Hohenschönhausen: Haft- und Erinnerungsort
Helge Heidemeyer[1]
Das Gefängnis
Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen gehört zu den meistbesuchten Gedenkorten in Berlin und ist ein fester Bestandteil des kulturellen Lebens der Hauptstadt. Wie konnte sich aus dem brutalen Untersuchungsgefängnis der DDR-Staatssicherheit ein lebendiger Lernort entwickeln?
In den späten 1930er Jahren verkaufte der Industrielle Richard Heike einen Teil seines Grundes an die NS-Volkswohlfahrt. Sie errichtete hier eine moderne Großküche, die die Arbeitenden in den umliegenden Rüstungsbetrieben versorgen sollte. 1945 besetzte die Rote Armee Berlin. Die Sowjets nutzten die NS-Großküche als Kerngebäude des Speziallagers – eines von zehn in ihrer Besatzungszone. Etwa 16.000 ehemalige Nationalsozialisten, aber bald auch Gegner des kommunistischen Regimes waren hier interniert. Vermutlich gab es über 800 Tote. Ende 1946 wurden die verbliebenen Gefangenen in das Speziallager Sachsenhausen überführt, das Hauptgebäude wurde zum Untersuchungsgefängnis für die sowjetische Geheimpolizei umgebaut. 1951 übergab diese die Untersuchungshaftanstalt dem im Jahr zuvor gegründeten Staatssicherheitsdienst der DDR. 1960 durch ein modernes Gefängnisgebäude ergänzt, saßen hier bis zur Entlassung aller vom MfS und seiner Nachfolgeorganisation Inhaftierten im Januar 1990 vorwiegend politisch Verfolgte des SED-Regimes ein – insgesamt ca. 20.000.
1990 übernahm das Ministerium des Innern, das für die Gefängnisse in der DDR zuständig war, auch Hohenschönhausen. Nun saßen hier hohe Funktionäre des alten Regimes ein, die unter Anklage gestellt waren – unter ihnen auch der FDGB-Vorsitzenden Harry Tisch, dem Untreue in großem Umfang vorgeworfen wurde, und der frühere Herr über die U-Haftanstalt, Stasi-Chef Erich Mielke. Einiges wurde umgebaut: die Freiluftbereiche – Tigerkäfige genannt – wurden vergrößert, und das Sperrgebiet aufgelöst.
Im Zuge der deutschen Einheit kam das Gefängnis in die Zuständigkeit der gesamtberliner Justizverwaltung, die Ende November 1990 den Haftbetrieb in Hohenschönhausen einstellte. Im Juli 1991 erklärte die Senatsverwaltung dann, auch zukünftig auf den Haftort Hohenschönhausen zu verzichten.
Auf dem Weg zur Gedenkstätte
Erste Initiativen in der Haftanstalt einen Gedenkort zu errichten, wurden noch während der Friedlichen Revolution formuliert. Zuerst vom Kurt-Schumacher-Kreis e. V., einer SPD-nahen Organisation von ehemaligen Häftlingen der DDR. Dann nahm im Dezember 1989 der Runde Tisch in Hohenschönhausen diesen Gedanken auf. Erste Begehungen des Gefängnisses – unter anderem durch die Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe – und weitere Initiativen wechselten sich nun ab. Führend dabei waren stets ehemalige Gefangene des Stasi-Knasts. Im Frühjahr 1991 kam diese Forderung in der Politik an: Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlung Hohenschönhausen traten für die Einrichtung einer Gedenkstätte in der Haftanstalt ein. Die Forderung nahm der Berliner Senat am 1. Oktober 1991 auf und beauftragte die Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, unter Einbeziehung der ehemaligen Häftlinge die Voraussetzungen für die Einrichtung eines Gedenkortes zu prüfen. Der Konsens, in Hohenschönhausen einen Gedenkort einzurichten, war also schon früh sehr breit.
Allerdings waren es zwei Gruppen von Unterstützenden, die sich zwar im Ziel, jedoch nicht in der Frage der Ausgestaltung einer Gedenkstätte und dem Weg dahin einig waren. Auf der einen Seite standen die ehemaligen Gefangenen, die sich mit viel Herzblut und großem Engagement einbrachten, gestärkt noch durch das Bewusstsein der Friedlichen Revolution, wonach eine Fremdbestimmung der Bürgerinnen und Bürger durch staatliche Stellen der Vergangenheit angehören sollte. Auf der anderen Seite mühten sich Verwaltung sowie Politikerinnen und Politiker auf allen Ebenen, das Engagement in Strukturen fließen zu lassen, die kompatibel mit staatlichen Finanzierungsmöglichkeiten sein sollten.
