Versicherung für die Guten
Rezension zu Freiheitsschock. Von Ilko-Sascha Kowalczuk
von Christian Booß
Zweimal Ostdeutschland: Einmal die Feierstunde aus dem Leipziger Gewandhaus am 9. Oktober mit überschwänglichen Reden zu Freiheit und Demokratie. In den Wochen davor besorgte Wahlanalysen aus Dunkeldeutschland. Durch das Bild geht ein Riss, durch das Land wohl auch und dazu gibt es termingerecht ein Buch. Titel und These sind nicht sonderlich neu.[1] Die Ostdeutschen seit dem Kaiserreich kaum an Freiheit gewöhnt, waren mit der Verantwortung und den sozialen Zumutungen, die der Umbruch nach 1989/90 brachte überfordert. Was das Buch von ähnlichen Analysen unterscheidet, ist die Entschiedenheit, mit dem die gute Minderheit und die tumbe Mehrheit separiert werden. Da gerät dann Manches zur Plattheit. Die Minderheit hat als Opposition und Bürgerbewegung die Friedliche Revolution gemacht, während die Mehrheit abwartend hinter der Gardine stand, und wartete, wie die Schlacht zwischen Gut und Böse ausging. Wirklich? Unbestritten ist die Vorreiterrolle der Bürgerbewegung, die am 9.10. diesen Jahres in verschiedenen Veranstaltungen noch einmal hervorgehoben wurde. Aber ohne die Volksbewegung von Flucht und Protest wäre diese in ihren Gruppenbildungen steckengeblieben. Das Neue Forum hatte seit der Gründung im September 89 die Folgesitzung der Gründergruppe für den 3. Dezember angesetzt! Und ohne die Zweifel und den Umschwung im Herrschaftsapparat selbst, wäre der Repressionskoloss kaum so schnell ins Wanken gekommen. Wieder einmal wird auch behauptet, die Bürgerrechtsbewegung sei bei den Wahlen im März 1990 untergangen.[2] Dass auch die Sozialdemokraten mit achtbarem Wahlergebnis im Ursprung eine Bürgerrechtspartei waren und auch in anderen Gruppierungen ehrbare Bürgerrechtler wie Rainer Eppelmann landeten, kommt bei der groben Schwarz- Weiß- Zeichnung nicht vor. Dass diese aus rationalen Gründen, nicht aus Furcht vor der eigenen Verantwortung den Weg zur deutschen Einheit wählten, auch nicht. Es fehlen bei dieser Beschreibung die Zwischentöne. Das heutige Wahlverhalten der Ostdeutschen wird zum mentalen Defekt der Mehrheit. Sachprobleme der Politik, die Manches erst an die Oberfläche spülten, was latent vielleicht vorhanden war, kann man beiseite lassen.
Hier geht es nicht um historische Analyse, sondern in dem länglichen „Essay“ soll die Ehre der Minderheit gerettet werden, indem sie sich von der umstrittenen Mehrheit scharf abgrenzt. Der Autor wird da teileweise heftig. Seine Ausführungen zu Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Nationalismus in der DDR bieten gute Ansätze und gehören zu den interessanteren Teilen des Textes, wirklich ausgeführt sind sie nicht. Sie münden in eine deftige pauschale Publikumsbeschimpfung d e r Ostdeutschen:. „Ich staune über ihr Gejammer, über ihre Provinzialität..., über ihren Hang zum Opferdasein,… über ihre Ostdeutschtümelei…..“
Den Autor stört nicht auch, dass er frühere seiner Thesen einfach über Bord wirft. Noch vor einigen Jahren beförderte er eben jene Stimmung, die er jetzt kritisiert, indem er in das Horn einstimmte, [3] und dem Westen populistisch „Übernahme“ im Sinne einer Kolonialisierung vorwarf, was wörtlich, die Unterwerfung eines Volkes bedeutet. Jetzt schreibt der Autor –immerhin richtiger- dass die Ostdeutschen dieses Schicksal selber gewählt hätten, als sie die Verantwortung für ihre Zukunft an die Bundesrepublik delegierten. Bedenkenswerte Passagen und historisch holprige Argumentationen wechseln einander ab. Mal ist die Maueröffnung reiner Zufall, mal lange geplantes Szenario, mal dilettantisches Schauspiel. Ja, was nun? Und zu behaupten, dass die SED 40 Jahre Krieg gegen die eigene Bevölkerung geführt habe,[4] ist angesichts der Tatsache, dass uns heute täglich grausige Bilder von mindestens zwei realen Kriegsschauplätzen ins Wohnzimmer flimmern, eine Entgleisung. Diejenigen, die die Aufarbeiter schon immer in Verdacht hatten, nicht das richtige Maß zu haben, dürften sich bestätigt fühlen.
Solche grobe und changierende Thesen zeigen, der Autor hat das Metier des Historikers schon lange verlassen und ist zum Zeitgeist-Chamäleon mutiert. Er schreibt das, was eine bestimmte Klientel erwartet. In der TAZ und im Buch beschreibt er, wie er sich aus den Klauen der Militärwerber der DDR befreite, „von dem Berufsziel, Offizier zu werden zu wollen, zurücktrat“[5], was den Eindruck erweckt, er habe sich dem Militärdienst bei der NVA entzogen. Dass er ausgerechnet 1989 ebendort selbst in einer Kaserne, in der Hoffnung studieren zu können, verbrachte, nachdem er 1988 für 18 Monate einberufen worden war,[6] lässt er weg. Der Satz „1989 erfolgte eine Freiheitsrevolution und ich war dabei!“[7] assoziiert Anderes. 1987 jedenfalls stellte er in seiner Hochschulbewerbung heraus, in seiner Schulzeit immer gesellschaftlich tätig gewesen zu sein, als FdJ-Agitator. Der Autor erweckt in seiner Publikation heute den Eindruck, er habe damals auf Seiten von Bündnis90 gestanden, also der politischen Gruppierung, die am unmittelbarsten aus der Tradition von Bürgerrechtskreisen entstand. Mancheiner verortet ihn zu dieser Zeit dagegen politisch bei der Vereinigten Linken, die in der DDR den Sozialismus, wenn auch auf neue Weise, stabilisieren wollte. Ein Verzeichnis mit finanziellen Beiträgen der VL Prenzlauer Berg weise ihn 1990/91 entsprechend mit Unterschrift aus.[8] Die Basisgruppen mied Kowalczuk, wie es an anderer Stelle heißt, wegen eher „unangenehmer Erfahrungen“[9].
Es fragt sich allerdings, warum ein Buch, was teilweise grobschlächtig daherkommt sich so gut verkauft? Das liegt an dem durchaus mitreißenden Freiheitspathos, der wie das Pfeifen im Dunkeln den Text durchzieht. Es gibt denen, die sich mit dem Text identifizieren, das Gefühl, auch heute auf der Seite der Minderheit der Guten zu stehen. Wieder einmal. ´89 da capo.
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[2] S. 45
[3] Kowalczuk, Ilko-Sascha: Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde. München 2019
[5] S. 75
[6] Enquete-Kommission. Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der Sed-Diktatur in Deutschland. Frankfurt/m. 1995, Bd. VII,1 S. 219
[7] S. 212
[8]Kopie im Besitz der Redaktion
[9] Enquete, Ebd. S. 233