Donald Trump und der Kreml

Ein kurzer historischer Abriss

Von Hannes Stein[1]

Anno 1987 besuchte Donald Trump Moskau, weil er dort ein Hotel bauen wollte. Trump war damals noch ein vollkommen unpolitischer Mensch, ein (übrigens weitgehend glückloser) Immobilienspekulant und Casinobetreiber. Trumps Reise kam durch eine Initiative von Juri Dubinin zustande, dem damaligen sowjetischen Botschafter in den USA. Sie wurde vom sowjetischen Reisebüro “Intourist” organisiert, hinter dem das KGB steckte. In Moskau wurden Trump und seine damalige Ehefrau im luxuriösen Hotel “National” in jener Suite untergebracht, in der einst Lenin genächtigt hatte; das Hauptquartier von “Intourist” war mit dem Hotel verbunden, Trump wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit rund um die Uhr überwacht.

Nach seiner Rückkehr aus Moskau äußerte Trump sich zum ersten Mal in seinem Leben politisch. Er gab 94.801 Dollar von seinem eigenen Geld aus – eine bedeutsame Geste bei einem Mann, der für seinen Geiz bekannt ist. Mit diesen Dollars kaufte Trump eine ganze Seite in der “New York Times” für eine Anzeige, die gleichzeitig auch in der “Washington Post” und im “Boston Globe” erschien. In seiner Anzeige griff Trump die Außenpolitik der Vereinigten Staaten rüde an: Die Japaner und die Westeuropäer, schrieb er, sollten gefälligst selbst für ihre Verteidigung aufkommen. In Interviews äußerte er sich damals sehr abfällig über die Nato. Amerika solle sich aus dieser nutzlosen Organisation zurückziehen, statt sich weiter von seinen Verbündeten Geld aus der Tasche ziehen zu lassen.

Wir müssen nicht spekulieren, woher Trump seine neue Weltsicht hatte. Er hat es uns selber in Interviews verraten, die er damals im Radio gab. Er habe in Moskau mit Vertretern des KGB gesprochen. Die KGB-Leute hätten ihm erklärt, dass Michail Gorbatschow viel zu weich sei, um ein Riesenreich wie die Sowjetunion zu beherrschen. Die Sowjetunion benötige eine harte Hand.

Kluge Leute seien diese Vertreter des KGB. Trump bedauerte, so wörtlich, dass “solche Menschen in Amerika nicht zur Wahl stehen”. 

Solange es keine Einsicht in die Moskauer Archive gibt, können wir nicht wissen, wie das KGB Trump damals sah: als potentiellen Einflussagenten, den es mittels Erpressungen und Schmeicheleien zu kultivieren galt; als “nützlichen Idioten” im Sinne Lenins; als anzuzapfende Quelle? 

Sicher ist jedoch, dass der Kreml 2016 per Desinformationskampagnen über die sozialen Medien in den amerikanischen Wahlkampf eingegriffen hat (eine Untersuchungskommission des amerikanischen Senats, in der sowohl Demokraten als auch Republikaner saßen, fand dafür unumstößliche Beweise). Sicher ist ferner, dass Trumps Wahlkampfteam vom Februar bis zum August 2016 von Paul Manafort geleitet wurde, einem Politikberater, der sechs Jahre zuvor geholfen hatte, in der Ukraine den prorussischen Oligarchen Wiktor Janukowytsch an die Macht zu bringen. (Manafort saß hinterher im Gefängnis, weil er der Geldwäsche und der Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten für schuldig befunden worden war. Nach zwei Jahren wurde er von Präsident Trump begnadigt.) Am 9. Juni 2016 fand im Trump Tower ein geheimes Treffen statt: Teilnehmer waren besagter Paul Manafort, außerdem der Sohn und der Schwiegersohn des späteren Präsidenten und Natalia Weselnizkaja, eine russische Anwältin mit guten Kremlkontakten. Die russische Anwältin bot Trumps Team “schmutzige Geheimnisse” über Trumps Gegnerin Hilary Clinton an. 

