Blackout - Die neue Strategie der russischen Hybridarmee

Der Aufstand der Soldateska hat eine neue Etappe der russischen Kriegsführung eingeleitet - militärische Erfolge sind gegenüber politisch-hybriden Zielen (fast) zweitrangig geworden

von Christian Booß

Stand 22.11.2022 1   I.A.

I. Einleitung

Ein totales Stromblackout in Kiew sei nicht mehr ausgeschlossen, befürchtete Anfang November der Gouverneur der Region Kiew.2 Kurz bevor sich die Nachttemperaturen in der Ukraine Richtung Null bewegen, rund ein dreiviertel Jahr nach der russischen Invasion, hat sich die Lage des bedrängten Landes noch einmal dramatisch zugespitzt. Und zwar nicht nur in den Kriegszonen, sondern in der Gesamtukraine. Hier droht auf Grund einer neuen Phase des Luftkrieges das Licht auszugehen - das Lebenslicht für Beleuchtung, Heizung, Wasserversorgung, Kommunikation, Transport und Wirtschaft. Vorboten sind derzeit schon die regionalen Not- und Präventionsabschaltungen, die eine erneute Herausforderung für den Durchhaltewillen der ukrainischen Bevölkerung darstellen. Mittelbar trifft das auch die Unterstützer der Ukraine, die mit zusätzlichen Hilfen finanzieller, humanitärer, technischer und militärischer Art einspringen und sich auf neue Fluchtwellen einstellen müssen.

Die neue Blackout-Gefahr hat mehrere Ursachen: militärische, militärstrategische, militärtechnische, solche,. die in der Art der ukrainischen Energieversorgung liegen und last but not least Veränderungen im russischen Machtgefüge.

II. Voraussetzungen

1. Militärische Lage: Es liegt auf der Hand, dass die Putin´sche "Spezialoperation" nicht so verlief, wie der propagandistische Begriff suggerierte. Die Invasion war kein Selbstläufer, führte zu hohen Verlusten und, nach anfänglichen Erfolgen, zu mehreren z.T. peinlichen Rückzügen. Es gab eigentlich nur zwei Alternativen: Rückzug oder Durchstarten. Ersteres ist nicht Putins und seiner Entourage Sache, also wurden gerade nach den Niederlagen von Charkiv und Liman diejenigen Stimmen lauter, die eine "Jetzt erst Recht"-Strategie forderten. Es folgten die (Teil-)Mobilisierung und der verstärkte Luftkrieg mit Raketen und Drohnen, v.a. auf Ziele der zivilen Infrastruktur der Ukraine.

 

  1.  

Militärtechnik

Voraussetzung für diese Offensive war die russische Raketenlogistik, der zumindest in der Medienöffentlichkeit vorher relativ wenig Beachtung geschenkt wurde. Russland ist in der Lage, Krieg gegen die Ukraine zu führen, ohne einen einzigen Soldaten im Lande zu haben. Raketenabschussrampen und Flugplätze mit bomben- und raketenbestückten Fluggerät kreisen die Ukraine ein. Der Ring reicht von Belarus, über den Oblast Kursk, ans kaspische Meer, über Rostov am Don, das russische Gebiet am Asowschen Meer bis zur Schwarzmeerflotte an der Krim. Auch wenn es der russischen Armee nicht gelungen ist, die ukrainische Luftwaffe und Luftabwehr völlig auszuschalten, kommt sie doch mit ihren Geschossen immer wieder durch. Das weist auf deutliche bisherige Schwächen in der ukrainischen Luftabwehr hin. Das Land ist sehr groß, es gibt Vieles was potentiell schützenswert ist. Auch wenn wenig darüber bekannt ist, so dürften die Prioritäten lange auf dem Schutz von Regierungs- und militärischen Zentralen, wichtigen Logistikpunkten und dem existentiellen Nachschub aus dem Westen gelegen haben. Vielleicht haben sich die Ukrainer (und ihre Verbündeten) nach dem Rückzug der russischen Armee aus Kiew auch zu sehr darauf verlassen, dass Russland es nicht wagen würde, die außerhalb des eigentlichen Kriegsgebietes liegenden Großstädte noch einmal massiv anzugreifen. Spätestens seit dem 10. Oktober, dem Datum des in den letzten Monaten massivsten Luftangriffes, wissen wir es anders.

