Links zur Hoyer / Oschmann Debatte über die Ostzone 

Von Gerold Hildebrand

Links zur Hoyer / Oschmann Debatte über die Ostzone  zusammengestelt von Gerold Hildebrand  
Beiträge von Richard HerzingerJohn Connelly, Norbert F. Pötzl, Stefan Locke, Ilko-Sascha Kowalczuk, Marko Martin, Alan Posener, Michael Pilz, Franziska Kuschel, Simon Voigt, Tim Evers, Hanno Müller, Jan HollitzerFriederike Haupt, Ines Geipel, Wiebke Hollersen, Klaus-Rüdiger Mai, Stefan Krikowski, Carsten Schneider, Anja Reich, Anne Rabe, Sabine Rennefanz, Eckhard Jesse, Susanne Lenz, Mathias Richter

https://www.perlentaucher.de/intervention/richard-herzinger-ueber-katja-hoyer-und-dirk-oschmann.html

Von Richard Herzinger

„Die Bücher von Dirk Oschmann und Katja Hoyer verharmlosen die DDR-Vergangenheit. Die von Hoyer als Erkenntnis verkaufte Binsenwahrheit, dass man sich auch in Diktaturen bequem einrichten kann, trägt dazu bei, den Unterschied zwischen  Rechtsstaat und Diktatur zu verwischen. Das Angebot der Staatsmacht an ihre Untertanen, eine relativ komfortable Existenz führen zu können, sofern man nicht aufmuckt, stellt gerade ein konstitutives Element diktatorischer Herrschaftstechnik dar. …

Im Kern läuft das "Neue" an dem Ansatz der Historikerin jedoch auf die Binsenwahrheit hinaus, dass auch unter den Bedingungen einer Diktatur subjektiv als glücklich empfundene individuelle Lebenswege möglich sind. Doch dass sich Menschen in repressiven Verhältnissen mehr oder weniger bequem einzurichten wissen - unter der Voraussetzung, dass sie sich unliebsamer Aktivitäten oder Meinungsäußerungen enthalten und daher keiner unmittelbaren politischen Verfolgung aussetzen -, ist keine Erkenntnis, die autoritäre Systeme in einem milderen Licht erscheinen lassen könnte.

 Im Gegenteil: Das Angebot der Staatsmacht an ihre Untertanen, eine relativ komfortable Existenz führen zu können, so lange sie sich dem politischen Absolutheitsanspruch der Mächtigen fügen, stellt ein konstitutives Element diktatorischer Herrschaftstechnik dar. Wenn sich die Einzelnen in einem Unrechtsstaat private Freiräume schaffen, in denen sie dessen Allgegenwart auszublenden versuchen, bedeutet dies daher keineswegs, dass sie - wie Katja Hoyer suggeriert - ein "staatsfernes" Dasein führen würden. Es bedeutet vielmehr, dass sie das Unrecht als Gegebenheit hinnehmen und somit stabilisieren helfen.“

 

https://m.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/katja-hoyers-versuch-einer-anderen-geschichte-der-ddr-scheitert-18991650.html

Von John Connelly

„Der Versuch einer „anderen“ Geschichte der DDR scheitert an der frappierenden Unkenntnis der Autorin über die realen Verhältnisse im real existierenden Sozialismus. …

Man könnte bei der Lektüre meinen, Sozialismus sei nichts weiter als ein politisches Regime, dem es auf die Förderung der sozialen Gleichheit ankommt. Weil sie aber die DDR nicht als ein Land begreift, das aus der Geschichte des Sowjetkommunismus hervorging, mutet Hoyer dem Leser Märchen über die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) zu. So behauptet sie etwa, dass die alle fünf Jahre abgehaltenen Parteitage aus Delegierten bestanden, die von Betriebs- und anderen Parteizellen dorthin entsandt wurden, um dann das Zentralkomitee und das Politbüro der Partei zu wählen.

In Wirklichkeit verlief die Wahl in umgekehrter Richtung, von oben nach unten: Das Zentralkomitee verfügte über eine Kaderabteilung, die absolut zuverlässige Delegierte für den Parteitag auswählte; diese wählten dann ein Komitee, das das Politbüro selbst zusammengestellt hatte. …

Das Gleiche galt für die SED. Formal wurde niemand gezwungen, der Partei beizutreten, aber alle wussten, dass sie ohne Parteimitgliedschaft beruflich nicht weiterkamen. …

Hoyers Helden sind Menschen aus bescheidenen Verhältnissen, die dank dem Regime zu Status, Sicherheit und Komfort gelangten, von denen ihre Vorfahren nur träumten. Mitten im Buch findet man eine Fotoserie mit lächelnden Arbeitern am Tag der Arbeit, einem bedächtig-stolzen und schwer bewaffneten Grenzsoldaten, Kindern, die freudig Kosmonauten begrüßen: Menschen, die das Leben in der DDR offensichtlich liebten.

Als ich in den 1980er-Jahren die DDR mehrfach besuchte, traf ich auf eine ähnliche Sicht unter vielen SED-Mitgliedern. Sie nahmen die Existenz von Dissidenten („Spinner“) kaum zur Kenntnis. …

Die Revolutionäre, die in diesem Buch mit keinem Porträt bedacht werden, entmachteten ein Regime, das die Ostdeutschen entmündigt hatte. …

Nehmen wir Roland Jahn, der zu einem Freundeskreis von Kommilitonen der Wirtschaftswissenschaften in Jena in den 1970er-Jahren gehörte. Jahn konnte trotz der jahrelangen Indoktrination sein Befremden über die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann aus der DDR nicht unterdrücken. „Warum fällt es uns denn so schwer, Kritik zuzulassen?“, fragte er in einem Seminar über wissenschaftlichen Kommunismus 1976. Die SED entschied, dass ein Mensch, der eine solche Frage stellte, an einer sozialistischen Universität untragbar sei. Am Abend vor der Abstimmung über seinen Rauswurf versicherten ihm seine Freunde in der FDJ-Gruppe, dass sie ihn nicht ausschließen würden. Am nächsten Tag stimmten alle bis auf eine von 14 „freiwillig“ seiner Exmatrikulation zu. Viele Jahre später vertraute einer von ihnen Jahn an, was dahintersteckte: Der Seminargruppe wurde durch einen Funktionär eröffnet, Jahn arbeite für einen westlichen Geheimdienst. Weil die Studenten diese Mitteilung von einem „Vertreter der Arbeiter- und Bauernmacht“ erhielten, hätte ein Zweifelnder unter ihnen nur deutlich gemacht, „dass Du Dich dem Staat nicht würdig erweist. Das heißt auch für dich, dass Du Dein Studium nicht beenden kannst.“

Die SED kontrollierte nicht alles im Leben der Menschen – aber sie hatte die meisten Lebensentscheidungen der Menschen fest im Griff. Sie prägte einen totalitären Staat, der brillant darin war, das auszunutzen, was die Menschen begehrten: vor allem Bildung, aber auch ein bescheiden angenehmes, bequemes Leben. So konnte die DDR sich Gefügigkeit sichern und kritisches Denken ersticken. So war das Leben jenseits der Mauer.“

 

https://www.sueddeutsche.de/politik/ddr-geschichte-sed-egon-krenz-brd-katja-hoyer-rezension-1.5834330?reduced=true 

Norbert F. Pötzl

„Eine ganz kommode Diktatur Die ostdeutsche Historikerin Katja Hoyer verspricht "eine neue Geschichte der DDR". Leider ist es die alte Erzählung, dass im SED-Staat nicht alles schlecht gewesen sei. Systemkritiker kommen gar nicht erst zu Wort.“ https://sz.de/1.5834330

 

https://cicero.podigee.io/72-neue-episode

"Ich bedauere sehr, dass die Auseinandersetzung mit dieser sozialistischen Ideologie auch in den Schulen und in den Medien doch praktisch gar nicht stattfindet." (Hubertus Knabe)

37:56 "Man sollte sich davor hüten, die Ostdeutschen alle in einen Topf zu werfen." (Hubertus Knabe)

Volker Resing bezieht sich auf folgende Bücher: Katja Hoyer: "Diesseits der Mauer", Hoffmann und Campe, 2023 und Dirk Oschmann: "Der Osten. Eine westdeutsche Erfindung", Ullstein, 2023 https://m.youtube.com/watch?v=6t4uREyqj6I

 

https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/522739/die-neue-ostdeutsche-welle/

„Neue Erkenntnisse über die vielen Facetten der DDR oder nur eine neue Geschichtsvergessenheit? Eine doppelte Buchkritik von Wolfgang Templin. …

