Grenzenlose Umweltverschmutzung[1]

-Belastung von Luft, Wasser, Böden durch, aber nicht nur in der DDR

Von Peter Wensierski[2]

Ost-West-Belastungen

Umweltprobleme innerhalb der DDR waren in
allen Regionen für die Menschen deutlich sicht-,
riech- und spürbar. Ostdeutschland hatte pro Kopf
die höchsten Schadstoff-Emissionen Europas bei
Schwefeldioxid Staub, Schwermetallen und dem
klimaschädlichen Kohlendioxid. Dies war aber
kein Problem allein für die DDR. Umweltprobleme
machten und machen nun mal an Landesgrenzen
nicht halt und zwingen zur Zusammenarbeit.
Deutschland war 40 Jahre lang geteilt, doch
Flüsse endeten nicht an der Grenze und in
Berlin herrschte im Winter regelmäßig auf
beiden Seiten der Mauer Smog. Fahrverbote gab
es aber nur im Westteil der Stadt, doch auch
hier wurde mit Braunkohle geheizt.

 

Umweltschutz durch deutsch-deutsche Verhandlungen?

 

Beide Teile Deutschlands blieben nicht nur durch ihre
Geschichte miteinander verbunden, sondern
auch durch die gemeinsame Verantwortung
gegenüber wachsenden Umweltproblemen.
Dies rückte spätestens seit Beginn der siebziger
Jahre ins Bewusstsein der Akteure beiderseits
der innerdeutschen Grenze. Um „Schäden und
Gefahren für die jeweils andere Seite“ abzuwen-
den, wurde schon 1972 an ein Umweltschutz-
Rahmenabkommen zwischen Ost- und West-
deutschland gedacht. Doch bereits im Jahr
darauf stoppte die DDR die Verhandlungen. Als
Grund musste ausgerechnet die Etablierung
des Umweltbundesamtes in West-Berlin im Juli
1974 herhalten – was Ost-Berlin als Verstoß
gegen das kurz zuvor geschlossene Viermächte-
abkommen betrachtete.
Trotz vieler Bemühungen aus Bonn blieb die
gemeinsame Arbeit am Umweltthema jahrelang
auf der Strecke. Erst 1980 nahm man wenigstens
Expertengespräche auf. Dabei sollte es um die
Berliner Gewässer und die durch den Kaliabbau
stark belastete Werra gehen. Erst nach zweijähri-
gen Verhandlungen kam eine kleine Vereinbarung
heraus. An einer bis dahin nicht vorhandenen
chemischen Reinigungsstufe dreier Klärwerke in
der Umgebung Berlins beteiligte sich die Bundes-
republik mit 68 Millionen Mark. Dies wurde als
„entscheidender Fortschritt“ gefeiert. Immerhin
waren Spree, Havel und die Berliner Seenkette bis
dahin extrem belastet, stark veralgt und durch
die phosphathaltigen Abwässer aus Brandenburg
durch Eutrophierung belastet.
Das zweite Verhandlungsergebnis betraf die
bayerisch-thüringische Grenzregion bei Sonne-
berg. Dort finanzierte die Bundesrepublik den Bau
einer Kläranlage mit 18 Millionen Mark, um die
Verschmutzung des kleinen Flusses Röden durch
ungeklärte Abwässer aus der DDR im Interesse der
Menschen im Gebiet Coburg zu verbessern. Denn
eine im Westen bereits 1974 errichtete Fluss-
kläranlage vermochte es nicht, die Schäden durch
die DDR-Abwässer zu verhindern.
„Im Interesse des Wohlergehens der
Bürger sorgen Staat und Gesellschaft
für den Schutz der Natur“ – das stand
bereits 1968 in der Verfassung der
DDR. Damit war der Umweltschutz
früher als in der Bundesrepublik
als Staatsziel verankert, doch die
Realität sah anders aus.Eine Kläranlage in Sonneberg, drei neue Stufen
bei existierenden Kläranlagen in Brandenburg –
von großen Erfolgen in Sachen Umweltschutz
war man weit entfernt, auch wenn es weitere
Expertengespräche über eine Reduzierung der
Werra-Versalzung, Rauchgasentschwefelung,
Elbeverschmutzung, Reaktorsicherheit, Ab-
fallwirtschaft und Notfallschutzplanung gab.
Während die westlichen Delegationsteilneh-
mer stets vom Verursacherprinzip ausgingen,
argumentierten die DDR-Entsandten mit den
Nutzen- und Vorteilsprinzip. Außerdem war die
Einbeziehung West-Berlins für die DDR immer
wieder ein allergischer Punkt, denn für sie
war die Halbstadt „kein Teil der BRD“. Bei den
Flüssen war der Verursacher klar: Ob Elbe, Spree,
Werra, Leine, Jeetze, Röden oder Saale – sie alle
transportierten Schadstoffe gen Westen. Bei den
Belastungen durch Schwefeldioxid, Staub und
Flugasche konnte es je nach Windrichtung auch
anders aussehen. Bei Helmstedt etwa wechselte
die Luftbelastung durch die direkt an der Grenze
gelegenen Braunkohle-Kraftwerke Harbke (im
Osten) und Buschhaus (im Westen).
All diese innerdeutschen Gespräche und Abkom-
men waren besser als Stillstand, doch letzten
Endes nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die
größten Umweltprobleme blieben die Luftver-
schmutzung in industriellen Ballungsgebieten,
die Belastung des Oberflächen- und Grundwas-
sers durch die industrialisierte Landwirtschaft,
das großflächige Waldsterben im Süden der DDR,
die massiven Landschaftszerstörungen durch
die Braunkohletagebaue sowie die von einigen
Atomanlagen und der Wismut-Uranförderung
ausgehenden Risiken.

