Positionen Irans zum Krieg Putins gegen die Ukraine

Von Harald Möller, November 2022

Iran hat von Anfang an die russische Berichterstattung über den Krieg übernommen. Es hat dabei nicht bestritten, dass Putin den Krieg begonnen hat. So erklärte der Ayatollah Khamenei, der religiöse Führer Irans, In einer ersten großen Stellungnahme zum Ukrainekonflikt die USA zum eigentlichen Verursacher des Konfliktes und des Krieges:Die USA seien, behauptete er, im Grunde ein „Mafia-Regime“, eine Regime politischer, wirtschaftlicher und waffenproduzierender  Mafias.

„Diese Mafia-Kartelle und dieses Mafia-Regime brauchen Krisen, um weltweit zu existieren. Deshalb schaffen sie Krisenherde.“ Es seien die USA gewesen, die Daesh (gemeint ist der islamische Staat; ADV) produzierten, die ihr „abgerichteter Hund“ gewesen sei.  „Heute ist meiner Meinung nach auch die Ukraine ein Opfer dieser Politik. Die gegenwärtige Lage der Ukraine ergibt sich aus dieser amerikanischen Politik. Es waren die USA, die die Ukraine an diesen Punkt gezerrt haben. Die Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine, das Organisieren von Kundgebungen gegen Regierungen, das Anzetteln samtener Revolutionen und farbiger Staatsstreiche, die Teilnahme amerikanischer Senatoren an Demonstrationen und das Ersetzen einer Regierung durch eine andere führten naturgemäß zu diesen Krisen.“ Außerdem warnte er davor, den USA zu trauen. In Afghanistan habe sich deutlich gezeigt, dass den USA nicht zu trauen sei. Selbst der frühere afghanische Präsident Karzai – bei Khamenei der „weggelaufene“ Präsident – habe dies mittlerweile eingesehen. Schließlich behauptete er, dass das Kiewer Regime keine Unterstützung im Volk habe. „Wenn das Volk in der Ukraine das Feld betreten hätte“, erklärte er, „dann wären die ukrainische Regierung und das ukrainische Volk heute nicht in dieser Situation.

Diese Positionen wurden in der Folgezeit beibehalten: So erklärte Khamenei laut einer IRNA-Meldung vom 19.6. während einer Zusammenkunft mit dem Präsidenten Kasachstans: „Das Hauptproblem im Fall der Ukraine ist, dass der Westen versucht, die NATO zu entwickeln, und nicht zögern wird, seinen Einfluss auszuweiten, wo immer er kann.“' Außerdem warnte er: „Wir müssen die Dinge genau betrachten und vorsichtig sein, denn Amerikaner und Westler versuchen immer, ihren Einfluss in verschiedenen Regionen, einschließlich Ost- und Westasien, auszudehnen und die Unabhängigkeit und Souveränität der Nationen zu untergraben“.

All dies ist läuft auf eine einfache Wiedergabe und Wiederholung russischer Propaganda hinaus. Übertreibend ließe sich sagen: Khamenei und seine Propagandisten betätigen sich hier als „Papageien“ von Putin.Wie lässt sich diese Politik bewerten und wie erklären?

Die Historie

Zunächst eine Überlegung zur Geschichte der russisch-iranischen Beziehungen, die eine Bewertungsgrundlage legt. In der Zeit zwischen dem Beginn des 19. Jahrhundert und 1859 wurden große Teile der Kaukasusregion, einschließlich des heutigen Staates Aserbeidschan, die Teile des Kadscharenimperiums gewesen waren, von Russland militärisch erobert und annektiert. In den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhundert rückte Russland auch in Zentralasien immer näher an Persien heran und besetzte schließlich große Teile  des heutigen Turkmenistans, die Persiens Kadscharen als Bestandteile ihres  Imperiums gesehen haben.Darüber hinaus schlossen Großbritannien und Russland 1907 einen Vertrag, dessen Ziel darin bestand, die Politiken der beiden Staaten gegenüber Persien abzusprechen, um– so der Vertragstext - „Missverständ-nisse“ zu vermeiden. Faktisch erfolgte eine  Aufteilung des Iran in drei Teile: Einen nördlichen Teil, der russische Einflusszone wurde, einen südöstlichen an Balutschestan angrenzenden Teil, der britische Einflusszone wurde und eine neutrale Zone, die zwischen der russischen und der britischen Zone lag.