Gemeinsam ist ihnen ein weitgehendes Ausblenden bisheriger Autoren und des Materials, das mittlerweile für ein differenzierteres Verständnis der zweiten deutschen Diktatur zur Verfügung steht. …

Katja Hoyer hätte die Möglichkeit gehabt, zahlreiche neuere biografische Arbeiten zu nutzen, in denen sich Nachgeborene mit der Sozialisation und der Rolle ihrer Familienangehörigen auseinandersetzen und nicht deren Lesart der Geschichte folgen, sondern ohne Verdammungsurteile zu eigenen Schlussfolgerungen, eigenen Bewertungen kommen. Ihr Buch bleibt somit eine vertane Chance. …

Was Oschmann absolut unterschätzt und ausblendet, sind die ideologischen Prägekräfte und das abgestufte System an Privilegien, das den positiven Kitt der DDR ausmachte und die Leute im System funktionieren ließ, selbst wenn sie sich vermeintlich staatsfern verhielten. So eingeschränkt, wie Oschmanns Bild von der DDR ist, ist auch sein Blick auf die Realitäten des Vereinigungsprozesses.“

 

https://zeitung.faz.net/fas/leben/2023-05-21/8a9ef6856683b9b4c20c595f3cc6ac06/?GEPC=s9&fbclid=IwAR0jPezC7qruQiASlqB-4Cgfh9LTiGxGXdQpahfI1TYGmnLR1VVUq7Mnnrw

Stefan Locke

„Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk über kuschelige DDR-Erzählungen, die Wirkung von historischen Filmen und seine Fehde mit der Band „Rammstein“. …

Sehr positiv war die Zusammenarbeit bei „Weißensee“. Das hat mir großen Spaß gemacht, und die Serie ist wirklich gut gelungen, sie hat viele Ebenen, zeigt realitätsnah die Konflikte. Als mich Jan Josef Liefers für einen Film über Honeckers Zeit in Lobetal um Mitarbeit bat . . .“

 

https://www.freitag.de/autoren/ilko-sascha-kowalczuk/ilko-sascha-kowalczuk-zu-katja-hoyers-diesseits-der-mauer-kleine-feine-ddr

Ilko-Sascha Kowalczuk 

Katja Hoyer fragt in ihrem Buch zum Beispiel nicht, was politische Propaganda in den Schulen, den Medien, an der Universität, bei der Armee, wo auch immer, mental, kulturell, intellektuell angerichtet hat …

Der deutsche Verlag bewirbt das Buch mit „bahnbrechend“. In England wie Deutschland ist es sofort ein Bestseller geworden. Allerorten wird es gelobt – allerdings haben sich bislang kaum Kommunismus- und noch weniger DDR-Experten zu dem Buch geäußert. Das fast einhellige Lob erscheint bei nüchterner Betrachtung wie eine PR-Kampagne. Bei näherer Betrachtung bleibt nicht viel, was das Buch überzeugend erscheinen lässt.“

https://taz.de/Buch-ueber-DDR-Geschichte/!5931542/

MARKO MARTIN

„Mit Mutti zum Kaffee bei Egon Krenz

Zu Gast bei der ostdeutschen Volksgemeinschaft: Katja Hoyers viel diskutiertes und seltsames Buch „Diesseits der Mauer“. …

Die Tochter eines Systemträger-Ehepaars schreibt nämlich keine ostdeutsche Version von Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“ oder gar ein Post-DDR-Pendant zu Bernward Vespers 1977 posthum veröffentlichtem Kultbuch „Die Reise“, in dem mit der NS-Elterngeneration vernehmlich abgerechnet worden war. …

Stasi, fehlende politische Grundrechte und staatliche Repression werden sehr wohl thematisiert, wenngleich in geradezu mechanischer Eilfertigkeit mit einer vermeintlichen Systemlogik des Kalten Kriegs erklärt oder in Beziehung gesetzt zur Tatsache, dass unter allen kommunistischen Staaten in der DDR immerhin der materielle Lebensstandard am höchsten war. …

Die Autorin selbst zieht folgendes Resümee: „Die Bürger der DDR lebten, liebten, arbeiteten und wurden alt.“ Diese himmelstürzende Erkenntnis möchte die Autorin nun endlich auch im wiedervereinigten Land implementiert wissen, „um die deutsche Vergangenheitsbewältigung abzuschütteln“.“

 

https://www.welt.de/debatte/kommentare/article245337758/Nein-die-Kultur-der-DDR-war-nicht-cool.html?cid=socialmedia.email.sharebutton

Alan Posener

„Die DDR sei ein „Freifeldversuch für politische, ökonomische und soziale Alternativen“ gewesen, sagt die ostdeutsche Historikerin Katja Hoyer. Nein, nichts wurde „versucht“, sondern von Moskau verordnet. Und nicht nur dabei liegt die Autorin Hoyer falsch. …

In Zeiten, wo Kapitalismuskritik wieder unter Intellektuellen „cool“ ist, Aktivisten offen eine Klimadiktatur befürworten und der Staat den Bürgern vorschreiben will, wie viele Quadratmeter sie bewohnen und wie viel Energie sie dabei verbrauchen dürfen, ist es kein Wunder, dass auch die Nostalgie Konjunktur hat.“

 

https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article245840280/Katja-Hoyer-DDR-Debatte-Die-deutsche-Norm-und-die-ostdeutsche-Abweichung.html

Von Michael Pilz

„In Berlin verteidigt die deutsch-britische Historikerin Katja Hoyer ihren umstrittenen Bestseller „Diesseits der Mauer“. War die DDR doch anders als gedacht? Und worum geht es wirklich in der „Hoyer-Oschmann-Debatte“? …

Die ernsthafteren Angriffe aber trafen sie aus dem Osten: Ines Geipel warf ihr einen „unverhohlenen Revisionskurs“ vor, eine „Entlastungserzählung“, eine „Überidentifikation mit den Eltern“, „eine Art Rollentrance“. Ilko-Sascha Kowalczuk, vielleicht auch etwas gekränkt, dass seine eigenen DDR-Bücher in ihrer Bibliografie nicht vorkommen, streute seine Verrisse weiträumig und fasste es grob so zusammen: „Sozialismus in Pastell.“

Franziska Kuschel, nur fünf Jahre älter als sie und Historikerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur, bezeichnete das Buch als „veritables Ärgernis“ und listete die Fehler auf: Die DDR hatte nicht 13, sondern 14 Bezirke; am 4. Dezember 1989 stürmte das Volk nicht alle Stasi-Dienststellen im Land, sondern zunächst nur die in Erfurt. …

War der Aufstand der Arbeiter am 17. Juni 1953 ein „faschistischer Putschversuch“, gesteuert vom RIAS, dem deutschen Radiosender der Amerikaner, und von westlichen Agenten? So steht es bei Katja Hoyer. …

Dass in Katja Hoyers Buch, wie es in der Debatte heißt, die Diktatur vom Alltag abgetrennt wird, stimmt nicht. Dass die DDR der anderen, der Oppositionellen, der Systemkritiker, Aussteiger und Subkulturen, nicht vorkommt, stimmt.“

 

https://www.spiegel.de/geschichte/katja-hoyer-debatte-ueber-alltag-in-der-ddr-sie-wollte-den-farbfilm-nicht-vergessen-a-136b1d5f-8ce6-4ffc-8379-5fce3abf5312

von Franziska Kuschel

„Die Historikerin Katja Hoyer hat mit »Diesseits der Mauer« einen Bestseller über den Alltag in der DDR gelandet. Doch sie beschönigt darin die Vergangenheit – mit fragwürdigen Methoden.“

 

https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/historikerin-und-autorin-des-buches-diesseits-der-mauer-katja-hoyer-im-interview-die-geschichte-der-ddr-ist-gerade-extrem-relevant-li.344099

Katja Hoyer kam in Strausberg als Tochter eines NVA-Offiziers zur Welt und lebt in London.“

 

https://www.nordkurier.de/kultur/buch-wagt-einen-neuen-blick-auf-stasiland-1587063

Simon Voigt

„Der „Guardian“ schrieb: „Hoyers Ostdeutschland ist nicht das von Russland kontrollierte, eingemauerte „Stasiland“, deren Bürger ständiger Überwachung und Einschüchterung durch das Ministerium für Staatssicherheit ausgesetzt waren. Vielmehr, so erzählt sie, war es ein Ort, an dem die Menschen ihr eigenes Schicksal bestimmten und ein Leben in „voller Farbe“ führten – im großen Unterschied zum „grauen, monotonen Nebel“, den sich die westliche Fantasie vorstellt.“ …

