Editorial  zum H-und-G.info Schwerpunkt: Putins Spiel mit der Welt.

Stand 1.11. 2022  

„Wird Putin jetzt mit dem Krieg aufhören, wenn er den Donbas eingenommen hat?“ Diese Frage in einer prominenten Fernsehsendung einige Monate nach Kriegsbeginn hat uns doch einigermaßen erschüttert. Auch wenn die Ostukraine zunächst das Spielfeld war, das für Putin den Anlass und die Legitimierung seiner „Spezialoperation“ gegenüber der eigenen Bevölkerung darstellte, ging es ihm doch nie nur um einige km² Ukraine. Putin war klar, dass er mit seinem Schritt die westliche Welt und v.a. die USA herausfordern würde, selbst wenn er sich in den Konsequenzen mehrfach verrechnet hat. Putin wollte diese Herausforderung. Und je länger der Krieg dauert und so schwieriger es für Putin wird, überhaupt seine Ziele im Donbas zu erreichen, desto deutlicher wird das gewollt Missionarische dieses Wahnsinns.
Der russische Gouverneur der bereits 2014 annektierten Krim, schrieb am 28.10.2022: Er unterstütze voll die Gedanken Putins „Heute verteidigt Russland sein Recht und das Recht aller Völker und Zivilisationen, sie selbst zu bleiben und ihren eigenen Entwicklungsweg wählen zu können. Und das Ziel des Westens ist eine globale totalitäre Diktatur unter dem Deckmantel der Demokratie, die Umwandlung von Ländern und Völkern in Werkzeuge, um dieses Ziel zu erreichen. Wir werden von der Mehrheit der Menschheit unterstützt, die echte Freiheit, echte Demokratie, Recht und Gesetze für alle benötigt, und nicht nur für diejenigen, die sich selbst zur „Herrenrasse“ erklärt haben. Und im Westen gibt es viele Menschen, die die Position Russlands teilen.“

Der russische Militärblog „War Gonzo“, der den Krieg von Anfang an verherrlichte und nach den ersten Niederlagen von den Militärs eine Verschärfung der Kriegsführung forderte, schrieb am 27.10. 2022: „Putin hat der Weltregierung faktisch den Krieg erklärt. Und dem Globalismus als solchem. In gewisser Weise ist er jetzt wie Che Guevara oder Fidel. Nur sie gingen als Studenten zu Partisanen. Und Putin arrangierte eine Guerilla-Vendetta für die bestehende Weltordnung, als er ein Großvater war (im direktesten, universellsten Sinne des Wortes). Im Allgemeinen ist dies eine ziemlich merkwürdige revolutionäre Erfahrung. Auf globaler Ebene. Die Kühnheit, die der Jugend innewohnt, multipliziert mit der Erfahrung der Reife, ergibt eine äußerst merkwürdige historische Wirkung. Nahezu beispiellos.“

Und der tschetschenische Gefolgsmann, Führer und in der Ukraine an mehreren Fronten Kriegsführende, Ramsan Kadyrev, bündelt das Ganze „muslimgerecht“ und fordert die Seinen zum „Djihad“, zum Heiligen Krieg, auf. Von der angeblichen Verteidigung einiger 100.000 Russischsprachiger in der Ostukraine sind wir inzwischen in der Vorstellung der Angreifer in einem universalen Glaubenskrieg angekommen.

Nun könnte man es sich einfach machen und sagen, jetzt sind sie vollkommen durchgeknallt und übernehmen sich. Kein Land der Welt kann es mit der ganzen Welt aufnehmen. Aber so einfach ist das nicht.

Umfragen in Deutschland sehen zwar eindeutig Putins Russland als den Buhmann des Konfliktes, die westliche Welt verhängt scheinbar geschlossen Sanktionen und greift mit Wirtschafts- und Finanzhilfen und inzwischen auch geschlossener mit Waffenhilfe der Ukraine unter die Arme. Allerdings ist dies nur eine optische Verzerrung des Westens. Nur eine Minderheit spielt wirklich mit, manche ohnehin nur, um es sich nicht mit den USA zu verderben.

