Europas Perspektiven. Krieg und Frieden
Von Vytautas Landsbergis[1]
Ich möchte über die positiven, optimistischen Perspektiven Europas als Zivilisation seiner Völker sprechen.
Leider müsste ich lügen. Meine Gedanken sind düster.
Europa will nicht mehr leben – es schrumpft, altert, degeneriertund wird eher in der Geografie verbleiben als in der künftigen Kultur der Menschheit und „derGeopolitik“ der Aussterbenden.
Dies ist der erste Grund und die Grundlage für den Pazifisten-Misanthropen.
Und dazu kommt noch der ewige Krieg.
Diejenigen, die von „Sieg“ sprechen, begreifen nicht, dass der einzige Sieg für alle der Frieden wäre. Nicht zu kämpfen bis zum Tod. Ein einseitiger „Sieg“ ist nur eine Pause, um sich auf eine Revanche vorzubereiten.
Das blutige 20. Jahrhundert ist voller Beispiele dafür. Deshalb endet der Krieg nicht.
Trotz dieser scheinbaren Einfachheit ist selbst für den benebelten Aggressor das erträumte Ergebnis die Kapitulation des erfundenen „Feindes“ und die Herrschaft des Siegers. Wenn man so will: mit Blümchen zum Einzug des ewigen Friedens. Doch solange kein Frieden im Herzen herrscht, dauert der Krieg an.
Hier könnten wir zu den Grundlagen des Christentums zurückkehren – doch diese Lehre wurde ja verworfen.
Wir leben weiter, indem wir die Fortsetzung früherer Kriege mit uns tragen. Das ändert sich nicht, solange sich die Menschen und ihre Logik des Denkens nicht ändern.
Viele Beobachter und Strategen fragen sich jetzt, wann ein großer Krieg beginnen wird – zwischen den großen Spielern.
Eine Zeitlang schien es, als wollten sie die Welt und ihre Macht-Eitelkeiten unter sich aufteilen. Sie würden die Völker wie Schachfiguren verschieben. Sobald sie sich einigen. Besonders, als Trump sich in Putin „verliebte“. Doch kommt es nicht vor, dass der Geliebte enttäuscht, zum Hindernis, zum Schmerz wird? Dann kann man ihn fallen lassen – eine Option.
Da der amerikanische Anführer in den Rochade-Türchen stecken bleibt, mit der seltsamen Idee, er selbst trage und bringe den Weltfrieden, entsteht etwas Neues. Dem Partner in Moskau ist ein solcher Frieden nicht recht; er nimmt sich die Nachbarin Ukraine, und danach sind weitere Teile des Planeten vorgesehen. Es ist bereits klar, dass die Wurzel des Krieges im historischen russischen Kolonialismus, in der Ausweitung der Eroberungen und in geistiger Erstarrung liegt, die es verhindert, die neue Welt des Miteinanders statt der Herrschaft zu erkennen.
Und was wird dann aus dem „amerikanischen Frieden“? Der anderen Seite schwebt doch nur ein „russischer Frieden“ vor (Russkij mir). Unstimmigkeiten beginnen. Wahrscheinlich werden sie sich untereinander zerstreiten.
Zwischen diesen beiden negativen Faktoren schwankt Europas Schicksal.Deshalb brauchen wir europaeische Entschlossenheit falls Europa als Subjekt noch existiert.
Der eine ist die feindliche Umgebung um Europa. Obwohl Russland die „kollektiven Westen“ zu seinem Feind erklärt hat, ist sein nächster Feind Europa. Amerika soll Moskau nur nicht daran hindern, das sich nicht wehrende Europa, einzuverleiben.
Der zweite Feind Europas ist Europa selbst.
Gierig und egoistisch, in illusorischen „Wohlständen“ lebend, aber tatsächlich nicht mehr fähig, neue Potenziale für geistige, kreative Entwicklung und Einfluss hervorzubringen.
Es konsumiert den gestrigen materiellen „Nutzen“, der heute keinen Sinn mehr hat.
Für jene geistig Armen hat die Macht jedoch noch immer Sinn.
Übrigens – erinnert sich jemand an Federico Fellinis nicht existierendenFilm „Città di Bambini“? Dort sieht man einen endlosen Kinderzug mit dem Slogan:
„Dämonisieren wir nicht den Onkel Dämon!“
Und einen schönen Pazifismus: – Dem Krieg, selbst dem Sandkasten-Verteidigungskrieg – NEIN!Nie wieder Luege um Krieg.
Gegen den Onkel Dämon darf man sich nicht verteidigen!
[1]In der Zeit der Loslösung von der Sowjetunion war Landsbergis das Staatsoberhaupt Litauens