Militärstrategische Rede 2019

von Walerj Gerassimow, heute Chef des Stabes der russischen Armee und Oberbefehlshaber im Ukraine-Krieg.

in der Militärakademie in 2019

 

Arbeitsübersetzung aus dem Russischen

Entwicklungsrichtungen der Militärstrategie

Vortrag des Chefs des Generalstabes der Streitkräfte Russlands Armeegeneral WALERIJ GERASSIMOW, am 2. März 2019.

Redaktionelle Vorbemerkungen der Krasnaja Swesda.

Die Jahresversammlung war als militärwissenschaftliche Konferenz gestaltet und der Entwicklung der Militärstrategie unter den gegenwärtigen Bedingungen gewidmet. Die Veranstaltung wurde durch den Präsidenten der Akademie der Militärwissenschaften [AMW] Armeegeneral MACHMUT GAREJEW eröffnet. Die Teil- nehmer der Konferenz – Mitglieder der AMW, der Führungsbestand des Verteidi- gungsministeriums Russlands, Vertreter der Administration des Präsidenten der Russischen Föderation [RF], der Staatsduma, des Föderationsrates der RF sowie führende Wissenschaftler der Akademie der Wissenschaften Russlands, von Hochschulen und wissenschaftlichen Forschungsorganisationen der Militär- verwaltung – erörterten den Charakter geführter Kriege und bewaffneter Kon- flikte sowie aktuelle Probleme auf dem Gebiet der Verteidigung.

Der Chef des Generalstabes der Streitkräfte der RF und Erste Stellvertreter des Verteidigungsministers Russlands Armeegeneral WALERIJ GERASSIMOW hielt einen Vortrag über die grundsätzlichen Entwicklungsrichtungen der Militärstrategie und über die Aufgaben der Militärwissenschaft.

 

 
   

 

 

Anmerkungen zur Arbeitsübersetzung

Die Arbeitsübersetzung a. d. Russischen entspricht dem Artikeltext der Online-Ausgabe der Zeitung Красная Звезда, veröffentlicht auf dem Internetportal am 4. März 2019;

URL: http://redstar.ru/vektory-razvitiya-voennoj-strategii/?attempt=2 . Abruf am 06.03.2019.

Die AMW kündigte eine Veröffentlichung in einer Ausgabe ihres Journals Westnik an.

Die Arbeitsübersetzung ist an einem militärfachlich möglichst wortgenauen, deutsch- sprachlich angepassten Stil gegenüber dem Originaltext orientiert. Die Unterscheidung der Bedeutung1 der Wörter russisch (sprachliche Ethnie) und russländisch (Russland als Vielvölkerstaat) wurde in der Übersetzung zugunsten üblicher Schreibweise vermieden.

Dokumentenbezeichnungen sind mit kursiv geschrieben. Namen sind in KAPITÄLCHEN ausgeführt. Häufig verwendete Begriffe sind in Versalien abgekürzt und Ergänzungen der Übersetzer in eckigen Klammern […] gezeigt. Außerdem sind erklärende Fußnoten zur Lexik eingefügt. Längere Aufzählungen im Fließtext sind untergliedert.

 

 
   


Die vorangestellte Inhaltsübersicht zeigt die Zwischentitel aus dem russischen Original. Die Übersetzer.

 

1 Vgl.: русский – russisch, gegenüber российский, Россия – russländisch, Russland.

 

WALERIJ GERASSIMOW

Entwicklungsrichtungen der Militärstrategie

Unter aktuellen Bedingungen erfuhren die Prinzipien der Kriegsführung eine Entwicklung aufgrund der koordinierten Anwendung militärischer und nichtmilitärischer Aktivitäten, bei entscheidender Rolle der Streitkräfte.

Zu Veränderungen bei den militärischen Bedrohungen Traditionsgemäß gestaltet sich die Jahresversammlung der AMW als Podium für den Austausch von Meinungen der Militärspezialisten zu den aktuellsten

und problematischsten Fragen der Militärwissenschaft. Die Konferenzergeb-

nisse bestimmen von ihrem Gehalt her die weiteren Entwicklungsrichtungen der Militärwissenschaft, immer gefolgt von breiten Erörterungen sowohl in Russland als auch im Ausland.

In diesem Jahr betrachten wir Fragen der Entwicklung der Militärstrategie unter modernen Bedingungen.

Die Militärstrategie als Wissenschaft von der „Kunst der Truppenführung“ wurde Anfang des vergangenen Jahrhunderts begründet und entwickelte sich auf der Grundlage der Erforschung der Kriegserfahrungen. Im Allgemeinen stellt die Strategie „… ein System von Kenntnissen und Handlungen zur Verhütung2, Vorbereitung und Führung eines Krieges“ dar.

