Die Rolle von Partisanen im Russisch-Ukrainischen-Krieg

Von Nikolaus von Twickel[1]

Wie viele andere Kriege hat auch der russische Krieg gegen die Ukraine eine Dimension hinter den feindlichen Linien. Seit der Invasion von 2014 hat es Anschläge gegen die russischen bzw. russisch kontrollierten Besatzer in der Ukraine gegeben. In der ersten Kriegsphase wurden viele dieser Aktionen offenbar von Agenten aus Kyjiw koordiniert. Erst nach der Großinvasion 2022 organisierten sich eigenständige Partisanengruppen auf russisch kontrolliertem Gebiet. Diese bekennen sich mittlerweile auch zu Anschlägen innerhalb Russlands.

Das Ziel der Tätigkeit von Partisanen ist es vor allem, den Besatzern zu schaden, sei es durch Zerstörung oder Beschädigung von Infrastruktur (Brücken und Bahngleise) oder durch Angriffe auf die Besatzungstruppen und ihre Ausrüstung. Während dafür in der Regel geschultes bzw. militärisches Personal nötig ist, können auch Laien mit gewaltlosen Aktionen wirksamen Widerstand leisten, etwa durch das Ausspähen und die Weitergabe militärischer Positionen und Bewegungen des Gegners.

Die erste Kriegsphase 2014 bis 2022

Die erste Phase des Krieges war geprägt von teils gewaltsamen Konflikten innerhalb der Besatzer bzw. prorussischer bewaffneter Gruppen. Zwischen 2014 und 2018 wurden zahlreiche Feldkommandeure bzw. Anführer der „Separatisten“ (die offen einen Anschluss an Russland forderten) Ziel von Anschlägen, von denen offenbar die meisten auf das Konto des Kremls gingen.

Vor allem im Gebiet Luhansk waren die Opfer Kommandeure, die sich den von Moskau installierten neuen Machthabern nicht unterordnen wollten, etwa die ukrainischen Staatsbürger Alexander Bednow und Alexei Mosgowoi. Auch unter ukrainischen Beobachtern ist die gängige Erklärung, dass es sich dabei um „Säuberungen“ innerhalb der Besatzungsregime in Donezk und Luhansk und nicht um ukrainische Sabotage handelte.

Allerdings wurde 2024 bekannt, dass einige der spektakulärsten Anschläge wohl ukrainische Spezialoperationen waren. Die „New York Times“ berichtete im Februar 2024, dass der ukrainische Militärgeheimdienst HUR hinter den tödlichen Attentaten auf die prominenten Donezker Feldkommandeure Arsen Pawlow und Michail Tolstych steht. Pawlow, besser bekannt unter dem Spitznamen Motorola, war im Oktober 2016 von einer Bombe im Aufzug seines Wohnhauses getötet worden. Tolstych, der sich „Giwi“ nannte, wurde im Februar 2017 in seinem Hauptquartier bei Donezk vom Geschoss eines offenbar ferngesteuerten Raketenwerfers tödlich getroffen.

Dem Zeitungsbericht zufolge hatten HUR-Agenten vor Ort beide Anschläge durchgeführt – zum Unwillen ihrer amerikanischen Unterstützer, die befürchteten, dass solche Gewaltaktionen unkontrollierbare Eskalationen auslösen würde. Moskau schlug demnach tatsächlich zurück und tötete im Juni 2017 den hochrangigen ukrainischen Geheimdienstoffizier Maxym Schapowal durch eine Autobombe in Kyjiw.

Auch die Autobombe, die im Februar 2017 den obersten Militärkommandeur im besetzten Luhansk, Oleg Anaschtschenko, tötete, soll von ukrainischen Diensten platziert worden sein. Das jedenfalls schrieb ein ehemaliger Pressesprecher des Kyjiwer Innenministeriums drei Jahre später. Die Qualität dieser Attentate lässt vermuten, dass sie nicht von Partisanen, sondern von Agenten verübt wurden. Die ukrainische Regierung bekannte sich damals ausdrücklich nicht dazu.

Anders war es bei der Entführung des prorussischen Kämpfers Wladimir Zemach im Juni 2019. Der ukrainische Staatsbürger hatte 2014 unter dem russischen Kommandeur Igor Strelkow im Gebiet Donezk eine Luftabwehrgruppe befehligt. Vom Internationalen Tribunal in den Niederlanden wurde Zemach als Zeuge geführt, weil er zumindest indirekt am Abschuss des Malaysia Airlines Fluges MH17 beteiligt gewesen sein soll, bei dem im Juli 2014 alle 298 Insassen starben.

