„Weil sie Kosaken sind. Weil für sie Freiheit das höchste Gut ist.“

Interview zu Lage in der Ukraine mit dem Schriftsteller Christoph Brumme[1], der seit einigen Jahren in der Ukraine lebt.

  • - Wo in der UA haben Sie sich in letzter Zeit hauptsächtich aufgehalten?

In gefährlichen und noch gefährlicheren Gegenden. Manchmal 55, manchmal 15 Kilometer von der Nulllinie entfernt.

  • - Gibt es Veränderungen im Alltag?

Keine substantiellen. Wie immer ist Tag und Nacht Luftalarm, wie immer leben die ruzzen ihre Mordlust aus. Die Inflation ist hoch, die Renten sind zu niedrig – umgerechnet 67 Euro Mindestrente. Die Gleichzeitigkeit von Krieg und zivilem Alltag ist oft schwer zu begreifen. Manche ausländische Tagesgäste meinen gar, es sei dekadent, das Restaurants oder Fitness-Studios geöffnet haben. Aber Köchinnen und Kellnerinnen wollen ja auch ihre Familien ernähren, und Fitness-Studios dienen unter anderem der Rehabilitation.

  • - Die Ukrainer erleben nun seit 3 ½ Jahren einen Krieg mit Phasen des Schreckens und Phasen der Hoffnung. Wie wirkt sich dies auf die Gemütslage der Bevölkerung aus? Die Zahl gerade der Drohnenangriffe hat sich vervielfacht, die direkt die Zivilbevölkerung in allen Teilen des Landes trifft. Wie wirkt sich dieser Drohnenkrieg auf die Menschen aus?

Das Verhältnis zu Geräuschen oder Tönen ändert sich im Krieg sehr schnell. Ob nun in der Ferne ein Zug fährt oder Drohnen am Himmel fliegen, das kann ja einen Unterschied von Leben und Tod ausmachen. Einschläge von ballistischen Raketen sind beispielsweise noch über Dutzende von Kilometern zu hören und zu spüren. Wenn man einschläft, weiß man nicht, ob man aufwachen wird. Der Tod kann jeden jederzeit treffen.

  • - Viele fragen sich, ob und wie die Ukrainer das durchhalten können?

Weil sie keine andere Wahl haben. Weil sie Kosaken sind. Weil für sie Freiheit das höchste Gut ist.

  • - Der Bürgermeister der Hauptstadt, Klitschko, hat davon gesprochen, dass die Bevölkerung kriegsmüde sei. Wie sehen Sie das?

Die Bevölkerung war schon am ersten Tag kriegsmüde. Und je länger der Krieg dauert, desto müder wird man. Aber das hilft ja nicht. Man muss ja trotzdem kämpfen, wenn man leben will.

  • - Am Anfang gab es eine große Bereitschaft, sich als Kämpfer für die Verteidigung der Ukraine bereit zu erklären, wie sieht es heute aus?

Nach wie ist die Bereitschaft groß, sich selbst, das Land und die Freiheit zu verteidigen. Es melden sich auch weiterhin viele Freiwillige. Die meisten eingezogenen Soldaten dienen allerdings aus Einsicht in die Notwendigkeit, um ihre bürgerlichen Pflichten zu erfüllen.

  • - Viele, auch junge Männer sind ins Ausland geflohen. Die kürzlich beschlossene Liberalisierung des Grenzregimes, hat zu weiteren Fluchten geführt. Wie sieht man auf diese in der UA?

Die Liberalisierung des Grenzregimes hat nicht zu Fluchten geführt, sondern es sind bisher mehrere Zehntausend junge Männer legal ausgereist. Das sind etwa 4 Prozent der Männer in diesem Alter. Man nimmt ihre Entscheidungen mit Bedauern zur Kenntnis.

  • - Welchen Kontakt gibt es noch in die besetzten Gebiete. Kommen da noch Menschen raus?

Es ist zwar gefährlich, aber wenn man vorsichtig ist kann man mit den Menschen dort Meinungen über das Wetter austauschen, aber nicht auf Ukrainisch. Manche von ihnen schaffen es, über drei, vier Länder in die freie Ukraine zu entkommen.

  • -Sie meinen sich austauschen über social media Kanäle?

Nein, über Messenger-Dienste.

  • - Wie stehen die Ukrainer zu Gebietsabtrennungen?

Wie stehen die Deutschen zu Gebietsabtrennungen? Wie würde es den Deutschen gefallen, wenn sie Deutsch nur noch unter Lebensgefahr sprechen könnten, keine deutschsprachigen Medien mehr konsumieren könnten, keine deutschen Bücher mehr lesen könnten etc. Es geht in erster Linie um Menschen, die man einem grausamen Schicksal überlassen würde.

  • Die Frage wurde ja ernsthaft diskutiert von den USA, auch von Präsident Selenskij.

Selenskij hat Gebietsabtrennungen immer abgelehnt. Er spricht höchstens davon, dass man evtl. darauf verzichten könnte, von ruzzland kontrollierte Gebiete derzeit mit militärischen Mitteln zurückzuerobern.

  • -Wie sehen die Ukrainer die Initiative von Trump, von Europa, Putin an den Verhandlungstisch zu drängen? Tun sie genug.

Das ist absurdes westliches Theater. Es zeigt nur, wie gering die Lernbereitschaft im Westen ist, wie wenig man von ruzzland und vom Putinismus verstanden hat. Der kollektive Putin braucht den Krieg wie die Luft zum Atmen. Außerdem genießt er es, die satten reichen Westler zu verunsichern und zu verängstigen.

  • -Wenn es nicht mit Verhandlungen geht, wohin kann das dann führen?

Russland ist ein Fake-Staat im Modus der Selbstzerstörung. Erst wenn ruzzland militärisch geschlagen ist und zur Kapitulation gezwungen werden kann, könnte der Krieg evtl. enden. Da die Aussichten dafür gering sind und Putin wie Hitler in seinen letzten Tagen auch noch Armeen befehligen würde, die nur auf dem Papier existieren, wird der Krieg solange andauern, wie ruzzland ihn führen kann – und danach von ruzzland wieder fortgesetzt werden, sobald es dazu in der Lage ist. Der kollektive Putin kann nur noch Entscheidungen treffen, die die weitere Zerstörung ruzzlands beschleunigen. Auch für putin-ruzzland, nicht nur für die Ukraine, ist es ein existentieller Kampf um alles oder nichts. Raum für Kompromisse gibt es nur in den Fantasien westlicher Träumer.

Interview: Christian Booß


[1] Mehrere Publikationen zur Ukraine, u.a.

Im Schatten des Krieges: Tagebuchaufzeichnungen aus der Ukraine. Stuttgart 2022