Weitgehend frei von derlei Konflikten verlief die Beauftragung von drei Experten – Dr. Siegfried Suckut, Prof. Manfred Wilke und Dr. Stefan Wolle – im Januar 1994, die eine „Konzeption für die Errichtung einer Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen U-Haftanstalt Hohenschönhausen“ erarbeiten sollten. Bei der öffentlichen Anhörung zu dem Konzept am 17. Mai 1995 „zeichnete sich“, so erinnern es Wilke und Wolle, „ein weitgehender Konsens zwischen den Gutachtern, der Senatsverwaltung und den betroffenen gesellschaftlichen Verbänden ab.“[2]
Zum Streit kam es bei Diskussionen wie der zur Formulierung des Textes auf dem Gedenkstein, der 1996 im Innenhof des Gefängnisses aufgestellt wurde. Hinter eher allgemeinen Formulierungen witterten manche „Ehemalige“ ein Weichspülen kommunistischer Verbrechen – und mitunter auch die Rücksicht auf, wenn nicht gar Einflussnahme der gewandelten politischen Kräfte von ehedem.
Der Konflikt entlud sich aber auch bei der Bestellung der ersten Leiterin des – damals noch „Stiftung im Aufbau“ genannten – Gedenkortes. Gabriele Camphausen erinnert sich: „Es war ein durchaus rauer Wind, der mir im Oktober 1995 entgegenwehte. Meine Ernennung zur Leiterin der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen gab den Konflikten, die bereits seit Jahren um die Nutzung dieses historischen Ortes schwelten, neuen Zündstoff. Eine Frau aus dem Westen, Historikerin, ‚vom Staat‘ beauftragt, ein Konzept für die Gedenkstätte zu erarbeiten: Manch einem galt dies als Beleg dafür, dass in Hohenschönhausen, dem ehemaligen zentralen Untersuchungsgefängnis der Stasi, eine Wissenschaftseinrichtung ohne Seele geschaffen werden sollte, ohne Einbindung derjenigen, die an diesem Ort gelitten hatten, ohne Kenntnis und Berücksichtigung ostdeutscher Erfahrungen.“[3]
Das Konzept von Suckut, Wilke und Wolle bildete die stabile Grundlage, auf der Gedenkort seine Arbeit erfolgreich aufnehmen konnte. Im April 1997 legte Camphausen dem Abgeordnetenhaus ein Konzept für die Ausgestaltung der Gedenkstättenarbeit vor. Dieses formte die Gedenkstättenarbeit grundlegend. Die Autorin betonte damals, dass ein solches Konzept nicht statisch zu verstehen sei, sondern „offen sein muss und sich immer weiterentwickelt“. So gesehen wurden hier die Grundpfeiler für die Gedenkstätte gesetzt, die bis heute die Arbeit der Stiftung prägen.
Mit dem Jahr 1998 gelangte Hohenschönhausen in die institutionelle Förderung des Bundes und des Landes Berlin, die mit dem Gesetz zur Gründung der Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen vom 1. Juli 2000 ihren endgültigen rechtlichen Rahmen erhielt. Am 1. Dezember 2000 wurde mit Hubertus Knabe der erste Direktor der Stiftung berufen. Er hat die inhaltliche Arbeit der Gedenkstätte ausgestaltet, das spezifische Erscheinungsbild Hohenschönhausens bildete sich heraus.
Das städtische Umfeld der Gedenkstätte
Die politische Anerkennung ist eine Voraussetzung für den Erfolg, die gesellschaftliche Verankerung die andere. Der Bezirk in Gestalt der Bezirksverordnetenversammlung und der führenden Politikerinnen und Politiker befürwortete das Projekt Gedenkstätte und die Übertragung der notwendigen Grundstücke von Anfang an. Das war ein Entgegenkommen, das aufgrund der politischen Kräfteverhältnisse nicht unbedingt so erwartet werden konnte.
Die Akzeptanz der Gedenkstätte in der unmittelbaren Nachbarschaft war nicht in gleichem Maße gegeben. Aus Gründen der Absicherung und der Verschleierung hatte das MfS eigene Mitarbeiter um die Haftanstalt herum angesiedelt. Ein lautstarker Teil davon bekämpfte die Arbeit der Gedenkstätte, die die Erinnerung an die Machenschaften der Staatssicherheit in einem angemessenen und kritischen Rahmen wachhält. Zeitweise störten ehemalige Stasi-Mitarbeiter massiv und regelmäßig die Führungen durch das Gefängnis. Zum Eklat kam es, als die Gedenkstätte 2006 in einer Bürgerversammlung ihr mit dem Bezirk abgestimmtes Projekt von Informationsstelen zum Sperrgebiet vorstellte. Alte Kader erschienen erstmals öffentlich in großer Zahl. Sie verharmlosten die Verbrechen des Regimes und verhöhnten dessen Opfer und sprengten so die Veranstaltung. Politische Wellen schlug dieser Vorfall, weil sich der damalige Kultursenator und PDS-Politiker Thomas Flierl – gleichzeitig der Vorsitzende des Stiftungsrates der Gedenkstätte – nach Ansicht Mancher den Anwürfen nicht angemessen entgegengestellt hatte.
