Gefährliche Nähe

Die AfD und Putins Russland

von Ulrich Stoll[1]

„Angesichts verzerrter und parteiischer Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt wollen wir uns ein eigenes Bild von der Lage machen und die humanitäre Situation begutachten.“ [2]Das schrieb der sachsen-anhaltinische AfD-Landtagsabgeordnete Hans Thomas Tillschneider am 19. September 2022, als er sich mit einer fünfköpfigen AfD-Delegation bereits auf dem Weg in den russisch besetzten Donbass befand. Ein Machtwort von AfD-Chef Chrupalla war nötig, um seine Parteifreunde zur Umkehr zu bewegen. Die AfD-Delegation aus Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalenhätte wohl dem Putin-Regime -wie vor ihnen schon Andere in vergangenen Jahren- als Propagandahilfe bei sogenannten Referenden genutzt. Die deutschen Politiker sollten offenkundig die Rechtmäßigkeit der Abstimmung und damit die Legitimität des Anschlusses von Staatsgebiet der Ukraine an Russland bestätigen. Tillschneider, der dem rechtsextremen „Flügel“ der AfD zugerechnet wird, hat wie andere AfD-Politiker in der Vergangenheit seine Verbundenheit mit dem Putin-Regime mitgeteilt: „Das russische Volk mit seiner bodenständigen Art, seiner reichen Nationalkultur, seinen Werten und der auf dieser Grundlage gedeihenden Politik ist mir näher als die Dekadenz, die sich in den USA ausbreitet. #Putin statt #BLM und #Genderwahnsinn.“[3]

Auch bei den früheren manipulierten Referenden und Wahlen im Donbass und auf der Krim waren AfD-Politiker als Wahlbeobachter in die besetzten Teile der Ukraine gereist. Gunnar Lindemann, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, bestätigte zu den Wahlen im Don bass im Jahr 2018: „Die Wahllokale, die ich besucht habe, da ist die Wahl aus meiner Sicht vernünftig und ordnungsgemäß abgelaufen. Es konnten alle Menschen wählen, egal, ob sie Donezk er Pässe hatten, egal, ob sie Ukrainer Pässe hatten.“[4]

Noch nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 blieben Fad-Politiker bei ihrer prorussischen Haltung. „Es darf in diesen Tagen aber nicht unser Ziel sein, den einen Schuldigen auszumachen“, sagte Fad-Chef Tino Chrupalla in einer Bundestagsrede drei Tage nach dem russischen Angriff. „Wir dürfen gerade in diesen Tagen Russlands Beitrag für Deutschland und Europa eben nicht vergessen.“[5]

Als sich die Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages erhob, um dem per Video zugeschalteten ukrainischen Präsidenten Selenski zu applaudieren, blieb ein AfD-Abgeordneter demonstrativ sitzen: Robert Farle, früherer Funktionär der moskautreuen DKP. Er verbreitete nach Kriegsbeginn -wie andere in der AfD auch - das Narrativ vom Westen als Kriegstreiber gegen Russland: „Die Medienmacher, die in den letzten zwei Jahren vor allem eine Angst-Panikmache betrieben haben, wollen uns jetzt in einen Konflikt mit Russland aufhetzen... Putin zum alleinigen Sündenbock und Kriegstreiber darzustellen, reicht als Erklärung für diesen komplexen Konflikt nicht aus.“[6]

 

AfD: von Anfang an pro-russisch

 

Wie kam die rechtspopulistische bis rechtsradikale Partei dazu, sich gegen westliche Werte und auf die Seite des Putin-Regimes zu stellen? Im Herbst 2014 lud die russische Botschaft in Berlin Alexander Gauland zu einem vertraulichen Gespräch ein. Gauland war damals Spitzenkandidat der AfD bei der Landtagswahl in Brandenburg.[7]Er reiste im Oktober 2015 in Begleitung des Chefs der Jungen Alternative, Markus Frohnmaier, nach St. Petersburg, eingeladen vom Oligarchen Konstantin Malofejew. Malofejew nennt sich einen „orthodoxen Monarchisten“ und ist Inhaber des Investmentfonds "Marshall-Capital".[8]Malofejew, der Wladimir Putin als „von Gott gesandt“ betrachtet,[9]beschäftigte zeitweise den rechtsextremen Vordenker Alexander Dugin als Moderator seines TV-Senders „Tsargrad“, der die Idee eines russisch dominierten Eurasiens propagiert. „Ich verachte dieses liberale und bourgeoise Europa, dieses entartete, politkorrekte-Pseudo-Europa“, erklärte Dugin gegenüber dem ZDF. „Das ist ein Europa, das sehenden Auges seine Kultur und Identität verliert.“[10] Rhetorik, die an Statements von AfD-Politikern erinnert. Die USA hatten daher 2014, nach der Okkupation der Krim und des Donbass, Sanktionen gegen Malofejew verhängt und betrachten den Oligarchen als einen der Hauptfinanziers der prorussischen Separatisten in der Ost-Ukraine.[11]

