Kontroversen zum Buchprojekt von Rainer Eckert: "Getrübte Erinnerungen", 2022

von Joachim Goertz

Oktober 2022

Der frühere (bis 2015) Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig, Rainer Eckert, legt, nachdem er 2021 den ersten Teil seiner Autobiographie "Leben im Osten" veröffentlicht hat, nun ein Buch vor, das schon im Titel aufhorchen lässt: "Getrübte Erinnerungen". Der Titel ist schillernd, der Untertitel lässt einen gewichtigen Beitrag erwarten: “Die SED-Diktatur in der gegenwärtigen Geschichtspolitik der Bundesrepublik”. Wie die Berliner Zeitung am 8. Oktober öffentlich machte und inzwischen auch in Wikipedia vermerkt ist, wurden die Veröffentlichung im Mitteldeutschen Verlag kurz vor Erscheinen gestoppt und die Fördermittel der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur nicht ausgezahlt, weil es   wohl auch juristischen Widerspruch gibt. Genannt sind in diesem Zusammenhang Ines Geipel und Hubertus Knabe. Schwerwiegender scheinen aber die Einwände von Uwe Schwabe zu sein, aus dessen von ihm erhaltenen Emails Rainer Eckert zitiert.

Ilko-Sascha Kowalczuk hatte bereits am 5. Oktober im "Deutschland Archiv " der Bundeszentrale für politische Bildung eindringlich (aber möglicherweise zu spät) dafür plädiert, den Streit um eine Veröffentlichung lieber zwischen Verlag, Autor und Betroffenen zu führen, statt ihn den Juristen zu überlassen. Wer sich einen Überblick über das 645 Seiten lange und mit über 1350 Anmerkungen versehene Werk von Eckert verschaffen möchte, sei hier auf die Darstellung von Kowalczuk verwiesen, der im übrigen in seiner kritischen Würdigung vorwiegend zurückhaltend ist - jedenfalls was Eckert betrifft.

Sachlich angemessen zu urteilen, fällt allerdings auch mir angesichts des inzwischen tatsächlich peinlich sektenhaften Zustandes der Aufarbeitungsszene schwer. Zum einen, weil ich viele Debatten nur nebenbei und von aussen verfolgt habe. Unter diesem Vorbehalt teile ich nicht die Urteile Eckerts zu Ines Geipel, Hubertus Knabe, Arnold Vaatz, Hildigund Neubert, Manfred Wilke und Siegfried Reiprich und zu ihren Rollen in den jeweiligen Konflikten -  weil ich ihnen in anderen Zusammenhängen anders begegnet bin. Aber nicht nur deswegen kann ich manchen Darstellungen Eckerts nicht folgen. Wenn ein Gericht darüber geurteilt hat, ob jemand Weltklassesprinterin genannt werden kann oder nicht und das negative Urteil dann wohlwollend zitiert wird, um eine Person, die in der Aufarbeitung aktiv ist, zu diskreditieren, ist das nicht zu billigen. Ebenso, dass einige aus Westdeutschland stammende Aufarbeiter früher einmal als “Linke” galten, disqualifiziert sie nicht. Wenn dem so wäre, müsste ja auch die Robert-Havemann-Gesellschaft ihren Namen ablegen. Die auch bei Eckert auch in diesem Werk durchscheinende Hoffnung, Diktaturen mit einem egal ob national (in den Farben der DDR oder Ostdeutschlands) oder demokratisch genannten Sozialismus überwinden zu können, hat nicht nur zur Marginalisierung der Bürgerbewegung der DDR nach 1989 geführt, sondern verklärt auch den Blick auf die Wirkungen geschichtlichen Handelns in der Vergangenheit auf die heutige Gesellschaft.

Eckert macht es dem Lesenden nicht nur mit seinen häufigen Bewertungen von einzelnen Personen und Meinungen oft schwer, (wie schon in seinem Aufsatz "Schwierige Gemengelage" von 2021), eine stringente Botschaft zu erkennen. Dennoch leistet seine autobiographisch gefärbte Chronik der geschichtspolitischen Debatten seit 2015 insgesamt einen wertvollen Beitrag  zur Debatte  um das Erbe von 1989 und dessen Aneignung. Darüber hinaus ist es ein Beitrag zu der Frage, der sich schon der Kirchenvater Augustinus stellen musste und die gerade angesichts von Rechtspopulismus, russischem Faschismus und oft auch digitaler Alltagsblindheit virulent ist: Wie überwinde ich das manichäische Freund-Feind-Denken in mir und anderen, damit die Gesellschaft demokratiegestärkt anstatt diktaturanfällig wird? Wenn es wirklich juristisch Relevantes zu ändern gäbe, ließe sich das Manuskript doch wohl überarbeiten. Wäre der Rest nicht immer noch interessant genug, das Buch bei der Bundeszentrale für politische Bildung erscheinen zu lassen? (Thomas Krüger, bitte übernehmen!) Damit nicht am Ende die unglückliche Widmung Eckerts unfreiwillig noch zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird (und die an Bitterkeit kaum zu überbieten ist): „Den wenigen Ostdeutschen, die in Deutschland zu hören sind“.