Gegenwärtig erweitern sich die Arten der Kriege, ihr Inhalt verändert sich wesentlich. Die Anzahl der am bewaffneten Kampf beteiligten Subjekte ver- größert sich. Neben den Streitkräften der souveränen Staaten kämpfen ver- schiedene Bandenformationen, militärische Privatunternehmen und selbst- ernannte „Quasi-Staaten“. Aktiv sind einbezogen: die Mittel des ökonomi- schen, politischen, diplomatischen und informationellen Druckes sowie die Demonstration militärischer Stärke im Interesse der Effektivitätssteigerung bei nichtmilitärischen Maßnahmen. Militärische Gewalt wird eingesetzt, wo es nicht gelang, gestellte Ziele mit nichtmilitärischen Methoden zu erreichen.

Unterdessen verbergen die geopolitischen Rivalen Russlands nicht, dass sie versuchen, ihre politischen Ziele nicht nur im Verlaufe lokaler Konflikte zu erreichen. Sie bereiten sich auf die Kriegsführung mit einem „hochtechnolo- gisierten Gegner“ unter Ausnutzung von Präzisionswaffen aus der Luft, von See und aus dem Kosmos vor, bei aktiver Durchführung informationeller Gegenwirkung.

 

Gerassimow – Entwicklungsrichtungen der Militärstrategie.

Unter diesen Bedingungen müssen unsere Streitkräfte zur Führung von Krie- gen und bewaffneten Konflikten eines neuen Typs, sowohl unter Ausnutzung klassischer, als auch asymmetrischer Handlungsmethoden bereit sein. Daher erhält die Suche nach rationellen Strategien zur Kriegsführung mit verschie- denen Gegnern eine erstrangige Bedeutung für die Entwicklung der Theorie und Praxis der Militärstrategie.

Genauer bestimmen müssen wir das Wesen und den Inhalt der Militärstra- tegie, die Prinzipien der Kriegsverhinderung, der Vorbereitung zum Krieg und für dessen Führung. Im Weiteren müssen wir die Formen und Methoden des Einsatzes der Streitkräfte, vor allem bei der strategischen Zügelung3, sowie die Organisation der Verteidigung des Staates vervollkommnen.

Zur Evolution der grundlegenden strategischen Konzeptionen

Die Militärstrategie durchlief in ihrem Entwicklungsprozess einige Evolu- tionsetappen – von der „Strategie der Vernichtung4“, der „Strategie der Zermürbung5“ bis zu den Strategien des „Globalen Krieges“, der „Atomaren Abschreckung“ und der „Strategie indirekter [verdeckter] Handlungen“.

Die USA und ihre Verbündeten legten für ihre Außenpolitik eine aggressive Richtung fest. Durch sie werden militärische Handlungen mit Angriffs- charakter, wie „Globaler Schlag“, „Schlacht in mehreren Sphären“ vorberei- tet und Technologien „farbiger Revolutionen“ und der „Softpower“ genutzt. Ihr Ziel ist die Beseitigung der Staatlichkeit von missliebigen Staaten, die Untergrabung der Souveränität und der Austausch legal gewählter Organe der Staatsmacht. So war es im Irak, in Libyen und in der Ukraine. Gegen- wärtig sind in Venezuela analoge Handlungen zu beobachten.

Das PENTAGON schritt zur Ausarbeitung einer prinzipiell neuen Strategie der Führung von Kampfhandlungen, die „Trojanisches Pferd“ getauft wurde. Zu ihrem Wesen gehört die aktive Ausnutzung des „Protestpotenzials einer Fünften Kolonne“ zur Destabilisierung der Lage bei gleichzeitigem Durch- führen von Schlägen mit Präzisionswaffen auf die wichtigsten Objekte. Anzumerken wäre, dass die RF bereit ist, jeder beliebigen dieser Strategien entgegenzuwirken. In den zurückliegenden Jahren wurden von den Militär- wissenschaftlern gemeinsam mit dem Generalstab konzeptionelle Heran-

 

 

 
   

 

  1. сдерживание (im russ. Orig.-Text) – Zügelung. Dazu im Vgl.: устрашение – Abschreckung.
  2. сокрушение – Vernichtung, Zerstörung.

 

gehensweisen zur Neutralisierung der aggressiven Handlungen der wahr- scheinlichen Gegner ausgearbeitet.

Die Grundlage „unserer Antwort“ ist die „Strategie aktiver Verteidigung“, die unter Berücksichtigung des Verteidigungscharakters der Militärdoktrin Russlands einen Maßnahmenkomplex zur zuvorkommenden Neutralisierung der Bedrohung der Sicherheit des Staates vorsieht.