Diese Aufteilung Irans war Hintergrund für das, was 1941 geschah. Großbritannien und die UdSSR überfielen Iran in einer militärischen Aktion, und stationierten anschließend größere Verbände auf dem Boden Irans. Legitimiert wurde diese Aktionvon Seiten der UdSSR unter Berufung auf ein „Freundschaftsabkommen“mit Iran aus dem Jahre 1921, das ein Eingreifen der UdSSR in den Iran im Falle einer von dort erfolgenden Intervention gestattete. Es wurde hier aber für ganz andere Zwecke genutzt. Außerdem wurdebehauptet, dass es in Iran eine deutsche 5. Kolonne gebe, die einen Staatstreich vorbereite. Deswegen erfolge – so der heutige Sprachgebrauch: eine „preemptive Aktion“. Anschließend wurde Iran zwischen 1941 und 1945 Teil eines „Korridors“, über den die Alliierten die UdSSR mit v.a.  militärischen Material  versorgten, was wesentlich zum Überleben der UdSSR und dem Sieg im Krieg mit Hitler-Deutschland beitrug. Nach 1945 zog sich die UdSSR nur unter massivem Druck der Westmächte, v.a. der USA, wieder aus Iran zurück. 1979 intervenierte die UdSSR jedoch im iranischen Nachbarland Afghanistan, stürzte die dortige - im Grunde prosowjetische - Regierung und setzte ein ihr absolut höriges Regime ein, das im folgenden Jahrzehnt erfolglos versuchte, den muslimischen Widerstand auszuschalten. In Iran weckte dies begreiflicherweise Befürchtungen, dass ganz Ähnliches auch in Iran geschehen könne – ein Argument, dass das scharfe Vorgehen der iranischen Regierung gegen die kommunistische Tudehpartei und deren Anhänger ab 1983 mit erklärt. 

Kurz: Historisch spricht alles dafür, dass Iran Russland und der Sowjetunion gegenüber eine ausgesprochen kritische Grundposition bezog und bezieht.  Dies kam in der iranischen Revolution 1979 auch deutlich in vielen Äußerungen iranischer Politiker ganz verschiedener Spektren zum Ausdruck, die die UdSSR als eine „aggressive Supermacht“ bezeichneten und eine engere Kooperation mit ihr ablehnten. Von daher erstaunt das, was in den letzten Jahrzehnten geschehen ist, und in der aktuellen Position der iranischen Führung einen Höhepunkt findet, nämlich die starke Annäherung von Iran und Russischer Föderation. Unter Khomeini wäre dies ganz sicher nicht möglich gewesen. Außerdem wirft dies Phänomen die einfache Frage auf, wie es dazu kam.

Drei Gründe für die Annäherung

Zur Erklärung ist zuallererst eingeopolitisches Faktum zu betonen. Iran sowie Russland und UdSSR waren bis zur Epochenwende 1989/00 direkt benachbarte Staaten, die an mehreren Stellen im Großraum Kaukasus, dem Kaspischen Meer sowie in Turkmenistan über lange Grenzen verfügten. Seit den 1990er Jahren sind Iran und die Russische Föderation, die sich im Grunde als Nachfolger der UdSSR versteht, nicht mehr direkte Nachbarn. Es entstanden nach der Auflösung der UdSSR die neuen selbständigen Staaten Armenien, Aserbeidschan, Georgien und Turkmenistan sowie die Russische Föderation, die den Platz der früheren UdSSR im Kaukasus und in Zentralasien einnahmen.  Nur im Kaspischen Meer sind Iran und Russische Föderation noch (indirekt) Nachbarn, da dort  die Ansprüche von fünf Staaten auf die Nutzung dieses Binnenmeeres aufeinanderprallen und  im Endeffekt nicht gelöst sind Für die Politik bedeutet dies, dass sich durch das geografische „Auseinanderrücken“ von Iran und Russland eine gewisse Minimierung von Konfliktpotential ergeben hat. Dies wird auch solange weiter der Fall sein, wie die Russische Föderation ihre imperialen Ambitionen weiter in Westrichtung – also in Richtung Ukraine - und nicht in Richtung auf den Kaukasus und In Zentralasien verfolgt. Erst mit erneuten Ansprüchen Putins im Kaukasus und in Zentralasien dürfte es Änderung dieser Situation geben. 

