Warum es nicht gelungen ist, Putin mit Sanktionen niederzuringen

Prof. Dr. Christian von Soest.[1]

Die EU steht kurz vor ihrem mittlerweile 19. Sanktionspaket gegen Russland. Der Ausstieg aus russischem Öl und Gas soll beschleunigt und der Druck auf große Abnehmer russischer Energie erhöht werden. Auch die lange geschmähten Sekundärsanktionen gegen Unternehmen aus Drittstaaten wie China und Indien sind längst kein Tabu mehr. Dennoch ist die Ernüchterung groß, Berichte über die Umgehung der westlichen Zwangsmittel häufen sich. Die russische Wirtschaft wuchs 2023 und 2024 um jeweils etwa vier Prozent – getrieben durch massive Staatsausgaben für die Kriegswirtschaft. Doch 2025 zeichnet sich eine Wende ab: Das Wachstum verlangsamt sich auf weniger als ein Prozent, die Inflation liegt bei über neun Prozent, und Ökonomen warnen vor einer drohenden Rezession. Russische Truppen halten dennoch weiter fast ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebiets besetzt. Offensichtlich konnten die westlichen Sanktionen den Kreml nicht zum Rückzug zwingen.

Wo wirtschaftliche Zwangsmittel an ihre Grenzen stoßen

Oft sind die Erwartungen jedoch überzogen: Die Sanktionsforschung zeigt, dass wirtschaftliche Zwangsmittel nur in etwa einem Drittel aller Fälle zumindest teilweise erfolgreich sind und zu einem Kurswechsel führen – keine berauschende Erfolgsquote. Hinter diesem Mittelwert verbergen sich zudem enorme Unterschiede. Im Fall Russlands fehlen schlicht viele Faktoren, die Sanktionen wirksam machen könnten.

Russland ist keine Demokratie, in der eine durch Sanktionen verursachte Wirtschaftskrise sich in politischen Druck, in Protesten auf der Straße oder an der Wahlurne übersetzt. Die mit den Sanktionen verbundenen Forderungen sind außerdem umfassend – ein Ende der Kämpfe, vollständiger Rückzug aus der Ukraine. Und die Beziehungen zum Kreml waren bereits vor dem Einmarsch nicht freundschaftlich, sondern angespannt. Schließlich ist der größte Flächenstaat der Erde als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats und einer der größten Öl- und Gasförderer extrem mächtig.

Westliche Staaten reagierten mit ungekannter Härte auf Russlands Überfall am 24. Februar 2022. Mindestens 45 Staaten belegen die Großmacht heute mit Sanktionen in vier zentralen Bereichen: Zugang zum globalen Kapitalmarkt, Ausfuhr von Mikrochips und anderen High-Tech-Bauteilen, Verkauf von Öl und Gas sowie Strafen gegen politische Verantwortliche und kriegsunterstützende Firmen. Geldinstitute wie die Sberbank, die fast ein Drittel der bei russischen Banken liegenden Vermögenswerte hält, wurden vom internationalen Zahlungssystem SWIFT abgetrennt.

Die EU führt mittlerweile über 2500 Personen und Organisationen auf ihrer Sanktionsliste – von Präsident Putin über Duma-Abgeordnete bis zu Moderatoren des Staatsfernsehens. Mit dem 18. Sanktionspaket vom Juli 2025 sank die Preisgrenze für russisches Rohöl von 60 auf 47,60 Dollar pro Barrel, und 444 Schiffe der russischen Schattenflotte dürfen westliche Häfen nicht mehr anlaufen.

Constraining statt Coercing: Was Sanktionen tatsächlich leisten

Bei einer Großmacht wie Russland waren die Aussichten, Putin durch die Unterbrechung von Handels- und Finanzströmen zum Rückzug aus der Ukraine zu zwingen, von Beginn an verschwindend gering. Neben diesem „Coercing" – dem Erzwingen eines Kurswechsels – erfüllen Sanktionen jedoch noch zwei weitere entscheidende Funktionen: Die Finanzstrafen und Exportverbote für elektronische Bauteile und andere Hochtechnologie beschränken massiv Moskaus Handlungsspielraum – die Forschung bezeichnet dies als „Constraining". Zudem senden die Sanktionen ein kostenträchtiges Signal über zentrale völkerrechtliche Normen wie die territoriale Integrität und Souveränität eines Landes („Signalling"). Die westlichen Strafen wirken somit umfassender, als viele Kritiker annehmen.