Insbesondere die Beweisführung für die zu erarbeitenden Maßnahmen muss die wissenschaftliche Arbeit der Militärwissenschaftler ausmachen. Das ist eine der vorrangigen Richtungen zur Gewährleistung der Sicherheit des Staates. Wir müssen dem Gegner zuvorkommen6 bei der Entwicklung der Militärstrategie, d. h. „einen Schritt voraus“ sein.

In Syrien wurde erstmals eine neue Form des Einsatzes von Streitkräfteformationen ausgearbeitet und praktisch erprobt – der Humanitäre Einsatz der Truppen (Kräfte).

Zur Einheit von Theorie und Praxis

Die Entwicklung der Strategie als Wissenschaft muss zwei Richtungen erfas- sen. Erstens ist das die Entwicklung des Systems der Kenntnisse über den Krieg und zweitens die Vervollkommnung der praktischen Tätigkeit zur Kriegsverhinderung, zur Vorbereitung auf den Krieg und die Kriegsführung. Forschungsgegenstand der Militärstrategie ist der bewaffnete Kampf in der strategischen Ebene. Mit Erscheinen neuer Sphären des Zusammenstoßes in modernen Konflikten vermischen sich die Kampfmethoden hin zur kom- plexen Anwendung politischer, ökonomischer, informationeller und anderer nichtmilitärischer Aktivitäten, dabei mit Abstützung auf die Militärmacht.

Ungeachtet dessen umfasst der Hauptinhalt der Militärstrategie die Fragen der Vorbereitung auf den Krieg und dessen Führung, in erster Linie durch die Streitkräfte. Ja, wir berücksichtigen alle übrigen nichtmilitärischen Akti- vitäten, die Einfluss auf den Verlauf und den Ausgang des Krieges nehmen. Wir schaffen und sichern die Bedingungen für einen effektiven Einsatz mili- tärischer Macht. Dabei ist zu verstehen, dass der Zusammenstoß in den ande- ren Sphären auch gesonderte Aktivitätsrichtungen hervorruft, mit ihren eigenen „Strategien“, Handlungsverfahren und entsprechenden Ressourcen. Für die Erreichung der allgemeinen Ziele müssen wir ihre Koordinierung vornehmen, jedoch nicht deren direkte Führung übernehmen.

 

 
   

 

 

 

Die Strategie muss sich sowohl mit dem Prognostizieren des Charakters künftiger Kriege beschäftigen, mit der Ausarbeitung neuer „Strategien“ ihrer Führung, als auch mit der Vorbereitung des Staates im Ganzen wie der Streitkräfte auf den Krieg. Im Zusammenhang damit ist es notwendig, die Auflistung der Forschungsaufgaben zu erneuern und um die neuen Rich- tungen der wissenschaftlichen Arbeit zu ergänzen.

Selbstverständlich muss die Militärakademie des Generalstabes gemeinsam mit der Akademie der Militärwissenschaften die Arbeit in den gegebenen Richtungen der Militärstrategie führen.

Für die effektivere Bearbeitung der Fragen ist die Einbeziehung aller wissen- schaftlichen Organisationen des Verteidigungsministeriums und des Wissen- schaftspotenzials der interessierten föderalen Organe der Staatsmacht erfor- derlich. Wie die Praxis zeigt, ist es nötig, die Problemfragen auf wissen- schaftlich-praktischen Konferenzen zu beraten und im Verlauf von Runden Tischen zu erörtern. Nur dadurch bringen sie die neuen Resultate in den Bereich der Theorie und Praxis der Militärstrategie ein.

Zu den Prinzipien der Verhütung eines Krieges sowie der Vorbereitung auf den Krieg und der Kriegsführung

Mit den Veränderungen im Charakter eines Krieges und in den Bedingungen bei seiner Vorbereitung und Führung sind einerseits die strategischen Prin- zipien anzupassen und andererseits diese mit neuem Inhalt zu füllen.7

Das Prinzip Kriegsverhütung beinhaltet Prognosen der militärpolitischen und militärstrategischen Lageentwicklung zur rechtzeitigen Aufdeckung militä- rischer Gefahren und Bedrohungen und das adäquate rechtzeitige Reagieren.

Das Prinzip der frühzeitigen Vorbereitung des Staates auf einen Krieg wird durch die ständig hohe Gefechts- und Mobilmachungsbereitschaft der Streit- kräfte sowie durch das Schaffen und das Aufrechterhalten der strategischen Reserven und Vorräte gewährleistet.