Zweitens sind die historische und geopolitische Wahrnehmung der Situation durch die iranischen Führungsschichten zu betonen, die eine antiamerikanische Grundtendenz hat und potentiell Rückhalt im Osten suchte (anfangs v.a. in China, später auch in Russland) „Marg bar Emrika“ (was wörtlich übersetzt: Tod Amerika oder verharmlosend: Nieder mit den USA heißt) lautete eine der Hauptparolen der iranischen Revolutionäre in den Jahren 1978/79. Die USA wurden von den führenden Repräsentanten der iranischen Revolution als „großer Satan“ und Hintermann des Schahs wahrgenommen. Die Aggression Iraks gegen Iran 1980-1988 wurde entsprechend diesem verschwörungs-theoretischen Stereotyp als „aufgezwungener Krieg“   wahrgenommen, der von den USA inspiriert und angeleitetworden sei. Saddam Hussein war dementsprechend nichts Anderes als ein zweiter Schah, der die Politik des früheren iranischen KaisersMohammed Reza Schah fortsetzte. Hinzu kam: Auch in der gesamten Zeit bis 2021 sah sich Irans Führung weiter in einer Wahrnehmung der eigenen Situation bestätigt, die die Bedrohung vorrangig  durch die USA betonte. Amerikanische Militärbasen, Flugplätze und Nutzungsrechte in benachbarten Staaten Irans sowie die Interventionen der US-Regierungen in Afghanistan 2001 und im Irak 2003 schienen zu bestätigen, dassIran  ein von US-Truppen umzingelter Staatsei, der direkt bedroht war. Angesichts dieser Wahrnehmung der internationalen Situation war die iranische Führung an einer Sprengung dieser Umklammerung und „Rückendeckung“ durch andere Staaten interessiert. Der Ausbau der ökonomischen Beziehungen mit den Staaten der EG sowie eine Hinwendung zur Russischen Föderation und zur Volksrepublik China waren Antworten. 

Es kommt ein dritter Punkt hinzu: Iran und Russische Föderation tätigten in den letzten Jahrzehnten intensive Waffengeschäfte, die dazu führten, dass bestimmte Truppenteile Irans faktisch mit russischen Waffen ausgerüstet sind, und hier insoweit eine bestimmte „Abhängigkeit“- oder doch zumindest Notwendigkeit der Berücksichtigung dieses Umstandes - existiert.

So wurden in den 1990er Jahren drei U-Boote der russischen Kilo-Klasse importiert. Zweitens wurden große Mengen gepanzerter Fahrzeugen (v.a. und Schützenpanzer) und Kampfpanzer  importiert. Dies betraf u.a. hunderte gepanzerter Mannschaftstransporter und Schützenpanzer. Außerdem wurden mehrere hundert Panzer der Typen T54 und T 55sowie Varianten dieses Typs importiert. Es handelt sich hierbei um den sowjetischen Standardpanzer der 1950er Jahre, den  Iran  z.T.  in einer leicht modernisierten Version aus China importiert hat, und der in Iran umgebaut wurde. Ein neuer, stärkerer Motor wurde in den Rumpf eingebaut, der Panzerturm mit einer neuen,  „britischen“ Kanone und  einer  slowenischen Feuerleitanlage  ausgestattet und die Seitenpanzerung mit einer frontalen und seitlichen „Reaktivpanzerung“ bestückt.Die auf diese Weise „modernisierten“ Panzer erhielten den Namen Safir 74. Schließlich wurden  zwischen dem Beginn der 1990er Jahre und 2001 eine kleine Zahl von Panzern des Typs T-62 angekauft sowie Bauteile für etwa 500-600 Panzer des Typs T-72 aus Russland, Belarus und Polen importiert. Diese wurden in Iran in Lizenz zusammen-gebaut.Iran plante zudem, ab 2018 modernisierte Versionen des T-72 in Eigenprodukt-ion zu fertigen. Die entsprechenden Panzer wurde „Karrar“ genannt.Schließlichwurden durch die 1991 in den Iran ausgeflogenen Flugzeugeneine große Zahl von Flugzeugen der Typen SU22, Su 24, Su25 und Mig 25 und Mig 29 in die Bestände der iranischen Luftwaffe übernommen, außerdem  kleinere Mengen relativ neuer Kampfflugzeuge des Typs Mig 29 in Russland und des Typs J-7 in China angekauft. Darüber hinaus haben russische Firmen zwischen 1974 und 1978 von der deutschen Firma KWU (Siemens + AEG) in Buschehr aufgebauten Atomkomplex in der Zeit ab dem Jahre 2005 fertig gestellt. Iran ist damit potentiell in die Lage versetzt worden, waffenfähiges Plutonium zu produzieren – eine wichtige Voraussetzung für den Bau von Atombomben. Deren Erwerb hatte bereits der Schah langfristig anvisiert. Seine Nachfolger in der Islamischen Republik haben Pläne zur Erstellung von Atombomben zumindest zeitweilig ebenfalls verfolgt.

