Abgesang auf die Stasi-Unterlagenbehörde

Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und SDP-Mitbegründer Stefan Hilsberg, Lutz Rathenow und andere kommentieren die Abwicklung der Stasi-Unterlagenbehörde zum 17.Juni 2021.

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Eine Niederlage für die Aufarbeitung der friedlichen Revolution 1989/90i

Stephan Hilsberg, 7.Juni 2021

Die Überführung der Stasi-Akten ins Bundesarchiv war zum Schluss unabänderlich, aber sie war nicht zwangsläufig, sie lag nicht in der Natur der Sache, weder der Deutschen Einheit noch des Parlamentarischen Gesetzgebers von Volkskammer oder Bundestag. Sie war ein Ergebnis unerledigter Aufgaben des BStU selbst, und zwar aller drei, Joachim Gauck, Marianne Birthler und zuletzt Roland Jahn. Zum Schluss stritt niemand mehr für die Selbständigkeit der Behörde. Insbesondere ein großer Teil der Zunft der Aufarbeiter selbst empfand die Überführung dieser Akten in das Bundesarchiv als die einzige Lösung für die Bedürfnisse professioneller Archivarbeit und der historischen Quellenforschung in den ehemaligen Stasi-Akten.

Und das mag auch alles so stimmen.

Trotzdem ist die Überführung der Akten ins Bundesarchiv eine Niederlage für die Aufarbeitung der friedlichen Revolution 1989/90. Denn mit ihr verschwindet das Symbol eines ihrer größten Erfolge, nämlich der siegreiche Kampf gegen die verhasste Staatssicherheit, diesen Festungen der SED-Diktatur, von denen einst Angst und Schrecken in der DDR ausging, und die deshalb zu Recht zum Ziel der Demonstranten wurden. In einer konzertierten Aktion haben Runder Tisch und die Erstürmung ihrer Archive den Schlapphüten in der DDR das Handwerk gelegt, und damit das letzte Kapitel der Entmachtung der SED abgeschlossen.

Einmalig war dieser Vorgang in der Welt. Noch nie hatte es eine Revolution geschafft, die Archive der eigenen Staatspolizei zu öffnen und sie den Opfern von Bespitzelung und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Was sie da fanden, das hat nicht nur die Augen geöffnet über die eigenen Biographien, und über manch einen Spitzel im Freundes- oder auch Familienkreis, es hat auch zum inneren Frieden in der ehemaligen DDR beigetragen. Es ist die Dekonspiration, die der Konspiration den Schrecken nimmt. Das Öffentlichmachen eines Skandals mag zu Anfang Schrecken auslösen, auf längere Sicht befriedet sie ihn.

Und die Hinterlassenschaft der Stasi, trotz der von ihr 1989 angeworfenen Reißwölfe und ihrer Verbrennungsaktionen ist immer noch so gewaltig, dass die ehemaligen Archive, die dem BStU noch bis zum kommenden 17.Juni anvertraut sind, trotz Stasi-Blick und Täterperspektive immer noch das größte DDR-Museum schlechthin darstellen. Ein besseres Mittel gegen Nostalgie gibt es nicht.

Das alles wandert jetzt ins Bundesarchiv. Das Stasi-Archiv verliert seine Selbständigkeit. Es kriegt eine neue Verwaltung – und ob man das Bundesarchiv dazu beglückwünschen kann, das will ich mal dahingestellt sein lassen. Denn der neue Aktenbestand, den es nun zu pflegen gilt, ist mindestens doppelt so gross, wie der alte, den sie schon haben, inclusive der Akten zum Nationalsozialismus. Das stimmt so nicht, Die Gesamtbestände des BArch sind größer.

Und viele der Probleme sind unerledigt, die muss das Bundesarchiv jetzt lösen.

Und die Fehler, die dem BStU in den letzten 30 Jahren unterlaufen sind, werden dem Bundesarchiv auch übergeholfen. Die werden weiter aufzuarbeiten sein. Warum hat der BStU an den alten Stasi-Offizieren festgehalten? Warum durften sie an den Gutachten für die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse gegen Gysi und Stolpe mitschreiben. Warum ist es nicht gelungen, ein modernes Archiv-Findungsmittel aufzubauen? Warum blieben die Archiv-Erhaltungsmassnahmen auf der Strecke? Warum kam die Entschlüsselung der Aktenschnipsel nie wirklich in Gang? Warum fühlte sich die Historiker-Zunft so bevormundet? Und wie ist die Geschichte mit den Lastwagen, die zu Zeiten von Gauck und Geiger in den frühen 90er Jahren bei Nacht und Nebel Aktenbestände aus der Behörde rausgeholt haben wirklich gelaufen? Was hat Joachim Gauck 1990 in Bonn versprochen? Warum hat jemand wie Jürgen Fuchs 1997 die BStU im Zorn und Streit verlassen?

