Angriffe auf die Friedensordnung

Der Westen und die Brandstifter auf dem Balkan

Von Marion Kraske[1]

Auf dem Balkan mischt eine unheilige Allianz von serbischen und kroatischen Nationalisten die Region gefährlich auf: Im Zentrum der Aktivitäten steht insbesonderedas fragile Bosnien und Herzegowina. Unterstützung finden die Brandstifter beim russischen Präsidenten Wladimir Putin. Westliche Akteure, allen voran die USA, setzen auf einen gefährlichen Appeasement-KursunterDuldung der Berliner Ampelkoalition. Der Deutsche Christian Schmidt im Amt des Hohen Repräsentanten stützt die Nationalisten und vertieft die politische Krise im Land.

Es sind eben diese Auftritte, die ganz nach Milorad DodiksGeschmack sind , dem starken Mann im serbischen Teil von Bosnien-Herzogowina: Ein fester Händedruck unter Männern, ein tiefer Blick, dazu die klare Ansage des Kreml, dass man unverrückbar an der Seite des bosnischen Serbenführers stehe. In den vergangenen Monaten weilte Dodik des Öfteren in Moskau, wo er sichmit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin traf. Die Zusammenarbeit mit Putin erachte er als „Hauptpriorität“, betont Dodik. Im Oktober 2022 war ertrotz massiven Wahlbetrugs zum Präsidenten der RepublikaSrpska, dem serbisch dominierten Landesteil Bosnien und Herzegowinas, erklärt worden.

Der Kremlchef seinerseits, weiß, was er an dem polternden bosnischen Politiker hat: Dodik spielt für Moskau eine entscheidende Rolle, um – neben dem Angriff auf die Ukraine - die zweite Bühne zur Destabilisierung Europas zu bespielen: Das Zündeln auf dem Balkan.

Mit expliziter Rückendeckung durch Russland droht Milorad Dodik immer unverhohlener mit Sezession: Die Republika Srpskasolle, so das erklärte Ziel, aus dem bosnischen Staatsverbandherausgelöst werden und sich mit Serbien vereinen. Den bosnischen Gesamtstaat verhöhnt Dodik wie kein zweiter Politiker, und das, obwohl er bis zum Wahlabend am 2. Oktober2022 Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums war. Eine Kuriosität, die ihresgleichen sucht: Ein Präsident, der danach trachtete, den Staat, den er repräsentierte, zu zerstören.

Dodik bezeichnet die bosnische Hauptstadt Sarajevo als „Teheran“. Er verachtet Muslime, die in Bosnien die Bevölkerungsmehrheit stellen, er perforiert gezielt die staatlichen Institutionen. Um die Auflösung des staatlichen Systems voranzutreiben, gründete er zuletzt in derRepublika Srpska eigenständige Institutionen, etwa eine parallele Medizinagentur. Dies wäre in etwa so, als würde ein deutsches Bundesland gesamtstaatliche Aufgabeneigenmächtig auf die Länderebene verlegen.

„Serbische Welt“-Ideologie gestützt von Moskau und Belgrad

Das Ziel dieser gegen den bosnischen Staat gerichteten Aktivitäten, so wird es von Dodiks Partei SNSD proklamiert, ist eine ethnische „Vereinigung“ der Serben, die Schaffung einer serbischen Welt, „SrpskiSvet“. De facto handelt es sich hierbei um die Wiederbelebung der Ideologie zur Schaffung eines Groß-Serbiens, auf dessen Grundlage der einstige Machthaber Serbiens, Slobodan Milosevic, den Südosten Europas in den 90er Jahren in Schutt und Asche legte. Im Kontext dieser groß-serbischen Ideologie wurden in Srebrenica im Sommer 1995 mehr als 8300 muslimische Jungen und Männer von serbischen Einheiten ermordet – ein Völkermord, orchestriert vom damaligen bosnisch-serbischen General Ratko Mladic. Dieser war in diesem Zusammenhangim November 2017 für die Verbrechen vom Internationalen Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Den damaligen Genozid negiert Milorad Dodik, als seien die unzähligen Zeugenaussagen und Verurteilungen nicht existent. Dabei wird Dodik bei seiner Provokationspolitik aufsEngste vom Präsidenten Serbiens, Aleksandar Vucic, unterstützt, der im Innern einen immer autoritäreren Kurs fährt und sich trotz des Angriffskrieges auf die Ukraine unmissverständlich auf die Seite Russlands schlug und Sanktionen gegen Moskau ablehnt. (tut er das in allem??? Waffen,Sanktionen, Energie? Die wollen doch in die EU)Nein wollen sie nicht.!!!!!!!!

