Aktueller Kommentar zum Ukraine-Krieg und Umgang mit Russland

30.11.2022

von Reinhard Weißhuhn

Wir sind im Krieg. Wir, das ist politisch gesprochen der Westen, militärisch gesprochen die NATO. Auch wenn dies kein politisch Verantwortlicher, kein Abgeordneter, kein Minister und schon gar kein Regierungschef auszusprechen wagt – oder erkennt. Sowenig wie eine Abgeordnete, eine Ministerin oder eine Regierungschefin.

Es geht nicht nur um die Ukraine. Putin hat es mehrfach und seit Jahren gesagt: Es geht um einen Konflikt zwischen dem neuen russischen Imperialismus und dem liberalen Westen. Dieser sei „dekadent, homophil und verlogen.“

All das ließe sich diskutieren. Aber was ist das gegen ein repressives, systematisch lügendes, jedes Menschen- und Völkerrecht mißachtendes und massenmörderisches Regime wie das Putinsche Russland?

Einige wenige Experten im Westen, auch in Deutschland, haben eine solche Entwicklung seit Jahren beobachtet, gefürchtet, auch davor gewarnt. Prominente Beispiele sind Timothy Snyder, Anne Applebaum oder Timothy Garton Ash, nicht zu reden von Karl Schlögel. Sie wurden ignoriert, weil der Westen als Sieger der Geschichte Russland nicht mehr ernstnahm.

In Deutschland, historisch schwer belastet, erst seit einer Generation wiedervereinigt und auch damit nicht versöhnt, ist das Problem des Westens vielleicht am offensichtlichsten. Bei weitem nicht nur, aber entscheidend ist das an der Kanzler-Partei sichtbar. Die SPD leidet an einer – wohlwollend romantisch zu nennenden, in Wahrheit schlicht reaktionären – Illusion: der Appeasement-Politik. Diese hat schon den Zweiten Weltkrieg befördert. Jetzt läuft sie Gefahr, dies wieder zu tun.

Wer jetzt noch auf die Brandtsche Entspannungspolitik rekurriert, hat die Geschichte nicht verstanden. Abgesehen von deren Perversion seit den Kanzlerjahren von Helmut Schmidt: der Kalte Krieg ist seit 30 Jahren zu Ende. Seine Regeln und Prämissen gelten nicht mehr.

Das gilt jetzt erst recht für den UN-Sicherheitsrat. Schon immer war er ein nicht reformierbares Gremium zur Verhinderung des Völkerrechts, das durchzusetzen er gedacht war. Jetzt hilft nur noch seine ersatzlose Abschaffung – sie hätte zur Folge, dass die Generalversammlung das Sagen hätte. Dass sie das kann, hat sie inzwischen schon zweimal mit Verurteilungen Russlands wegen des Angriffs auf die Ukraine bewiesen. Jetzt sollte sie die Konsequenz ziehen. Und Deutschland sollte sich dafür einsetzen, statt noch immer einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat zu fordern.

Die Beschwörung des „Schlafwandelns“ in den Ersten Weltkrieg, die von ihren Protagonisten bemüht wird, ist für die heutige Situation falsch. Dasselbe gilt für die westeuropäische Appeasementpolitik vor dem Zweiten Weltkrieg. Niemand kann sich noch auf die Irrtümer der Vergangenheit als Rechtfertigung für heutiges Handeln berufen. Und keine der damaligen europäischen Großmächte ist noch eine.

Jetzt geht es um Widerstand gegen eine aggressive Möchte-Gern-Großmacht Russland. Was damals gegen Hitler-Deutschland galt, gilt heute gegen Putin-Russland. Schlimmer: der Dritte Weltkrieg findet schon statt.