Das andauernde Drama Hoheneck
Vorstellung des aktuellen Sachstandes
Von Tatjana Sterneberg[1]
Stollberg/Berlin, 18.10.2022/ts – Bereits 2011 konnten ehemalige Insassen des berühmt-berüchtigten Frauenzuchthauses Hoheneck endlich auf eine Umsetzung ihrer steten Bemühungen um eine „Gedenkstätte Hoheneck“ hoffen. Hatte doch der (erstmals stattgefundene) Besuch eines Bundespräsidenten in Stollberg/Erzgebirge, dem Sitz der (ursprünglich so gen.) Stalburg Erwartungen geweckt. Bundespräsident Christian Wulff hatte zum Ende seiner Ansprache im ehemaligen Andachtsraum des Zuchthauses den Wunsch ausgesprochen, aus diesem Ort „eine Gedenkstätte“ zu entwickeln.
Doch die Zeiten „Höchstkaiserlicher Initiativen oder gar Dekreten“ sind längst vorbei. Elf Jahre nach dem Wulff-Besuch – ein weiterer Besuch namhafter Repräsentanten des Staates hat weder vor noch nach der Präsidenten-Visite stattgefunden – schlingert die ursprüngliche präsidiale Initiative vor sich hin.
Wir, mein Mann und ich, hatten anlässlich der Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der vollzogenen Wiedervereinigung (formal „Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland“) am 3. Oktober 2010 die Gelegenheit ergriffen, den gerade frisch gewählten Bundespräsidenten Christian Wulff auf einen mögliche Besuch in Hoheneck anzusprechen. Wir hatten uns nach der Wahl von Wulff mit einer entsprechenden Idee bereits schriftlich an das Bundespräsidialamt gewandt.
Foto: Hoher Besuch in Hoheneck. Der damalige Bundespräsident Christian Wulff
[1] * Tatjana Sterneberg versuchte „der Liebe wegen“ (zu einem Italiener) zu flüchten und wurde dabei am 7. November 1973 wegen versuchter Republikflucht verhaftet und 1974 mit ihrem Verlobten verurteilt. Sie saß ihre Haftstrafe bis 1976 im Frauenzuchthaus Hoheneck ab, ihr Verlobter bis 1976 in Rummelsburg/Berlin. Beide wurden „freigekauft“.
„Lass uns später essen. Erst müssen wir die Honneurs machen,“ sagte mein heutiger Ehemann, der in dieser Hinsicht mit Erfahrungen wuchern konnte. So ließen wir einstweilen die leckeren Angebote im Reichstag stehen und wandten uns den zahlreichen Politikern zu. Als wir den Bundespräsidenten gewahrten, flüsterte mein Mann: „Das ist die Gelegenheit, jetzt können wir den Präsidenten direkt ansprechen.“
Der Erfolg ist bekannt, leider auch die nachfolgende quälende Langsamkeit der Entscheidungsinstanzen. Allerdings begannen nach wenigen Jahren sichtbar große Baumaßnahmen. So wurden die umliegenden Gebäude außerhalb der verklinkerten Zuchthaus-Burg nahezu völlig abgerissen, ein großer Parkplatz geschaffen, der Zugangsbereich modernen Gegebenheiten bzw. Erfordernissen angepasst und – nahezu fünf Jahre nach dem spektakulären Besuch – eine großartige Ausstellung unter dem Namen „Phänomenia“ (der Saxony International School - Carl Hahn GmbH) für jugendliche Besucher eröffnet. Eine Gedenkstätte?
„Die Planungsarbeiten seien im Gang, aber noch nicht abgeschlossen,“ wurden Frage-Quälgeister kontinuierlich beschieden und „mit einer Eröffnung der Gedenkstätte kann für 2018..., 2020..., 2022... gerechnet werden.
Zwischenzeitlich wurden im Rathaus der Stadt, die nunmehr für das ehemalige Zuchthaus-Areal verantwortlich zeichnete, Pläne für ein Schwimmbad und die Verlegung eines Theaters auf das Gelände diskutiert. Man wolle aus den ehemaligen Schreckensort zu einer lebendige Kulturstätte entwickeln, hieß es u.a. Eine geplante Gedenkstätte sollte in dieses „Begegnungskonzept“ eingearbeitet werden.
Foto: Kafkaeske Burg über der Stadt. Geeignet als Freizeitanlage?
Begründet wurden dieses schwer nachvollziehbare Debatten-Durcheinander mit kulturellen Ansprüchen der Stadt, die keinen „ausschließlich grauen Erinnerungsort“ in ihren Mauern haben wollte, aber auch mit „fiskalischen Hemmnissen,“ die einer schnellen Umsetzung einer Gedenkstätte „leider immer noch im Wege“ ständen.