 Der „Westen“ und seine Werte sind lange nicht so beliebt, wie hierzulande angenommen wird. Auch die Menschenrechte sind keineswegs universal anerkannt, auch wenn alle in der UNO mitzuspielen scheinen. In den vergangenen Jahrzehnten hat der Westen als Leitidee an Strahlkraft offenkundig eingebüßt, man denke hier beispielsweise an die islamischen Staaten. Auf diesem Klavier spielte Putin schon auf der Münchener Sicherheitskonferenz von 2007 deutlich.

Gegen eine unipolare, von den USA und ihrem Wertesystem dominierte Welt, zog er schon damals verbal zu Felde. Die Anwesenden hätten aufhorchen müssen, gingen aber eher peinlich berührt zur Tagesordnung über. Heute wissen wir, Putin meinte es ernst, als er den Westen herausforderte. Der Donbas ist nur Mittel zum Zweck, die Spielfläche, die er braucht, um seine eigenen Leute zu mobilisieren. Putin geht es nicht um Luhansk und Donetzk, er geht aufs Ganze. D.h. nun nicht, dass er die alte Sowjetunion wieder haben will oder gar bis ans Brandenburger Tor marschieren möchte. Es geht um Hegemonie, politisch-militärische, aber auch um kulturelle.

Eine Zeit lang sah es so aus, als sei Putin dabei gar nicht ohne Erfolg. Selbst, als sein Durchmarsch nach Kiew nicht gelang, konnte er immer noch bei denen punkten, die es gut fanden, dass er nicht einknickte und dem Westen weiterhin den Stinkefinger zeigte. Das dürfte zumindest klammheimlich v.a. bei denen angekommen sein, die noch Rechnungen mit den USA offen haben, in Lateinamerika, in Asien, in den islamischen Staaten. Selbst der Papst reagierte eine zeitlang verhalten, indem er auch die USA mit Kritik nicht schonte. Das hat manche irritiert. Aber Franziskus ist nunmal Argentinier und weiß sehr wohl, dass die Nordamerikaner keineswegs immer nur Demokratien gefördert haben.

Eine zeitlang sah es sogar fast so aus, als könne Putin einen breiten Staaten-Streifen von der Türkei über den Iran und Indien bis China und Nordkorea auf seine Seite ziehen, zumindest in freundliche Neutralität. Zusammen mit den ehemaligen asiatischen Sowjetrepubliken, die immer noch mit Moskau verbandelt sind, wäre das durchaus ein bevölkerungsreicher und wirtschaftlich insgesamt starker Block. Auch darüber hinaus versuchte Putin, außenpolitisch Land zu gewinnen. Die drohende Ernährungskrise v.a. in Afrika zwang sogar den Chef der UN, sich in Gespräche mit dem kriegsführenden Russland einzubringen. Europäische Staatschefs wie Scholz und Macron gaben lange die Hoffnung nicht auf, durch Telefonate etwas bewirken zu können. Überall in Europa flackern die ersten Proteste gegen die Sanktionen auf. Rechtspopulisten, die Putin gegenüber milder gestimmt sind oder sich wie Silvio Berlusconi gar dessen Freundschaft rühmen, sind nicht nur in Italien und Frankreich auf dem Vormarsch. Und an der Peripherie von EU und Nato gibt es Wackelkandidaten. Victor Orban stabilisiert seinen Autoritarismus mit billigem russischen Gas. Beim Nato-Mitglied Türkei weiß man nie, welchen Haken Erdogan, der den Krieg nutzt, um sich und die Türkei aufzuwerten und wirtschaftlich zu profitieren, als nächstes schlagen wird. An den Sanktionen beteiligt er sich ohnehin nicht; liefert Drohnen an die Ukraine, lässt die Russen Kraftwerke bauen und will ihr Gas durchleiten, was nach dem Willen der Europäer eigentlich gestoppt werden soll. Aber auch Staaten, die emotional deutlich auf der Seite des Westens stehen, können nicht so, wie sie vielleicht wollten, wenn sie auf ihre wirtschaftliche-sozialen Interessen sehen. Moldau, das in die EU drängt, aber von Russlands Gas abhängt und auch noch im sich unabhängig gebärdenden Transnistrien eine russische Garnison unweit seiner Hauptstadt hat, ist ein solches Beispiel. Aber auch das fernere Indien, u.a.. Irgendwie sah es so aus, all wolle und könne Putin die ehemaligen Blockfreien wieder beleben, die zu kommunistischen Zeiten nicht selten Moskau näher waren als Washington.