 

Gaulands Besuch beim sanktionsbelasteten Oligarchen und dessen Chefideologen Dugin wurde seinerzeit von den Gastgebern als klares Zeichen gegen westliche Werte gewertet, ähnlich wie es auch Tillschneider in seiner Twitternachricht von 2021 zum Ausdruck brachte. „Ich glaube, die Auftritte Doktor Gaulands signalisieren, dass Deutschland wieder zu Deutschland wird, so wie Russland unter Putin wieder Russland wird“, sagte Malofejew damals.[12]Gauland bestätigte gegenüber dem ZDF, dass die russische Seite seinen Besuch in St. Petersburg finanzierte.[13] Er reiste im Januar 2018 erneut nach Moskau, zum Gedankenaustausch mit dem Vize-Vorsitzenden des Duma-Ausschusses für internationale Angelegenheiten, Leonid Slutzky, begleitet von seiner Parteifreundin Beatrix von Storch.[14]Auch die damalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry flog mit zwei Begleitern im Februar 2017 auf Kosten der russischen Gastgeber nach Moskau – Kosten rund 25.000 Euro.[15]Die zahlreichen Reisen von AfD-Politikern als „Wahlbeobachter“ bei der russischen Präsidentschaftswahl oder bei manipulierten Abstimmungen im Donbass und auf der Krim sollen ebenfalls von russischen Gastgebern bezahlt worden seien.

 

In ihrem aktuell noch gültigen, im Mai 2016 beschlossenen Grundsatzprogramm bekennt sich die AfD zwar zur NATO als Verteidigungsbündnis und zur „Demokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit sowie sozialer Marktwirtschaft“, fordert aber ein besseres Verhältnis zu Russland:

„Der `Kalte Krieg´ ist vorbei. Die USA bleiben unser Partner. Russland soll es werden. Die AfD setzt sich deshalb für ein Ende der Sanktionen und eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland ein.“[16]An diesem Kurs gegen die Sanktionen, die 2014 und 2022 vom Westen verhängt wurden, hält die AfD bis heute fest.

 

Es gibt ideologische Schnittmengen zwischen der AfD und den Repräsentanten des Putin-Regimes: Intoleranz gegen Minderheiten wie Homosexuelle, Ausländerfeindlichkeit, der Einsatz für die christlich geprägte traditionelle Familie, die Idee mächtiger Nationalstaaten, die Ablehnung der US-amerikanischen Dominanz im Westen - all das vereint Rechte in Deutschland und Russland. Bekannt ist, dass die russische Regierung rechtsextreme Parteien in Westeuropa auch finanziell unterstützt. So erhielt der französische Front National 2014 ein Darlehen über 9 Millionen Euro von einer tschechisch-russischen Bank. Putin empfing 2017, kurz vor der französischen Präsidentschaftswahl, FN-Chefin Marine Le Pen demonstrativ im Kreml.[17]

Im Europaparlament habe der FN nach Erhalt des Kredits mehrfach im Sinne Russlands abgestimmt. Das stellte der ungarische Think Tank Political Capital in einer Studie fest.[18]

 

Bislang kann jedoch nicht belegt werden, dass auch die deutsche Rechte größere Geldmengen aus Russland erhielt, die über die Reisekosten von AfD-Funktionären nach Russland hinausgehen. In der AfD kursieren zwar Gerüchte über einen angeblichen Geldkoffer, der einem AfD-Politiker bei einem Besuch der besetzten Krim überreicht worden sein soll. Doch den Beweis bleiben die angeblichen Zeugen bis heute schuldig.