Unter den aktuellen Bedingungen erfuhren die Prinzipien der Kriegsführung eine Entwicklung auf der Grundlage des koordinierten Einsatzes von militä- rischen und nichtmilitärischen Aktivitäten, bei entscheidender Rolle der Streitkräfte.

Unverändert aktuell sind die Prinzipien Überraschung, Entschlossenheit und Ununterbrochenheit strategischer Handlungen.

 

 
   

 

  1. Nachfolgende Hervorhebungen mit kursiv sind vom Übersetzer vorgenommen.

 

Schnell handelnd, müssen wir dem Gegner durch unsere Präventivmaßnah- men zuvorkommen, rechtzeitig seine leicht verwundbaren Stellen aufklären und androhen, ihm einen für ihn unannehmbaren Schaden zuzufügen. Das gewährleistet die Erringung und Erhaltung der strategischen Initiative.

Die Arbeiten zur Präzisierung der wirkenden Prinzipien und die Begründung der neuen Prinzipien müssen unter Abstimmung der Anstrengungen der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft fortgesetzt werden. Es ist not- wendig, Prinzipien allgemeinen universellen Charakters sowie Handlungs- prinzipien bezogen auf die konkret entstandene Lage zu formulieren.

So werden grundlegende Entwicklungsrichtungen der Theorie der Militär- strategie erkannt. Aber, wie sagte schon der große russische Heerführer Alexander Wassiljewitsch SUWOROW: „Theorie ohne Praxis ist tot …“. Gerade deshalb ist es unmöglich, sich das praktische Wirken der Militär- strategie ohne ihre wissenschaftliche Begründung vorzustellen.

Zum System prognostischer Szenarien

Die wichtigste Grundlage der praktischen strategischen Tätigkeit liegt in der Schaffung eines Untersuchungssystems zu den möglichen Szenarien bei der Entfesselung und in dem Verlauf militärischer Konflikte. Gerade die begrün- deten Prognosen möglicher Konfliktszenarien dienen als Ausgangsangaben zur Ausarbeitung der Formen und der Methoden des Streitkräfteeinsatzes. Gegenwärtig ist ein rationales System von Einsatzformen der Streitkräfte theoretisch ausgearbeitet und es hat sich praktisch bewährt. Zu dessen wichtigem Bestandteil gehören die Handlungen zur strategischen Zügelung [Abschreckung].

Washington setzt gegenwärtig den Kurs fort, der auf eine Ausweitung des Systems der militärischen Präsenz unmittelbar an Russlands Grenzen und auf die Zerstörung der vertraglichen Beziehungen zur Rüstungsbegrenzung und zur Abrüstung gerichtet ist. Dieser Kurs führt zur Störung der strategischen Stabilität. Im Jahr 2002 haben die USA einseitig den Vertrag über Begren- zungen bei der Raketenabwehr verlassen.

Als nächster Schritt, nach der demonstrativen Stornierung der Teilnahme am Vertrag über die Beseitigung der Raketen geringer und mittlerer Reichweite [INF-Vertrag], könnte die Abkehr von der Verlängerung des Vertrages über die Begrenzung der strategischen Angriffswaffen (START-3) folgen.

 

In letzter Zeit hat das PENTAGON mehrfach die Absicht erklärt, den Welt- raum zu militärischen Zwecken zu nutzen. Dafür wird eine neue Waffen- gattung formiert – die Weltraumstreitkräfte. Damit werden die Vorausset- zungen für die Militarisierung des Weltraums geschaffen.

Schließlich können alle diese Handlungen zur deutlichen Verschärfung der militärpolitischen Lage und zu militärischen Bedrohungen führen, auf die wir mit spiegelbildartigen und mit asymmetrischen Maßnahmen antworten müssen.

Die Militärwissenschaft muss das System der Komplexen Bekämpfung des Gegners ausarbeiten und begründen.

Zu Maßnahmen der strategischen Zügelung [Abschreckung]

Infolge dessen hat die Entwicklung der Militärstrategie die aktuelle Aufgabe, die Maßnahmen zur nuklearen und nichtnuklearen Zügelung [Abschreckung] zu begründen und zu vervollkommnen. Ein beliebiger potenzieller Aggressor muss verstehen, dass jede Form des Drucks auf Russland und seine Verbün- deten perspektivlos ist.

Unsere Antwort lässt nicht auf sich warten. Dazu werden moderne Waffen- typen in die Bewaffnung aufgenommen und aufgestellt [entfaltet], darunter prinzipiell neue Waffenarten.