Allerdings ist die pax Russia, der Versuch Putins, den Hegemon über die ehemaligen asiatischen Sowjetrepubliken zu spielen, gerade durch sein ukrainisches Muskelspiel brüchig geworden. Weil er überall Soldaten abziehen musste, gerieten Armenien und Aserbajdschan wieder aneinander, Kämpfe zwischen Kirgistan und Tadschikistan um eine umstrittene Grenzregion flackerten wieder auf. Kasachstans Präsident wagt es gelegentlich, zu widersprechen und liefert Energie an die Ukraine und mehrere asiatische Staaten nehmen russische Mobilisierungsflüchtlinge auf.

Auch der Westen war nicht so zerstritten, wie von Putin vermutlich prognostiziert. Die vom französischen Präsidenten Macron schon totgesagte NATO lebte geradezu wieder auf, gewann sogar potentiell zwei Russland-Anrainer (Schweden und Finnland) dazu. Die transatlantischen Beziehungen zu den USA wirken nach den ruppigen Trump-Jahren geradezu harmonisch. So hatte sich Putin das wohl nicht gedacht, spekulierte wohl eher auf Zwist in der westlichen Familie, wie zu dem Zeitpunkt, als sein Freund Lukaschenka mit Abschiebungen von Flüchtlingen Richtung Polen und Litauen die europäische Solidarität getestet hatte. Die EU bestand den Test damals schlecht. Putin aber verrechnete sich, wenn er dachte, das würde im Falle der Ukraine-Invasion ähnlich laufen. Doch die Scherben der zerbrochenen europäischen Sicherheitsarchitektur, die irgendwie funktionierte, so lange noch Personen am Ruder waren, die den Horror des zweiten Weltkriegs bis zu Hiroshima und die Sputnik- und Kuba-Schocks miterlebt hatten, liegen am Boden und keiner weiß, ob und wie sie zu reparieren sind. Ohne Russland schreien die Emotionen, ganz ohne wird es kaum gehen, kontert die Vernunft. Und wird man nicht auch potentiellen russischen Gegeneliten ein Angebot machen müssen? Da H-und-G.info plural ist, gibt es in manchen Artikelndie allein von den Autoren verantwortet werden, durchaus gegenläufige Antworten.

All diese internationalen Wechselwirkungen schienen H-und-G.info Grund genug, nicht nur den Krieg in der Ukraine, dessen Auswirkungen auf die beiden im Konflikt stehenden postkommunistischen Staaten zu betrachten, sondern auch die außenpolitischen Perspektiven stärker als beim ersten Schwerpunkt in den Blick zu rücken. Eines hat Putin bewirkt, dieser Krieg lässt keinen vollkommen neutral, die Welt sortiert sich und sie sortiert sich neu. Nicht nur Interessen, sondern auch ein gewisser Opportunismus dürfte eine Rolle dabei spielen, wer die geheime Wette gewinnt und wer als Sieger vom Platz gehen wird.