Offiziell besitzt Serbienseit 2012 den EU-Kandidatenstatus - doch statt an demokratischen Reformen zu arbeiten, katapultiert Vucic das Land immer weiter weg von demokratischen Standards. Auch wenn der Serbeimmer wieder deklamatorisch erklärt, der EU-Weg werde weiter beschritten, so stellt die Belgrader Führung doch einen wichtigenPlayerauf einer Achse dar, die danach trachtet, die multiethnischen Nachbarstaaten Bosnien und Herzegowina sowie das Kosovoin den jetzigen Grenzen zu zerstören. Dabei wird - vergleichbar dem Muster der Instrumentalisierung der russischen Minderheit in der Ukraine - die serbische Bevölkerung in Bosnien und im Kosovo als Hebel benutzt, um Einfluss zu nehmen und das politische Klima in diesenLändern gefährlich aufzuheizen.

Kroatiens Kriegsziele reloaded

Die zweite Stoßrichtung der innen- und außenpolitischen Angriffe auf die territoriale Integrität Bosniens wird von der radikalen Kroatenpartei HDZ BiH angeführt. Ziel ist die Schaffung einer dritten, kroatisch-dominiertenEntität. Damit soll eine weitereVertiefung des ethnischen Prinzips im Lande erreicht werden, die den Kroaten mehr Einfluss verleihen soll.Kritiker fürchten dadurch eineVertiefung der staatlichen DysfunktionalitätBosniens.

Gestützt werden die Ambitionen der HDZ BiHvon der kroatischen Schwesterpartei in Kroatien, die zugleich Regierungspartei ist. Die Regierung von Premierminister Andrej Plenkovic fokussiert dabei nahezu alle außenpolitischen Anstrengungen darauf,die vermeintlich unterrepräsentierte kroatische Bevölkerungsgruppe in Bosnien und Herzegowina (etwa 15 Prozent) zu nutzen, um den Einfluss in Bosnien auszuweiten.

Dabei hat die Einmischung Kroatiens und Serbiens in Bosniens Innenpolitik eine unrühmliche Vorgeschichte: Beim historischen Treffen von Karadjordjevo einigten sich der verstorbene kroatische Präsident Franjo Tudjman und der serbische Machthaber Slobodan Milosevic 1991 auf die Aufteilung Bosniens. In der Folge wurdenschwere Kriegsverbrechen begangen, um mit bosnischem Territoriumein Groß-Kroatien und Groß-Serbien zu schaffen.

Der in diesem Zusammenhang von den Kroaten ausgerufene ParastaatHerzeg-Bosna samt der seitens kroatischer Militärverbände auf bosnischem Boden verübten Verbrechen wurden vom Internationalen Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien als „Joint CriminalEnterprise“ eingestuft. Die maßgeblichen Drahtzieher dieses Parastaates, Ex-General Slobodan Praljak, beging im Gerichtssaal in Den Haag Selbstmord –wurdezu insgesamt 111 Jahren Haft verurteilt, unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. www.icty.org/en/press/six-senior-herceg-bosna-officials-convicted

Die Achse Belgrad –Zagreb - Moskau

Dieser juristischen Tatsachen ungeachtet, setzt Kroatien auch als EU-Mitgliedseit Jahren alles daran, das Ziel der 90er Jahrezu erreichen: Die Schaffung einerkroatisch dominiertenEinflusszone in Bosnien und Herzegowina. Der kroatische Präsident Zoran Milanovic, der den Genozid an den Bosniaken in Srebrenica leugnet und bagatellisiert, bezeichnet den von Moskau gestützten bosnisch-serbischen Sezessionisten Milorad Dodik, dabei als strategischen Partner Kroatiens. Das Ziel der Aufspaltung Bosniens, das Dodik unverhohlen verfolgt, wird somit ganz offen vom Staatsoberhaupt eines EU-Landes unterstützt.

