) schreiben sollte, was er auch umgehend tat. Darin wurde klargestellt, dass die Personenfeststellungen in einem privaten Wohnraum ohne Hausdurchsuchungsbefehl erfolgte und die Arbeit des Kirchners Gemeindearbeit sei. Die Antwort vom VPKA enthielt die Entschuldigung, die Streifenpolizisten hätten nicht sachgerecht gehandelt. Der Kirchenvorstand hat daraufhin mit Paschold einen neuen Mietvertrag abgeschlossen. Es wurde festgeschrieben, dass seine Wohnräume auch für die kirchliche Jugendarbeit genutzt werden dürfen. Seitdem konnte beobachtet werden, dass die Polizei keine weiteren Kontrollen durchführte. Unerwartet wurde Paschold im Frühjahr 1984 zu den Bausoldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) einberufen und damit besaß sein Freundeskreis kein Zuhause mehr.

Ich kümmerte mich um die ökologisch Interessierten und lud sie ins Domgemeindehaus ein. Sie nahmen das Angebot an. Sie hatten Vertrauen, weil ich schon bei ihren Treffen und Aktionen häufig dabei war. Daraus hat sich ein systematisch arbeitender Ökokreis entwickelt. Es war die erste kirchliche Basisgruppe der Stadt. Weitere Jugendliche stießen von der sozialdiakonischen Arbeit der Stadtmission hinzu, die der Diakon Frank Kirschneck aufgebaut hatte. Der größte Teil besuchte auch den Glaubenskurs, den ich anbot. Am Ende ließ sich viele taufen oder konfirmieren, wie z. B. Jörg Banitz und Lutz Hofmann. Sie sahen in der Ökogruppe ein Betätigungsfeld, in dem sie ihr Christsein konkret umsetzen und Verantwortung übernehmen konnten.

Banitz, der später nach dem Ausscheiden und Tod von Paschold Domküster wurde, hat den Ökokreis bis Herbst 1989 selbstständig geleitet. Die Jugendlichen hatten sich zur Aufgabe gestellt, die Bevölkerung auf die schlimmen Umweltprobleme, die totgeschwiegen wurden, aufmerksam zu machen und sie dafür zu sensibilisieren. Es wurden Umweltabende mit Kabarett, Bibel, Verkündigung und Meditation unter dem Thema „Es grünt so grün ... oder nimmt der Dreck die Farbe weg", organisiert. Die Schauspielerin Ute Ziedrich-Büning und das Musikerehepaar Ronny und Conny Hofmann haben mit ihren Fähigkeiten die Jugendlichen ausgebildet, öffentlich aufzutreten. Das Programm wurde in Zwickau, Schneeberg, Annaberg, Glauchau, Werdau, Meerane, Hohenstein-Ernstthal und bei kirchlichen Jugendtagen aufgeführt. Dabei wurde u. a. auch ein Erlenmeyer-Glaskolben mit Muldenwasser herumgereicht, aus dem ein stechender Geruch ausströmte und ein verdorrter Tannenbaum gezeigt, der auf das Waldsterben des Erzgebirges hinwies. Neben den Umweltabenden sind verschiedene Arbeitseinsätze organisiert worden, die über den Rat der Stadt innerhalb des Stadtgebietes stattfanden. Später konnten diese Einsätze nur noch auf Kirchengelände oder im Kirchenwald durchgeführt werden, weil die Stadtverwaltung nicht mehr zuließ, Arbeitseinsätze der Ökogruppe innerhalb der Stadt durchzuführen.

Es dauerte nicht lange, bis der Superintendent und ich zum Oberbürgermeister, Heiner Fischer, ins Rathaus bestellt wurden. Mir wurde vorgeworfen, dass ich mich in staatliche Angelegenheiten einmische. Es dürfe in der Kirche keine eigenständige Umweltpolitik geben. Die Umwelt sei ausschließlich Sache des Staates. Meine Arbeit und Aufklärung seien Angriffe auf den Sozialismus, und ich würde damit den Staat provoziere. Die Ökogruppe sei eine illegale Organisation, die das Veranstaltungsgesetz verletze. Ich würde zudem die Jugendlichen aufputschen. Ich habe mich ausschließlich um religiöse Dinge zu kümmern und dürfe nur auf christliche Bürger Einfluss nehmen.

Die Folge dieser staatlichen Konfrontation war, dass der Kirchenvorstand beschloss, ab jetzt die Ökogruppe offiziell zu einem festen Bestandteil der Domgemeinde zu machen. Ihr wurde der Namen „Christ und Schöpfung" gegeben. Die wöchentlichen Veranstaltungen wurden in den Kirchenboten mit aufgenommen. Dabei hatte ich offiziell die Verantwortung zu tragen. Die Basisgruppe ist zwar bei dieser Entscheidung weder mit einbezogen noch gefragt worden, aber sie nahm dankbar an, dass sich der Kirchenvorstand und der Superintendent schützend vor sie stellte. In dieser Situation war der Beschluss richtig. Die kirchlichen Fürsorge- und Obhutspflichten wurden wahrgenommen!
Die Ökogruppe hat sich mit anderen Zwickauer Basisgruppen vernetzt und schloss sich 1988 ebenfalls der Bewegung des Konziliaren Prozesses an. Sie setzte sich besonders für die „Bewahrung der Schöpfung“ ein. Andere Basisgruppen hatten „Gerechtigkeit“ und „Frieden“ auf ihre Fahnen geschrieben. Die Aktivisten des Konziliaren Prozesses waren es, die am 16. Oktober 1989 des erste Friedensgebet im Dom durchführten. Das war der Auftakt der Friedlichen Revolution in der westsächsischen Region.


[1] Dr. Edmund Käbisch, damals Pfarrer am Dom St. Marien in Zwickau.