Fest steht bisher nur, zu gewinnen im engeren Sinne ist dieser Krieg für Putin nicht, wie es derzeit ohnehin nur Verlierer gibt. Zu hoch sind für Putin die Verluste an Menschen, wirtschaftlich und inzwischen auch innenpolitisch. Das heißt aber nicht, dass er den Krieg schon verloren hat. Der Ukraine-Krieg und seine Wahrnehmung drehen Pirouetten, beide Staaten sind hochgerüstet an der Grenze ihrer Leitungsfähigkeit oder schon darüber hinaus, keiner so stark, um den anderen schnell niederzuringen. Das Auf und Ab ist verwirrend. Allein der noch nicht alte Reisebericht von Andreas Umland in dieser Ausgabe zeigt das. Er würde heute schon sicher anders aussehen, so schnell dreht sich das Rad. Beim ersten Anlauf musste Putin (teilweise) den Rückzug antreten, bei der dann folgenden zweiten russischen Offensive fiel Luhansk; es kam die überraschende Gegenoffensive in Charkiv, doch die Russen konterten mit Mobilisierung, Raketen und Drohnen. Momentan ist die ukrainische Gegenoffensive gestoppt oder zumindest verlangsamt, die Energie- und Wärmeversorgung des Landes knapp vor dem Kollaps. Wie die Ukraine und auch wir aus dem folgenden Winter herauskommen werden, ist aller Präventionen und Anstrengungen zum Trotz noch nicht ausgemacht.

Putins Zwischensiege, sind aber Pyrrhussiege. Sein Gaskrieg schockt keinen wirklich mehr. Man rechnet damit, seit es Europa gelungen ist, weltweit Ersatz für russisches Gas zu besorgen. Das sah anfangs anders aus, als man im deutschen Winter die Wirtschaft zusammenbrechen wähnte. Droht Putin heute mit dem Gashahn oder explodieren Pipelines, springen gerade noch die Preise der Spotmärkte ein paar Tage in die Höhe. Das heißt nun nicht, dass Putin den hybriden Krieg schon verloren hat und dass Sanktionen ihn zeitnah niederringen. Deren Wirkungen bleiben uneindeutiger, als es anfangs schien, was es Populisten aller Couleur leicht macht. Aber die Rücksichtslosigkeit mit der Putin den Krieg führt, die alle Normen, die nach dem Zeitalter der Weltkriege errichtet wurden, einreißt, stößt die meisten vor den Kopf, auch solche, die eigentlich einen Russenfaible haben. Das trifft auch im internationalen Maßstab zu. Vor allem alle, die mit Vielvölkerstaaten zu tun haben, blicken irritiert auf den Versuch, die Integrität der Ukraine mit Stiefeln zu treten. Das Kokettieren der Putin-Mannschaft mit den Atomwaffen tut ein Übriges. Die Angst, dass der Krieg ein globaler werden könnte, führte eine zeitlang zur Zurückhaltung, ist aber inzwischen eher der Entschlossenheit gewichen, ihn zurückzudrängen.

Die Verurteilung der russischen Annexion von vier ukrainischen Gebieten durch die UN-Vollversammlung im Oktober 2022 hat gezeigt, die wirklichen Bündnispartner Putins sind eine eher exotisch anmutende Minderheit. Nordkorea, Belarus, Syrien und Nicaragua. Selbst Diplomaten waren erstaunt, wie viele, 143 Länder, schließlich für die Resolution stimmten. Putin, der sich immer noch für einen Retter der Menschheit hält, ist vielen endgültig unheimlich geworden. Dennoch haben sich immer noch viele (35) enthalten, darunter Atommächte und keine kleinen wie darunter China, Indien, Südafrika und Pakistan. Handelsdaten zeigen im Übrigen, dass wohl nur wenige Staaten bisher ihr Handelsvolumen mit Russland ernsthaft eingeschränkt, nicht wenige sogar ausgedehnt haben. Die Sache bliebt also weiterhin kein Selbstläufer, kann noch lange dauern und viel Schaden anrichten und v.a. Leben kosten.

