Neulich war ich mal wieder im Osten

zum Buch von Dirk Oschmann- Anmerkung

von Sabine Auerbach

Fünfzig Jahre Abitur- das war der Anlass, nach Jahren einmal wieder meinen Geburtsort zu besuchen. Die Feierstunde war feierlich gewesen mit Reden und Klavierspiel. Ich hatte mir vorgenommen, Ort und Anlass zu genießen, keine spitzen Bemerkungen, schon gar keine Provokationen, keine Bemerkungen zu machen, dass an diesem Ort der damalige Rektor des Gymnasiums mich mit 15 Jahren einem Mann des Staatssicherheitsdienstes zugeführt hatte, um meine Mitschüler zu bespitzeln. Aber ich dachte an beide in diesem Moment, als ich meine Urkunde erhielt- 50 Jahre Abitur. Anschließend Gruppenbild der 68er auf dem Schulhof, dann Begehung des Schulgebäudes. Ein Mitschüler, der mich zu diesem Treffen eingeladen hatte, erteilte mir ein Verbot, an diesem Tag über das Thema Osten und Westen zu sprechen. Ich dachte, das sei ein Witz, aber er meinte es bitterernst. Mal sehen, was heute noch kommt, sagte ich mir.

Gegen Abend an einem Tisch im besten Lokal des Städtchens mit all den Ehemaligen saß mir eine Frau aus der damaligen Parallelklasse gegenüber. Wir kannten uns nicht, deshalb fragte ich sie, wo sie nach dem Abi studiert hatte. Sie erzählte von dem Ort, an dem auch ich zur selben Zeit studiert hatte, was sie jedoch nicht wissen konnte. Sie erzählte von einer Unterschriftenaktion 76, die ihre Seminargruppe gemacht und die viel Wind damals bereitet hätte. Dummerweise unterbrach ich sie sofort, berichtigte sie, dass meine Seminargruppe diese Unterschriftenaktion damals 76 an diesem Ort gemacht hatte und ich am Ende dieser Angelegenheit exmatrikuliert worden war und ein Studien- und Berufsverbot erhalten hatte. Diese Frau sah mich an, als sei ich vom Mars direkt vor ihre Nase gefallen. Ihre versuchte Aneignung meiner Geschichte war nicht gelungen. Ich aber ärgerte mich, sie so früh unterbrochen zu haben. Wer weiß, was da alles noch so phantasiert worden wäre. Schade. Ichmuss an meiner Coolness arbeiten.

 

Zwei Monate nach diesem Treffen erhielt ich von dem ehemaligen Mitschüler, der mich eingeladen hatte, das Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“. Ich hatte davon gehört, aber weder das Buch noch Rezensionen darüber gelesen.

Der Autor spricht, wie er selbst schreibt, als Laie. Das merkt man bei jedem Satz.Fast jeder Satz ist gefärbt. Er muss Dampf ablassen, ist wütend, gar hasserfüllt gegen den Westen. Von Sachlichkeit keine Spur. Er verzichtet auf Differenzierungen und Relativierungen, reduziert auf Schwarz und Weiß. Das kannte ich aus dem Osten. Das war der DDR-Ton. Wir sind die Guten – nun die Gebeutelten, die da drüben die Bösen, früher die Nazis. Die Westler die Arroganten, stimmt manchmal, da gibt es eine ganze Reihe von. Er macht diese Vereinfachung, damit der Westen das auch verstehen kann. Danke dafür. Um seine Aussagen zu stützen, werden zahlreiche Philosophen, Literaten etc. bemüht. Der Leser versteht sofort, der Autor ist belesen.

Den ersten Schwerpunkt und das ist dem Autor wichtig, widmet er den Ostmännern. Beim Lesen schon fielen mir meine frühen Beobachtungen von damals 1979 ein, als ich in den Westen übergesiedelt war. Fast alle Paare, die, auf welchem Wege auch immer sie die DDR verlassen hatten, trennten sich nach kürzerer oder längerer Zeit. Die Frauen fanden sich in der neuen Welt schneller und besser zurecht. Sie waren flexibler, weil sie schon immer flexibler sein mussten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sie bekamen nicht nur die Kinder, in der Regel zogen sie die Kinder auch und nicht selten allein auf. Sie gingen arbeiten, studieren, bildeten sich weiter, kümmerten sich ganz nebenbei ums Essen, um die Wäsche und die Socken.  Sie waren kreativer, sahen ihre Möglichkeiten und packten sie an.Die Männer gingen in die neuen Kneipen und probierten die Vielfalt der Biere und Schnäpse, brachen begonnene Studien nach kurzer Zeit ab, jobbten ein wenig hier, ein wenig dort und bedauerten sich. Offensichtlich wiederholte sich hier und jetzt etwas, verteilt nun über eine große Fläche, die neuen Bundesländer genannt. Das Geld spielte und spielt dabei eine Nebenrolle. Wenn man/ frau studierte, bekam, bekommt man Bafög, auch wenn man promovieren wollte. Frau musste wie Mann zurückzahlen, wenn sie später in einem höher bezahlten Beruf arbeiteten. Ich hätte aus dem Osten kommend, dort mit Studium- und Berufsverbot jedes Fach studieren können, ich studierte, was mir in der DDR verwehrt worden war, Germanistik. Und zahlte später schließlich das Bafög zurück. Wie eigentlich kam der Autor damals in der DDRzu dem Germanistikstudium? Ein Auserwählter.