Militärtechnisch von Belang ist die "Nachrüstung" der russischen Armee mit iranischen Drohnen, bzw. russischen Varianten auf Basis iranischer Technologie und Teilen. Sie haben eine Reichweite von deutlich über 1000 km, sind ferngesteuert, haben eine Feuerkraft wie Raketen und fliegen so tief, dass herkömmliche Flugabwehrsysteme sie kaum orten können. Ihr Abschuss mit der westlichen Hightech-Abwehr ist sehr teuer und die Drohnen im Vergleich dazu mit nur einigen 10.000 $ sehr billig. Das Frohlocken auf Basis westlicher Analysen, wonach den Russen ihre Mittelstreckenraketen ausgehen würden, schlug ins Gegenteil um, als die iranische Drohnenlieferung, die Rede ist von bisher über 1000 Stück, wirksam wurde. Nachlieferungen sind in der Pipeline.

Der Drohnenkrieg, angeleitet von iranischen Fachkräften, verstärkte und effektivierte sich über Wochen nahezu exponentiell. Vom Südwesten und aus Belarus nehmen die Geran-Drohnen die Ukraine in die Zange.

 

  1.  

Schwächen der ukrainischen Energieversorgung

Dass sich die "neue Strategie" gegen die ukrainische Energieversorgung richtete, hat, wie noch zu erörtern sein wird, mit der Denke der russischen Führung zu tun, aber auch mit den Schwächen der ukrainischen Energieversorgung. Das Motiv, Rache für die Explosion und Beschädigung der Kertsch-Brücke zu nehmen, gab allenfalls den vordergründigen Anlass, sie nunmehr auch anzuwenden. Die ukrainische Energieversorgung bietet auf Grund ihrer Überzentralisierung eine Steilvorlage. Die Stromversorgung basiert zu 46,3% auf Atomenergie, zu 38,3% auf Kohle, gefolgt von Wasser 5,6%.3 Nach der Abschaltung von Tschernobyl, kommt der Atomstrom aus nur vier Großkraftwerken. Die Energieversorgung folgt teilweise geographischen Gegebenheiten. Im Osten basiert sie mehr auf Kohle, in der Mitte und im Westen auf Wasserkraftwerken. Die Kernkraftwerke liegen in der Mitte und im Westen.

 

Allein ca. 1/5 der Versorgung basiert auf dem AKW in Energodar bei Zaporischschja mit seinen 6 Meilern. Mit je 950 MW  Nettoleistung ist es im Prinzip das größte Kernkraftwerk in Europa. Dieses AKW befindet sich bekanntlich in Folge der Invasion in russischer Hand. Es produziert zwar nach wie vor Strom für den ukrainischen Markt, fällt auf Grund von Beschuss aber immer wieder in den Notbetrieb zurück. Die Verhältnisse vor Ort sind derart katastrophal, dass die Gefahr einer Kernschmelze (Gau) real ist. Derzeit reicht der Dieselvorrat für die Notstromaggregate, die die Kühlung sichern sollen, gerade einmal 14 Tage. Ohnehin arbeitet die russische Seite daran, Zaporischschja "umzupolen" und den Strom in eigener Regie Richtung Krim zu leiten, die sie seit 2014 annektiert hat.