Mit diesen Bürgern hatte die Autorin nun Interviews geführt, „normale Menschen“, wie sie in einem Gespräch mit dem MDR betont, darunter Fabrikarbeiter, Polizisten, eine Buchhalterin, Lehrer, Grenzer, aber auch Politiker wie Egon Krenz.“

 

https://www.rbb24.de/kultur/beitrag/2023/05/berlin-brandenburg-interview-autorin-ddr-london-grossbritannien-.htm/alt=amp.html

Tim Evers 

„Ich bin in der Wilhelm-Pieck-Stadt Guben geboren. Dort gab es eine NVA-Militärsiedlung. Kurz nach meiner Geburt, hat meine Mutter weiter in Dresden studiert. Da war ich dabei. Sie ist Lehrerin. Und dann ist meine Familie nach Strausberg gegangen, weil mein Vater als Offizier in der in der Nationalen Volksarmee dorthin versetzt worden ist.“

 

https://www.thueringer-allgemeine.de/podcast/hollitzer-trifft/hollitzer-trifft-katja-hoyer-persoenliche-lebenserfahrungen-soll-man-behalten-duerfen-id238302965.html

Hanno Müller, Jan Hollitzer 

„Ähm“

 

 

 

https://www.superillu.de/magazin/heimat/ddr/geschichte/kontroverse-um-ddr-geschichte-und-buch-diesseits-der-mauer-2127

„Mit ihrem Buch „Diesseits der Mauer“ schrieb Katja Hoyer einen Bestseller, erntete aber auch Kritik. Auf Einladung von SuperIllu diskutierte sie mit der ostdeutschen Politikerin Linda Teuteberg über das DDR-Bild ihrer Generation. …

Teuteberg: Was ich teile, ist, dass die DDR-Geschichte nicht nur eine Fußnote ist. Sie ist nicht die Regionalgeschichte der Ostdeutschen, sondern ein wichtiger Teil der gesamtdeutschen und europäischen Geschichte, die alle kennen sollten. Stasi und Mauer sind jedoch keine „Details“, sondern Wesensmerkmale der SED-Diktatur. Die Unterdrückung war nicht etwa Betriebsunfall, sondern Existenzbedingung des Sozialismus und dieses Staates. Alltag und Diktatur gehörten zusammen.“

 

https://m.faz.net/aktuell/politik/inland/ostdeutschland-teuteberg-ueber-wut-und-schuldzuweisungen-18921671.amp.html

Von Friederike Haupt

Linda Teuteberg ist Ostdeutsche. Und sagt Ostdeutschen: Vom Wütendsein wird sich nichts ändern, Schuldzuweisungen reichen nicht. Ein Interview. …

Ich finde es wichtig, dass die Vielstimmigkeit hörbar wird. Allzu oft werden zu dem Thema nur Leute befragt, die dem Klischee vom Ostdeutschen entsprechen oder höchste Staatsämter innehaben oder -hatten. Es gibt aus dem Osten dieser Republik aber Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlichen Standpunkten und Temperamenten.

Wo stehen Sie?

Ich bin eine Deutsche aus Brandenburg und damit aus dem Osten dieser Republik. Ich bin Brandenburgerin, und das ist gut so. Darauf will ich mich zugleich nicht reduzieren lassen. Herkunft ist weder Verdienst noch Makel.

Ich nehme an, Sie betonen das so, weil gerade wieder eine Debatte über den Osten im Gange ist. Der Grundton ist: Den Ostdeutschen wurde nach der Wende unrecht getan. Darum sind sie jetzt sauer.

Es ist legitim, Enttäuschung und manchmal auch Wut zu artikulieren. Aber ich widerspreche diesem Pauschalvorwurf und der spaltenden Aufrechnerei. Es gibt teilungsbedingte Erfahrungen und Prägungen, aber deshalb sollten wir nicht die SED-Erzählung von einer ostdeutschen Nation bedienen. Was mir in dieser Debatte fehlt, ist ein Sinn für Verhältnismäßigkeit und vor allem Empathie für die Menschen, denen in der DDR schlimmstes Unrecht widerfahren ist.

Debattiert wird vor allem über zwei Bücher: Der Leipziger Germanist Dirk Oschmann wirft den Westdeutschen zornig vor, sich ein abwertendes Bild vom Osten erfunden zu haben, und die Historikerin Katja Hoyer hat eine Geschichte der DDR geschrieben, um zu zeigen, dass damals auch nicht alles schlecht war.

Ich teile Herrn Oschmanns Befund, dass Ostdeutsche mitunter pauschal abgewertet werden. Die aktuelle Debatte ist wichtig, aber sie erschöpft sich zu oft in Schuldzuweisungen statt das Stereotyp zu überwinden. Das ist Ausdruck einer Unfähigkeit zu trauern. Nämlich darüber, dass die deutsche Teilung sehr vielen Menschen Unrecht zugefügt hat, das man nicht mehr gutmachen kann, aus dem wir aber lernen können. Es wäre für unsere ganze Gesellschaft wichtig, die Geschehnisse und Ursachen aus DDR-Zeiten betrauern zu können.

Aber nach der Wende sind doch von westdeutscher Seite Fehler gemacht worden. Sollen Ostdeutsche da sagen: war halt so, Schwamm drüber?

Nein. Mir ist wichtig, auch Brüche und Härten zu sehen. Mindestens ebenso wichtig ist, sich mit der Diktatur bis 1989 zu beschäftigen und mit den Prägungen und Folgen, die sie hinterlassen hat, und die viele Probleme und Fehler danach erst bedingen. Ursache und Wirkung dürfen nicht verwechselt werden. Die Enteignung ostdeutscher Familienunternehmen zum Beispiel war das Werk des SED-Regimes und nicht etwa des Westens. Das wirkt bis heute nach. Wir müssen aufpassen, dass die Erzählung nicht lautet, die Brüche der Neunzigerjahre seien schlimmer und willkürlicher gewesen als die realsozialistische Diktatur davor.

Sie waren acht, als die Mauer fiel. Wie war Ihr Leben bis dahin gewesen?

Ich hatte eine behütete Kindheit - trotz und nicht wegen des politischen Systems. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass es in der DDR später schwierig für mich geworden wäre. In meinen ersten Schulzeugnissen stand schon: Linda hinterfragt die Dinge und gibt sich erst zufrieden, wenn sie etwas genau ergründet und verstanden hat. Diese Eigenschaften sind in einer Diktatur besonders unerwünscht.

Die Historikerin Hoyer schreibt in ihrer DDR-Geschichte: "Für Menschen, die sich einen ruhigen Alltag im gemütlichen Heim wünschten, war die DDR ein stabiler Ort ohne große Sorgen und Nöte."

Wer sich nicht bewegt, spürt die Fesseln nicht. Aber das ist keine Rechtfertigung dafür, die Geschichte beschönigend umzuschreiben, und keine Haltung, mit der man im Nachhinein auch noch prahlen sollte. Ich lese das Buch von Frau Hoyer gerade. Mein Eindruck ist, dass sie zwar nicht plakativ in Abrede stellt, dass die DDR eine Diktatur war. Sie pflegt jedoch den trügerischen Eindruck, dass der Alltag nichts mit dem politischen System zu tun gehabt hätte und abtrennbar sei von der Diktatur. Das Gegenteil ist der Fall.

Wie erklären Sie sich, dass so viele Menschen mit Diktaturerfahrung gerade so unzufrieden sind? In Brandenburg lag die AfD in einer Umfrage kürzlich vor allen anderen Parteien.

Zunächst finde ich wichtig zu sagen, dass immer noch die übergroße Mehrheit der Ostdeutschen nicht die AfD wählt. Das ändert nichts am Befund, aber wer Vielfalt schätzt, sollte auch Vielstimmigkeit wahrnehmen. Die Ursachen sind vielschichtig. Es gibt Menschen, die völkische, fremdenfeindliche Ansichten haben. Das ist nicht zu beschönigen. Und es gibt einen Teil, und um den müssen sich demokratische Parteien mit Sorgfalt und Leidenschaft bemühen, dessen Weltanschauung mit dem Grundgesetz sehr gut vereinbar ist, der lediglich bestimmte Probleme nicht ausreichend angesprochen, geschweige denn gelöst sieht. Die Dinge anzusprechen, ist der erste Schritt. Wir haben dysfunktionale Debatten, in denen das Benennen eines Problems zum Igitt-Faktor wird, nur weil auch die AfD es anspricht. …

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke von der SPD forderte kürzlich in einem Interview ein "neues ostdeutsches Selbstbewusstsein". Was halten Sie davon?