Die Geschichte der BStU ist auf den ersten Blick sicher eine Erfolgsgeschichte. Die bleibt, darauf können wir stolz sein, die muss verteidigt werden. Auf den zweiten Blick aber tauchen Fragen auf, die dringend einer Klärung, einer Aufarbeitung bedürfen. Das muss jetzt das Bundesarchiv leisten.

Herzlichen Glückwunsch!

 

 

 

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Die Stasi-Unterlagenbehörde hatte ihre Zeit, jetzt beginnt ein neuer Abschnitt, den es aktiv mit zu gestalten gilt. Wichtig ist, daß die Außenstellenstandorte Bestand haben und die Unterlagen archivtechnisch optimal aufbewahrt werden. Die Aufarbeitung muß ortsnahe weiterhin gewährleistet werden. Wir sollten nicht an Vergangenem hängen, sondern das Kommende aktiv gestalten.

Gerhard Rogge

Unabhängiger Untersuchungsausschuss (UUA), Rostock, ehemaliger Stasiauflöser

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Mich würde interessieren, wo die kontaminierten Akten des OTS
abgeblieben sind.
Ob sie nach 2000, nachdem die Arbeitsgruppe zum Projekt "Strahlen"-Bernd
Eisenfeld,
Thomas Auerbach, Gudrun Weber, Sebastian Pflugbeil- in Kontakt
mit ihnen gekommen war,was zu undefinierbaren Krankheitsbildern geführt
hatte,
von ahnungslosen Putzfrauen entsorgt wurden oder
ob sie dem Bundesarchiv übergeben werden.
Eine Antwort darauf kann wahrscheinlich niemand geben, weder die
vorletzte noch
die letzte Bhördenleitung. Auch die erste Behördenleitung wusste wohl
nicht, mit
welchen Akten sie es zu tun hatte. Fehlender Arbeitsschutz kann mitunter
tödlich sein.

Sabine Auerbach-Wernitzsch, Berlin

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Es ist schade.

Die Stasiunterlagenbehörde als Ort

der Unterbringung für das Paranoide

wird fehlen.

Karl-Heinz Bomberg, Liedermacher

 

 

FAZ: Erbstück der Revolution von Christian Booß. Mehr...

Das Aufarbeitungslabyrinth

von  Lutz Rathenow, Schriftsteller, Coach, Berlin/Dresden

Wo beginnt das Problem der DDR-Aufarbeitung? Im Zerlegen der DDR-Vergangenheit aus 15 Bezirken in die heutigen 5 Länder plus Berlin, die alle gleichberechtigt behandelt werden wollen, ohne dass sie punkto Repressionsintensität identisch wichtig gewesen wären. Natürlich zeigen sich bei der Transformation der BStU eher Repräsentationserwartungen der Politik als deren Anregung zur Auseinandersetzungslust. Natürlich wäre es wichtig gewesen die Zugangs- und Auswertungsmöglichkeiten für die Stasi-Unterlagen zu verbessern (im Interesse eines differenzierenden Blickes auf Staatssicherheit und DDR), die Wissenschaft in der Behörde zu stärken, die Archivstandorte in Chemnitz und Dresden (Schlüsselorte der DDR-Geschichte) perspektivisch zu erhalten und gerade dort Archivwissenvermittlungsangebote für Schüler zu erarbeiten. Die sind durch keine Bildungsarbeit „irgendwie mit Akten“ zu ersetzen.    

Jede Normalität ist eine mehr oder weniger gut ausbalancierte Verkettung von Problemen. Die Arten der MfS-Akten-Nutzung bzw. ihrer Herausgabe hat sich seit 1992 mehrfach geändert, vielleicht sollte die Geschichte der Unterlagenbehörde erforscht und problembezogen nachgezeichnet werden. Wie wäre konkret verbesserungs-würdig ? Bei der Unterlageneinsicht zur Beglaubigung von  Rehaansprüchen für Opfer, Rentenansprüche von Stasi-Mitarbeitern, die  persönliche Einsicht in die eigene Akte, wissenschaftliche Forschung, Medienanträge, Prüfung bei Ordensangelegenheiten, weiteren gesetzesmöglichen Prüfungen, daneben die sogenannte Selbstüberprüfung, die als Antrag auf Akteneinsicht in die Statistik einfließt…. Die  BStU als ein Provisorium mit Dauerhaftigkeitsallüren reist aus ins Bundesarchiv, ohne umzuziehen. Bald nun ist Bundestagswahl, eine gute Gelegenheit Änderungswünsche an den Transformationsgesetzen in den politischen Raum einzuspielen.