Die Reduzierung aufs Geldals Grund für das Desaster der Ostmänner- es ist so bequem und irgendwie auch eine Lüge. Die Probleme liegen tiefer, sind vielschichtiger. Die Männer waren und sind tiefer mit der Vergangenheit und der Ideologie des Ostens verstrickt als die Frauen. Auch wenn der Westen das nach fast 80 Jahren in Freiheit und weitestgehend ohne Ideologie lebend nicht wahrhaben will bzw. versteht. Auf meiner Abi-Feier hörte ich von einem ehemaligen Mitschüler, einem Mann den Satz: Die Russen sind mir einfach näher als der ganze Westen. Und: Wir hätten das auch ohne den Westen geschafft, und zwar besser.

 Ob und wie die Ostmänner laut Autor ausgegrenzt, verhöhnt, gedemütigt werden, kann ich nicht beurteilen. Im Buch sind das alles Behauptungen. Hier fehlen die Situationsbeschreibungen. Ein Cover reicht mir da nicht. Als ich 2012/13 ein Jahr lang an einer Ostschule unterrichtete, wurde ich ausgegrenzt, ich kam aus dem Westen, und eigentlich, was noch schlimmer war, früher aus dem Osten. Bei meiner Einstellung wurde mir von der Ostschulleitung gesagt, dass man mir meine Exmatrikulation von damals im Osten heute nicht mehr übelnimmt.  Ach was.

 Ich hielt es als Ostwestlerin dort im Osten unter all den Ostlern nur ein Jahr aus.-das wäre ein Text für sich- ging, nicht wenig lädiert,zurück in den Westteil der Stadt.

 

 Dass wir in dem Buch erfahren,woher die Worte „Buschzulage“ und „Aufbau Ost“ herstammen, ist erkenntnisreich. Dass der Bau des Humboldt-Forums als perfide (gern benutztes Wort des Autors) und größenwahnsinnig benannt wird, ist zu dick aufgetragen, übertrieben, wie so vieles in diesem Buch, eben möglichst schwarz. Und lässt eben keine andere Meinung zu. Das ermüdet so langsam beim Lesen, bei gut einem Viertel des Buches angekommen. Mal sehen, was noch kommt. Es ist ja am Benennen vom Versagen und den Schandtaten des Westens kaum noch zu überbieten.Da wird vieles angetippt, mehr aber auch nicht.Die bewusst negativen, teils drastischen Zuschreibungen für den Westler/Westen sollen demonstrieren, so macht ihr das mit uns immer und immer wieder, das müssen wir ständig aushalten. Nur werden diese, die Aussagen des Autors, nur teilweise, gar nicht

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

oder in sehr geringem Maße beim West-Adressatenankommen. Nicht, weil er schlecht ist, sondern weil der Westler differenzieren wird, sich fragt: stimmt das für mich,für meine Arbeit, für mein Umfeld usw. Keiner wird beleidigt sein, wenn jemand schreibt, die Westler sind arrogant, intrigant, gemein oder oberflächlich. Oder alles zusammen. Jeder bestimmt das für sich selbst. Ob das objektiv ist, sei dahingestellt. Da sind wir beim Selbstbewusstsein, beim Selbstwertgefühl angekommen, das sich jeder Mensch erarbeiten muss und zwar sein ganzes Leben lang. Und dies auch noch allein und nicht im Kollektiv.

Nun führt der Autor uns Spielchen vor.  „Wer ist eigentlich „ostdeutsch“.  Jemand, der im Osten geboren ist und dort lebt, der dort nicht geboren wurde, aber dort lebt, der dort geboren wurde, aber im Westen lebt usw. Hier macht der Autor Unterstellungen, die nur ein Ostler machen kann.

Wenn der Osten kritisiert werden würde, wie würde ein Westler, der ja nun im Osten lebt, darauf reagieren? Hier spricht der Autor vom „Hintertürchen“, das sich der Westler offenlassen könnte, da er ja Westler ist; der nur im Osten lebt.  Das Hintertürchen aber hat der Westler gar nicht nötig. Der Westler bleibt ein Westler, weil er dort wahrscheinlich die meiste Zeit gelebt hat, von dort geprägt worden ist. Und das hat der Ostler zu akzeptieren. Auch wie der Westler sich in dieser Situation fühlt, denkt oder gar Entscheidungen trifft, hat er selbst zu fühlen, zu denken und zu bestimmen. Das nennt man Freiheit. Der Ostler aber muss das Akzeptieren lernen.

Mehrmals ist dann zu lesen, dass der Osten weiß, was Demokratie ist, er habe ja schließlich eine ganze Diktatur in die Knie gezwungen, schreibt der Autor.

Nachdem die Ostler die Diktatur Jahrzehnte lang geduldet und nicht selten unterstützt und „gestaltet“haben, schreibt die Leserin. Aber das spielt keine Rolle, und ist dem Autor völlig unwichtig.

Ich habe das Buch nur bis zur knappen Hälfte gelesen. Einfach zu schlicht. Und es gibt noch so viel anderes zu lesen. Aber nun war ich nach langer Zeit mal wieder im Osten, und das gleich zweimalkurz hintereinander.