Ich bin sehr für Selbstbewusstsein ohne Selbstgerechtigkeit. Dietmar Woidkesagte in dem Interview ja auch, dass er eine Hochnäsigkeit des Westens gegenüber Ostdeutschland und Osteuropa wahrnehme. Dabei gehört er zu denen, die bis vor Kurzem noch von "Befindlichkeiten in Polen" gesprochen haben oder es als "Säbelrasseln" kritisierten, wenn die NATO ihre Präsenz in Polen und im Baltikum verstärkte. Ignoranz und Arroganz gegenüber Osteuropäern sind wahrlich kein westdeutsches Monopol.

Ja. Aber eben auch ein westdeutsches Problem. Bei mir, Abitur 2001 in Nordrhein-Westfalen, kam die DDR im Unterricht quasi nicht vor.

Das ist ein Problem. Die DDR ist nicht die Regionalgeschichte der Ostdeutschen, sondern ein hoch relevanter Teil der gesamtdeutschen und europäischen Geschichte mit Auswirkungen bis heute. Ich nenne mal ein Beispiel: Wessen Freiheit durch einen sogenannten antifaschistischen Schutzwall geraubt wurde, der ist nicht euphorisch und unkritisch bereit, Antifaschismus als einen per se positiven Begriff zu sehen. Nicht jeder Antifaschist ist ein Demokrat. Unbelastet von dieser Erfahrung urteilt es sich gewiss leichter und rigoroser, aber nicht kompetenter.

Wie passt es zusammen, dass viele für sich in Anspruch nehmen, in der DDR sensibilisiert worden zu sein für Unrecht und Bevormundung, dann aber den Ukrainern empfehlen, sich den Russen zu ergeben?

Deutsche Sonderwegsromantik und Antiamerikanismus sind ein altes gesamtdeutsches Phänomen, das in Jahrzehnten der SED-Diktatur aber weiter kultiviert statt überwunden wurde. Der Hitler-Stalin-Pakt wurde im Geschichtsunterricht nicht wahrheitsgemäß thematisiert. Zum ganzen Bild gehört auch, dass zur Logik der westdeutschen Entspannungspolitiker und Linken gehörte, dass den Weltfrieden gefährde, wer sein Selbstbestimmungsrecht jenseits der Mauer wahrnehmen wollte.

Zum 60. Jahrestag des Mauerbaus 2021 habe ich eine fatale Benennungsscheu beobachtet: Der Zusammenhang zwischen sozialistischer Weltanschauung und der Mauer, die sie hervorbrachte, kam in vielen Stellungnahmen nicht vor. Formulierungen wie "in Beton gegossener Kalter Krieg" oder "gesellschaftlich entzweit werden" suggerieren eine paritätisch verteilte Verantwortung für Unrecht und Leid. Ich wünsche mir, dass wir im Bundestag jährlich eine Debatte zur Lage der Nation im wiedervereinigten Deutschland führen, mit einer Regierungserklärung und Rednern aus allen Teilen unserer Republik. Und zwar nicht in erster Linie über Infrastruktur, Fördermittel oder Bundesbehörden. Das ist auch alles wichtig. Aber das, was jetzt aufbricht, zeigt, dass wir uns endlich offen mit den emotionalen und ideellen Aspekten beschäftigen sollten.

Genau das macht die Leute wütend: dass sie sich das seit dreißig Jahren wünschen und nicht bekommen.

Vom Wütendsein wird es sich aber nicht ändern, sondern nur durch ein neues Denken. …

Für mich ist der entscheidende Punkt, dass Menschen, die im Osten geboren sind, sich ganz normal engagieren und für politische Verantwortung kandidieren müssen, wenn sie diese wollen. Ich tue das.“

 

 

https://m.faz.net/aktuell/politik/ost-gegen-west-deutschlands-neues-leben-18927077.amp.html

Von Ines Geipel

Noch immer halten die DDR-Kriegskinder das Binnenkollektiv Ost in ihrem Bann. Die jüngeren Generationen kreieren eine Entlastungserzählung und versuchen, den Westen zum großen Buhmann zu machen. …

Im Nachhinein bleibt auffällig, wie viel in Sachen DDR-Diktatur substanziell ungeklärt geblieben ist, wie wenig gesichertes Referenzsystem es nach wie vor gibt, wie wenig Klarheit in den Begriffen, wie wenig Forschung die Gesellschaft im Kern erreichte, wie wenig die von der Union der Opferverbände angegebenen drei Millionen DDR-Unrechtsopfer das politische Bewusstsein des wiedervereinten Deutschlands beschäftigen mussten. …

Ein Hauptpunkt in dieser Achsenverschiebung dürfte das reorganisierte Altkadermilieu im Osten gewesen sein. 25 Jahre lang hatte es mit Vehemenz die Möglichkeiten des Systems genutzt, das es bis 1989 strikt bekämpft hatte. Nun war es wohl Zeit, in den Attackenmodus zu wechseln. …

Ende Februar 2023 erschien dazu das Debattenbuch des 1967 im thüringischen Gotha geborenen und in Jena und den USA ausgebildeten Germanisten Dirk Oschmann, heute Professor in Leipzig, mit dem Titel "Der Osten: eine westdeutsche Erfindung". In ihm wird der Osten zum "Geschwür am Körper des Westens, das ihm dauerhaft Schmerzen bereitet und das er nicht wieder los wird". "Der öffentliche Raum ist als ökonomischer, medialer und diskursiver Raum nicht nur komplett in westdeutscher Hand, sondern normalerweise auch vollständig von westdeutschen Perspektiven beherrscht." Noch dazu hat der Osten eine "30-jährige Geschichte individueller und kollektiver Diffamierung, Diskreditierung, Verhöhnung und eiskalter Ausbootung" hinter sich.

Anfang Mai ging dann das Buch der 1984 im brandenburgischen Guben geborenen Historikerin Katja Hoyer "Diesseits der Mauer. Eine neue Geschichte der DDR" an den Start. Hoyer hatte in Jena Geschichte studiert, forscht heute am King's College in London und arbeitet für die BBC und die "Washington Post". Der Grundtenor ihres Buches: "Geschichte wird von Siegern geschrieben, auch die der DDR." Der Text kommt ohne jede Archivrecherche aus, zaubert aus den Veröffentlichungen anderer ein forsch zusammenbuchstabiertes Patchwork herbei, wird hauptsächlich vom Syndrom: böser Westen versus utopischer Osten beatmet und wartet mit der Empfehlung auf, endlich die "deutsche Obsession der Vergangenheitsbewältigung abzuschütteln".

Zwei Ostdeutsche, zwei wissenschaftliche Karrieren, zwei Furore machende Debattenbücher. Die Veröffentlichungen haben gemeinsam, dass beide einen durch den englischsprachigen Raum geweiteten Außenblick auf die deutsche Debatte werfen wollen und damit den Vorzug insinuieren, die ausgetretenen Pfade der Aufarbeitung zu unterlaufen. Warum nicht? Gemeinsam ist den beiden Büchern auch ihre außerordentliche Resonanz. Mit Erscheinen schnellten sie sofort auf den Bestsellerlisten nach oben und halten sich da.

Zwei Bücher, viel Streit, ein Symptom? Und was noch? Was zunächst einmal auffällt, ist der unverhohlene Revisionskurs beider Texte, durch den die DDR als utopische Ideenkapsel gleichsam revitalisiert aufscheint. Dabei würden sich sowohl Katja Hoyer als auch Dirk Oschmann strikt vor jedweder DDR-Apologie verwahren. Für das politische System mag das stimmen, für das Gedankengebäude DDR stimmt es nicht. Auffällig, wie unsortiert beide in dieser Frage bleiben, wie ungebrochen das instrumentelle Ideologiefundament der DDR in den Texten weiterleben darf, ja verharmlost wird und wie defizitär der aktuelle Stand der Aufarbeitung Eingang in beide Bücher gefunden hat. Das ist durch zahlreiche Rezensionen hinlänglich belegt.

Der Punkt ist ein anderer. Der Historiker Wolfgang Schivelbusch hat in seinem Standardwerk "Die Kultur der Niederlage" kollektive Gedächtnisstrategien nach Niederlagen untersucht und ist dabei auf psychodynamische Verarbeitungsmodelle gestoßen. Nach dem konkreten Ereignis, so hielt er fest, stattet sich die Niederlagenphilosophie mit einem Arsenal an Phantasmen und Umdeutungen, Selbstauratisierungen und Mythenbildungen aus und baue sich eine Ersatzwelt, um sich resistent gegen das Unabänderliche, aber auch gegen neuerliche Enttäuschungen zu machen. Die Niederlagenphilosophie bestehe laut Schivelbusch aus einer Art "citadelles sentimentales".