 

 

Die DDR-Nummer 1 beim Umweltministerium, aber auch bei der Geheimhaltung

 

So wie die DDR laut ihrem Staatsnamen eine
demokratische Republik war, so war sie auf dem
Papier eine umweltfreundliche Republik. Noch
vor der Bundesrepublik gab es 1972 in Ost-Berlin
mit Hans Reichelt einen Umweltminister nebst
einem „Ministerium für Umweltschutz und
Wasserwirtschaft“ als zentrale Behörde. Ein
formal umfassendes „Landeskulturgesetz“ hatte
die DDR schon 1970 erlassen. Es ging ihr dabei
um internationales Ansehen – schließlich konnte
sie, damals von nur wenigen Staaten anerkannt,
gleichberechtigt neben der Bundesrepublik an
der ersten internationalen Umweltkonferenz
1972 in Stockholm teilnehmen. In der Bundes-
republik war das Bundesumweltministerium
1986 gegründet worden.
Das „Landeskulturgesetz“ sollte die natürlichen
Lebens- und Produktionsgrundlagen erhal-
ten, aber auch dafür sorgen, dass sie „effektiv
genutzt“ werden. Letzteres bedeutete, dass der
Umweltschutz grundsätzlich ökonomischen
Zielen untergeordnet blieb. Die DDR verwies aber
gerne auf mehr als 400 deklarierte Landschafts-
und Naturschutzgebiete, die rund 18 Prozent der
DDR-Gesamtfläche einnahmen.

 

Doch hinter dieser schönen Fassade lauerten die wahren Probleme. Sie konnten allerdings öffentlich nicht diskutiert und benannt werden. Die DDR-Medien brachten nur
Erfolgsartikel über die Politik der Regierung. Die
Bürgerinnen und Bürger konnten sich jedoch mit
„Eingaben“, also Beschwerden, an die Behörden
wenden. Und sie taten dies durchaus oft, doch
selten mit Erfolg. SED und Stasi sorgten sich vor
allem darum, dass Umweltschäden oder Havarien
nicht öffentlich wurden. Sämtliche Umweltdaten
unterlagen der Geheimhaltung und das Gesetz
zur Geheimhaltung von Umweltdaten war selbst
wiederum geheim. Auch wenn es gerade in den
70er-Jahren in der Bundesrepublik zu großen
Umweltschäden gekommen war, so unterlagen
die Probleme dort nicht staatlicher Geheimhal-
tung, sondern wurden angegangen – wenn auch
manchmal später als von Umweltschützerinnen
und Umweltschützern gewünscht. So wurde
1971 das Benzinbleigesetz verabschiedet und
1983 Emissionsgrenzwerte für Schwefeldioxid
festgelegt, der saure Regen bekämpft und Ent-
schwefelungsanlagen eingebaut. Auch der Rhein,
in den 1970er Jahren noch quasi unbewohnbar
für Fische, wurde nach und nach wieder in einen
besseren ökologischen Zustand gebracht (siehe
auch Kapitel „Schaumberge und bunte Flüsse“).

 

Was geheim bleiben sollte, war zunehmend sichtbar

 

Viele Bürgerinnen und Bürger in der DDR erlebten
im Alltag ständige Energieverschwendung: selbst
im Winter offene Fenster in schlecht regulier-
baren, ferngeheizten Büros, dauerbrennende

Straßenlaternen, defekte Sanitäranlagen, bei
denen Frischwasser monatelang direkt im Abfluss
verschwand. Ganz abgesehen von veralteten,
viel zu viel Strom, Gas oder Kohle fressenden Anlagen in den Betrieben.
Die DDR war aber keine Wegwerfgesellschaft,
Möbel und Kleidung wurden länger genutzt,
repariert wurde alles und jedes.