 

Eine publizistische Nähe ist jedoch offenkundig. Kurz nach den ersten fremdenfeindlichen Perica-Demonstrationen im November 2014 ging der staatlich kontrollierte russische Sender „Russia Today (RT) deutsch“ online. RT deutsch übertrug Pegida-Demonstrationen live im Internet. Auch Politiker der 2013 gegründeten AfD wurden häufig als Experten in Sendungen von „RT deutsch“ eingeladen. Für die russische Propaganda waren die neuen rechten Gruppierungen in Deutschland willkommene Partner, um westliche Werte infrage zu stellen und Europa zu spalten.

 

Der Fall Frohnmaier: „Absolut unter Kontrolle“

 

Der heutige Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier pflegt offenbar besonders innige Beziehungen zu Putins Russland. Frohnmaier, damals Vorsitzender der Jungen Alternative (JA), besuchte im April 2016 die russisch besetzte Krim. Wenige Tage zuvor war er in einem Berliner Lokal bei der Gründung des „Deutsche Zentrums für Eurasische Studien“ dabei. Zu dessen Vorsitzendem wurde Manuel Ochsenreiter gewählt, zum Stellvertreter der polnische prorussische Politiker Mateusz Piskorski.  Ziel des Vereins ist offiziell die „Durchsetzung der Menschen- und Bürgerrechte“. Tatsächlich organisierte Ochsenreiters Verein mehrfach Besuche rechter Politiker in russisch besetzten Territorien. Von Ochsenreiter wird später noch die Rede sein. Piskorski wurde in Polen wenige Tage nach der Vereinsgründung wegen des Verdachts der Spionage festgenommen und drei Jahre später auf Kaution freigelassen.[19]

Markus Frohnmaier lud am 16. Juli 2016 zum JA-Bundestreffen nach Bingen ein. Neben Vertretern rechter europäischer Jugendorganisationen wie der Schwedendemokraten fiel ein Teilnehmer auf: Nikolaj Schljamin, Vorsitzender der Putin-nahen „Vereinten Jungen Front“ (OMF). Schljamin trug das AfD-Zeichen am Revers und lobte die Partei: „Mir gefällt an der AfD, dass sie aktuelle Themen der deutschen Gesellschaft anspricht, auch was die außenpolitischen Beziehungen betrifft“, sagte Schljamin damals im ZDF. „Die AfD bietet aus unserer russischen Sicht wirklich eine alternative Sicht an, anders als alle traditionellen europäischen Kräfte.“[20] Auch JA-Chef Frohnmaier betonte auf der Tagung gemeinsame Werte von AfD und OMF wie die „klassisch bürgerliche Familie“.[21]

Ein knappes Jahr später, im April 2017, wurde Frohnmaier Objekt einer gezielten Operation des Kremls. Frohnmaier war damals AfD-Kandidat für den Deutschen Bundestag. Petr Premyak, ein früherer Offizier des russischen Geheimdienstes und damals Mitarbeiter eines Duma-Abgeordneten, schrieb am 3.4.2017 eine E-Mail, die sich wie ein Strategiepapier liest.

Es ist die Rede von „außenpolitischen Maßnahmen“ eines Teams, das Treffen junger russischer Politiker mit Vertretern rechter europäischer Parteien wie der AfD und nationalistischer Gruppen wie Pegida organisieren soll. Ziel sei es, „die Interessen der Russischen Föderation in der Außenpolitik der EU-Länder zu fördern“. Konkret wird die „Organisation von Demonstrationen, Kundgebungen und anderen EU-Ländern“ sowie ein „wirkungsvolles Voranbringen von Resolutionen in den nationalen Parlamenten der Mitgliedsstaaten der EU“ vorgeschlagen, die sich gegen „antirussische Sanktionen“ richten. Ziel sei „die Anerkennung der Krim als Teil der russischen Föderation“.[22]

 

Unter Punkt 4 werden in dem Papier die Wahlen zum Bundestag am 24.9.2017 angesprochen. Es geht speziell um „Kandidat Markus Frohnmaier“. „Chance, in den Bundestag zu kommen: hoch“, heißt es dort. „Erforderlich: Unterstützung der Wahlkampagne. Resultat: Im Bundestag wird es einen Abgeordneten geben, der zu uns gehört und den wir absolut unter Kontrolle haben.“[23]