Nach Berichten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung belegen historische Dokumente, dass der damalige Präsident Kroatiens, Franjo Tudjman, bereits 1991 bei der Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher die Axt an Bosnien legen wollte: Die Grenzen Bosniens seien „geopolitisch absurd“, man müsse das „Problem Bosnien und Herzegowina“ lösen, so lautete Tudjmans Forderung. Trotz der blutigen Bilanz der Tudjmanschen Politik hält Kroatien bis zum heutigen Tag an der feindlichen Agenda gegenüber Bosnien fest.

Wie Serbiens Präsident Vucic setzt auch Zagreb dabei auf die Unterstützung Russlands: Nach einem Treffen zwischen dem kroatischen Außenminister Grlic Radman mit seinemAmtskollegenSergej Lawrow Anfang 2022, erklärte der russische Außenminister, man stehe hinter der kroatischen Agenda und erkenne die „Diskriminierung“ der Kroaten in Bosnien an. Die kroatische Bevölkerungsgruppe wird damit - ähnlich wie die russische Minderheit in der Ukraine durch Moskau - fortgesetzt für die außenpolitische Agenda Kroatiens instrumentalisiert – ohne dass dies bislang auf EU-Ebene problematisiert würde.

Die tatsächliche Diskriminierung: Juden, Roma und BürgerInnen

Tatsächlich sind laut europäischer Rechtsprechung in Bosniens Wahlsystem ganz andere Bevölkerungsgruppen grundlegend diskriminiert: Juden, Roma und BürgerInnen, die sich nicht in die drei dominierenden ethnischen Kategorien einordnen lassen wollen.Die Diskriminierung der sogenannten Anderen (Ostali) wurde mit dem Friedensschluss 1995 festgeschrieben: Als „konstitutive Völker“ genießen Bosniaken, Kroaten und Serben laut dem Friedensabkommen von Dayton (ein Teil des Vertragswerkes fungiert als Verfassung) besondere Rechte: Ihre Dominanz im bosnischen Staatssystem beruht auf dem Primat des Ethnoprinzips, während Minderheiten wie Roma, Juden und auch BürgerInnen benachteiligt werden. Auf dieser Grundlage existiert ein in Europa einmaliges Diskriminierungssystem.

In mehreren Fällen (Sejdic/Finci, Zornic, Pilav, Slaku, Pudaric) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg https://www.hrw.org/news/2019/12/12/bosnia-and-herzegovina-ethnic-discrimination-key-barriergeurteilt, dass die Diskriminierung der Anderen gegen europäisches Rechtbzw.gegen allgemeine Menschenrechte verstößt. Die Gruppe der „Anderen“ besitzt im Wahlsystem Bosniens und Herzegowinas nicht die gleichen Rechte, sie dürfen beispielsweise nicht für das dreiköpfige Präsidialamt kandidieren, das ausschließlich den drei konstitutiven Völkern vorbehalten ist.