Nach vielen eher halbherzigen Versuchen mit wechselndem Personal gewann die Stadt im Juni 2021 den Politikwissenschaftler Prof. Dr. Stefan Appelius als Projektleiter einergeplanten Ausstellung (von „Gedenkstätte“ war da nur noch wenig oder gar nichts zu vernehmen). Der Historiker aus Berlin erforscht seitdem nicht nur im Auftrag der Stadt Stollberg die Geschichte des Haftortes Hoheneck, sondern entwickelte bereits bestehende Ideene für einen Gedenkort zu umsetzfähigen Konzepten.
Zur grundsätzlichen Überzeugung des Wissenschaftlers gehört der zwingende Kontakt zu den Frauen und sonstigen (auch männlichen) Beteiligten, die an diesem Ort über Jahrzehnte gelitten haben und aus politischen Gründen gequält wurden. Die Betroffenen sollten „von Beginn“ an in die „aktuellen Arbeiten so weit als möglich“ einbezogen werden. Daher lud Appelius bereits im Frühjahr d.J. zu einem ersten „Informationsaustausch“ nach Stollberg ein. vergangenen Monat (Am 26. September 2022, folgte das zweite Treffen für eingeladene InteressentInnen.
Etwa 20 Frauen und Männer, angereist aus allen Himmelsrichtungen, waren der Einladung gefolgt. Unter diesen Konstanze Helber, Vorsitzende "Süddeutscher Freundeskreis Hoheneckerinnen" (der aus einer Spaltung des „Frauenkreises der Hoheneckerinnen“ hervorging) und des „Forums für politisch verfolgte und inhaftierte Frauen der SBZ/SED-Diktatur e.V.“; Regina Labahn, Vorsitzende des „Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen"; Nancy Aris (Historikerin), „Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ in Sachsen; Annemarie Krause (ehemalige Hoheneckerin); die Autorin (ehem. Hoheneckerin) und Carl-Wolfgang Holzapfel (Vorsitzender der „VEREINIGUNG (AK) 17.JUNI 1953 e.V.“), der sich seit 1962 mit diesem Thema befasste, nachdem er als Leiter der ersten Mauerausstellung in Berlin die ehem. Hoheneckerin Anneliese Kirks kennenlernte,
Appelius räumte in seinem fast zweistündigen Vortrag ein, noch nicht „ein komplettes, wenn auch sehr weit entwickeltes Konzept“ vorstellen zu können. Bereits im Februar d.J. hatte der Projektleiter im MDR grundsätzliche Gedanken zum Komplex Hoheneck skizziert:
Das Frauengefängnis Hoheneck sei in der DDR berüchtigt gewesen. Nun solle dort eine Gedenkstätte und eine erste, umfangreiche Dauerausstellung entstehen. Doch die Forschungen dafür seinen kompliziert - denn es fehlten grundlegende Unterlagen. Diese seien „im Auflösungsprozess der DDR“ verschwunden, seien wohl „teilweise schlichtweg verheizt“ worden. Nun versuche er, die Geschichte von Hoheneck zusammenzutragen.
Um allein die Zahl von 20.000 seit 1945 inhaftierten Frauen zu erhärten, brauche es eine Auswertung der für den Zeitraum ab 1950 noch vorhandenen Häftlingskarteien. Immer wieder gäbe es für einzelne Frauen mehrere Karten, ein einfaches "Durchzählen" reiche also nicht. Die Karteien ab 1950 scheinen nach bisheriger Durchsicht weitgehend vollständig überliefert worden zu seien. Der Verbleib der Häftlingskartei für die Jahre von 1945 bis 1949 bleibe hingegen bisher unbekannt. Dazu käme, dass zahlreiche Gefangenen-Personalakten aus jenen Jahren vom Sächsischen Staatsarchiv aussortiert und vernichtet worden seien. Es wären nur Stichproben aufgehoben worden. "Die Überlieferung für diese wichtigen Jahre ist leider eine Katastrophe", sagte Prof. Stefan Appelius in dem MDR-Interview.
An den Anfang seiner Ausführungen vor dem überschaubaren Kreis der angereisten InteressentInnen stellte der Projektleiter das Konzept von insgesamt „28 Stationen“ vor, in denen die einzelnen Inhalte erläutert bzw. dargestellt werden sollten. Ca. 75% der geplanten Ausstellungsfläche seien im Konzept fertig gestellt, 25 % noch nicht abgeschlossen. Man könne aber „schon bald“ der mit den Projekten befassten Firma KOCMOC in Leipzig einen entsprechenden Auftrag erteilen. In diesem Zusammenhang teilte der Referent den nächsten voraussichtlichen Termin für die Vorstellung der restlichen bzw. der gesamten Konzeption mit: „Wir haben dafür Mitte Dezember 2022 vorgesehen und gehen in der Planung von einer Dauer von ca. 6 – 8 Stunden aus.“
Das aktuelle Konzept sieht diverse „Stationen“ im ehem. Zellentrakt vor. Alle Stationen sind mit den anderen verlinkt. Exponats-Vorstellungen liegen bereits vor, auch in Zusammenarbeit mit Waldheim. Auch ständen bereits „ div. Leihgaben“ zur Verfügung.