Begonnen wurden die Serienproduktion und die Ausrüstung der Streitkräfte mit den neuesten Waffentypen. Ihre hohe Effektivität zeigten „Avangard“,

„Sarmat“, die neueste Waffe „Pereswet“ und „Kinshal“. Erfolgreich ver- laufen die Erprobungen des Komplexes „Poseidon“ und „Burewestnik“. Planmäßig laufen Arbeiten zur seegestützten Hyperschall-Rakete „Zirkon“.

Es besteht kein Zweifel daran, dass wir im Vergleich zu den technologisch entwickelten Ländern der Welt auf diesem Gebiet überzeugend führen.

Angenommen wurde ein Beschluss zur Durchführung von Forschungs- und Konstruktionsarbeiten für die Entwicklung bodengestützter Komplexe von Hyperschall-Raketen mittlerer und geringer Reichweite.

Die Schaffung neuer Waffentypen wird Russland nicht in ein neues Wett- rüsten hineinziehen. Die für eine Zügelung [Abschreckung] notwendige Anzahl neuer Komplexe wird im geplanten Rahmen des Militärbudgets bereitgestellt.

 

Die von unseren westlichen Partnern realisierte Politik zwingt uns dazu:

  • „auf die Bedrohung mit dem Schaffen einer Drohung“ zu antworten,
  • in der Perspektive das Führen von Schlägen zu planen:
    • auf die Entscheidungszentren sowie
    • auf jene Startanlagen [Stellungen], aus denen der Gefechts- einsatz von Marschflugkörpern auf Objekte auf dem Territorium Russlands möglich ist.

Die Militärwissenschaftler müssen die Forschung aktivieren:

  • zur Suche und Einführung neuer Einsatzverfahren perspektivischer Waffen sowie
  • zur Begründung der Formen der Gegenwirkung auf mögliche Kampf- handlungen des wahrscheinlichen Gegners im Weltraum und aus dem Weltraum.

Zur „Strategie begrenzter Handlungen“ außerhalb Russlands

Die Erfahrungen aus Syrien spielen eine wichtige Rolle bei der Strategieent- wicklung. Durch deren Verallgemeinerung und Übernahme wird ermöglicht, dass ein neues Praxisfeld eingefügt wird – die Erfüllung von Schutzaufgaben und Durchsetzung nationaler Interessen außerhalb der territorialen Grenzen Russlands. Das läuft im Rahmen der „Strategie begrenzter Handlungen“.

Die Grundlage für diese Strategieumsetzung ist die Schaffung einer autarken Gruppierung von Truppen (Kräften) auf der Basis von Formationen einer Teilstreitkraft, die über eine hohe Mobilität verfügt und fähig ist, den größten Beitrag zur Lösung der gestellten Aufgaben zu erbringen. In Syrien wurde diese Rolle den Luft-Kosmischen Streitkräften übertragen.

Zu den wichtigsten Bedingungen der genannten Strategie zählen:

  • die Erringung und Aufrechterhaltung der informationellen Überlegenheit,
  • die zuvorkommende Bereitschaft des Führungssystems und der allseitigen Sicherstellung sowie
  • die gedeckte Entfaltung der erforderlichen Gruppierung.

Neue Handlungsverfahren der Truppen bewiesen ihre Stichhaltigkeit im Ver- laufe der Operation. Die Rolle der Strategie bestand darin, die gemeinsamen militärischen und nichtmilitärischen Aktionen der Truppen-(Kräfte-)Grup- pierung aus Russland sowie der Streitkräfte-Formationen aus interessierten Staaten und von militärischen Strukturen der Teilnehmerländer am Konflikt zu planen und zu koordinieren.

 

Eine weitere Entwicklung erfuhr die Konflikt-Nachsorge. Erstmals wurde in der Praxis in Syrien eine neue Einsatzform der Streitkräfte-Formationen aus- gearbeitet und erprobt – der Humanitäre Einsatz8 [die Human. Operation]. In Ost-Ghouta und in Aleppo mussten die Maßnahmen zur Evakuierung [zum Abzug] der Zivilbevölkerung aus der Konfliktzone unter Zeitknappheit und zeitgleich mit der Aufgabenerfüllung zur Zerschlagung der Terroristen geplant und durchgeführt werden.

Die in Syrien erzielten Resultate erlaubten die Bestimmung der aktuellen Forschungsrichtungen zu Fragen des Streitkräfteeinsatzes bei der Erfüllung von Schutzaufgaben und zur Durchsetzung nationaler Interessen außerhalb des nationalen Territoriums.

Zu den Einsatzformen der Truppen-(Kräfte-)Gruppierungen

im Rahmen der „Strategie begrenzter Handlungen“

Eine der Entwicklungsrichtungen der Strategie ist damit verbunden, dass auf der Basis moderner Informations- und Telekommunikationstechnologien ein einheitliches System integrierter Kräfte und Mittel zur Aufklärung, Bekämp- fung, Truppenführung und Waffenleitung geschaffen und entwickelt wird.