Geklagt hatten Jakob Finci, langjähriger Präsident der Jüdischen Gemeinde, und der RomDervoSejdic bereits vor mehr als 13 Jahren. Das Urteil wurde dann im Jahr 2009 gesprochen. Und noch immer wartet der Straßburger Richterspruch auf seine Implementierung. Auch Azra Zornic, eine Rentnerin, die in Bosniens Hauptstadt Sarajevo lebt, lehnt es ab, sich nach ethnischen Kriterien einer Gruppe zuordnen zu lassen. Sie klagte daher in Straßburg als Bürgerin gegen den Staat Bosnien und gewann ebenfalls. Ihr Urteil ist vermutlich das grundlegendstealler gegen Bosnien gefällten Menschenrechts-Urteile: Es zeigt auf, dass das Bürgerprinzip in Bosnien – gleiche Rechte für alle –auf der Grundlage der Dayton-Verfassung weitgehend ausgehebelt wurde. Hier sehen Verfassungsrechtler wie Dr. Nedim Ademovic dringenden Handlungsbedarf, um internationales Recht zu implementieren.

Gegen den „Bürgerstaat“

Seit einigen Jahren mischt sich Kroatien immer rigoroser in die Belange Bosniens ein, vor allem um die Umsetzung der Straßburg-Urteile zu hintertreiben. „Wir werden alles tun, um den Bürgerstaat in Bosnien zu verhindern“, mit diesen Worten machte Außenminister Grlic Radmanvor einiger Zeit in den regionalen Medien klar, was die kroatische Regierung in Bosnien de facto anstrebt: Die Beibehaltung der Ethno-Dominanz der drei konstitutiven Völker, ungeachtet der Tatsache, dass damit rund 10 Prozent der bosnischen Bevölkerung grundlegende Bürgerrechte vorenthalten werden.

Verstärkung erhalten dieseanti-demokratischen Politiken ausgerechnet vom amtierenden Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina, demdeutschen Politiker Christian Schmidt (CSU). Der ehemaligedeutscheLandwirtschaftsminister übernahm das Amt im Sommer 2021. Von den Vereinten Nationen wurde die Institutiondes Hohen Repräsentanten geschaffen, um die Einhaltung des Friedensabkommens zu gewährleisten. Die Nominierung Schmidts hatte bei Balkanexperten jedoch schon unmittelbar nach Bekanntwerden der Personalie für Verwunderung gesorgt: Schmidt galt bereits als Landwirtschaftsminister im Kabinett von Angela Merkel als überfordert und machte mit einem bemerkenswerten Akt von Illoyalität Schlagzeilen: Gegen die Weisung der Regierung Merkel stimmte Schmidt in Brüssel eigenmächtig für die Verlängerung des Unkrautgiftes Glyphosat. Dass Merkel den als sturköpfig geltenden CSU-Politikertrotz des eklatanten Fehlverhaltensin ein derart sensibles Amt, in eines der fragilsten staatlichen Gebilde Europashievte, belegt, wie wenig strategisch die Balkanpolitik unter der Regierung Merkel angelegt war.

Ein Deutscher ohne Kompass im sensiblen Amt

Ohne erkennbare Balkanexpertise und Kompass agiert Schmidt seit seiner Entsendung nach Bosnien denkbar unglücklich: Der CSU-ler folgteauf den feinfühligen österreichischen Diplomaten Valentin Inzko, der das Amt zwölf Jahre lang innegehabt hatte. Schmidt dagegen  zeigte von Amtsbeginn wenig Verständnis für das multiethnische Gesamtgerüstund die komplexe Historie Bosnienund Herzegowinas. Vor allem denhistorischen Verwicklungen (inklusive der begangenen Verbrechen) seitens der Nachbarländer Serbien und Kroatien, die im Bosnienkrieg aktive Kriegsparteien waren, trägt Schmidt kaum Rechnung. Ja mehr noch: Statt die evidenten Einflussnahmen der Nachbarn einzudämmen, werden deren außenpolitische Agenden durch Schmidts parteiisches Agieren noch weiter verstärkt.