Die im Papier angekündigte Unterstützung des Wahlkampfs von Frohnmaier findet sich in einem weiteren Dokument, verfasst von Manuel Ochsenreiter wenige Tage nach dem Premjak-Dokument: „Wir planen zwei große Events in der Region Stuttgart“, schrieb Ochsenreiter, „mit dem Wiener Vize-Bürgermeister Johann Gudenus  (FPÖ, stellvertretender Parteiobmann) am 25. August, mit MEP Matteo Salvini (Vorsitzender Lega Nord) und MEP Harald Vilimski (FPÖ) am 15. September.“ Frohnmaier werde sich für „Deutschlands Unabhängigkeit und Souveränität“ und für „gute Beziehungen mit der Russischen Föderation“ einsetzen, so das Papier.[24]

 

Frohnmaier bestreitet, unter Kontrolle des Kremls zu stehen. „Verrückt. Kann ich mir nicht vorstellen, dass so was geschrieben worden ist“, sagte er gegenüber dem ZDF-Magazin Frontal. „Ich bin hier angetreten, um deutsche Interessen zu vertreten. Das mache ich auch. Jeder, der meine Anträge, Initiativen sieht, der kann das auch nachverfolgen.“ Er habe nie Unterstützung finanzieller oder medialer Art von russischer Seite erhalten.[25]

 

Doch eine Nähe ist offenkundig. Im März 2018 reiste Frohnmaier, inzwischen Mitglied des Bundestages, begleitet von weiteren AfD-Politikern, nach Russland - als „Wahlbeobachter“ der Präsidentschaftswahl auf Einladung des Kremls. Frohnmaier: „Wir machen uns ein Bild davon, dass alles fair und demokratisch abläuft und sind vor Ort“, twitterte Frohnmaier.[26] Wenige Wochen später reiste der AfD-Politiker auf die besetzte Krim. „Es ist nun mal so, dass die Krim jetzt die russische Krim ist, daran werden auch die Leute, die das sehr kritisch begleiten, nichts mehr ändern können, die Krim kommt nicht mehr zurück“, rechtfertigte er im russischen Staatsfernsehen Putins Annexion der Halbinsel.[27]

 

Frohnmaier war zu dieser Zeit nicht Irgendwer, sondern bis Ende 2016 Pressesprecher der damaligen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry und bis zu seinem Einzug in den Bundestag Pressesprecher von Alice Weidel. Er ist mit der russischen Journalistin Daria Zoj verheiratet, die er bei einem Krim-Besuch kennengelernt haben soll. Zoj arbeitete damals für die regierungsnahe Zeitung Iswestija.

 

Frohnmaiers Mitarbeiter Ochsenreiter: Verdacht auf Terrorfinanzierung

 

Im Mitarbeiterinnenverzeichnis des Deutschen Bundestages, Stand Januar 2019, ist der Publizist Manuel Ochsenreiter als Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier aufgeführt, der Mann, der seit Jahren Propagandafahrten von AfD-Mitgliedern in die russisch besetzten Gebiete der Ukraine organisierte. Ochsenreiter war damals Chefredakteur der rechtsradikalen Zeitschrift „Zuerst“, in der auch Interviews mit AfD-Politikern veröffentlicht wurden. Im Januar 2019 musste er nach fünf Monaten seinen Arbeitsplatz im Bundestag räumen, als bekannt wurde, dass Zeugen eines Strafverfahrens der Staatsanwaltschaft Krakau ihn als Drahtzieher eines Anschlags in der Ukraine bezichtigten.

 

Am 4. Februar 2018 besprühten zwei polnische Rechtsextremisten das ungarische Kulturzentrum im ukrainischen Ushgorod mit Hakenkreuzen und weiteren Parolen, warfen einen Molotowcocktail auf das Gebäude und legten Feuer. Die Tatverdächtigen wurden gefasst. Die Staatsanwaltschaft Krakau schrieb in ihrer Anklageschrift vom 5.11.2018: „Man kann nicht außer Acht lassen, dass Ideengeber und Finanzier des ganzen Unternehmens der deutsche Staatsbürger Manuel Ochsenreiter war.“Einer der in Krakau Angeklagten sagte über ein Treffen mit dem Deutschen aus: „Während dieses Gesprächs schlug ihm Ochsenreiter eine Aktion vor, die das Bandera-Milieu kompromittieren sollte. Ziel sollte die Zerstörung der Fassade des Gebäudes in Ushgorod sein ... Die Kosten der ganzen Aktion deckte Manuel Ochsenreiter, von dem der Beschuldigte 1500 Euro bekam.“ [28]