Auch bei der Kohleverstromung gibt es ähnliche Verluste. Im Spätsommer eroberte die russische Armee Wuhlehirsk im Donbass,eines der größten Kohlekraftwerke mit 8 Blöcken und 3,3 GW Gesamtleistung. Da der "Pot" der Ukraine, der Donbass im Osten, ohnehin zum Hauptkriegsgebiet gehört und ganze Bergbaubelegschaften in der Krieg getrieben wurden, dürfte es noch zahlreiche weitere Rückgänge bei Kohleförderung und -verstromung geben.

 

Die Kriegsschäden und -beeinträchtigungen sind es kurioser Weise aber, die die Ukraine lange vor Stromnot bewahrt haben. Der drastische Wirtschaftsrückgang v.a. in den umkämpften Gebieten, man denke allein an die energieintensive Aluminiumindustrie, 14 Millionen Haushalte auf der Flucht, davon rund die Hälfte im Ausland, haben das Bruttosozialprodukt und damit die Stromnachfrage in der Ukraine im Vergleich zum Vorkriegsniveau deutlich gesenkt.4 Fast übermütig verkündete die ukrainische Regierung Anfang Juli, nunmehr Strom nach Rumänien zu liefern, in der Perspektive seien 2,5 GW möglich.5 Anrainer waren die ersten Nutznießer, wie diese Meldung sich positiv auf den angespannten europäischen Strommarkt und das ukrainische Haushaltsdefizit auswirkte. Die Ukraine hoffte auf Milliardeneinnahmen, aber es kam anders.

 

Neue Militärstrategie

Die Meldungen zum Energieexport hatte man in Moskau offenbar auch gelesen. Der Krieg wird von Putin von Anfang an hybrid geführt, d.h. nicht nur militärisch im Engeren, sondern auf allen Feldern, auch politisch, wirtschaftlich, finanziell, etc. Man sollte nicht vergessen, Putin ist kein Militär, er ist Tschekist. Einem kommunistischen Geheimdienstler ist jedes Mittel recht, wenn es nur zur Erreichung eines Zieles dient. Die militärische ist nur eine Karte unter vielen. Sticht diese nicht, zieht man eine andere. Schon bald, nachdem sich gezeigt hatte, dass die Invasion zu keinem schnellen Systemwechsel in Kiew führen würde, zog Putin in der zweiten Offensivphase weitere "Trümpfe". Die Ausplünderung und Zerstörung der Substanz der Ukraine, zunächst vor allem im Osten, sollte die Ukraine dauerhaft schwächen, Russland selbst Ressourcen zuführen und auch damit die neuen Machtverhältnisse klarstellen. Die Zerstörung von Asovstal in Mariupol, die Lahmlegung der meisten ukrainischen Schwarzmeerhäfen und der Getreidekrieg stehen dafür. Aber auch diese Strategie brachte wegen der Zähigkeit der Ukrainer, der von Putin unterschätzten Westunterstützung und der bekannten Schwächen der russischen Armee nicht den von ihm erhofften Durchbruch. Es kam zu dem erwähnten militärischen Fiasko in Charkiv, Liman (neuerdings Cherson).

 

  1. Der Aufstand der Soldateska

     