Am Wahlabend des 2. Oktober trat Schmidt mit einer ungewöhnlichen Interventionin Erscheinung: Retroaktiv änderte er das bosnische Wahlrecht und beeinflusste damit direkt den Wahlausgang. Von dieser Maßnahmeprofitierte er vor allem dievölkisch-orientierte kroatische HDZ-BiHPartei. Der an der Universität in Trento lehrende Verfassungsjurist Prof. Jens Woelk sieht in Schmidts Agieren einen problematischen Fall von Parteilichkeit: Die für das wichtige Amt des Hohen Repräsentanten im sensiblen bosnischen Kontext notwendige „Äquidistanz“ werde aufgegeben, urteilt der Jurist. Kritiker monieren zudem, dass die Botschaft ausgesendet würde, dass der Westen an der Aufrechterhaltung des Status Quo samt seiner ethno-nationalen Clanstrukturen arbeite und damit eine grundlegende Demokratisierung des Landes aktiv behindere.

Kritik an Schmidt: Schaffung ethnischer Apartheid

Zahlreiche EU-Parlamentarier aus den Niederlanden, Deutschland und Frankreich kritisierten Schmidts Schritt zudem als „undemokratisch“: In einem öffentlichen Schreiben forderten sie Schmidt auf, seine Entscheidungen vom Wahlabend zurück zu nehmen. Die Stimme der bosnischen BürgerInnen sei durch das Einschreiten des Deutschen marginalisiert worden, erklärte die niederländische Grünenabgeordnete TinekeStrik.

Bürger- und MenschenrechtlerInnen werfen Schmidt zudem vor, einer weiteren ethnischen Spaltung des Landes Vorschub zu leisten. Azra Zornic, die Klägerin von Straßburg, sieht in Schmidts Agieren eine nicht akzeptable indirekte Stärkung von Apartheid-Politiken, wie sie die Ethnoparteien HDZ BiHund SNSD betrieben.

Mit ihrer Position stehen die BürgerrechtlerInnen nicht allein: Bei einer Anhörung vor dem Außenausschuss des britischen Parlamentes fanden Ende Januar 2023 mehrere Balkanexperten deutliche Worte der Kritik, darunter der ehemalige Diplomat Anthony Monckton: Die Internationale Gemeinschaft habe mit ihren Politiken, insbesondere auch  Schmidt mit seiner Wahlintervention, „die Nationalisten gestärkt und die moderaten Stimmen geschwächt“.

https://committees.parliament.uk/oralevidence/12617/html/

Transparency International konstatiert: Der Hohe Repräsentant habe mit seinen Interventionen „die politische Krise im Land vertieft“.

Einseitige Wahlrechtsänderungen: Ein Coup kroatischer Außenpolitik

Immer lauter wird zudem die Kritik an Schmidts Nähe zur kroatischen Regierung.

In Schmidts Vita findet sich in diesem Kontext folgende Auffälligkeit: Von der Zagreber Regierung erhielt der CSU-Mann2020 den Ante Starcevic-Orden, den Tudjman Jahre zuvor auch an den späteren Kriegsverbrecher JadrankoPrlic verliehen hatte. Auch das CSU-regierte Bayern pflegt enge Kontakte mit Kroatien: Ministerpräsident Markus Söder verlieh im Juli 2022 dem kroatischen Premierminister Andrej Plenkovic den bayerischen Verdienstorden, in einem Facebook-Eintrag nennt Söder den Kroaten einen „Freund“. Im November 2022 kündigte Söder zudem eine engere Kooperation zwischen Bayern und Kroatien an. So plant das Bundesland vor allem den Kauf vonFlüssiggas.

Schmidts krudes Agieren bei den bosnischen Wahlen lässt das Nahverhältnis der CSU zu Kroatien in einem neuen Licht erscheinen: Werden hier ökonomische Interessen Bayerns in Kroatien bedient und dafür im Gegenzug kroatischeInteressen in Bosnien und Herzegowina erfüllt? Schmidts Agieren im Kontext der Wahlinterventionen erinnert an dubiose Freunderlwirtschaft und CSU-Parteipolitik – dort, wo eigentlich unabhängige und neutrale Professionalität gefragt wäre.

