Umweltsituation und staatliche Umweltpolitik

Von Dieter Rink[1]

Umweltprobleme hatten in den 1970er und 1980er Jahren in der DDR ein hohes Ausmaß angenommen, die DDR wies die höchste Schadstoffemission Europas auf. Die gravierendsten Umweltprobleme waren: die industriellen Luft- und Wasserkontaminationen in  Ballungsgebieten, das Waldsterben, die großflächige Landschaftszerstörung durch Braunkohlenbergbau, die Bodenerosion bzw. -zerstörung durch die Landwirtschaft sowie die von den Atomanlagen und der Uranförderung ausgehenden radioaktiven Strahlungen und Risiken.

Ein hoher Wassernutzungsgrad war aufgrund extremer Wasserknappheit für die DDR notwendig. Die Kontamination des Wassers wurde vor allem durch die chemische Industrie, die Landwirtschaft und die Nahrungsgüterwirtschaft hervorgerufen. 1972 waren nur 17% der Wasserhauptläufe für die Trinkwassergewinnung nutzbar. Größtenteils diente die mechanische Reinigung nur als „Mittel der Kosmetik“. Der Smog in den Städten wurde als „Industrienebel“ bezeichnet, der durch den Westwind hervorgerufen wurde, es gab keinen Smog-Alarm. Die hohe Grundwasserkontamination kam durch ungeordnete Müllabkippungen zustande. Die Hauptrichtung der Energiepolitik war die Nutzung der Braunkohlevorräte, die schwerwiegende Umweltbelastungen verursachte und der Ausbau der Kernenergie. Durch veraltete und verschlissene Industrieanlagen stieg der Energiebedarf stetig an. Extreme Umweltbelastungen gab es vor allem in den Braunkohlen- und Energie- sowie den Industriezentren im Süden des Landes. „Der Zwang, maximale Produktionssteigerung auf der Basis von technisch überholten Produktionsstrukturen und wachsendem Energiebedarf zu erreichen, war wohl eine der wesentlichen Ursachen für die katastrophalen Zustände in der Umwelt“ (Nissen 1992, S. 15). Ebenso führten Fehlentscheidungen vor allem in der Standort- und Strukturpolitik, eine sich Veränderungen schwerfällig anpassende Planwirtschaft und niedrige Investitionsaufwendungen für Umweltschutzmaßnahmen aufgrund knapper Mittel zur krisenhaften Entwicklung der Umweltbedingungen.

Obwohl die SED durchaus auf eine Einheit von Ökonomie und Ökologie setzte, führte die Entwicklung faktisch zur Priorität der Ökonomie. Auch die DDR setzte zu Beginn alle Anstrengungen auf die Überwindung der Kriegsfolgen, Demontagen und auf ein quantitatives wirtschaftliches Wachstum. Auf das weltweite Phänomen der zunehmenden Umweltzerstörung reagierten politische Instanzen erst, als die Folgen immer stärker sichtbar worden und sich Nachrichten über Umweltschäden in anderen Ländern häuften. Zahlreiche gesetzgeberische Maßnahmen entstanden, die vor allem Regelungen für Teilbereiche brachten. 1970 wurde die gesamte Materie des Umweltschutzes im “Landeskulturgesetz“ zusammengefasst. Im §1 lautet die programmatische Zielstellung, daß natürliche Lebens- und Produktionsgrundlagen der Gesellschaft zu erhalten, zu verbessern und effektiv zu nutzen sowie die sozialistische Heimat zu verschönern sei. Das umfassende landeskulturelle Umweltrahmengesetzeswerk wurde durch Einzelgesetze und Durchführungsverordnungen konkretisiert. Das umweltpolitische Instrumentarium reichte von der Integration von Umweltaspekten in den verschiedenen Ebenen zentralstaatlicher und betrieblicher Planung über Formen ordnungsrechtlicher Verhaltenssteuerung bis hin zu ökonomischen Instrumenten. Zur administrativen Durchführung des LKG und für die staatliche Planung und Leitung von Umweltschutzmaßnahmen wurde 1972 als zentrale Behörde das Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft gebildet. Den für damalige Verhältnisse auch im internationalen Vergleich vorbildlichen und relativ umfassenden formalen gesetzgeberischen Maßnahmen stand allerdings eine offensichtliche Knappheit an finanziellen und materiellen Mitteln entgegen, die Grenzwerte waren zu schwach formuliert und Umweltabgaben zu niedrig angesetzt. Durch den Mangel an substantieller Umweltpolitik blieben viele der Regelungen somit wirkungslos. Seit Mitte der siebziger Jahre blieb die DDR-Umweltpolitik grundsätzlich ökonomischen und sozialpolitischen Erwägungen untergeordnet und war kein Bestandteil der Gesamtpolitik.

