Unterschiedliche Texte-unterschiedliche Interpretationen.

Ergänzung vom 18. u. 23.1.2021


Wir sind verschiedentlich angefragt, um nicht zu sagen, bedrängt worden, wir sollten schreiben, dass Uwe Schwabe doch schon seit 1989 Alles zur Haft erzählt habe, was ihm jetzt von Manchen vorgehalten wird. Wir sind gebeten, um nicht zu sagen, bedrängt worden, diese Texte zu veröffentlichen und darauf hinzuweisen, dass schon alles bekannt und alles gesagt sei. Ersteres haben wir gemacht, zweites nicht. Eine Textanalyse legt nahe, dass Schwabes Text von Januar 2021 in entscheidenden Punkten von bisherigen abzuweichen scheint.

Um es vor der Textanalyse vorweg zu sagen: Hier soll nicht über Uwe Schwabe Gericht abgehalten werden. Auch das ist uns vorgeworfen worden. Auch weiß keiner, wie er sich in einer  vergelichbaren Situation in Stasi-Haft verhalten hätte. Um es deutlich zu sagen: Es geht hier um eine willkürliche Gruppenverhaftung der Stasi, wo im Januar 1989 wegen Geringfügigkeiten -selbst nach DDR-Recht- und nach einer Selbstverständlichkeit nach Menschenrecht -der Verteilung von Flugblättern zur Meinungsfreiheit- den Verhafteten von der Stasi bis zu 5 Jahre Haft angedroht worden sind. Das war eine Rechtsbeugung selbst nach Maßstab der DDR-Gesetze mit dem Ziel kritische junge Menschen „weich zu kochen“. Wir sollten das bei all diesen Diskussionen nicht vergessen: Die Stasi und davor die SED waren die Übeltäter, Schwabe gehörte zu den Opfern. Dennoch, alles dieses eingedenk, gibt es auch immer Diskussionen, so auch bis heute zu den Berliner Verhaftungen rund um die Luxemburgdemonstration 1988 wie sich jemand in derartigen Situation verhält, v.a. wenn es um andere Gleichgesinnte geht und wenn diese Fragen stellen. Und in diesem Falle hat es Fragen gegeben, in Leipzig und seit einiger Zeit schon darüber hinaus. Es geht bei dieser Diskussion um Maßstäbe des Umgangs miteinander- damals wie heute- und Maßstäbe, die an herausgehobene Funktionen wie den künftigen Opferbeauftragten zu stellen sind.

Textvergleich:

Ein Beispiel, sofern ich das richtig rezipiert habe:

„Dieselben Fragen, dieselben Argumente. Du brauchst viel Zeit für Deine Antworten, versuchst wieder in deine starke Rolle zu schlüpfen, es gelingt dir nicht. Schließlich weigerst Du Dich nicht mehr, weitere Namen und Details zu nennen, gibst weiter Namen preis, gefährdest damit deine eigenen Freunde. In dem Moment denkst du nicht daran. Du willst nur raus hier, willst so weit weg wie möglich von diesen Vernehmern, aus diesem kleinen Raum, aus diesem Gefängnis. Dich am liebsten in Luft auflösen.“ (U.S. 12.1.2021)

Inzwischen kursiert der Text als "offener Brief": Fragen dazu bleiben nach wie vor unbeantwortet, trotz Ungereimtheiten im Text.

So heißt es dort. "Keiner von den Inhaftierten wird jemals einem anderen Vorwürfe machen, dass er in der Untersuchungshaft vielleicht zu viel erzählt hat." Genau das scheint derzeit zwiefelhaft, sonst würde es die derzeitigen Diskussionen in Leipzig und darüber hinaus gar nicht geben.

Auch der Schluss des Textes wirkt im Kontext von historischen Darstellungen und diversen Zeitzeugenausssagen wunderlich: Dort wird behauptet, für die Einstellung der Ermittlungsverfahren gegen die 12 Flugblattverteiler sei u.a. die "Mitwirkung des größten Teils der Beschuldigten an der Aufklärung der Straftat maßgebliche Faktoren" gewesen. Diese Wertung liefe darauf hinaus, das die Beschuldigtenaussagen und "Geständnisse", auch zu Namen der Beteiligten, hätten wesentlich zu ihrer Freilassung beigetragen.

Demgegenüber bin ich bei meiner Recherche bei zahlreichen Experten wie Zeitzeugen auf jemanden gestoßen, der diese Aufassung vertritt. Im Gegenteil. Die Freilassung der 12 wird auf den parallel laufenden Wiener KSZE-Prozess zurückgeführt, die schnelle Information von westlichen Diplomaten und Kirchenvertretern, die sich wohl für die Inhaftierten engagierten. In der Fachliteratur ist auch nicht nachvollziehbar, dass die Stasi eine ganze Gruppe frei gelassen hätte, nur weil diese geständig waren. Allenfalls Strafnachlässe von einzelnen Aussagebereiten waren im Zuge einer Differenzierungsstrategie üblich. Geständnisse führten in der Regel nur zur Verkürzung der Strafverfahren und zur Absicherung des Urteils gegenüber internationaler Kritik.

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Eine kommentierende  persönliche Bemerkung als Beobachter -und inzwischen Chronist wider willen- sei mir zu all dem gestattet: Das Ganze und die Textanalyse mag  manchem als philiologische Haarspalterei erscheinen, aber, soweit ich das verstanden habe, gehen die Leipziger Kontroversen zu diesem Thema genau um derartige Sachverhalte. Dass H-und G.info sich überhaupt des Themas angenommen hat, liegt daran, dass uns Uwe Schwabe seinen Artikel von selbst angedient hat, ohne uns offen zu legen, was der Hintergrund ist. Nach dieser Veröffentlichung zeigten die schnellen Reaktionen, die Problematik des Artikels: Es erscheint in diesem Lichte unbefriedigend, dass diejenigen, die aus früheren Zeiten etwas miteinander zu klären haben, es nicht vermochten, dies in 32 Jahren zu tun und dass sich dies jetzt mit der Debatte um den Opferbeauftragten verquickt, was eine solche Aussprache sicher nicht erleichtert. Mir scheint aber auch, dass die zahlreichen Fragen, die in Leipzig und inzwischen darüber hinaus daraus erwachsen sind, auf die Dauer kaum durch poetisch anmutende Texte zu klären sein werden- spätestens im Bundestag nicht, wenn es um Klartext zum Opferbeauftragten geht. Unsere Fragen dazu, die ich dem Kandidaten gestellt hatte, blieben bisher unbeantwortet.

Christian Booß