Auch diese Kämpfe gehören der Vergangenheit an. Störungen und unangemessenes Verhalten von ehemaligen MfS-Chargen sind nicht mehr festzustellen. Und der strukturelle Wandel macht auch vor dem Kiez Hohenschönhausen keinen Halt: Neue Anwohnerinnen und Anwohner sind zugezogen; viele Nachbarinnen und Nachbarn kommen neugierig, wenn die Gedenkstätte zu einem Tag der offenen Tür einlädt.
Die Arbeit der Gedenkstätte
Die Gedenkstätte ist geprägt durch einen starken und kontinuierlichen Anstieg der Besuchszahlen. Auch viele Prominente aus Politik sowie Kultur und Medien haben den Ort besucht, allen voran die Bundespräsidenten Johannes Rau, Horst Köhler und Joachim Gauck sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel. Helmut Kohl war Gründungsmitglied des Fördervereins der Gedenkstätte. Mit den Jahren entwickelte sich die Gedenkstätte auch international zu einem Zentrum der Erinnerung an die Schrecken kommunistischer Gewaltherrschaft, was die Besuche der Präsidenten von Ungarn und den Malediven oder der des tunesischen Premierministers dokumentieren. Der koreanische Botschafter ist regelmäßig Gast und ließ sich schon im zweiten Monat nach seiner Akkreditierung die Anlage zeigen. Dementsprechend knüpfte Hohenschönhausen internationale Kontakte mit ähnlich ausgerichteten Gedenkstätten und Initiativen.
Das alles ist eine willkommene Bestätigung der Arbeit:
Hier ist als erstes der Führungsbetrieb zu nennen: aktuell 110 Referentinnen und Referenten, davon 36 mit Zeitzeugenschaft, führten im Jahr 2023 17.700 Gruppen durch die ehemalige U-Haftanstalt. Davon waren zwei Drittel Schülerinnen und Schüler, die sich so den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie erschließen konnten.
Auf diese Besucherschaft sind auch die politischen Seminare ausgerichtet; 2023 hat die Gedenkstätte etwa 300 durchführen können. Das ehemalige Gefängnis ist ein Demokratie-Lernort geworden.
Eine der ersten Einrichtungen war das Zeitzeugenbüro. Es ist bis heute eines der Herzstücke der Gedenkstätte und dokumentiert die Lebensgeschichten derjenigen, die in Hohenschönhausen gefangen waren. Annähernd 900 Interviews aus 40 Jahren stehen der Gedenkstätte, aber auch der Forschung zur Verfügung.
Mit dem Koordinierenden Zeitzeugenbüro, welches Zeitzeuginnen und Zeitzeugen an Schulen vermittelt, ist in der Gedenkstätte eine Institution beheimatet, die die Zeitzeugenarbeit und den pädagogischen Impetus verbindet: Die Mitarbeitenden vermitteln jährlich etwa 1.000 Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen.
Daneben erfüllt die Gedenkstätte ihre im Stiftungsgesetz niedergelegten Aufgaben mit der Präsentation von zwei Dauerausstellungen und wechselnden Sonderausstellungen, einem bunten Strauß an Veranstaltungen und nicht zuletzt der Forschung, die das Wissen um das Geschehen in Hohenschönhausen und seine Einbettung in Gesellschaft, die Strukturen der Repression und das stadträumliche Umfeld vertiefen.
Diese umfangreichen Aufgaben parallel wahrzunehmen, fällt in Zeiten schwer, die von finanziellen Einschnitten der öffentlichen Hand geprägt sind. Die Gedenkstätte bleibt abhängig von der Wertschätzung durch Politik und Gesellschaft.
[1] Geboren 1963 in Remscheid, Studium in Passau und München, langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bonn/Berlin, 2003-2005 Aufbau und erster wissenschaftlicher Leiter der Erinnerungsstätte Notaufnahme Marienfelde, 2008-2019 war er Leiter der Abteilung Bildung und Forschung beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Im Juni 2019 wurde er zum neuen Leiter der Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen ernannt.
[2] Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen: Vom Mielke-Gefängnis zur Gedenkstätte. Haft- und Erinnerungsort Berlin-Hohenschönhausen. Berlin 2022, S. 49.
[3] Ebd., S. 12.