Die Außenpolitik von Trumps erster Amtszeit wird häufig als chaotisch beschrieben. Das ist nur in begrenztem Sinne wahr, es gab durchaus eine innere Logik: Trump hat von Anfang an seine westlichen Verbündeten brüskiert und den Kreml hofiert. Gleich nach seinem Amtsantritt empfing er den russischen Außenminister Sergej Lawrow und den damaligen russischen Botschafter Sergej Kisljak im Oval Office. Amerikanische Pressevertreter waren nicht zugelassen, aber Fotografen der russischen Nachrichtenagentur durften das Treffen dokumentieren. Ihre Bilder zeigen einen bestens gelaunten Trump mit zwei ebenfalls sehr fröhlichen Gästen. Bei jener Zusammenkunft enthüllte Trump Informationen über den Agenten einer befreundeten Macht (wahrscheinlich Israels), der in die Terrororganisation ISIS eingeschleust werden war. Solche Informationen, die Agenten gefährden, werden normalerweise nicht einmal mit befreundeten Nationen geteilt. 

Im Juli 2017 traf Trump in Hamburg mit Putin zusammen. Zum Entsetzen der CIA stimmte Trump dort zu, dass die Geheimdienste beider Länder künftig kooperieren sollten. Außerdem kam es zu einem zweistündigen Geheimtreffen, bei dem Trump hinterher der Dolmetscherin die Notizen aus der Hand nahm und zerknüllte. Im Juli 2018 trafen Trump und Putin in Helsinki aufeinander. Dieses Treffen war deswegen bemerkenswert, weil Trump sich nachher vor den Fernsehkameras gegen seine eigenen Geheimdienste mit Putin verbrüderte. Im Dezember 2019 kam es zum ersten Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump. Der Hintergrund: Er hatte versucht, in einem Telefongespräch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu erpressen. Selenskyj sollte ihm belastendes Material gegen Joe Biden zur Verfügung stellen, andernfalls werde Trump der Ukraine keine Waffen mehr liefern.

Mittlerweile ist es kein Geheimnis mehr, warum es in Trumps erster Amtszeit nicht zum offenen Bruch Amerikas mit dem westlichen Bündnis kam. Trumps Außenminister Rex Tillerson und Trumps Verteidigungsminister Jim Mattis trafen sich zwei Mal pro Woche zum Lunch und stimmten ab, wie sie das amerikanische Staatschef auf Kurs halten konnten. Außerdem saßen im amerikanischen Senat noch ein paar Republikaner, die an einer Außenpolitik im Sinne Ronald Reagans festhielten. In Trumps zweiter Amtszeit existieren solche Bremser nicht mehr.

Viele europäische Linke machen den Fehler, Donald Trump in einer Linie mit früheren amerikanischen Konservativen zu sehen. Ronald Reagan ist dann quasi die Ausgangsstufe, George W. Bush die Steigerung, und Donald Trump ist der Superlativ, der ultimative kalte Krieger. Mit der Wirklichkeit hat diese Deutung nichts zu tun, Donald Trump steht in einer ganz anderen Tradition. In welcher? Einen Hinweis gibt uns der Slogan der Trump-Anhänger: “America first!” In amerikanischen Ohren klingt dieser Slogan vertraut, es gab in den Vereinigten Staaten schon einmal eine “America First”-Bewegung. Sie existierte ungefähr vom Herbst 1939 bis zum Dezember 1941 (offiziell wurde im September 1940 ein “America-First-Committee” gegründet), setzte sich aus Demokraten und Republikanern (vor allem im Mittleren Westen) zusammen, zählte sowohl Kommunisten als auch Antikommunisten zu ihren Mitgliedern. Die “America First”-Bewegung hatte zum Ziel, Amerika aus dem Krieg herauszuhalten, der im fernen Europa tobte. Der Siegeszug der Nazis, die Aggression gegen Polen, gegen die Beneluxstaaten und Frankreich gehe die Amerikaner überhaupt nichts an. 