Was hat das mit den beiden Büchern zu tun? Nach nunmehr 34 Jahren glücklicher Revolution dürfte immerhin klar geworden sein: Wir sind ein vereinigtes Land. Und außerdem: Das wird so bleiben. Im Hinblick auf diese Tatsache ist aber offenbar etwas unerlöst geblieben. Ein, wie es scheint, nicht zu vernachlässigender Rest, den die Gedächtnisexpertin Aleida Assmann "die destruktive Energie der Erinnerung" nennt. Damit meint sie eine Asymmetrie des Erinnerns, die so lange Bestand hat, bis zwischen divergierenden Positionen ein Ausgleich gefunden worden ist.

Mit einigem guten Willen kann man die beiden Bücher insofern auch als Gedächtnisstrategien des Ausgleichs lesen. Ein ostdeutscher Kriegsenkel und eine ostdeutsche Kriegsurenkelin, mit globalem Bildungsprogramm und entsprechend weltläufigem Vokabular ausgestattet, setzen auf Umschreibung, Mythenbildung und Selbstauratisierung, um der im Osten verbliebenen Großeltern- und Elterngeneration ein Drehbuch zu offerieren, das die "schmerzhafte Erinnerung der Niederlage" überwinden hilft. Der Druck auf die Folgegenerationen im Osten ist immens, da unbewusst klar ist, dass auch noch so viele euphemistische Angebote das Dilemma der Diktaturgenerationen nicht werden auflösen können. …

Unter der Überschrift "Lasst die Ostdeutschen ihre Heimat deuten" beschwor der Chefredakteur der "Schweriner Volkszeitung" am 9. Mai seine Erinnerungsgemeinschaft, die sich immun gegen jede Kritik aus dem Westen erweisen solle. Ähnlich in "Der Spiegel", wo Kritik am Hoyer-Buch mit "DDR-Hass" gleichgesetzt wurde und gar vom "ausgelöschten Staat DDR" die Rede war.

Über beide Bücher haben sich mit Erscheinen kampfstarke mediale Verteidigungslinien aufgebaut. Des Öfteren kommen diese Stimmen aus damals staatsnahen oder belasteten Milieus und waren einst Kinder von Kombinatschefs, Stasileuten, Waldbesitzern in Thüringen, gehören zum Roten Adel oder in die Rubrik Parteifunktionäre oder Militär. Das wäre ohne Belang, wird aber dann doch relevant, wenn die Loyalitätskonflikte mit den Eltern im öffentlichen Raum ausagiert werden. Warum sonst die Polemik zugunsten der Diktatur, wozu das fast schon hysterische West-Bashing? …

Laut der Studie "Demokratievertrauen in Krisenzeiten" der Friedrich-Ebert-Stiftung vom Ende April 2023 hat sich die Differenz zwischen Ost und West in Sachen Demokratie-Bejahung noch einmal vergrößert und liegt für Ostdeutschland nun bei 34 Prozent, für Westdeutschland bei 52 Prozent. …

Drei Millionen Unrechtsopfer der DDR sind drei Millionen Schicksale, die durch die Erzählungen Oschmanns und Hoyers ausgelöscht werden.“

 

https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/literatur/diesseits-der-mauer-von-historikerin-katja-hoyer-verharmlost-dieses-buch-die-ddr-li.349102

„Das Buch der Historikerin Katja Hoyer über die Geschichte der DDR hat eine Debatte ausgelöst. Deren Ton ist teilweise polemisch – und irritierend persönlich. Eine Erwiderung.“

Wiebke Hollersen

 

„Liebe Angehörige und Freunde der Lagergemeinschaft Workuta / Gulag Sowjetunion,

auf das neue Buch von Klaus-Rüdiger Mai „Der kurze Sommer der Freiheit“ hat die Lagergemeinschaft Workuta Anfang Juni hingewiesen, ein immanent wichtiges Buch, beschreibt Mai doch detailliert, wie die Kommunisten um Ulbricht, Schritt für Schritt die Macht erobern. Aber wo sind Rezensionen zu dem Buch erschienen? Haben Sie Rezensionen in der SZ, der FAZ , dem Tagesspiegel, der Berliner Zeitung oder etwa in  der WELT gefunden?

Mir scheint, dass die  großen und überregionalen Zeitungen das Buch von Mai ignorieren. Jetzt ist aber eine Rezension, oder sollte ich doch von einem Verriss sprechen, am 15.6. 2023  in der Leipziger Volkszeitung (LVZ) erschienen (hierzu siehe Anhang…).

Der Autor Norbert Wehrstedt schreibt: „Klaus Rüdiger Mai pflegt dagegen einen zornigen, harten,  rigorosen Blick. Mehr Gerhard Löwenthal (ZDF-Magazin) , der beim RIAS im Belter Fall eine nicht unwesentliche Rolle spielte, als jüngst Katja Hoyer („Diesseits der Mauer“). Da schiesst „Der kurze Sommer der Freiheit“ nicht selten gehörig übers Ziel hinaus“.

Ausgerechnet Hoyer, deren Buch häufig werbend rezensiert wurde, stellt der Autor Mai gegenüber. Die TAZ (!) schreibt „Die Autorin selbst zieht folgendes Resümee: ‚Die Bürger der DDR lebten, liebten, arbeiteten und wurden alt.‘ Diese himmelstürzende Erkenntnis möchte die Autorin nun endlich auch im wiedervereinigten Land implementiert wissen, um die deutsche Vergangenheitsbewältigung abzuschütteln‘.“ (https://taz.de/Buch-ueber-DDR-Geschichte/!5931542/)

Nun, auch Arno Esch, Herbert Belter oder Werner Ihmels hätten sicherlich gerne noch lange gelebt, geliebt, gearbeitet und wären gerne alt geworden!

Zwar gibt der Autor die historischen Daten korrekt wieder, nur beim Todesdatum von Herbert Belter irrt sich der Autor um einen Monat. Was soll`s. Ist ja nicht so wichtig. Der Autor meint: „An der Leipziger Uni lief damals eine Menge im ideologischen Käfig. Wer da raus wollte und aktiv wurde, bekam Probleme. Die konnten tödlich enden.“ Wo beim Aufbau des Kommunismus gehobelt wird, fallen schon mal Späne. „War der Bruch des Bildungsprivilegs, also die Bevorzugung der Arbeiter- und Bauernkinder, gegen die das Buch polemisiert, nicht ein Stück Gerechtigkeit?“ Die Unterstellung des Autors, dass Mai gegen den Zugang der Arbeiter-  und Bauernkinder polemisiert, ist bösartig, stammt doch Herbert Belter aus einer Arbeiterfamilie.

Aber an dieser Stelle möchte ich den „zornigen, harten und rigorosen“ Blick des Historikers Klaus-Rüdiger Mai selber sprechen lassen:

Der verschwundene Sohn

Wo die Herrschaft auf Lügen beruht, wird die Wahrheit zum Staatsfeind

Klaus-Rüdiger Mai

So, 25. Juni 2023

»Kritik an der Sowjetunion ist ›Völkerhaß‹, Sorgen über den Koreakrieg ist ›Kriegshetze‹, Kritik an der DDR und an der SED-Regierung ist ›Boykotthetze‹, während Kritik an der Wirtschaftspolitik und das Benennen ihrer Auswirkungen als ›Verbreitung von Gerüchten‹ diffamiert wird ...« Ein Auszug aus »Der kurze Sommer der Freiheit«.