Ein HUR-Kommando entführte Zemach aus seiner Wohnung in Snischne (Gebiet Donezk) und brachte ihn nach Kyjiw. Die dramatische Operation (auf dem Rückweg wurde einer der HUR-Agenten von einer Mine tödlich verwundet) brachte nicht den gewünschten Erfolg einer Aussage Zemachs vor dem Tribunal. Stattdessen musste Kyjiw Zemach zwei Monate später in einem Gefangenenaustausch nach Moskau überstellen. Immerhin kamen dadurch 35 in Russland festgehaltene ukrainische Gefangene frei – darunter der Regisseur Oleh Senzow.

Insgesamt aber ist die Masse der Anschläge in den besetzten Gebieten in dieser Kriegsphase im Zusammenhang mit den Machtkämpfen innerhalb der von Russland geschaffenen, aber nicht sonderlich gut kontrollierten bewaffneten Verbände zu sehen. Eine gewisse Stabilisierung setzte Ende 2017 ein: Zunächst wurde der eigenwillige Luhansker Separatistenführer Igor Plotnizki gestürzt, dann starb der als unberechenbar geltende Donezker Anführer Alexander Sachartschenko am 30. August 2018 bei einem Bombenattentat. Die darauffolgenden umfangreichen Säuberungen in den „Regierungen“ von Donezk und Luhansk deuten stark darauf hin, dass hinter beiden Machtwechseln der Kreml stand, der die Loyalität seiner Statthalter sichern wollte.

Die Tatsache, dass es in der ersten Kriegsphase fast keine Anschläge gegen Infrastrukturobjekte gab[2], lässt sich vielleicht damit erklären, dass die Minsker Abkommen eine letztlich trügerische Hoffnung auf ein Ende der Besatzung bargen. Solange der (brüchige) Waffenstillstand hielt, war die Regierung in Kyjiw offenbar nicht daran interessiert, wertvolle Infrastruktur in den besetzten Gebieten zu opfern.

Nach dem 24. Februar 2022

Seit der russischen Großinvasion vom 24. Februar 2022 stellt sich die Situation komplett anders dar. Der russische Vernichtungswille, der sich in der Zerstörung der Großstadt Mariupol und in den Massakern von Butscha und Irpin manifestierte, aber auch die anfänglichen militärischen Erfolge der eigenen Streitkräfte haben Kyjiw darin bestärkt, die russischen Aggressoren auch in den besetzten Gebieten zu bekämpfen.

Nachdem sich der ukrainische Widerstand zunächst spontan und gewaltfrei formierte – etwa bei großen Demonstrationen in Cherson, Melitopol und anderswo – folgten bald zahlreiche Anschläge auf russische Besatzer und ihre einheimischen Kollaborateure.

Allein im Gebiet Cherson wurden nach einer Zählung des russischen Exilmediums Meduza bis Mitte Oktober 2022 mindestens sechs Angehörige der russischen Besatzungsverwaltung getötet, weitere sieben wurden verletzt, darunter der „Gouverneur“ Wladimir Saldo, der im August offenbar mit Vergiftungssymptomen in ein Moskauer Krankenhaus eingeliefert wurde.

Im russisch besetzten Teil des Gebiets Saporyschschia wurden demnach im gleichen Zeitraum bei acht Anschlägen mindestens fünf Angehörige der russischen Verwaltung getötet und weitere zwei verletzt.

Im besetzten Luhansk starben am 16. September 2022 der Generalstaatsanwalt der gleichnamigen „Volksrepublik“ Sergei Gorenko sowie seine Stellvertreterin bei einem Bombenattentat. Im Mai 2023 wurde der Luhansker „Innenminister“ Igor Kornet durch eine Bombe in einem Friseursalon schwer verletzt.

Ob diese Anschläge von Partisanengruppen, von Agenten aus Kyjiw oder durch eine Zusammenarbeit zwischen beiden verübt wurden, ist schwer zu klären. Der Chef des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU, Wasyl Maliuk, bestätigte im März 2024 indirekt, dass seine Behörde an den zwei Anschlägen in Luhansk beteiligt war, indem er Details über die Detonationen nannte.

Zumindest ein prominenter Todesfall könnte auf das Konto russischer Agenten gehen. Am 9. November 2022 starb der bekannte ukrainische Blogger und stellvertretende „Gouverneur“ des Besatzungsregimes von Cherson, Kirill Stremousow, bei einem Verkehrsunfall im russisch besetzten Teil der Region. Viele Medien spekulierten daraufhin, dass der Unfall inszeniert war und Moskau einen schwer kontrollierbaren Kollaborateur loswerden wollte.