Die 1. Station diene der Orientierung, rechts sei der „emotionale Bereich“, links der „analytische Bereich“ vorgesehen. Der emotionale Bereich umfasse sechs Stationen, auf grossen Fotos sollen die Entlassenen und 2.000 Verstorbenen dargestellt werden. In einem „Raum 1“ soll die Wasserzelle (identisch mit der ursprünglichen Wasserzelle im Keller) dargestellt werden. Diese sei von 1973 – 1975 als zusätzliche Arrestzelle eingeführt worden. In einer 2. Station soll beispielhaft für die auch in Hoheneck anfangs inhaftierten Männer Hasso Hut, ein Lehrling aus Leipzig, vorgestellt werden.
In der 3. Station wird das Schicksal von Brigitte Klopka (18), in Hoheneck verstorben, geschildert. Klopka arbeitete im Arbeitskommando PLANET (1974). Nach einem Zusammenbruch wurde sie zunächst als Simulantin bezeichnet und abtransportiert. Die 1998 eingeleiteten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Dresden, wurden eingestellt, da der festgestellte „Totschlag“ bereits verjährt gewesen sei.
In den folgenden Stationen werden entsprechende weitere Einzelschicksale beispielhaft dargestellt, wobei in der 5. Station Elemente mit Kalenderblatt-Info – Erinnerungen an Opfer 1945 – 1989 unter Einbeziehung früherer Ereignisse, z.B. der „Reichskristallnacht 1938“ dargestellt werden.
In der 8. bis 11. Station soll der Blick auf die historischen Abläufe gelenkt werden: Das „Weiberzuchthaus“ (Königl. Sächsische Landesanstalt, 1864 – 1918); NS-Station 1939 – 1945; der „gescheiterte Neuanfang“ 1945 – 1959 und in der 11. Station die „Zentrale Haftanstalt für Frauen“, verantwortlich das MdI der DDR (1949 – 1990).
Während auf der 12. Station ein Hoheneck-Modell ausgestellt werden soll (die Herstellung erfolgt ggw. in der Gefängnis-Werkstatt in Waldheim, werden in der 13. Station die „Frauen im Widerstand“ thematisiert.
Fortgeführt wird diese historische Leiste in den Stationen 14 – 18: Die Religiöse Verfolgung (Zeugen Jehovas); Fluchtgeschichten; Kriminelle Frauen und verurteilte Täterinnen aus der Zeit des NS-Regimes, die ebenfalls in Hoheneck einsaßen.
In der 19. Station folgt die Aufarbeitung der unterschiedlichen Todesurteile gegen Hoheneckerinnen, die nicht vollstreckt wurden und in Station 20 die Schicksale der „Kinder von Hoheneck“, während in der 21. Station die „Hammermäßige Geschichte!“ (Appelius) des Hungerstreiks infolge des 17. Juni 1953 erzählt werden soll.
In der Etage 4 des ehem. Zellentraktes folgt in der 22. Station die „Jugendabteilung“ (1962 – 1976). Ab 1969 herrschten brutale Haftbedingungen, Mitte der 70er Jahre eine totale Überbelegung. Auch Vergewaltigungen kamen vor.
Die 23. Station, „Überwachung durch das MfS“, die 24. „Haftarbeit“, ESDA-Thalheim, die 25. „Lumpen-Kommando“, die 26. „PLANET“ – Osthandel, die 27. „Ein neues Kapitel“ – Gefangenen-Aufstand 11.89 – 12.89 und die 28. Station „Drei Junge Frauen“, 1989 inhaftiert, sollen dann detailliert im Dezember d.J. vorgestellt werden.
Zu Beginn der sich anschließenden Diskussion zeigte sich ein anderer Aspekt, dem durchaus auch die langjährigen Verzögerungen beimFortgang der Gedenkstätte anzulasten sind: Dier nicht nachvollziehbare Zerstrittenheit unter den Opferorganisationen, hier dernbetroffenen Frauen von Hoheneck, die eine sachliche Diskussion miteinander schwierig bis unmöglich machte..
Im Ergebnis bleibt ein Dank an den Projektleiter für dessen unermessliche Mühen um die endliche Schaffung einer würdigen Gedenkstätte und der Appell an a l l e ehemaligen Hoheneckerinnen, den unsäglichen und in der Tat hinderlichen Streit beizulegen und wenigstens in der verbindenden Haltung zusammen zu finden, einst hier das gleiche Leid und Elend erfahren zu haben.