 

Der Anschlag war nach dieser Aussage also eine False-Flag-Operation, der rechten Ukrainern, vermeintlichen Anhängern des ukrainischen Nationalisten und NS-Kollaborateurs Stepan Bandera, in die Schuhe geschoben werden sollte. Mit dem Narrativ einer angeblich von „Nazis“ beherrschten Ukraine versucht Russland seit Jahren, die demokratisch gewählte ukrainische Regierung zu diskreditieren. Die beiden Tatverdächtigen wurden im März 2020 zu Haftstrafen von drei bzw. zwei Jahren verurteilt.[29]Ähnlich wie bei dieser Aktionversuchte die russische Propaganda 2022 den Angriffskrieg auf die Ukraine zu einer „Entnazifizierungsaktion“ umzudeuten. Die Behauptung, die Ukraine sei faschistisch dominiert, verbreitete die russische Regierung auch schon seit den Euromaidan-Demonstrationen in Kiew ab dem Herbst 2013. 

Der frühere AfD-Mitarbeiter und Putin-Propagandist Ochsenreiter starb am 18. August 2021 in Moskau im Alter von 45 Jahren an einem Herzinfarkt. Er war nach Moskau geflohen, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Die Bundesanwaltschaft ermittelte damals gegen Ochsenreiter wegen des Vorwurfs der Terrorfinanzierung. [30]

Auch Stefan Keuter, AfD-Bundestagsabgeordneter aus Essen, bekannte sich auch nach Ochsenreiters Tod zu dem rechten Publizisten, der von Ermittlern der Terrorfinanzierung verdächtigt wurde.

  mutmaßlichen  finanzier. Ochsenreiter sei ein Freund gewesen, den er noch kurz vor dessen Tod in Moskau besucht habe, bestätigte Keuter dem Online-Medium Zeit Online. Keuter sei in der Legislaturperiode 2017 bis 2021 „über 20mal in Russland gewesen“ und habe Wladimir Putin persönlich getroffen.[31]

Keuter gilt als wichtige Figur in der AfD-Spendenaffäre. Von 2016 bis 2017 organisierten Unbekannte aus dem Ausland bei Landtagswahlen und der Bundestagswahl Wahlkampagnen für die AfD im Wert von mehreren Millionen Euro in Form von Großplakaten und Werbezeitungen. Keuter war Essener AfD-Chef, als der dortige AfD-Landtagskandidat Guido Reil von der Schweizer Werbefirma Goal AG verdeckte Wahlhilfe im Wert von 44.000 Euro erhielt und in Nordrhein-Westfalen das Werbeblatt „Extrablatt“ an Millionen Haushalte verteilt wurde. Am 30. März 2017, einige Wochen vor der Landtagswahl, schrieb der AfD-Wahlkampfleiter in NRW, Andreas Keith, eine E-Mail an den Essener AfD-Chef Keuter: „Wir haben bereits die Zusage, dass vor dem Wahlwochenende, entweder direkt davor oder aber eine Woche vorab ein Extrablatt in Höhe von 4,1 Millionen Stück landesweit erscheinen wird“. Neben den Großplakaten in Essen werde es somit eine „flächendeckende“ Werbung geben. Keuter sagt, er kenne die Mail nicht und habe nicht vorab von der Verteilung der Extrablätter gewusst. Der damalige Kassenwart der Essener AfD, Klaus Kirchner, erklärte jedoch an Eides statt, Keuter habe auf einer Vorstandssitzung des Kreisverbandes vor der NRW-Landtagswahl gesagt, dass in den Haushalten von Essen „eine Zeitschrift mit dem Namen Extrablatt verteilt“ werde und „auch die würde von den Sponsoren finanziert“.[32]

 

AfD: ungeklärter Geldfluss aus dem Ausland

 