Die SED-Führung war im Systemwettbewerb in den 1970er Jahren zunehmendem Druck ausgesetzt und versuchte mit ehrgeizigen Produktionszielen und sozialpolitischen Maßnahmen ihre Macht zu legitimieren und der Unzufriedenheit der Bevölkerung entgegenzuwirken. Ende der siebziger Jahre kam es in der DDR aufgrund der durch die Erdölkrise ausgelösten Außenhandelsprobleme zur Renaissance der Braunkohle. Das rohstoffarme Industrieland war energiewirtschaftlich auf seine Braunkohlevorräte angewiesen und mit „einer jährlichen Förderleistung von über 300 Millionen Tonnen (t) Braunkohle ... mit Abstand der größte Braunkohleproduzent der Erde“[2]. Große Hoffnung wurden auch auf die Nutzung der Kernenergie gesetzt, die als langfristige Alternative zur Kohle konzipiert war. Unter Nutzung sowjetischer Technik wurde in den 1980er Jahren unter enormem ökonomischen Aufwand der Ausbau der Kernenergie durch den Bau der Anlagen in Greifswald und Stendal vorangetrieben. Schwierigkeiten im sowjetischen Reaktorbau und Entsorgungsfragen führten allerdings zu einem Mißverhältnis zwischen den ehrgeizigen Plänen und dem Realisierungsstand[3].

Ein weiterer entscheidender Schwachpunkt der Umweltpolitik stellte die dürftige Informationspolitik über die tatsächliche Umweltsituation und die repressive Abschottung der SED-zentralisierten Entscheidungsstrukturen dar. Hinzu kam, dass die offizielle Umweltdiskussion stark reaktiv und ideologisch gefärbt war. Als zentrale Ursache der Umweltzerstörung wurde auf die kapitalistische Produktionsweise verwiesen, sie sei - so die Argumentation - auch in der DDR nicht vollständig überwunden und die Systemkonkurrenz würde dafür keine Ressourcen übrig lassen.

Die Mangelwirtschaft hatte freilich auch positive umweltpolitische Effekte, so die hochgradige Wiederverwertung von Rohstoffen und der Gütertransport auf der Schiene. Zu den umwelt- und naturschutzpolitischen Aktiva gehörte an erster Stelle das vorbildliche System der 402 Landschafts- und Naturschutzgebiete, welche circa 18% der DDR Gesamtfläche einnahmen[4]. In diesem Bereich lag auch der Schwerpunkt der Aktivitäten der nach 1945 wiedergegründeten Naturschutz- und Heimatverbände. Die waren 1949 auf Erlass der Deutschen Wirtschaftskommission in den Kulturbund zwangseingegliedert und in der Folge Teil des staatlich gelenkten Systems der Massenorganisationen geworden. Infolge ihrer traditionellen Naturschutzorientierung und ihrer ideologischen Einbindung konnten sie keine Plattform für umweltpolitische Belange sein. Die in den 1970er und Anfang der 1980er Jahre wachsende Unzufriedenheit mit der Umweltsituation und der DDR-Umweltpolitik verwies unzufriedene Menschen auf die evangelische Kirche, die sich des Themas annahm.

Umweltbewusstsein hatte sich in der DDR nur ansatzweise als Problem- und Verantwortungsbewusstsein entwickelt. Eine Ökologiedebatte wurde zum einen „offiziell“ von einzelnen Fachwissenschaftlern und führenden Politikern sowie „inoffiziell“ in kirchlichen und autonomen Umweltgruppen geführt. Im staatlichen Bildungssystem wurde durch die Vermittlung naturwissenschaftlicher Kenntnisse der Wert und die Schönheit des sozialistischen Vaterlandes hervorgehoben. Für die Entwicklung umweltrelevanter Verhaltensweisen war vor allem die außerschulische Umwelterziehung in Arbeitsgemeinschaften wie „Junge Naturforscher“, in Sportfachverbänden, in der Jugendarbeit der GNU-Fachgruppen sowie in Jugendarbeitsgruppen in Museen, Tierparks von Bedeutung, deren Effektivität von den lokalen staatlichen Entscheidungsträgern abhängig war. Durch zahlreiche Wettbewerbe („Schöner unsere Städte und Gemeinden – mach mit!“) und Veranstaltungen zum Umweltschutz sollte sich Umweltbewusstsein planmäßig auf der Grundlage moralischer Anreize herausbilden. Trotz der politisch-ideologischen Erziehungsarbeit und der Propagierung eines umweltverantwortlichen, ökonomisch tragbaren Handelns zur Herausbildung eines spezifisch sozialistisch-kommunistischen Verhaltens des Menschen zur natürlichen Umwelt blieb das ökologische Verantwortungsbewusstsein in der Bevölkerung unzureichend.


[1]

[2]Friedrich-Ebert-Stiftung, 1988: Die Energiepolitik der DDR: Mängelverwaltung zwischen Kernkraft und Braunkohle. Bonn. S. 10.

[3] Die Entwicklung alternativer Energiequellen wurde in diesem Kontext praktisch nicht vorangetrieben.

[4] Vgl. Ministerium für Naturschutz, Umweltschutz und Wasserwirtschaft / Institut für Umweltschutz (Hg.), 1990:Umweltbericht der DDR: Information zur Analyse der Umweltbedingungen in der DDR und zu weiteren Maßnahmen. Berlin, S. 48.