Schon fast von Anbeginn der Spezialoperation gab es in Russland Kräfte, die meinten, Putins Einsatz reiche nicht aus, um die Ukraine zu besiegen. Zu ihnen gehörte der ehemalige Militärgeheimdienst (GRU)-Mitarbeiter Igor Girkin, mit seinem Blog. Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrev und später auch sichtbar der Chef der sogenannten Wagner-Söldner Jewgeni Wiktoriwitsch Prigoschin. Die Mobilisierung von mehr Soldaten stand früh auf deren Agenda, ein aggressiveres Vorgehen auch gegen das ukrainische Hinterland wurde immer wieder gefordert. Als Verstärker fungierten mehrere russische Militärblogs, die behaupten, unabhängig auf Spendenbasis zu agieren, in Wirklichkeit aber von mächtigen Gönnern, vermutlich auch von Putin selbst, abhängig sein dürften. Auffällig ist, dass alle drei Genannten, nicht zum traditionellen russischen Militär gehören und irgendwie Mythosgestalten der Putin-Ära sind. Kadyrev half Putin Tschetschenien für die Föderation zu halten, in einem brutalen Krieg, der vom FSB eingetaktet worden war, für Putin war er auch in Syrien dabei. Girkin ist der Held des ersten Donbaskrieges. Und die Wagner-Söldner kämpfen international für Putins Interessen, wo dieser nicht offen militärisch agieren kann und will. Dass Prigoschin immer Putins Koch genannt wird, ist eines der verharmlosenden Diminutive, die nur notdürftig die unzureichende Kenntnis des russischen Machtgefüges kaschieren. Der "Koch" eines an der Grenze zur Paranoia linernen Diktators genießt natürlich dessen absolutes Vertrauen. Seinen wirtschaftlichen Aufstieg begann der Ex-Häftling Prigoschin wie Putin in den mafiös-kgbistisch geprägten Goldgräber-Jahren nach 1990 in St. Petersburg.

Die Scharfmacher sind also eigentlich Putins Leute, zumindest dürften sie eher der Gruppe der Silowiki, der Männer mit Macht, Wirtschafts- und Geheimdienstkarrieren nahestehen, als der kleptokratisch-bürokratisch traditionellen Armeeführung, auch wenn sie Guerilleros sind. Mag sein, dass ihnen ihre Wichtigkeit vor Ort an der Front gelegentlich zu Kopfe steigt, aber bis zum Beweis des Gegenteils ist anzunehmen., dass sie eigentlich in Putins Lager gehören.6 Allerdings folgt Putin ihnen nicht blind, sondern balanciert - man sollte ihn nicht unterschätzen - unterschiedliche staatliche, zumal kriegsrelevante Interessen aus. Nur mit Söldnern, sich martialisch gebärdenden Tschetschenen und freiwilligen Fanatikern aus dem Donbas, kann Putin seine Schlacht nicht schlagen, also muss er die Armee, die Nachschub produzierende Wirtschaft, etc. integrieren. Als die traditionelle Armee aber mehrfach versagte, zuletzt mit der dilettantischen Mobilisierung sogar die treuesten Putin-Anhänger, wie die Chefin des Propagandasenders Russia Today, gegen sich aufbrachte, kam die Soldatestka zum Zuge. Die Sache gleicht fast einem lautlosen Staatsstreich. Mehrere hohe Militärs wurden amtsenthoben und durch aggressivere und skrupellosere ersetzt, die der Soldatestka und den Kommandeuren an der Front näher und genehmer waren. Dieser Wechsel im militärischen Machtzentrum fiel zusammen mit den verstärkten Luftangriffen auf die Energieinfrastruktur der Ukraine. Auch vorher hatte es Luftangriffe gegeben. Aber diese zielten noch nachvollziehbarer auf militärisch relevante Ziele, die Kommando- und Nachschublogistik, etc. Sie waren zwar Teil einer brutalen Strategie, die die russischen Militärs zuvor in Grosny und Aleppo ausprobiert hatten, die "neue Strategie" ist aber eher eine politische. Sie zielt darauf ab, die Lebensfähigkeit der Ukraine kurz vor dem Winter zu unterminieren. Sie soll die Bevölkerung demoralisieren, Chaos stiften. Wanderungswellen, Energiedefizite und das Erfordernis weiterer Hilfen für den angeschlagenen Partner sollen auch den Westen erschöpfen, dort Unruhe unter der Bevölkerung stiften, die demokratische Systeme destabilisieren.