Zu den Texten

Der Schwerpunkt sieht momentan in manchem anders aus, als geplant. Es sind chaotische Zeiten. Viele sind an vielen „Fronten“ unterwegs. Manche Zusagen mussten kurzfristig zurückgenommen, verschoben, verändert werden. Der schönste Grund ist der Friedensnobelpreis neben anderen an Memorial, wodurch unser Kontakt zu Irina Sherbakowa vorerst abgerissen ist. Die schönste Änderung war die Frage, ob ein Litauen-Artikel nicht auch durch ein aktuelles Gedicht von Vytautas Landsbergis auf Deutsch ersetzt werden könne. An der Übersetzung hat das Urgestein der europäischen Unabhängkeits- und Freiheitsbewegung mitgefeilt. Wir fühlen uns geehrt; auch wenn einem ein Schauer beim Lesen über den Rücken läuft und man hofft, dass seine Dystopie nicht wahr wird. Irgendwie schräg wirkte die Entschuldigung von Anja Mihr, sie müsse zunächst als Wahlbeobachterin in die USA. Wer hätte gedacht, das so etwas wichtig werden könnte!

Manche Artikel sind noch in der Pipeline. Das Gute am online-Format, ist, es kann noch ergänzt werden. Wir nehmen auch gerne noch weitere Artikel an.

Die Artikel sind vom Charakter sehr unterschiedlich vom Gedicht über den analytischen Reisebericht über eher journalistische Darstellungen bis zum wissenschaftlichen Länderreport und zur strengen Textexegese. Wir haben die Form den Autoren freigestellt und sehen uns darin bestätigt. Die Unterschiedlichkeit befördert die Lebendigkeit, obwohl alle Artikel über den Tag hinaus Wesentliches zur Stellung der einzelnen Länder (bzw. der Themen) zum Ukraine-Krieg herausarbeiten. Deutlich wird, wie sehr die außenpolitischen und außenwirtschaftlich wirkenden Fragen auf die Innenpolitik zurückschlagen und umgekehrt. Überall müssen sich Gesellschaft und Politik neu austarieren- auch in Deutschland. Wie steht es mit Rüstungsexporte in Spannungsgebiete, gefährden wir unsere Klimapolitik, Wirtschaft und Wohlstand, bzw. müssen wir in die Freiheit investieren? Gibt es Grenzen der Solidarität und Hilfsbereitschaft, dürfen oder sollten wir noch Russen in Empfang nehmen? Und, und, und. Wir haben nur eine Teil dieser Themen anreissen können. Artikel aus dem ersten Ukraine-Schwerpunkt und andere aus H-und-G.info ergänzen das Kaleidoskop.

So entsteht ein, obwohl sicher zu komplettierendes Bild, von der komplexen Gemengelage, die dieser Krieg international, insbesondere natürlich in der Ukraine und ihrem Umfeld entstanden ist. Das macht Lösungen nicht eben einfacher. Man bleibt zerrissen. Wenn man die Zerstörung, den Tod und das Leid sieht, möchte man instinktiv denen Folgen, die „Peace now“, rufen. Wenn man die Konsequenzen für die Ukraine, Europa und den Weltfrieden bedenkt, wenn man Putin diese Art von Aggression durchgehen ließe, ist klar, dass Appeasement derzeit nicht angesagt ist.