Die Geldflüsse aus dem Ausland über die Goal AG wurden durch einen deutschen „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit“ getarnt, der offiziell verantwortlich für die Werbekampagnen war, tatsächlich aber bei der Organisation und Finanzierung der Kampagnen keine Rolle spielte. Die Goal AG präsentierte Listen mit deutschen Spendern, die sich jedoch als Strohleute erwiesen. Bislang konnte nur der in der Schweiz lebende deutsche Immobilienmilliardär Henning Conle als Finanzier eines Teils der Spenden identifiziert werden. Mögliche weitere Sponsoren für Großplakate und Werbezeitungen wie den „Deutschlandkurier“im Wert von mehreren Millionen Euro blieben bis heute im Dunkeln. Der Schweizer Werbefachmann Alexander Segert und seine Firma Goal AG spielen eine Schlüsselrolle und organisierten Plakatkampagnen im Wert von Millionen Euro. Ob auch prorussische oder gar russische Spender hinter dem Geldfluss aus der Schweiz stehen, kann bisher nicht belegt werden. 

 

Festzuhalten bleibt, dass Russland nach der Besetzung der Krim und der ostukrainischen Gebiete großen Aufwand betrieb, um die Legitimierung der russischen Eroberungen voranzutreiben und westliche Regierungen zu delegitimieren, indem das Putin-Regime rechtsextreme Parteien in Europa unterstützte, die die Erzählung von dekadenten und korrupten Westen gegenüber einem christlich-konservativen Russland verstärkt verbreiten sollten. Laut einem US-Geheimdienstbericht aus jüngster Zeit, den die Washington Post zitiert, soll Russland seit 2014 über 300 Mio. US-Dollar aufgewendet haben, um politische Prozesse in anderen Ländern zu beeinflussen.[33]

Inzwischen hat die AfD mit dem Protest gegen die Sanktionen des Westens gegen Russland, die sie für Inflation und hohe Energiepreise verantwortlich macht, ein neues populistisches Thema gefunden. AfD-Rechtsaußen Björn Höcke gab am 3. Oktober den Ton vor, indem er die USA als „raumfremde Macht“ und Russland als „natürlichen Partner Deutschlands“ bezeichnete, weil angeblich „die Deutschen und die Russen eine ähnliche seelische Prägung haben.“[34]Und AfD-Chef Tino Chrupalla erklärte bei der AfD-Demonstration am 8.10.: “Bundeswirtschaftsminister Habeck hat Russland den Wirtschaftskrieg erklärt. In Wirklichkeit führt er diesen Krieg gegen unsere Bevölkerung, gegen unser eigenes Land.”[35]Die AfD macht den Westen zum Kriegschuldigen und schafft so ein prorussisches Narrativ, das den Zweck hat, die deutsche Gesellschaft zu spalten – ganz im Sinne des Putin-Regimes.

 

 

 


[1]Der Autor: Ulrich Stoll ist Redakteur des ZDF-Magazins Frontal mit den Schwerpunkten Extremismus, Nachrichtendienste und Innenpolitik. Seit 11.10.2022 ist in der ZDF-Mediathek die Dokumentation „Die Schattenspender der AfD. Verdeckte Wahlhilfe aus der Schweiz“ (https://www.zdf.de/politik/frontal/die-schattenspender-der-afd-dokumentation-zdfinfo-100.html) von Marcus Bensmann (Correctiv) und Ulrich Stoll verfügbar. Stoll ist mit Arndt Ginzel und Joachim Bartz Autor der ZDF-Dokumentation „Putins geheimes Netzwerk. Wie Russland den Westen spaltet“ vom 4.10.2016 (https://vimeo.com/185637693).

[2]Twitteraccount von H.-Th. Tillschneider, 19.9.2022. twitter.com/P_Plattform/status/1571881621250252801

[3]Twitteraccount von H.-Th. Tillschneider, 10.3.2021, twitter.com/P_Plattform/status/1369635804117671937

[4]ZDF Frontal 29.3.2022

[5]Bundestagsdebatte 27.2.2022

[6]Twitteraccount von Robert Farle, 13.3.2022, twitter.com/robert_farle

[7]Vgl. Die Welt 12.9.2014, „Was hat der AfD-Vize mit den Russen“, S. 8

[8]Vgl. Der Spiegel 18.12.2015, www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-vize-alexander-gauland-will-kein-geld-von-russland-a-1067703.html

[9]Interview mit Malofejew in „Putins geheimes Netzwerk“, ZDF 4.10.2016

[10]Dugin-Interview in “Putins geheimes Netzwerk”, ZDF 4.10.2016.