Es ist ein gewöhnlicher Tag im Februar 1972, einer wie viele im einsamen Leben des 65-jährigen Witwers Karl Belter, der aus Berlin kommend in seine Wohnung im Mietshaus Paschenstraße 1 in Rostock zurückkehrt. Ein Jahr zuvor hat die SED ihren VIII. Parteitag gefeiert, auf dem sie die Strategie und Taktik zur weiteren Gestaltung der „entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ verkündet hat. Die Mogelpackung der „entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ mag noch so bunt angemalt sein, sie belegt das vollständige Scheitern des Marxismus. Weil man den Kommunismus nicht erreicht, erfindet man einen Vorkommunismus, dessen Dauer wie ein Kaugummi gezogen werden kann. Die SED hebt hervor, „dass es zwischen Sozialismus und Kommunismus als den beiden Phasen der kommunistischen Gesellschaftsformation keine starren Grenzen gibt“. Das ist schon von byzantinischer Geschmeidigkeit: Obwohl man eigentlich nicht im Kommunismus lebt, ist man doch irgendwie schon im Kommunismus angekommen, ein bisschen. Erich Honecker verkündet zudem die „Einheit“ von Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Was interessiert das Karl Belter? Was hat er, der sein Leben von einer kargen Rente fristet, mit all dem noch zu tun? Die verwaiste Wohnung ist ausgekühlt. Er wird zuallererst den Kachelofen heizen müssen, es dauert eine Weile, bis sich ein bisschen Wärme ausbreitet. Seit dem Tod seiner Frau flieht er, sooft es irgend geht, vor seinen Erinnerungen und aus der Wohnung, die zum Museum geworden ist. Wieder hat er ein paar Monate in Berlin bei der Cousine seiner Frau zugebracht, die ihn manchmal in der Führung des Haushaltes unterstützt, Abwechslung in ein ansonsten trostloses und ärmliches Leben bringt. Auf eine neue Ehe will er sich nicht noch einmal einlassen. Er gibt vor, dass ihm dazu der Mut fehlt, aber es ist keine Frage des Mutes, sondern eines gebrochenen Herzens.

Sorge, dass während längerer Abwesenheit sein Postkasten überläuft, muss er nicht haben. Umso mehr überrascht ihn der Brief seines einstigen Pflegekindes, der ihn erwartet. Sehr lange hat er nichts von ihr gehört, ein Kontakt, der vollkommen abgebrochen zu sein schien. In seiner Antwort, die er zwei Tage später zu Papier bringt, schreibt er daher mit leichtem Vorwurf, dass ihr letztes Lebenszeichen „zehn lange Jahre“ zurückliege. Die Empfängerin notiert am oberen rechten Rand von Karl Belters Antwort später die rechtfertigende Notiz: „ich schrieb 1965 zuletzt“. Aber für Karl Belter macht das keinen Unterschied. Während „Muschi“, so nennt er sein Pflegekind, eine Familie gegründet und es „zu einer stattlichen Anzahl von Kindern“ gebracht hat, verläuft sein Leben freudlos. Er teilt Muschi mit, dass er seit einem Herzinfarkt 1970 und der anschließenden Kur „in Rente gesetzt“ wurde und nun mit 285 Mark im Monat auszukommen hat, wo doch 125 Gramm Kaffee bereits acht bis zehn Mark kosten. Kaffee, den er ausgesprochen gern trinkt, wird für ihn zum Luxus.

Karl Belter ist das, was man einen einfachen Mann nennt. Geboren am 25. September 1906 in Wusseken, einem Dorf mit knapp 500 Seelen, das heute polnisch ist und Osieki heißt und in Pommern am Jasmunder See unweit der Ostseeküste liegt. Er besucht bis 1921 die Volksschule des Dörfchens. Eine Berufsausbildung bleibt ihm versagt, er verdient sein Geld zunächst als Landarbeiter vor Ort, übersteht dort die Hyperinflation, begibt sich als wandernder Tagelöhner auf die Walz, wird schließlich Soldat, lernt sein „Lottchen“ kennen, die im brandenburgischen Hennigsdorf geboren wurde. Am 21. Dezember 1929 kommt in Greifswald ihr Sohn zur Welt, den sie Herbert nennen. Da ist Lotte Böse, die, sobald es das Gesetz erlaubt, Karl Belter heiraten wird, erst 17 Jahre alt. Es bleibt ihr einziges Kind, umsorgt, umhegt und sehr geliebt.

Die junge Familie zieht kurz nach Herberts Geburt von Greifswald nach Rostock in die Paschenstraße 1. Karl quittiert 1936 den Dienst im Heer, arbeitet aber weiter als Lagerist für die Standortverwaltung der Reichswehr in Rostock. Was er vorher als Soldat verwaltet hat, betreut er nun als Zivilangestellter und ab 1945 als Polizist der Landespolizei. Polizist ist er noch, als sich der Sohn in Rostock an der Vorstudienstelle bewirbt, um das Abitur abzulegen, denn Herbert will studieren – und der Vater ist stolz auf seinen ehrgeizigen Sohn. Die Belters und die Böses leben schon immer von ihrer Hände Arbeit, nun soll einem von ihnen der soziale Aufstieg gelingen.

So sind die Belters dem Staat natürlich dankbar, der ihrem Sohn ein Studium ermöglicht. Schon 1945 tritt der Hauptwachtmeister Karl Belter der SPD bei, ein Jahr später ist er deshalb Mitglied der SED. Während der Sohn lernt, wechselt der Vater von der Landespolizei zu den Verkehrsbetrieben und arbeitet in Rostock als Straßenbahnschaffner. Im Grunde ist und bleibt er ein kleiner Beamter, ordentlich, bescheiden, akkurat, mit klaren Regeln, der seine Pflicht erfüllt, doch kein Eiferer. Mitglied der NSDAP war er nicht.

Wann die Belters ein Pflegekind zu sich nehmen und für wie lange, liegt im Dunkeln, aber „Muschi“ kennt die Familientragödie. Karl teilt ihr im Antwortbrief mit, dass seine Frau im September 1966 mit einer Bauchspeicheldrüsenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert wurde, sich dort eine Lungen- und Rippenfellentzündung zuzog, an der sie am 20. Oktober verstarb. „Lottchen hatte sehr große Schmerzen mit dem großen seelischen Kummer um Herbert.“ In seinen ungelenken Worten versucht er auszudrücken, dass seine Frau jeden Lebensmut verloren hatte. Aber auch um Karl steht es nicht besser, denn er vertraut dem einstigen Pflegekind an: „Nun, liebe Muschi, kannst Du Dir ja vorstellen, wie mir zu Mute war. Musste ich erst meinen lieben Sohn Herbert hingeben und dann meine liebe Frau. Schwere, schwere Zeiten habe ich mit durchmachen müssen.“ Nichts bleibt ihm.

Ein Foto zeigt Karl und Lottchen vor einem Klavier, das mit einer weißen Decke drapiert ist und als Geschenktisch dient. Auf der Decke liegen Präsente. Beide tragen festliche Kleidung. Sie hält langstielige, weiße oder gelbe Chrysanthemen in der Hand. Dicht stehen sie beieinander, Lottchen im glänzenden Kunstseidenkleid, Karl im Zweireiher, den er schon seit Jahren besitzt, aber selten trägt, vom Fotografen in Position gebracht. Beide schauen fest in die Kamera. Sie gehören zusammen, sie brauchen einander. Die silberne 25 im Ährenkranz verrät den Grund der Fotos und der Feierlichkeit: Sie begehen ihre Silberne Hochzeit – ohne Herbert.

Ein zweites Foto ist überliefert, nicht mehr in Chamois oder Elfenbeintönung gehalten wie die Fotografie zur Silbernen Hochzeit, sondern bereits in Farbe, wahrscheinlich Anfang der 1970er Jahre aufgenommen. Es zeigt ein gepflegtes Grab. Auf schwarzem Stein inmitten blühender Blumen stehen die Worte:

„Lottchen Belter
geb. Böse
*24.11.1912 + 20.10.1965“

Etwas weiter unten finden sich folgende Worte:

„Zum Gedenken
an unseren lieben Sohn Herbert“

Kein Geburtsdatum, kein Todesdatum wurde verzeichnet. So wird die Grabstätte der Mutter zum Denkmal der Erinnerung an den Sohn, der seit Oktober 1950 wie vom Erdboden verschluckt ist, von dem sich nirgends auch nur der kleinste Hinweis auf seinen Verbleib finden ließ.

Am 28. September 1950 verlässt zum Ende der Semesterferien Herbert Belter die elterliche Wohnung in Rostocks Paschenstraße, geht zum Bahnhof, zwängt sich in den überfüllten Zug, um über Berlin an seinen Studienort nach Leipzig zurückzukehren. Der Vater bedankt sich am 3. Oktober beim Sohn für die Karte, die der gleich nach Ankunft in Leipzig an die besorgten Eltern schickt. Bereits am 9. Oktober schreibt die Mutter den nächsten Brief, in dem sie sich wundert, dass Herbert eine Hose nicht geschickt hat, und schlägt vor, dass er sie einfach in das Wäschepaket legt, das am 31. Oktober von Leipzig nach Rostock abgehen soll. Offensichtlich kümmert sich die Mutter um Herberts Wäsche, die regelmäßig via Paket zwischen Rostock und Leipzig hin- und herwechselt.