Mehrere Kongressabgeordnete – Ernest Lundeen, Hamilton Fish, Jason Thorkelson – vertraten diese Haltung, auch ein prominenter Senator gehörte dazu: Burton K. Wheeler aus Montana. Ein reicher Unterstützer war der berühmte Autobauer Henry Ford, der in vielerlei Hinsicht an Elon Musk erinnert. Der populärste Sprecher des “America-First-Committee” aber war der Ozeanflieger Charles Lindbergh, den buchstäblich jeder Amerikaner kannte. Flankiert wurden solche Bemühungen von Pater Coughlin, der sich das das damals neueste Massenmedium zu eigen gemacht hatte: das Radio. Ein Viertel der damaligen amerikanischen Bevölkerung, etwa dreißig Millionen Menschen, hörte Pater Coughlin zu. Nach dem September 1939 rief er seine Hörer dazu auf, als “Armee des Friedens” nach Washington zu marschieren, um einen Kriegseintritt der Vereinigten Staaten zu verhindern.

Die “America First”-Leute kritisierten, dass Präsident Franklin D. Roosevelt nach dem September 1939 begann, Großbritannien mit Kriegsgerät zu versorgen. Großbritannien sei dekadent, ein sterbendes Empire. Besondere Wut richtete sich gegen den britischen Premier Winston Churchill: ein Kriegstreiber sei das, ein korrupter Politiker, ein imperiales Fossil. Wenn man “Großbritannien” durch Ukraine und “Winston Churchill” durch Wolodymyr Selenskyj ersetzt, hat man die Propaganda der heutigen amerikanischen Rechten vor sich. Das Vokabular ist im Wesentlichen gleich geblieben. 

Heute zeigen die Dokumente, dass zumindest Teile der “America First”-Bewegung Landesverrat begingen. Die oben erwähnten Kongressabgeordneten Lundeen, Fish und Thorkelson hielten Kontakt mit George Sylvester Viereck, einem Naziagenten. Er sorgte dafür, dass seine Kongressabgeordneten Reden hielten, die buchstäblich in der Deutschen Botschaft geschrieben worden waren und hinterher per Briefwurfsendung an Millionen amerikanische Haushalte verteilt wurden. Andere Mitglieder der Bewegung hatten ganz offen faschistische Sympathien: Pater Coughlin nutzte seine Radiosendungen, um Propaganda für Mussolini, Franco und später auch Hitler zu machen. Charles Lindbergh war in Berlin ein gern gesehener Gast, ließ sich 1938 von Hermann Göring den “Verdienstorden vom Goldenen Adler” umhängen und gab ihn auch nach dem Novemberpogrom von 1938 nicht zurück. In einer viel beachteten Rede machte er 1941 “Briten, Juden und die Regierung Roosevelt” für die angebliche Kriegshetze gegen Deutschland verantwortlich. Henry Ford schließlich hatte nach dem Ersten Weltkrieg den “Dearborn Independent” gekauft, eine damals sehr mächtige Zeitung, und in ein Zentralorgan für antisemitische Verschwörungstheorien verwandelt. Hitler bewunderte ihn dafür so sehr, dass er sich in seiner Münchner Wohnung ein gerahmtes Foto des Amerikaners über den Schreibtisch hängte.

Mit alldem – oder wenigstens dem meisten davon – war es vorbei, als die Japaner im Dezember 1941 Pearl Harbor bombardierten und Hitler den Vereinigten Staaten vier Tage später den Krieg erklärte. Festzuhalten bleibt jedoch, dass es seit den Dreißigerjahren eine genuin amerikanische Tradition der Bewunderung für den Faschismus und ausländische Diktatoren gibt. Bis 2015 existierte diese Tradition nur an den politischen Rändern und im Untergrund. Mit Donald Trump ist sie jetzt an die Macht gekommen.


[1]