Attentate auch in Russland

Die Serie von Attentaten beschränkte sich aber nicht auf die russisch besetzten Gebiete in der Ukraine. Auch in Russland selber kommen immer wieder Kriegspropagandisten und Militärführer ums Leben. Allein im Jahr 2023 wurden dort vier prominente Putin-Unterstützer verletzt, zwei von ihnen tödlich:

Im April 2023 starb der russische Kriegsblogger Wladlen Tatarski in St. Petersburg, als ihm eine Büste mit einem darin versteckten Sprengsatz überreicht wurde. Einen Monat später wurde der prominente nationalistische Schriftsteller Sachar Prilepin schwer verletzt, als er mit seinem SUV in Nischni Nowgorod über eine Panzermine fuhr. In der zweiten Jahreshälfte 2023 folgten Attentate auf zwei aus der Ukraine geflohene prorussische Politiker. Im Oktober wurde in Jalta auf der besetzten Krim der ehemalige Rada-Abgeordnete Oleg Zarjow durch Schüsse schwer verletzt, im Dezember wurde der ehemalige Abgeordnete Ilja Kywa in einem Park bei Moskau erschossen.

War Daria Dugina das erste Opfer auf russischem Boden?

Bereits im August 2022 war die Journalistin Daria Dugina durch eine Autobombe in der Nähe von Moskau getötet worden. Höchstwahrscheinlich galt die Bombe ihrem Vater, dem bekannten russischen Philosophen Alexander Dugin, der Medienberichten zufolge geplant hatte, mit demselben Auto zu fahren. Dugin hatte sich als rechtsnationalistischer Publizist und Befürworter des Krieges einen Namen gemacht und war oft als ein Intellektueller dargestellt worden, der auf Putin Einfluss ausübt – obwohl es daran erhebliche Zweifel gibt.

Kyjiw hat eine Beteiligung an dem Attentat auf Dugina zurückgewiesen. Die „New York Times“ berichtete jedoch zwei Monate später, dass US-Geheimdienste der Auffassung seien, dass die Tat zumindest teilweise von der ukrainischen Regierung beauftragt wurde. Sollte das zutreffen, wäre das wohl der erste von einem ausländischen Staat organisierte politische Mord in Russland seit 1991.

Bei den anderen Attentaten ist der ukrainische Bezug klarer. SBU-Chef Maliuk gab im März 2024 Details der Attentate auf Tatarski, Prilepin, Zarjow und Kywa bekannt, was als indirekter Beleg für die Täterschaft des ukrainischen Geheimdienstes aufgefasst wird. Am Tag des Attentats auf Prilepin bekannte sich zudem die auch in Russland operierende ukrainische Partisanengruppe „Atesch“ indirekt zu der Tat – das ursprüngliche Post wurde allerdings inzwischen gelöscht.[3]

Während die meisten dieser Attentate reine Racheakte sind, die wenig bis gar keinen Einfluss auf die militärische Lage haben, sind Anschläge gegen wichtige Infrastruktur-Objekte deutlich effektiver.

Krim-Brücke, Kirillow und Spinnennetz

Der erste größere Anschlag fand am 8. Oktober 2022 statt, als die Krim-Brücke bei Kertsch von einer Explosion und ein dadurch ausgelöstes Feuer schwer beschädigt wurde. Wie SBU-Chef Maliuk später bestätigte, war eine in einem LKW versteckte Bombe detoniert, als dieser die Brücke vom russischen Festland kommend überquerte. Dadurch wurde ein mit Treibstoff beladener Güterzug auf der benachbarten Eisenbahnbrücke in Brand gesetzt.

Weitere spektakuläre Anschläge innerhalb Russlands gehen ebenfalls auf das Konto des ukrainischen Geheimdienstes. Im Dezember 2024 starb der russische General Igor Kirillow bei einem Bombenattentat in Moskau. Zu dem Attentat bekannte sich der SBU – Kirillow habe den Einsatz von Chemiewaffen in der Ukraine befohlen.[4]

Am 1. Juni 2025 schließlich wurden bei der ukrainischen „Operation Spinnennetz“ auf vier russischen Flughäfen 41 Bomber und andere Militärflugzeuge durch Drohnen vernichtet oder beschädigt. Nach Angaben von SBU-Chef Maliuk waren die ukrainischen Drohnen aus Lkw gestartet, die Agenten in der Nähe geparkt hatten. Laut Maliuk waren alle beteiligten SBU-ngehörigen wieder sicher in die Ukraine zurückgekehrt.

Allerdings wurden auch diese Anschläge nicht von Partisanen, sondern von Agenten verübt – was angesichts des benötigten Fachwissens und der Logistik verständlich ist. Weniger spektakuläre Sabotageaktionen können aber tatsächlich Partisanen zugeschrieben werden. So wurden in den vergangenen Jahren immer wieder militärisch wichtige Verkehrsobjekte in den besetzten Gebieten zerstört. Im Dezember 2022 sprengten offenbar Partisanen eine wichtige Straßenbrücke bei Melitopol, im Juni 2023 eine Eisenbahnbrücke am selben Ort, im November 2024 eine Eisenbahnbrücke in Alekseevka im Gebiet Cherson.