Das System ist bestimmt zur Beobachtung, zur Erteilung der Zielzuweisung und zur Durchführung ausgewählter Schläge in kürzester Zeit [in Echtzeit] auf die kritisch wichtigen Objekte, auf strategische und operativ-taktische konventionelle (herkömmliche, nichtnukleare) Waffen. Außerdem muss die Militärwissenschaft das System der komplexen Bekämpfung des Gegners ausarbeiten und begründen.

Eine weitere Richtung steht in Verbindung mit dem Einsatz von umfang- reichen Roboterkomplexen mit militärischer Bestimmung, in erster Linie von unbemannten Flugkörpern9, zur Erhöhung der Effektivität der Lösung eines breiten Spektrums von Aufgaben.

Eine andere Richtung bildete die Schaffung von Systemen zur Gegenwir- kung auf unbemannte Flugkörper und Präzisionswaffen. Eine entscheidende Rolle spielten hierbei die Kräfte und Mittel des Funkelektronischen Kampfes10, die eine Einwirkungsauswahl ermöglichen, ausgehend vom Objekttyp, von seiner Struktur und dem zeitlichen Limit.

 

 
   

 

  1. Vgl. Bezeichnung Humanitärer Einsatz und (russ.) H. Operation – гуманитарная операция.

Das sind Hilfeleistungen oder Unterstützungsmaßnahmen durch Streitkräfte im Ausland.

  1. Vgl. Bezeichnung als Drohnen.
  2. FEK – Funkelektronischer Kampf. Dazu im Vgl.: Elektronische Kampfführung – EloKa.

 

Die Aufgabe der Militärwissenschaft auf diesem Gebiet besteht vor allem in

    • der Bearbeitung von Fragen zur Schaffung des strategischen Systems in den RF-Streitkräften zum Gegenwirken auf unbemannte Flugkörper,
    • der Begründung der zukünftigen strategischen Systeme des Funkelek- tronischen Kampfes und deren Zusammenführung in ein einheitliches System.

Nochmals unterstrichen: Digitale Technologien, unbemannte Systeme, FEK und Roboterisierung – alles das muss auf die Tagesordnung zur Entwicklung der Militärwissenschaft, darunter für die Militärstrategie.

Zum Zusammenwirken der Komponenten der Militärorganisation des Staates

Ein Wesensmerkmal in den gegenwärtigen militärischen Konflikten ist die Destabilisierung der inneren Sicherheit des Staates mittels Durchführung terroristischer und Diversionshandlungen durch den Gegner.

Gerade deshalb besteht eine wichtige Entwicklungsrichtung der Strategie und eine Aufgabe der Militärwissenschaft darin, das System der Territorial- verteidigung, ihrer Struktur und der Verfahren des Aufbaus auszuarbeiten und zu vervollkommnen und Begründungen für die Maßnahmenkomplexe zur ständigen Bereitschaft vorzulegen.

Gegenwärtig wird durch die Ministerien und Behörden Vieles bei uns getan zur Realisierung der militärischen und nichtmilitärischen Maßnahmen im Interesse der Landesverteidigung. Dabei ist es erforderlich, die Bearbeitung folgender Fragen fortzusetzen:

    • die Koordinierung der handelnden Kräfte der Föderalen Organe der Staatsmacht;
    • die Zuordnung ihrer Vollmachten [Verantwortlichkeiten];
    • die Führung bei der Entscheidungsfindung zur Territorialverteidigung in der Eskalationsperiode einer militärischen Bedrohung, beim Ent- stehen von Krisensituationen.

Besonders aktuell ist ein stichhaltiger Grundriss zur Schaffung eines kom- plexen Schutzsystems für wichtige Objekte der kritischen Infrastruktur des Staates vor Einwirkungen in allen Sphären in der Periode einer drohenden Aggression, wenn der Gegner versucht, die Lage zu destabilisieren und eine Atmosphäre des Chaos und Führungsverlustes zu schaffen.

 

Diese Frage ist neu in der Theorie und Praxis der Militärstrategie und bedarf der allseitigen wissenschaftlichen Bearbeitung. Im Resultat muss die Theorie Thesen aufstellen und für die Praxis muss ein ausgearbeitetes System des gemeinsamen Einsatzes der Kräfte (Mittel) der verschiedenartigen Behörden entstehen, das die umfassende Sicherheit gewährleistet.