Doch nicht nur die Wäsche, sondern auch Lebensmittel werden über den Postweg ausgetauscht. Die Eltern wollen Heringe schicken, und warten auf den Zucker, den der Sohn versprochen hat. Dass die Eltern nichts vom Sohn hören, beunruhigt sie. Schließlich telegrafiert der Vater am 21. Oktober: „Warum schreibst Du nicht = Vater“. Er versieht das Telegramm sogar mit der Möglichkeit einer Rückantwort. Doch die wird nicht genutzt. Auch das Wäschepaket kommt nicht. Nichts mehr werden die Belters von ihrem Sohn hören. Die Karte, für die sich der Vater in seinem Brief vom 3. Oktober 1950 bedankt, wird das letzte Lebenszeichen sein, das die Eltern von ihrem Sohn erhalten.

Karl Belter wendet sich an den Vermieter. Voller Unruhe schickt er als Einschreiben eine Anfrage an das Polizeipräsidium in Leipzig. Ihn quälen böse Ahnungen: „Seit dem 4.10.50 sind wir ohne jegliche Nachricht unseres Sohnes Herbert Belter, welcher dort sein Studium ausübte. Wir haben uns bereits schon an seine Wirtsleute gewandt […] und wurde uns nur der Bescheid [gegeben], dass unser Sohn seit dem 4.10.50 nicht wieder in sein Zimmer zurückgekehrt und das Zimmer versiegelt sei. Wir befinden uns nun in größter Sorge und bitten Sie, uns einen Bescheid zukommen zu lassen über den Verbleib unseres Sohnes.“

Doch das Polizeipräsidium Leipzig ignoriert die Anfrage des besorgten Vaters, so dass sich Karl Belter neun Tage später, am 13. November, erneut an das Polizeipräsidium Leipzig wendet: „Zurückkommend auf mein Schreiben v. 4.11.50, worin ich um den Grund der Versiegelung des von meinem Sohn Herbert Belter gemieteten Zimmers […] sowie über das Geschehen um Auskunft bat, bin ich bis heute leider noch ohne Nachricht.“ Deshalb „bitte ich doch, wenn irgend möglich, um rechtbaldige Auskunft sowie der Freigabe des Zimmers. Eine Vollmacht, die Sachen meines Sohnes in Empfang nehmen zu können, gab ich an Fräulein [geschwärzt]. Ich selbst kann aus geldlichen, wie auch z. Zt. wegen dienstlicher Unabkömmlichkeit nicht nach dort kommen.“ Für die Antwort legt der Vater einen Freiumschlag bei.

Über ihr einziges Kind wissen die Eltern nur, dass sich Herbert nicht mehr in Leipzig aufhält und er wegen Nichterscheinens exmatrikuliert wurde. Statt einer Antwort des Polizeipräsidiums trifft ein kurzer Brief des Vermieters vom 18. November ein: „In der Angelegenheit Ihres Sohnes Herbert Belter bitte ich Sie, doch in meiner Wohnung vorzusprechen, damit Sie die Sachen Ihres Sohnes in Empfang nehmen können. Ich erwarte Ihren Besuch.“ Schließlich wird Karl Belter am 12. Januar 1951 in Leipzig die persönliche Habe seines Sohnes vom Vermieter übernehmen. Es ist eine traurige Reise. Wo sich sein Sohn aufhält, was ihm widerfahren ist, darüber erhält er nach wie vor keine Auskunft. Vielleicht hoffen die Eltern anfangs, dass er sich in den Westen abgesetzt hat. Diese Vorstellung ist tröstlicher als die Alternative, dass ihn die Russen, wie so viele, verhafteten und verschleppten. Wenn er Opfer eines Verbrechens geworden wäre, hätten sie es erfahren. Aber da nicht einmal zu Weihnachten, wo sie sich eigentlich wiedersehen wollten, die Eltern ein Gruß von ihrem geliebten Herbert erreicht, bleibt nur der Schluss, dass Stasi oder KGB ihn verschwinden ließen und jeden Hinweis auf seinen Verbleib unterdrücken.

Die Vermutung liegt für die Eltern nahe, denn als Herbert den letzten Teil der Semesterferien in Rostock verbringt, haben sich Vater und Sohn über die politische Entwicklung in der DDR gestritten. In seinem Brief an Herbert vom 3. Oktober 1950 schreibt Karl Belter: „Es war eine schön lange Zeit, wo du hier warst […]. Aber wir wollen hoffen, dass wir noch alle gesund bleiben, dann geht dies 1⁄2 Jahr auch schnell vorbei. Jetzt kommt ja noch Weihnachten da zwischen […] Nochmals du weißt bescheit.“ Der rätselhafte letzte Satz wird verständlich, wenn man einen Blick auf den Zeitungsartikel wirft, den der Vater dem Brief beigelegt hat. Der Artikel trägt die einschüchternde Überschrift: „Keine Nachsicht mit Spionen und Saboteuren“. Die Unterzeile verrät nicht weniger reißerisch: „Güstrower Agentengruppe des anglo-amerikanischen Spionagedienstes unschädlich gemacht“. Der Artikel berichtet über acht Jugendliche, fünf gehören der LDP an, die vor Gericht gezerrt werden, weil man ihnen „Verbreitung von Gerüchten, Kriegs- und Boykotthetze und Völkerhaß“ vorwirft.

Kritik an der Sowjetunion ist „Völkerhaß“, Sorgen über den Koreakrieg ist „Kriegshetze“, Kritik an der DDR und an der SED-Regierung ist „Boykotthetze“, während Kritik an der Wirtschaftspolitik und das Benennen ihrer Auswirkungen als „Verbreitung von Gerüchten“ diffamiert wird. Wo die Herrschaft auf Lügen beruht, wird die Wahrheit zum Staatsfeind. Der Prozess gegen diese jungen Leute im Alter von Herbert Belter wird als Schauprozess auf Provinzniveau inszeniert. Der Reporter weiß begeistert zu berichten: „Öfter war eine Unruhe unter den Zuhörern, die ihre Empörung zum Ausdruck brachten. […] Jetzt stehen sie vor dem Gericht des Volkes und sehen ihrer gerechten Strafe entgegen. Einmütig erwartet unsere Bevölkerung von dem Gericht, dass es das erfüllt, was auf der Stirnwand im Verhandlungsraum steht: ‚Das Volk straft alle hart, die seinen demokratischen Aufbau stören.‘“

Karl Belter macht sich Sorgen, dass er den Namen seines Sohnes in einem ähnlichen Zeitungsartikel lesen könnte. Möglich, dass der Vater die Brutalität des Systems realistischer einschätzt als sein idealistischer Sohn. Dass sich Herbert politisch in Gefahr bringen könnte, raubt den Eltern die Ruhe, deshalb mahnt die Mutter den Sohn in dem Brief vom 9. Oktober: „Was machst du nun? Du weißt ja, was ich meine. Mach keine Dummheiten.“ Karl Belter wird den Namen seines Sohnes in keiner Zeitung lesen, er wird nie wieder etwas von ihm hören, auch nicht vom Präsidenten der Republik, Wilhelm Pieck, noch von anderen staatlichen Stellen, an die er sich Jahr für Jahr immer wieder in Briefen wendet. Mehr als düstere Ahnungen werden ihm über das Schicksal seines Sohnes nicht bleiben.

Die Unwissenheit, in der die Eltern gehalten werden, wird für sie zur seelischen Folter, sie zerstört ihr Leben. Alles, was bleibt, ist nur der „große seelische Kummer um Herbert“. Lottchen mit ihrer Kraft am Ende stirbt mit 52 Jahren, weil ihr Körper sich im Krankenhaus nicht mehr gegen einen Infekt zu wehren vermag.

Wozu auch? Über elf Jahre wird Karl Belter Frau und Sohn auf dem Friedhof besuchen, an sie denken. Dann stirbt auch er am 15. Januar 1979 und das Grab wird irgendwann eingeebnet. So bleibt nichts. So haben es die Machthaber gewollt. Für die Römer galt als schlimmste Strafe die damnatio memoriae – die Auslöschung der Erinnerung. Beinahe wäre das im Falle Herbert Belter den Kommunisten auch gelungen.