Manchen wird vieles aufstoßen, was fehlt. Schon das letzte Mal gab es Kritiken, dass ausgerechnet die Ukraine zu kurz komme, die im Mittelpunkt stehen müsse. Jein. Von Anfang an war klar, dass das nicht nur ein Ukraine-Konflikt ist, auch wenn die Ukraine der (Haupt-)Leidtragende ist. Außerdem ein Schlüssel liegt nach wie vor in Moskau, obwohl das nicht zur traditionellen (deutschen) Russland-Fixierung führen sollte. Zum dritten ist der aktuelle Ukraine-Beitrag kurzfristig leider weggebrochen. Such happens. Viertens habe ich persönlich Hemmungen, ein Land was dermaßen um seine Existenz kämpft, auch noch analytisch zu sezieren. Obwohl es irgendwie auch wichtig wäre. Wegen der hohen Finanz- und Militärhilfen gehört die Ukraine jetzt schon faktisch zur EU, so gesehen, ist esderzeit geradezu das EU-Land schlechthin. Aber aus dengleichen Gründen dürfte die Ukraine bei klarer Analyse nahezu jedes EU-Beitrittskriterium verfehlen. Allein die Verschuldung und Inflationsrate sind jenseits davon. Korruption und Korruptionsbekämpfung, Widerstand an der Grenze zur Selbstjustiz, Nationalismus zwischen Selbstbehauptung und Russenhass sind Themen, die in der Aktualität immer wieder aufflackern. Und wenn die Ukraine in die EU aufgenommen, zumindest ganz, ganz nah an diese herangeführt werden soll, woran eigentlich kein Zweifel bestehen kann, werden alle diese Themen zu behandeln sein und auch noch Probleme machen. Die Ukraine ist gesellschaftlich im Kern ein traditionelles und immer noch im postkommunistischen Umbruch befindliches und kein Land im westeuropäischen Sinne. Auch deswegen würden Länder wie Polen eine schnelle europäische Integration ihres bevölkerungsreichen östlichen Nachbarn begrüßen. Wir werden also noch viel miteinander auszutragen haben. Die Frage ist, wann ist der richtige Moment. H-und-G.info hat in der aktuellen Rubrik zum Ukraine Krieg und ähnlich lautend auf facebook immer wieder derartige heiklen Fragen und Themen schlaglichtartig aufgeworfen, und damit durchaus kontroverse Reaktionen hervorgerufen und wird dies bis auf Weiteres fortsetzen. Diese Ergänzung füllt vorerst die Ukraine-Lücke im Schwerpunkt, die uns durchaus bewusst ist. Angesichts der übergreifenden Bedeutung dieses Konfliktes gehen wir ohnehin davon aus, im kommenden Jahr das Thema fortzusetzen.

Was sonst?

H-und-G.info ist im Kern ein in Deutschland angesiedeltes Aufarbeitungsforum. Auch wenn der Ukraine-Krieg kaum jemanden kalt lässt und viele absorbiert, es gibt noch andere Themen:

Einen Aufschrei hat die Aufarbeitung der Aufarbeitung von Rainer Eckert schon ausgelöst, bevor sein Buch überhaupt erschienen war. Derzeit ist es blockiert- kein Ruhmesblatt für viele Beteiligte, meint Jochen Goertz, der auf den Konflikt blickt. Wenn die SPD über sich selber nachdenkt, gilt das oft nur als Parteiengeschichte. Vergessen wird, dass auch die ostdeutschem Sozialdemokraten ihrer Entstehung nach aus der DDR-Opposition stammen und die Gründung des damaligen SDP Katalysator und Frucht der Revolution war. Die Deutungsgeschichte ist daher auch immer Aufarbeitung der Transformation in Ostdeutschland und ihrer Vorgeschichte, in Brandenburg besonders wegen der Personalie des ersten Ministerpräsidenten. Ein Thema was bislang eher noch unterschwellig für Kontroversen sorgt, ist der Plan der Havemann-Gesellschaft, in Berlin eine nationale Forschungs- und Bildungsstätte für Opposition und Widerstand zu errichten. Sie wird im nächsten Schwerpunkt von H-und-G.info genauer abgehandelt.

Was kommt als Nächstes?

Im nächsten Schwerpunkt soll es um die Erinnerung am authentischen Ort geht. Die Auflösung bzw. Umtopfung der Stasi-Aktenbehörde ist vielerorts, aber nicht nur da, wieder einmal Anlass für zum Teil lebhafte Diskussionen über die Art der Nutzung von Stasi-Immobilien. Artikel können jetzt schon angemeldet werden.

Artikeleinsendungen und Leserbriefe an: H-und-G.info@web.de

 

Berlin/Christian Booß. Zwickau/Martin Böttger