 

Das klingt verschwörungstheoretisch. Ist es aber nicht; bzw. ist es die verschwörungstheoretische Konzeption, die die russischen Hardliner und ihre Anhänger selber beflügelt. Dass es Putin und seine Anhängern nicht nur um den Donbass geht, sondern darum, den Westen herauszufordern, ist im Editorial dieses Schwerpunktes dargelegt. ???Link

 

Ein Kommentator, der unter dem proletarisch anmutenden Pseudonym „Old Miner“, der alte Bergmann, regelmäßig in russischen Bloggs auftritt, brachte es am 18. 11. düster auf den Punkt:

 

Wir haben den Schmerzpunkt des ukrainischen Staates gefunden und ihn Schlag für Schlag besiegt. Früher oder später werden sich die Beine des Nazi-Kolosses biegen und er wird zusammenbrechen. Die Ukraine wird in Dunkelheit und Kälte eintauchen. Und es wird das Land nicht mehr mit Fackelzügen erwärmt und erleuchtet werden.

In Russland gab es gute Lehrmeister in Sachen Beschuss der Infrastruktur eines feindlichen Landes. Ich möchte Sie daran erinnern, dass die NATO-Bombardierung Jugoslawiens fortgesetzt wurde, bis die serbische Armee den Kosovo verließ. Zwar sind die Opfer unter der Zivilbevölkerung nicht angemessen. Tausende gegen Einheiten in unserem Fall.

Werden diese Treffer im Energiesektor und jetzt auch bei der Gasversorgung der Ukraine an den Verhandlungstisch führen? Das bezweifle ich. Die derzeitige Führung der Ukraine ist bereit, alle ihre Leute für die Ukraine zu opfern. Ukraine ohne Russen.

Nur der Westen kann die Ukrainische Regierung zu Verhandlungen zwingen.

Die Anforderungen Russlands sind die gleichen.

Entnazifizierung, Entmilitarisierung und Neutralität.

Es stimmt, mit jedem Tag wird es für die Ukraine, in der die Zahl der NATO-Waffen, Russophobie und Intoleranz anschwillt, immer schwieriger.“ 7

 

 

 

III. Die neue Strategie im Spiegel des Russischen Militärblogs Rybar

 

Dass dieses politische Destabilisierungsziel durch die entsprechende, derzeit vorherrschende "neue Strategie" realisiert werden soll, lässt sich idealtypisch an dem russischen Militärkanal Rybar verfolgen, der, auch wenn er sich unabhängig und spenden-basiert gibt, mit der geschilderten Soldateska und Geheimdienstkreisen verbandelt sein dürfte. Ohne derartige Kontakte und Patronage würde Rybar kaum auf derart professionellem Niveau militärisch-politische Analysen aus aller Welt, insbesondere der Ukraine liefern können, z.T. mit exakten Geodaten.

Die Schilderungen im Telegram-Kanal Rybar zeigen die dramatische Eskalation des Angriffes auf die Energieinfrastruktur:

 

Am 10.10. vermeldet Rybar, dass sie das Energiesystem der Ukraine angreifen.

 

Schon bald lieferte Rybar eine Analyse auch der wirtschaftlich-gesellschaftlichen Folgen der ersten Angriffe auf die Energieinfrastruktur:

 

