Im Nachgang des Demonstrationsgeschehens vom Wochenende haben sich 1989 engagierte Bürgerrechtler*innen aus Leipzig auf eine gemeinsame Erklärung verständigt, die sich kritisch zur Vereinnahmung der Friedlichen Revolution äußert.

Sie finden hier die Pressemitteilung von Leipziger BürgerrechtlerInnen zum Geschehen in Leipzig am 07.11.2020

Wer trägt die Verantwortung für unverantwortliches Handeln? Wir brauchen keine „Querdenker“ –wir denken selbst!

Mit Gewalt und Verhöhnung unseres demokratischen Rechtsstaates endete am Samstag die Versammlung der angeblich friedlich gegen die Beschränkung ihrer Grundrechte demonstrierenden Menschen. Angereist von Hamburg bis München maßten sie sich an, die Friedliche Revolution von 1989 vollenden zu wollen. Das macht fassungslos und wütend. Mit welchem Recht missbrauchen sie den Mut, den Freiheitswillen und die Selbstbefreiung derer, die unter der Gefahr der Inhaftierung und der Verfolgung von Leipzig aus die SED-Diktatur abschüttelten? Mit welchem Recht missbrauchen sie die Werte der Friedlichen Revolution, die ausdrücklich auf Gewaltfreiheit, auf Toleranz und Solidarität setzte. Mit welchem Recht verursachen Gäste in unserer Stadt ein super-spreading-event, indem sie sämtliche Gesundheitsschutzmaßnahmen ignorieren? Mit welchem Recht gefährden sie das Ansehen unserer Stadt? Wer trägt die Verantwortung für dieses unverantwortliche Handeln? Zuerst sicherlich die Organisatoren und Einladenden, die mit scharf-macherischen Worten die gewaltbereite Stimmung anheizten. Aber wie steht es um das Gewaltmonopol des Staates, der Polizei und Justiz? Wieso konnte die Stadt Leipzig gerichtlich gezwungen werden, die Versammlung von einer zu großen Anzahl unliebsamer Gäste im begrenzten Stadtzentrum zuzulassen? Wie konnten alle Auflagen für die Versammlung von Anbeginn an, ohne Folgen(!) missachtet werden? Alle entscheidenden Institutionen haben versagt und dem Ansehen der Stadt der Friedlichen Revolution unsäglichen Schaden zugefügt. Das darf sich nicht wiederholen.

Wir treten für demokratische Grundrechte ein und wollen alles tun, diese zu schützen. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass nach dem Grundrechtsverständnis die Freiheit des Einzelnen dort ihre Grenzen findet, wo die Freiheit des Anderen über Gebühr beeinträchtigt wird. Damit ist in einer Pandemie-Situation eine Abwägung zwischen den einzelnen Grundrechten unverzichtbar. Auf dieser Grundlage sind wir für einen Dialog der uns weiterführt und möglichst viele mitnimmt. Wir leben in einer Demokratie, die ausreichend Spielraum dafür bietet.

Leipzig, den 9. November 2020

 

Gabriele Heide
Gisela Kallenbach
Monika Lazar
Christa Mihm
Brigitte Moritz
Gesine Oltmanns
Liane  Plotzizka
Frank Pörner
Regina Schild
Dr. Rita Sélitrenny
Rolf Sprink
Beate Tischer
Michael Turek