Aber da gibt es noch die anderen, die Gefährten, die überlebt haben und nicht aufgeben. Noch im Jahr 1990 erteilt das DRK auf eine Suchanfrage Siegfried Jenkners, der im gleichen Prozess zu 25 Jahren Lagerhaft in Workuta verurteilt worden ist, diesem die Antwort, dass Herbert Belter als „vermisst“ gilt. In einer Publikation ehemaliger Rostocker Studenten, die aus politischen Gründen nach Westdeutschland geflohen sind, wird an die Studenten und Professoren mit einer biografischen Notiz erinnert, die in der SBZ und in der DDR vom Staatssicherheitsdienst verhaftet und in die Sowjetunion verschleppt wurden. Dort finden sich zu Hebert Belter die Angaben, „dass er am 20. Januar 1951 zum Tode verurteilt wurde, das Urteil allerdings aufgehoben und in 25 Jahre Zwangsarbeit umgewandelt worden“ sei, und weiter: „B. wurde in die UdSSR deportiert und befand sich in den Lagern Brest-Litowsk und ab Juni 1953 in Workuta. Weiteres Schicksal unbekannt.“  Doch das sollte sich als Irrtum herausstellen.

Quelle https://www.tichyseinblick.de/feuilleton/buecher/wo-die-herrschaft-auf-luegen-beruht-wird-die-wahrheit-zum-staatsfeind/amp

 Weiterlesen in: Klaus-Rüdiger Mai, Der kurze Sommer der Freiheit. Wie aus der DDR eine Diktatur wurde. Herder Verlag, Hardcover mit Schutzumschlag, 320 Seiten, 22,00 €.

https://www.lvz.de/kultur/buch-zur-ddr-geschichte-klaus-ruediger-mai-der-kurze-sommer-der-freiheit-OW5NMU33MFGZRKCGWOKCITXR6Q.html?outputType=valid_amp

Stefan Krikowski 

  

https://www.deutschlandfunkkultur.de/ddr-ost-west-debatte-leben-ostdeutsche-oschmann-hoyer-100.html

„Der Osten erregt die Gemüter, auch mehr als 30 Jahre nach dem Ende der DDR. Anlass der jüngsten Debatte sind zwei Bücher. Dirk Oschmann und Katja Hoyer hinterfragen darin den gängigen westdeutschen Blick. Doch worüber wird diskutiert?“

 

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.dirk-oschmann-ueber-deutsch-deutsche-verwerfungen-ist-der-westen-an-allem-schuld.00918beb-dc4f-4838-9cee-55841e6e615d.html

„Nach den jüngsten Wahlerfolgen der AfD schauen wieder alle besorgt in Richtung Osten. Der Leipziger Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann ist jedoch davon überzeugt, dass der westliche Blick an dem, was sich dort zusammenbraut, entscheidenden Anteil hat.“

 

https://www.saechsische.de/sachsen/kretschmer-gegen-oschmann-argumente-der-ostdeutschen-ernstnehmen-5875382-amp.html

„Autor Dirk Oschmann hat mit seinen Ostdeutschland-Thesen für Gesprächsstoff gesorgt. Die LVZ lud ihn nun zur Diskussion mit Sachsens Ministerpräsident Kretschmer ein.“

 

https://www.lvz.de/mitteldeutschland/bestseller-von-dirk-oschmann-regt-ministerpraesident-kretschmer-teils-auf-P33O26PMDVGBJBKHFJWGREJ2LQ.html?outputType=valid_amp

„Über ein paar Stellen wirklich aufgeregt“: Ministerpräsident Kretschmerkritisiert Bestseller von Dirk Oschmann

 

https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/519878/wird-der-osten-unterdrueckt/

„Oschmann bezeichnet beispielsweise "Ostdeutschland" als Erfindung des Westens – und fordert die Abschaffung des Ostbeauftragten der Bundesregierung. Hier streitet genau dieser Ostbeauftragte, Carsten Schneider(SPD), mit ihm darüber. Das Interview führten Anne Hähnig und Martin Machowecz.“

 

https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/oschmann-debatte-wie-der-ostbeauftragte-der-bundesregierung-lieber-zu-einer-westzeitung-ging-li.330264

„Die Berliner Zeitung wollte ein Streitgespräch mit Carsten Schneider und Dirk Oschmann führen. Schneider sagte ab. Mit einer fragwürdigen Begründung.“

Anja Reich

 

https://www.sueddeutsche.de/kultur/dirk-oschmann-katja-hoyer-ddr-debatte-bestseller-literatur-1.5914586?reduced=true

Zwei Bücher beschreiben die Ostdeutschen gerade mit maximalem Erfolg als diskriminierte Gruppe, die es mal recht beschaulich hatte. Dabei bleibt ein blinder Fleck.

Gastbeitrag von Anne Rabe

 

https://www.rbb-online.de/rbbkultur/radio/programm/schema/sendungen/der_zweite_gedanke/archiv/20230601_1900.html

„Seit Wochen steht Dirk Oschmanns Buch "Der Osten: eine westdeutsche Erfindung" auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch. Die Fakten darin seien nicht neu, erklärt er. Neu sei sein "Ton als Tonstörung": "zorngesättigt und frei" schreibt der Leipziger Literaturprofessor über eine systematische "Stigmatisierung", "Pathologisierung" und "Ausgrenzung" Ostdeutscher durch Westdeutsche.“

 

https://www.deutschlandfunkkultur.de/ist-der-osten-eine-erfindung-des-westens-oschmann-debatte-100.html

„Der Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann fordert mit seinem Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ eine kritische Reflexion über den Westen ein. Er erklärt, warum der Osten auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht gehört wird.“

 

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/neue-ost-debatte-wider-den-ddr-hass-kolumne-a-0989947b-fecb-4771-80d2-cb8603a4c60b

Sabine Rennefanz

„Kritiker werfen der Historikerin Katja Hoyer vor, in ihrem Buch »Diesseits der Mauer« allzu versöhnlich auf die DDR blicken. Dabei könnte ihr Buch Anlass sein, neu über den ausgelöschten Staat nachzudenken.“

 

https://m.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/wissenschaft-warum-werden-rezensionen-immer-seltener-geschrieben-18959050.amp.html

Von Eckhard Jesse

„Rezensionen dokumentieren den Fortschritt der Wissenschaft, werden aber immer seltener geschrieben und gedruckt. Warum ist das so? 

Eine gute Rezension für eine Fachzeitschrift sollte kundig über das Werk und seine Kernthesen informieren, es in den Forschungsstand einbetten, methodische und inhaltliche Stärken wie Schwächen herausstellen, dabei fair urteilen sowie griffig formulieren, um der Leserschaft einen angemessenen Eindruck von der wissenschaftlichen Relevanz der Neuerscheinung zu vermitteln. Die Kritik muss ferner darauf zielen, inwiefern der Verfasser die eigenen Maßstäbe erfüllt hat und nicht nur die des Kritikers.“

 

https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/ddr-mathias-doepfners-aeusserungen-ueber-die-ostdeutschen-haben-mit-seinem-sozialen-milieu-zu-tun-li.341039

„Die Historikerin Katja Hoyer äußert sich in einem Radio-Interview nicht nur über den Springer-Chef, sondern auch über Dirk Oschmanns Buch.“

Susanne Lenz

https://www.mdr.de/nachrichten/podcast/interview/audio-doepfner-merkel-oschmann-ost-west-100.html

 

https://www.maz-online.de/kultur/regional/ulbrichts-traumata-katja-hoyers-neue-geschichte-der-ddr-LTGHVRXOZRHBFKK4INQBYE5BOA.html?outputType=valid_amp

„Nach Dirk Oschmann nun Katja Hoyer: Die aus Guben stammende Historikerin befeuert mit „Diesseits der Mauer. Eine neue Geschichte der DDR“ die neue Ost-West-Debatte. …

Um das Handeln der Staatsmacht nachvollziehbar zu machen, greift Hoyer auf psychologische Erklärungen zurück. Sie betont mehrfach die individuellen Traumata der Moskauer Exilanten als Grund für das Grundmisstrauen gegenüber den Bürgern der DDR – von der Aufbauphase bis zum Niedergang in den 80er-Jahren. Vor diesem Hintergrund beschreibt Hoyer den Alltag in der DDR, die anfänglichen Hoffnungen auf ein besseres Deutschland und wie die Menschen versuchten, sich in diesem System einzurichten. …

Dissidenten wie Robert Havemann werden unterschlagen. Wolf Biermann wird als „seelisch etwas vorbelastet“ und „naiv“ bewertet. Der 1976 nach einem Konzert im Westen ausgesperrte Sänger habe „keinen nennenswerten Anteil“ an der Opposition gehabt, behauptet Hoyer.“

Mathias Richter