Zur Auseinandersetzung in der informationellen Sphäre

Bis in die jüngste Zeit hat die Militärwissenschaft Fragen eines Streitkräfte- einsatzes in den traditionellen Sphären der Durchführung von Kampfhand- lungen untersucht – auf dem Land, in der Luft, auf See.

Die Analyse des Charakters der gegenwärtigen Kriege zeigte die wesentliche Zunahme der Bedeutung der informationellen Sphäre11. Die neue Realität der Kriege der Zukunft schließt dabei die Übertragung der militärischen Hand- lungen insbesondere auf diese Sphäre ein. Die Informationstechnologien ent- wickeln sich, dem Anschein nach, zu den perspektivreichsten Waffenarten.

Obwohl die informationelle Sphäre keine klaren nationalen Grenzen besitzt, schafft sie die Möglichkeit, auf Distanz und gedeckt nicht nur auf wichtige informationelle, kritische Infrastruktur einzuwirken, sondern auch auf die Bevölkerung des Landes, die unmittelbar den Zustand der nationalen Sicher- heit beeinflusst. Insbesondere deshalb ist die Überarbeitung von Fragen zur Vorbereitung und Führung der Handlungen mit informationellem Charakter die wichtigste Aufgabe der Militärwissenschaft.

Die digitalen Technologien, Roboterisierung, unbemannte Systeme, der FEK [Funkelektronische Kampf] – alles das gehört auf die Tagesordnung der Entwicklung der Militärwissenschaft, darunter in der Militärstrategie.

Zur Erhöhung der Kampfkraft der Streitkräfte der RF

Zur prioritären Richtung der Militärstrategie gehören die Untersuchungen zu den Fragen der Erhöhung der Kampfkraft der Streitkräfte der RF. Diese wird bestimmt durch den zahlenmäßigen und qualitativen Bestand der Streitkräfte, ihre Auffüllung und technische Ausstattung, durch den moralisch-psycholo- gischen Zustand, durch den Ausbildungsstand, die Gefechtsbereitschaft und die Kampffähigkeit der Truppen und Kräfte.

Gegenwärtig wird das Programm zur Auffüllung der Streitkräfte mit Zeit- soldaten [auf Vertragsbasis] planmäßig verwirklicht. Zum Jahresende 2025

 

 

 
   

 

  1. Vgl. ähnlichen Begriff Cyber- und Informationsraum.

 

wird die Anzahl von 475.000 Militärangehörigen erreicht. Dabei wird der Bedarf für die Einberufung von Bürgern zum Wehrdienst reduziert.

Jetzt ist das Offizierskorps der Streitkräfte mit ausgebildeten professionellen Kadern ausgestattet.

Kampferfahrung besitzen alle Befehlshaber der Militärbezirke, Befehlshaber der allgemeinen Vereinigungen12, der Vereinigungen der LSK/LV13 und 96 Prozent der Kommandeure der allgemeinen Truppenteile und Verbände14.

Alle Teilstreitkräfte und Waffengattungen der Streitkräfte der RF entwickeln sich ausgewogen und werden rechtzeitig mit modernen Waffentypen ausge- rüstet. Merklich veränderte sich die nukleare Triade, die eine Schlüsselrolle bei der Erhaltung der strategischen Parität einnimmt. Der Anteil an moderner Bewaffnung bei Kernwaffen erreichte 82 Prozent unseres Arsenals.

Auffallend ist das Anwachsen des Standes der operativen und Gefechtsaus- bildung der Truppen und Organe der militärischen Führung. Ihre Gefechts- möglichkeiten haben sich qualitativ verändert.

Überraschende Überprüfungen in der Gefechtsbereitschaft bestätigten die Fähigkeit der Truppen und Kräfte, über große Entfernungen die Verbände und Truppenteile operativ zu verlegen und die Gruppierungen in den strate- gischen Richtungen zu verstärken.

Eine traditionell wichtige Richtung besteht in der Vervollkommnung des Systems der ideologischen und psychologischen Standhaftigkeit der Bevöl- kerung und in erster Linie der Militärangehörigen. Insbesondere mit diesem Ziel wurde in den Streitkräften das System der militärpolitischen Arbeit wiederhergestellt.

Zum Zusammenwirken des Verteidigungsministeriums mit dem VIK [Verteidigungsindustrie-Komplex]

Eine wichtige Entwicklungsrichtung der Militärstrategie und Aufgabe der Militärwissenschaft ist die Suche nach einem neuen Herangehen an die Ent- wicklung der Verbindung zwischen der Militärstrategie und der Wirtschaft. Zur Vorbereitung der Ökonomie des Landes auf die Lösung von Verteidi- gungsaufgaben ist die Strategie aufgerufen, auf folgende Fragen Antwort zu geben.