Auffällig ist, dass Schmidt zuletzt immer wieder Interviews gab, in denen nicht zuletzt Unkenntnis über die komplexe Lage im Land durchschien. Immer wieder äußert der Deutsche Verständnis für die Lage der bosnischen Kroaten - ohne auf die grundlegenden Probleme der diskriminiertenMinderheiten-Gruppen einzugehen.

Schließlich erklärte Kroatiens Premier Andrej Plenkovic öffentlich, dass die Wahlrechtsintervention des CSU-Politikers Schmidtam Wahlabend zugunsten der HDZ BiH eine Folge der systematischen kroatischen Lobbyarbeit gewesen sei. Die kroatische Regierung rühmt sich somit öffentlich, dass die durch Christian Schmidt vollzogene Wahlrechtsänderung im Sinne der HDZ BiH ihr Erfolg war.

Schaden für das Amt des Hohen Repräsentanten

Ein Erklärungsansatzfür Schmidts parteiischen Kurs findet sich auch in Brüssel: Die kroatische Regierungspartei HDZ ist Mitglied der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, der auch die CDU/CSU angehören. Hier existiert ein Nahverhältnis zwischen den deutschen Konservativen und den politischen Vertretern Kroatiens. Immer wieder wird in der EVP die vermeintliche „Diskriminierung“ der bosnischen Kroaten als Narrativ bedient, die Straßburger Richtersprüche zur Diskriminierung der Anderen im bosnischen Wahlsystem finden dagegen kaum Erwähnung.

Angesichts der Einseitigkeit des Agierensvon Christian Schmidt sehen politische Beobachter wie die PolitikwissenschaftlerJasmin Mujanovic und Sead Turcalo bereits die Institution des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina nachhaltigbeschädigt. Dies wiegt umso schwerer, als das Amt des Hohen Repräsentanten angesichts der serbischen und kroatischen Interventionspolitiken zur Absicherung des Friedens in Südosteuropa und - nicht zuletzt - für den Erhalt des bosnischen Staates weiterhin als existentiellzu betrachten ist.

Dies ergibt sich nicht zuletzt auch aufgrundder zunehmend aggressivenEinmischung Russlands auf dem Balkan: Mit Nachdruck plädiert Moskaufür eine Abschaffung des Amtes des Hohen Repräsentanten– aus „guten“ Gründen: Die Einflussnahmen und Destabilisierungen könnten ohne eine Instanz wie den Hohen Repräsentanten, ausgestattet mit Vollmachten etwa zur Absetzung obstruierender Politiker, ihre Wirkung weitaus ungehemmter entfalten.

Demokratische Kräfte: Kritik an westlicher Appeasement-Politik

Dervo Sejdic, der in Straßburg gegen den Staat Bosnien geklagt hatte, da ihm laut Dayton-Verfassung als Rom das volle Stimmrecht (keine Kandidatur für das Staatspräsidium) vorenthalten wird, hatte im Sommer 2022 nach Bekanntwerden von Schmidts Überlegungen zur „Wahlrechtsreform“ im Sinne der HDZ BiHzu Protesten gegen die Ethno-zentrierte Politik des Deutschen Politikers aufgerufen.

Ende 2022 forderte der Menschenrechtler vom Hohen Repräsentanten Schmidt nun konkrete Schritte, um endlich die Diskriminierung der Roma, Juden und BürgerInnen zu beseitigen. Nach den Interventionen Schmidts am Wahlabend sei es nun an der Zeit, europäisches Recht auch in Bosnien umzusetzen, so die Forderung. Die Klägerin Azra Zornic kritisiert zudem, dass der Westen ein doppelzüngiges Spiel spiele: Schmidt als Vertreter der Internationalen Gemeinschaft schaffe in Bosnien mit Unterstützung der USA ein „Apartheidsystem“ - und die EU schaue diesem Treibenzu, klagt Zornic. Die USA und Großbritannien hatten die Wahlintervention durch Schmidt ausdrücklich begrüßt.