Viele ehemalige DDR-Bürgerinnen und

-Bürger erinnern sich nochgerne an das SERO1
-Ablieferungssystem als
Recycling wertvoller Altstoffe, an dem sich ganze
Schulklassen, FDJ-Gruppen und -Brigaden
beteiligten. Mit Altpapier, Flaschen, Gläsern,
Lumpen, Plastik oder Metallschrott ließ sich
jedes Taschengeld und manche Klassenkasse
aufbessern. Ein Kilo „Plaste“ brachte eine DDR-
Mark, Kupfer 2 Mark 50. Das ergab einen hohen
Wiederverwertungsanteil. In der
Bundesrepublik lief das zunächst deutlich
schlechter. Durchschnittlich
knapp 240 Kilogramm Hausmüll
pro Einwohner und Jahr zählte die
Statistik 1985. Ein Mülltrennungs-
system war noch nicht etabliert.
Auch der Straßenverkehr war geringer als im
Westen, doch der „Trabant“, das Lieblingsauto
der DDR-Bürger und heute ein Kultobjekt, war ein
krankmachender Umweltverschmutzer. Gesund-
heitsschädlich vor allem die Kohlenwasserstoffe
wie Benzapyren, stark krebserregend und
zusammen mit dem Kraftstoff-Öl-Gemisch Teil des
typischen Geruchs der Trabis, deren Emissionen
neunzig Mal höher als bei einem damaligen Golf
mit Katalysator waren, außer bei Stickstoffoxiden.
 

Viele Industrieanlagen, etwa bei Bitterfeld, Leuna
oder Wolfen, hatten den Standard der Vorkriegs-
zeit. Die großen Braunkohlekraftwerke wie in
Cottbus, besaßen entweder keine Filter oder, falls
veraltete vorhanden waren, wurden sie zur „Plan-
erfüllung“ besonders nachts abgeschaltet.

Hochgiftige Abwässer derchemischen Industrie

wurden praktisch ungeklärtin Sammelbecken und

Schlammteiche abgelassen. Überall im Land gab es

13.000 kleine wiegroße Mülldeponien, die meist ohne

Abdichtungzu Wasser und Boden betrieben wurden.

Dortwurde jahrzehntelang Hausmüll und Giftmüll ab-
gekippt, gegen Devisen obendrein noch Sonder-
müll aus dem Westen. Mancherorts – so in den
achtziger Jahren bei Bernau – wurden hochgiftige
Leiterplattenabfälle der Elektroindustrie unter
freiem Himmel verbrannt. Diese Praxis wurde
auch nicht gestoppt, als durch das freigewordene
Dioxin ernsthafte Gesundheitsschäden bei Menschen
in der Nachbarschaft auftraten.
Manchmal ähnelten sich auch die Umweltsünden
in Ost und West: Nah der Grenze bei Helmstedt
und Salzgitter verbrachte der jeweilige Staat
radioaktive Abfälle unter Tage, praktisch in einem
unterirdisch grenzüberschreitend verbundenen
gigantischen Salzstock zwischen Morsleben im
Osten und der „Asse“ im Westen. Das Problem
bereitet noch heute Kopfzerbrechen.
Die Liste der DDR-Umweltsünden ist lang und
dafür, dass das Land den Menschen immer wieder
zum Mittelpunkt seiner Politik erklärte, kümmer-
te es sich oft wenig um deren Gesundheit. Ein
Beispiel dafür: Während das krebserregende und
erbgutschädigende Gift DDT schon längst weltweit
geächtet und 1972 in der Bundesrepublik verboten

worden war, wurde es in der DDRweiterhin großflächig

gegen den Borkenkäfer eingesetzt.

Die kleinen Agrar-Flugzeuge versprühten
die chemische Keule über weite Teile der DDR und
überflogen dabei immer wieder auch Wohnsied-
lungen an Wald- und Feldrändern – oft mit

erheblichen Kollateral-Schäden. Kinder und

Anwohner bekamen das Supergift ab.
 

Öko-Bilanz in der Revolution 1989/90

Nach dem Fall der Mauer zeigte sich das wahre
Ausmaß der Umweltsituation in der DDR. Schon
seit 1979 hatte eine zunehmende Zahl nichtstaat-
licher Umwelt-Aktionsgruppen, vor allem unter
dem Dach der evangelischen Kirche
– um das „Kirchliche Forschungsheim Wittenberg“
und seinem Leiter Peter Gensichen  herum - die starke
Umweltverschmutzung kritisiert.  Mit sogenannten
„Baumpflanzaktionen“ trat man seit 1980 an die
Öffentlichkeit.