 

 
   

 

  1. Armee.
  2. Luftstreitkräfte und Luftverteidigung.
  3. Regiment, Brigade und Division.

 

Auf welchen möglichen Krieg und in welchen Richtungen ist die Wirtschaft vorzubereiten? Wie ist die Überlebensfähigkeit und Standhaftigkeit sicherzu- stellen? Wie sind Wirtschaftsobjekte bezüglich des Schutzes unterzubringen?

Die These eines klassischen vaterländischen Militärstrategen, des Brigade- kommandeurs ALEXANDER SWETSCHIN, „die Ökonomie vermag es, sich dem Charakter der Kampfhandlungen unterzuordnen“, geäußert von ihm vor fast 100 Jahren, wird zur objektiven Realität.

Anzumerken ist, dass gegenwärtig nicht wenig getan wurde durch die gemeinsamen Anstrengungen des Verteidigungsministeriums und des VIK15. Vor allem wurde ein effektives System des Zusammenwirkens ausgebaut. Die wissenschaftlichen und Forschungsorganisationen beteiligen sich auf der Basis der Analyse von Erfahrungen aus den Kampfhandlungen an der Formulierung der Anforderungen an die Bewaffnung und kontrollieren deren Realisierung auf allen Entwicklungsetappen – vom Entwurfsprojekt bis zur staatlichen Erprobung.

Auf der Grundlage einer prognostischen Sicht auf künftig mögliche Kriege bestimmt die Militärwissenschaft, wie perspektivische Typen der Bewaff- nung und Militärtechnik zu gestalten sind. Militärwissenschaftler führen vor- ausschauende Untersuchungen zur Begründung der Formen und Methoden ihres Einsatzes durch.

Aufgrund der Kompliziertheit [Komplexität] der modernen Bewaffnung ist mit deren kurzfristiger Produktion nach dem Beginn von Kampfhandlungen nicht zu rechnen. Deshalb muss alles Notwendige vordem im geforderten Umfang erzeugt werden und noch in Friedenszeit in die Truppe gelangen. Wir müssen mit aller Kraft die technische, technologische, organisatorische Überlegenheit gegenüber einem beliebigen potenziellen Gegner gewähr- leisten.

Diese Forderung muss zum Schlüssel werden bei der Aufgabenstellung an den VIK für die Entwicklung neuer Typen der Bewaffnung. Das erlaubt den Betrieben eine langfristige Planung durchzuführen. Die wissenschaftlichen Organisationen erhalten Orientierungspunkte für die angewandte und Grund- lagenforschung in der Militärwissenschaft.

 

 

 

 

 

 
   

 

  1. VIK – Verteidigungsindustrie-Komplex. Dazu im Vgl.: MIK – Militär-Industrie-Komplex.

 

Zu den Hauptaufgaben der Militärwissenschaft und deren Lösungswegen

Hauptsache für die Militärwissenschaft ist eine der Praxis zuvorkommende, ununterbrochene, zielgerichtete Durchführung von Forschung zur Bestim- mung des möglichen Charakters militärischer Konflikte, zur Ausarbeitung der Formen und Handlungsmethoden sowohl militärischen als auch nicht- militärischen Charakters sowie die Bestimmung der Entwicklungsrichtungen der Waffensysteme und Militärtechnik.

Außerordentlich wichtig ist die operative Überführung der Ergebnisse der angewandten und Grundlagenforschung in die Truppenpraxis.

Diese Aufgaben sind vorrangig von dem militärisch-wissenschaftlichen Komplex der Streitkräfte zu lösen. In den zurückliegenden Jahren erreichte der militärisch-wissenschaftliche Komplex bestimmte Erfolge. Z. B. wurde im Rahmen der vom Generalstab gestellten wissenschaftlichen Forschungs- aufgaben ein System von Ausgangsangaben für die militärische Planung in der folgenden, mittelfristigen Periode (in den Jahren 2021 bis 2025) vor- bereitet. Dieses System ist Grundlage für die Präzisierung und Erarbeitung der Dokumente des Planes der Landesverteidigung für die neue Periode.

Unsere Militärwissenschaft zeichnete sich immer durch die Fertigkeit aus, zu beobachten und Probleme in der Etappe ihres Entstehens aufzudecken sowie die Fähigkeit, diese operativ zu bearbeiten und Lösungswege zu finden.

Ende des Übersetzungstextes.

Übersetzer: Dr. rer. mil. Rainer Böhme, Oberst a. D. Dipl.-Ges. Jörg-Uwe Laasch, Oberst a. D.

Redaktionsschluss 23. März 2019