[11]Vgl. FAZ 12.3.2016, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/oligarch-malofejew-sehnt-nach-neurussischen-reich-14118520.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

[12]RND 7.4.2022, https://www.rnd.de/politik/afd-soll-kontakte-zu-russischem-oligarchen-malofejew-halten-im-visier-der-usa-HZIOX3UVSMROZZ6UBFEJAKHNSQ.html

[13]Vgl. „Putins geheimes Netzwerk“, ZDF 4.10.2016

[14]Vgl. Frankfurter Allgemeine vom 7.2.2018, S. 4

[15]Vgl. Frankfurter Allgemeine, „Petry ließ sich kaufen“, vom 23.5.2018, S. 2

[16]https://www.afd.de/grundsatzprogramm/

[17]Süddeutsche Zeitung 22.2.2017, https://www.sueddeutsche.de/politik/russland-und-der-front-national-analyse-le-pens-draht-nach-moskau-1.3387671

[18]Vgl. „From Paris to Vladivostok”, Budapest, Dezember 2015, www.politicalcapital.hu/wp-content/uploads/PC_Study_Russian_Influence_France_ENG.pdf

[19]Vgl. The Guardian 19.5.2016, www.theguardian.com/world/2016/may/19/poland-detains-pro-kremlin-party-leader-mateusz-piskorski-spying

Vgl. Gazeta Wyborca 15.5.2019, wyborcza.pl/7,75398,24787888,po-blisko-trzech-latach-mateusz-piskorski-wychodzi-z-aresztu.html

[20]Interview Schljamin, in: „Putins geheimes Netzwerk“, ZDF 4.10.2016

[21]Interview Frohnmaier, ebd.

[22]Das sechsseitige Papier mit dem Titel „Die außenpolitischen Aktivitäten des Teams“ liegt in russischem Original dem Autor vor und wurde vom Document Center London zur Verfügung gestellt, das vom Kremlkritiker Michail Chodorkowski finanziert wird.  Das Papier ist Anlage einer E-Mail vom 3.4.2017 von Petr Premjak an Sergej Sokolow, Abteilungsleiter für Außenpolitik in der Präsidialadministration.

[23]Ebd. S. 6

[24]Das Papier mit dem Titel „Frohnmaier election campaign/action plan“ liegt dem Autor im englischen Original vor. Es wurde von der BBC aus einer vom Document Center unabhängigen Quelle erlangt. Johann Gudenus war 2015 Wahlbeobachter des Referendums auf der besetzten Krim und wurde durch das „Ibiza-Video“ bekannt, in dem er und FPÖ-Politiker Hans Christian Strache eine angebliche russische Oligarchin Staatsaufträge versprachen. Gudenus und Strache waren 2014 auf einer von Malofejew organisierten Tagung, vgl. Die Welt 21.5.2019, www.welt.de/politik/deutschland/article193907319/Ibiza-Affaere-zeigt-wie-FPOe-seit-Jahren-auf-Putins-Russland-baut.html

[25]Vgl. ZDF Frontal 7.4.2019

[26]Markus Frohnmaier auf Twitter 18.3.2018, twitter.com/Frohnmaier_AfD/status/975343740935114752/photo/1

[27]Markus Frohnmaier am 20.4.2018, zitiert in ZDF Frontal 7.4.2019

[28]Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Krakau II L 1558 18/P vom 5-.22.2018, S. 43 und S. 26.

[29]Vgl. Radio Free Europe 24.3.2020, www.rferl.org/a/polish-court-convicts-three-men-for-torching-hungarian-center-in-ukraine/30505582.html

[30]Vgl. Zeit Online „Aber unsere Liebe nicht“ vom 9.5.2022, www.zeit.de/2022/19/afd-russland-krieg-manuel-ochsenreiter

[31]Ebd.

[32]Vgl. correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2019/05/14/wir-haben-bereits-die-zusage/

[33]Vgl. Washington Post 13.9.2022, www.washingtonpost.com/national-security/2022/09/13/united-states-russia-political-campaign/

[34]Vgl. www.youtube.com/watch

[35]Zitiert nach ZDF Frontal am 18.10.2022, www.zdf.de/politik/frontal/frontal-vom-11-oktober-2022-102.html