Die hier vorgestellte Intensivierung der Beziehungen von Iran und Russland weist keine einseitige, durch russische Dominanz gekennzeichnete Tendenz auf. Iran ist es in den letzten Jahrzehnten gelungen, eine eigene Rüstungsindustrie aufzubauen, die auf Basis eigener Kriegserfahrung, auch eigene Produkte – relativ hohen Nutzeffektes –erstellen und anbieten kann. Ein Beispiel ist die Kampfdrohne Shahid 136, die momentan von Russland in der Ukraine eingesetzt wird. Diese Drohnen sind zwar  langsam, machen viel Krach und sind selbst mit einfachsten Mitteln (wie Maschinengewehren) erfolgreich zu bekämpfen. Aber diese Drohnen treffen auch und richten erheblichen Schaden an. 

Was das „Volk“ dazu sagt

Bei der Bewertung ist neben dem Verweis auf die Geschichte des Irans und der Positionen der nach 1979 etablierten Islamischen Republik ein weiterer Punkt zu berücksichtigen, nämlich das, was das einfache Volk zu der ganzen Sache sagt.

Leider gibt es im Iran keine unabhängigen Meinungsforschungsinstitute, die Positionen der Bevölkerung zu aktuellen Fragen der Innen – und Außenpolitik erforschen. Insoweit basieren Aussagen darüber, was Iraner zu dem sagen, was ihre Führung macht, auf einer schwer quantifizierbaren Basis. Allerdings ist eines ganz offensichtlich. In Iran hat sich seit dem Sommer 2022 eine neue gesellschaftliche Bewegung herausgebildet, die in Protesten und Demonstrationen ihren Unmut äußert und – angestoßen durch den Tod der Kurdin Mahsa Amini – die islamische Republik als solche in Frage stellt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass bei der Entstehung dieser Protestbewegung auch der Ukrainekonflikt eine Rolle spielt. Die prorussische Position der iranischen Führung scheint von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt zu werden. Sympathie für die Ukraine scheint zu dominieren.    

Zusammenfassend: Irans Führung vertritt im Ukrainekonflikt eine scharf prorussische Position, die die historischen Erfahrungen Irans mit der russischen und sowjetischen Imperialpolitik wenig bis gar nicht berücksichtigt. Erklären lässt sich diese Position aus der veränderten geopolitischen Position beider Länder seit dem Ende des Kalten Krieges, also dem Auseinanderrücken von Iran und Russischer Föderation, den historischen Traditionen des in Iran starken Antiamerikanismus und den intensiven Rüstungsgeschäften, die ab dem Beginn der 1990er Jahre zwischen Iran und Russischer Föderation entwickelten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese prorussische Position eine Auseinanderentwicklung der iranischen Führungsschichten und der Bevölkerung des Iran und letztlich eine Isolierung der Staatsspitze weiter befördern wird.