Auch aus der Republika Srpska, dem serbisch dominierten Landesteil, hagelt es Kritik an der westlichen Bosnienpolitik: Trotz massiven Stimmenklaus zu Lasten der Herausforderin Jelena Trivic, die gegen SNSD-Führer Milorad Dodik angetreten war, habe es keine finale Nachzählung geben, konstatiert die politische Analystin Tanja Topic. Die Internationale Gemeinschaft habe die Stimmenmanipulationen de facto legitimiert. „Hier wurde Wahlbetrug festgeschrieben“, so Topic. Der Westen kapituliere ausgerechnet vor jenem Politiker – Dodik -, derengste Verbindungen zum Kreml unterhalte und von Moskau in seinem Sezessionsbestreben unterstützt werde.

Auch die Bundesregierung steht im Fokus der Kritik: Vertreter der Zivilgesellschaft wie Tihomir Dakic, Präsident desZentrums für Umwelt in Banja Luka konstatiert, dass von einer grünen Bosnienpolitik bislang kaum etwas erkennbar sei. Der neue Balkanbeauftragte der Bundesregierung, Manuel Sarrazin,habe sich ausgerechnet an einem Tag mit Milorad Dodik getroffen, als über massiven Wahlbetrug in der Republika Srpska diskutiert wurde und Dodik die Zentrale Wahlkommission öffentlich angriff. Dakic fragt daher: Wo unterscheide sich derzeit diegrüne Bosnien-Politik vom Kurs von Ex-Kanzlerin Angela Merkel ?

AppeasementverstärktRadikalisierungen der Nationalisten

Die Folge der Politik des Wegschauens, Duldens und fehlgeleiteter Appeasement-Ansätze

seitens westlicher Akteure spiegeln sich seit Jahren in der fortgesetzten Radikalisierung der extremistischen Agenden wider.Wederdie Angriffe der serbisch-nationalistischen SNSD von Milorad Dodik, der immer neue Attacken gegen den bosnischen Staat fährt, noch die Obstruktionspolitik der HDZ BiH mit ihrem Chef Dragan Covic, der in der Debatte um eine Wahlrechtsreform zur Besserstellung der kroatisch-bosnischen Bevölkerung sogar mit der Neubelebung des kriminellen Parastaates Herzeg-Bosna gedroht hatte, nahm die Internationale Gemeinschaft zum Anlass, um adäquate Gegenstrategien zur Eindämmung der Zentrifugalkräfte zu entwickeln.

Ganz im Gegenteil: Der Chef der EU-Delegation in Sarajevo, Johann Sattler, adelte den Nationalisten Covic, der in der Vergangenheit durch seine Nähe zu verurteilten Kriegsverbrechern auffiel, sogar öffentlich, indem er ihn zum „Champion der EU-Integration“ erklärte – ein kaum nachvollziehbarer Akt des Bagatellisierens extremistischer Ideologen, das im Land bitterböse Kommentare zur Komplizenschaft der EU-Delegation mit Antidemokraten hervorrief.

Das Wegducken westlicher Akteure gegenüber Nationalisten und deren kriminellen, korruptenMachtstrukturen gipfelteAnfang Oktober 2022 in den oben ausgeführten Interventionen des Hohen RepräsentantenChristian Schmidt. Schmidts Versagen ist dabei jedoch nur der Kumulationspunkt einer seit Jahren fehlgeleiteten Bosnienpolitik ohne erkennbare strategische Ansätze, die auch Deutschland bis dato nicht auf den Weg brachte.

Statt westliche Werte wie Gleichheit und Freiheit für alle zu befördern, wurde durch dieparadoxe Intervention des CSU-Politikers das Gegenteil bewirkt: Die Zementierung der Machtposition ethno-nationalistischer Kräfte, die das Land und seine Ressourcen seit Jahrzehnten ungehemmt ausplündern, den Rechtsstaat perforieren und grundlegende Freiheitsrechte für alle bekämpfen. Dass auch das grün-geführte deutsche Außenministerium keine Distanzierung zu Schmidts Wahlmanipulationen formulierte, lässt die Werteorientierung der derzeitigen Berliner Bosnienpolitik als leere Worthülse erscheinen.