Welche Organisation einzelne Anschläge jeweils durchführte, lässt sich selten nachweisen. Die vielleicht erste Widerstandsbewegung, die 2022 auftauchte, war Showta Stritschka („Gelbes Band“), die auf eine pro-ukrainische Kundgebung in Cherson am 27. März 2022 zurückgeht. Im Herbst 2022 wurde die Bewegung stellvertretend für die Zivilgesellschaft in den besetzten Gebieten sogar mit dem Sacharow-Preis des Europaparlaments ausgezeichnet.

Andere Partisanenbewegungen sind die ursprünglich krimtatarische Atesch sowie Ruch Oporu, eine ebenfalls auf der Krim entstandene Bewegung, die mittlerweile Teil der Spezialkräfte der ukrainischen Streitkräfte ist.

Vor allem Atesch bekennt sich immer wieder zu Anschlägen in Russland. Im April meldete die Gruppe die Zerstörung einer militärisch genutzten Telekommunikationseinrichtung in Dagestan, im September will sie einen militärischen Sendemast in Tula zerstört haben. Zu ihrem dreijährigen Bestehen meldete Atesch am 25. September 2025, dass sich Freiwillige aus acht russischen Regionen an Plakat-Aktionen beteiligt haben. Grundsätzlich lässt sich die Wirksamkeit der Partisanenbewegung schwer einschätzen.

Beobachter vermuten, dass sich die Tätigkeit der Partisanen zuletzt von den besetzten ukrainischen Gebieten nach Russland verschoben hat. Die Gründe hierfür seien zum einen, dass es den Besatzern gelungen sei, die Frontlinie besser zu kontrollieren. So sei es extrem schwierig geworden, nötiges Material wie Waffen und Sprengstoff in die Besatzungszone zu bringen, sagt der litauische Experte Alvydas Medalinskas, der die ersten Wochen nach dem 24. Februar 2022 in der Hafenstadt Berdyansk erlebt hat. Zum anderen sei das Besatzungsregime mittlerweile so hart, dass viele, die bereit seien, Widerstand zu leisten, die Gebiete verlassen hätten. Dagegen gebe es in Russland mehr Potenzial: „Immer mehr Menschen entdecken ihre ukrainischen Wurzeln oder schließen sich aus moralischen Gründen den Partisanen an,“ erklärt Medalinskas.

Am effektivsten ist möglicherweise die vielleicht einfachste Tätigkeit von Partisanen – die Weitergabe von Informationen vor allem militärischer Art. Die ukrainische Regierung hat dafür ein eigenes Internet-Portal eingeführt: Unter https://evorog.gov.ua/ („E-Feind“) kann man solche Informationen über die staatliche Service-App „DIA“ hochladen. Die Tatsache, dass die russischen Besatzer beispielsweise im besetzten Teil des Gebiets Saporischschia nicht müde werden zu wiederholen, dass das Fotografieren und Filmen von Soldaten und militärischem Gerät streng verboten sind, zeigt, dass das Sammeln und die Weitergabe sensibler Informationen durch die Zivilbevölkerung ein ernsthaftes Problem für die Besatzungsmacht darstellen.

 


[1] Nikolaus von Twickel ist Redakteur und Projektmanager im Russland-Team des Zentrums Liberale Moderne. Der gelernte Journalist hat als Korrespondent in Moskau gearbeitet, bevor er 2015/16 als Medienverbindungsoffizier zur OSZE-Beobachtermission nach Donezk/Ukraine ging.

[2] Es gab vereinzelte Vorfälle wie die Zerstörung einer Eisenbahnbrücke bei Chrustalny im Gebiet Luhansk im April 2018 – hierzu bekannte sich aber niemand.

[3] Der in Kyjiw lebende russische Oppositionspolitiker Ilya Ponomarjow hat behauptet, eine „Russische Republikanische Armee“ sei für die Attentate auf Dugina, Tatarski und Prilepin verantwortlich. Allerdings ist die Existenz einer solchen Gruppierung bislang nicht bestätigt worden.

[4] Im April 2025 starb ein weiterer russischer General – Jaroslaw Moskalik – durch eine Autobombe bei Moskau. Anders als Kirillow hatte Moskalik keine militärische Rolle in der Ukraine, er hatte aber für die russische Seite an den Minsker Verhandlungen 2015 teilgenommen. Zu dem Anschlag hatte sich bis Herbst niemand bekannt, aber Medienberichten zufolge vermuten die Ermittler eine ukrainische Operation.