Allerdings demonstriert der Fall, wie schwierig es ist, eine zu allem entschlossene Öl- und Militärmacht mit Wirtschaftswaffen wirksam zu treffen. Eine wirtschaftliche Kernschmelze blieb aus – stattdessen pumpte der Kreml Billionen Rubel in die Kriegswirtschaft, was kurzfristig für Wachstum sorgte. Doch dieser künstliche Aufschwung hat seinen Preis: Die russische Zentralbank hob den Leitzins auf 21 Prozent an, um die galoppierende Inflation zu bekämpfen. Das Loch in der russischen Haushaltskasse wird größer, der russische Wohlfahrtsfonds schrumpft. Schätzungen zufolge wäre die russische Wirtschaft ohne die Aggression seit 2014 heute fast 20 Prozent größer. Die Forschung zeigt zudem, dass hochpersonalisierte Regime wie das Putins besonders anfällig für Wirtschaftskrisen sind. Die Anzeichen für 2025 deuten zunehmend auf eine solche drohende Krise hin.

Die politischen Hürden wachsen

Die oft als träge charakterisierte EU mit ihren 27 Mitgliedsstaaten und dem Einstimmigkeitsprinzip hat gerade nach Beginn des russischen Vollangriffs bemerkenswert geschlossen reagiert. Doch es wird zunehmend schwieriger, in Brüssel Mehrheiten für neue Zwangsmittel zu organisieren. Die kremlfreundlichen EU-Regierungen in Ungarn und der Slowakei stellen eine dauerhafte Hürde dar. Entscheidend bleibt zudem die Haltung der USA unter Präsident Trump.

Theoretisch wären die Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft: Neue Kapitalkontrollen könnten Geldflüsse nach Russland unterbinden. Erweiterte Handelsverbote für kriegswichtige Dual-Use-Güter stehen zur Diskussion – noch immer dürfen Firmen zahlreiche Maschinen und technisches Gerät nach Russland liefern. Die Energieimporte aus Russland sollen bis 2027 enden, doch macht russisches Gas weiter knapp ein Fünftel der europäischen Einfuhren aus. Die Staaten überweisen dafür monatlich Milliarden nach Moskau – ein Glaubwürdigkeitsproblem für die europäischen Regierungen.

Die „nukleare Option", wie im Fall Irans alle russischen Geldinstitute vom weltweiten Bankensystem SWIFT abzuklemmen, würde internationale Zahlungen für Moskau erheblich erschweren. Auch könnten westliche Staaten die festgesetzten Auslandsreserven von etwa 300 Milliarden Dollar endgültig einziehen. Mindestens zwei Drittel lagern auf europäischen Konten. Mittlerweile diskutiert die EU-Kommission neue Vorschläge, um auf diese Gelder rechtssicher zugreifen zu können.

Die größte Schwäche: Der Westen setzt seine Strafen nur mangelhaft durch. Die Zwangsmittel werden im großen Stil über Drittstaaten wie China, die Türkei oder in Zentralasien Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan umgangen, zudem sind die Kontrollen des Preisdeckels für russisches Rohöl nicht streng genug.

Brüssel, Berlin und – sollte US-Präsident Trump mitspielen – Washington könnten den Wirtschaftsdruck auf Moskau noch erheblich steigern. Sanktionen wirken jedoch nur im Zusammenspiel mit den massiven Wirtschafts- und Waffenhilfen für die Ukraine. Präsident Putin scheint entschlossen, seinen Feldzug um jeden Preis fortzusetzen. Die bittere Erkenntnis: Die militärischen und wirtschaftlichen Kosten sind für Moskau noch nicht hoch genug.


[1] German Institute for Global and Area Studies (GIGA)