Vor diesem Hintergrund ist das Versagen des Westens weit reichend. Auffällig ist vor allem das strategische Unvermögen, die eigenen Werte von Demokratie und Rechtstaatlichkeit in die Balkanstaaten zu exportieren und hier – in einer strategischen Partnerschaft mit den DemokratInnen und MenschenrechtlerInnen - zu verteidigen. Das Gegenteil ist der Fall: In einer Art Komplizenschaft werden die korrupten Ethno-Clan-Strukturen eher gestützt denn abgemildert. Mit dramatischen Folgen: Die territoriale Integrität und Souveränität Bosniens ist derzeit so gefährdet wie noch nie seit Kriegsende.

Brandstifter zündeln auch im Kosovo

Doch nicht nur in Bosnien und Herzegowinasind die Brandstifter mit Rezepten der Vergangenheit höchstaktiv: Seit Monaten zündelt der serbische Präsident Aleksandar Vucicmit hybriden Methoden, um mit Kosovo Auseinandersetzungen zuprovozieren. Wie auch in Bosnien und Herzegowina nutzt Serbien, das im engen Austausch mit der Führung in Moskau steht und im Ukraine-Konflikt Sanktionen gegen das Putin-Regime ablehnte, die serbische Bevölkerungsminderheit im Kosovo zur kalkuliertenAufwiegelung – rund um Weihnachten versetzte Vucicdie serbische Armee gar in Alarmbereitschaft.

Es besteht kein Zweifel: Serbien ist trotz intensiver Gesprächsdiplomatie nach wie vor nicht bereit, die Staatlichkeit des Kosovosamt der existierenden Grenzenanzuerkennen. Auch in diesem Kontext hat die Strategie des freundlichen Entgegenkommens seitens der EU und der USAkeine substantiellen Erfolge gebracht, auch hier versuchten Unterhändler bis zuletzt fragwürdige ethno-zentrierte Scheinlösungen zu befördern. So ist die EU-Kommission nachdrücklich bemüht, den kosovarischen Premierminister Albin Kurtidazu zu bewegen, serbisch dominierte Gemeinden zu schaffen. Vucic setzt derweil auf Konfrontation undradikale Eskalation - eine Strategie, die Erinnerungen an die 90er Jahre aufkommen lässt.

Auftrag an Bundesregierung: Demokratisierung, Implementierung von Bürgerrechten

Abschließend muss konstatiert werden: Die Appeasement-Politik des Westens– Deutschland eingeschlossen - gegenüber illiberalen und ethno-nationalistischen Kräften in der Balkanregionmuss als gescheitert angesehen werden: Ex-Kanzlerin Merkel, die diesen Ansatz maßgeblichmit gestaltete, hatte diesen Kurs bis zuletzt beschritten: Bei ihrem Abschiedsbesuch in Belgrad lobte sie den serbischen Präsidenten, er habe seine Versprechen immer „erfüllt“ – deutsche Wahlkampfhilfe für einen immer autoritärer agierenden Machthaber wenige Monate vor den serbischen Präsidentschaftswahlen.

Für die Bundesregierung, vor allem für das grüne Außenministerium unter Annalena Baerbock, gilt es, diesen Kurs nun zu korrigieren. Statt Appeasement von Nationalisten sollte Berlin auf eine unmissverständliche Demokratisierung der Balkanländer setzen.In Bosnien wäre ein erster maßgeblicher Schritt die Implementierung aller Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und die Beendigung der Diskriminierung von Juden, Roma und BürgerInnen. Es gilt, der viel beschworenen Werteorientierungauch in der Balkanpolitik endlich Rechnung zu tragen. Nicht zuletzt, um den gefährlichen Radikalisierungen und Revanchismen in den Balkanstaaten etwas entgegen zu setzen statt sie durch die Weiterführung gescheiterter Politikansätze weiter zu befördern.

 


[1]Politologin, Autorin