1983 waren es rund 30, 1988 schon etwa 80 beim
Forschungsheim registrierte
Umweltgruppen, die vom MfS im Auftrag der SED
überwacht wurden und wennmöglich „zersetzt“.

Das änderte nichts daran,dass die sichtbar
verschmutze Umwelt immermehr Menschen empörte
und auch als Argumentzur Begründung eines Ausreise-
antrages diente.
Umweltschutz wurde zu einem Dauerthema der
Oppositionsbewegung. Als Reaktion darauf grün-
dete die DDR eine „Gesellschaft für
Natur und Umweltschutz (GNU)“, die allerdings
keinen nennenswerten Einfluss nehmen konnte.
Die unabhängigen Umweltgruppen dagegen
spielten im Herbst 1989 eine wichtige Rolle.
Etliche Aktivisten fanden sich in der – allerdings
kurzlebigen – Massenbewegung „Neues Forum“
zusammen, wirkten an den „Runden Tischen“
mit und nahmen so Einfluss auf umweltpoliti-
sche Zielsetzungen beim ökologischen Umbau
Ostdeutschlands. Eine „Gemeinsame Umweltkom-
mission“ bewertete bereits im Februar 1990 die
Situation als dramatisch. Nach und nach wurden
geheim gehaltene Expertisen und Berichte öffent-
lich. So war zum Beispiel seit Jahren schon in internen
Studien das Gebiet um Bitterfeld als unbewohnbar für
Kinder eingestuft worden, ohne dies der Bevöl-
kerung mitzuteilen.
Daher kam es ziemlich schnell zur Abschaltung
besonders veralteter Anlagen der Kohleindustrie,
einem schrittweisen Ausstieg aus der Braunkohle
und zur Stilllegung von Atomanlagen. Auch die
Uranförderung im Süden der DDR wurde komplett
aufgegeben. Nach dem Ende der Geheimhaltung
wurde klar: Die Folgeschäden können nur mit
einem milliardenschweren Sanierungsprogramm
behoben werden.

Ausblick nach der Vereinigung 1990

Nach der Vereinigung wurden die Umweltgesetze
des Bundesrepublik Deutschland auf das ehemali-
ge Gebiet der DDR übertragen, was zu erheblichen
Verbesserungen für die Umwelt führte, nicht
zuletzt beim Schwefel- und Kohlendioxid-Ausstoß
und beim Eintrag von Schadstoffen in Flüsse und
Gewässer. Neue Probleme kamen hinzu, durch
mehr Verkehr, mehr Müllaufkommen, mehr
Zersiedelung. Insgesamt jedoch hatte DDR weite,
zwar belastete aber wertvolle Landstriche, die
ökologisch erfolgreich umgebaut werden konnten.
4,5 Prozent des DDR-Gebietes wurden ökologi-
sches Schutzgebiet, Nationalparks entstanden.
Selbst der „Todesstreifen“, jene knapp 1.400
Kilometer lange innerdeutsche Grenze, hat sich
heute als „grünes Band“ in ein wertvolles Biotop
verwandelt und wurde von der Bundesregierung
gar zum nationalen Naturerbe erklärt. Eine
Entwicklung, die vor 30 Jahren wohl niemand
vorhergesehen hat: Von Minen, Schussanlagen
und Wachtürmen hin zum grünen Schutzraum
für Natur und Artenvielfalt – eine Folge
der friedlichen Revolution und des Zusammen-
wachsenseines gespaltenen Landes mitten in Europa.

Buchtips

[1]Leicht geänderter Beitrag aus einem Schwerpunkt des Umweltbundesamtes zu 30 Jahren Deutsche Einheit. https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/30-jahre-deutsche-einheit-auch-fuer-die-umwelt-ein (Zugriff 25.7.2023) mit freundlicher Genehmigung des UBA und des Autors.

[2] Buchautor und Journalist, war von 1978 bis 1985 in der DDR für den evangelischen Pressedienst unterwegs.

 

Peter Wensierski schrieb als Autor und Co-Autor u.a. diese Bücher zum Thema:

1.

Von oben nach unten wächst gar nichts: Umweltzerstörung und Protest in der DDR, Fischer-Verlag,1986 (heute erhältlich als kindle-e-book). https://t1p.de/xw861

2. 

Ökologische Probleme und Kritik an der Industriegesellschaft in der DDR heute. Forschungsbericht, 1984 - 1986, Verlag Wissenschaft und Politik.  https://t1p.de/89aqf

3.

Beton ist Beton -Zivilisationskritik aus der DDR, 1980, Scandica-Verlag, (heute erhältlich als Kinde-e-book)

https://t1p.de/3fobi