Rybar. Lang.10.10.2022
"Raketenangriffe auf das ukrainische Energiesystem haben bereits erheblichen Schaden angerichtet und Zwischenergebnisse erzielt. Auch wenn wir die militärischen Ziele der Aktion (z. B. die Desorganisation der Kontroll- und Kommunikationssysteme einzelner Brigaden der Streitkräfte der Ukraine) sowie den Rückgang des moralischen und psychologischen Zustands der Streitkräfte der Ukraine beiseite lassen, erlitt die ukrainische Wirtschaft einen erheblichen Schaden Bis zum 10. Oktober wurde Strom aus der Ukraine nach Polen , Moldawien und Rumänien geliefert . Im September verdienten die ukrainischen Behörden damit 150 Millionen Dollar (105 % mehr als im August). Nach den Raketenangriffen versiegte die Nachschubquelle der ukrainischen Staatskasse vorübergehend .Mehrere der größten ukrainischen Fabriken stellten die Produktion ein oder reduzierten sie . Zum Beispiel Poltava GOK oder Kryvyi Rih Arcelor-Mittal ( Kryvorizhstal ). Die Treffer im Wärmekraftwerk Kryvyi Rih stellen die Zukunft der Metallurgie dieser Region in Frage, da Probleme mit der Sicherstellung des Betriebsregimes in lokalen Steinbrüchen und Minen begannen. Aufgrund von Stromausfällen begannen Probleme beim Betrieb von Tankstellenanlagen , was sich in den Kraftstoffpreisen widerspiegelte. Während der Zeit der Ausfälle, hörten Supermärkte auf zu arbeiten, traten Probleme in den größten Netzwerken von ATB, Silpo und anderen auf. In einigen Städten begannen Probleme mit Lebensmitteln, Brot und Milch. Aufgrund der Unterbrechung der Stromversorgung wurden Bäckereien in Sumy eingestellt . Im Innenministerium der Ukraine stellte das Nationale Automatisierte Informationssystem aufgrund von Stromausfällen seine Arbeit ein . Die Ausstellung von Führerscheinen, die Registrierung von Autos wurde eingestellt.In Ternopil ,Khmelnytsky, Lvov , Vinnytsia kommt es immer noch zu spontanen Stromausfällen . In Kiew wurde ein neuer Abschaltplan eingeführt, mehr Verbraucher bleiben ohne Strom. Das Energiesystem der Ukraine ist der Belastung nicht gewachsen. Das Unternehmen "Ukrenergo" berichtete, dass es weitere Stromausfälle in den Regionen Kiew , Kiew , Tschernihiw , Tscherkassy, Zhytomyr , Charkiw und Sumy geben wird. Sie fordern, nicht nur abends, sondern auch morgens Strom zu sparen."

 

Schon am 10.Oktober lieferte Rybar einen weitgehenden Vorschlag, wie der Energieinfrastruktur der Ukraine "irreparabler Schaden zuzufügen" sei. Es folgte eine lange Liste mit Kraft- und vorallem großen und sehr großen Hochspannungs-Umspannwerken im Bereich von 330 und sogar 750 KV (Kilovolt) Spannung. Eine wiederholte Beschädigung dieser Ziele würde "zum Verlust der Fähigkeit führen, Strom über das Haupt-Netz (Backbone) von 330 und 750 kV an die Endverbraucher zu übertragen". Damit könne man die Stromlieferung v.a. von den Kernkraftwerken unterbinden, ohne dass man die Schaltanlagen der Kernkraftwerke selbst treffen müsse. Eine geringere Energiezufuhr in manchen Regionen könne im Prinzip zwar durch das Gesamtnetz ausgeglichen werden. Aber das würde bei ausreichenden Schäden nicht ausreichen, um die "Stabilität von Energiemangelregionen im Osten des Landes …aufrechtzuerhalten". Das zusätzliche Ausschalten leistungsstarker Wärmekraftwerke würde dazu führen, dass die Kernkraftwerke nur noch regionale Inseln versorgen könnten oder Teile des Netzes abgeschaltet werden müssten "was im Winter unweigerlich zu Netzüberlastungen, Notfällen und Geräteausfällen führen wird."

 

Damit war in Rybar die technische Seite des Szenarios vor gedacht. Es folgte eine Liste mit den wichtigsten Objekten der landesweiten ukrainischen Stromversorgung. Sie liest sich wie eine Horrorliste, da die wichtigsten Haupt-Knotenpunkte des ukrainischen Hauptnetzes aufgelistet waren, offenkundig in der Absicht sie auszuschalten. Es gibt in der Ukraine insgesamt sieben Haupt-Knotenpunkte, die die Masse der überregionalen Stromverteilung sichern. Allein vier davon waren konkret in der Liste benannt. Sie war angeführt von einem zentralen Verteilpunkt in Hauptstadtnähe, dem Umspannwerk Kiewskajamit 750 kV "einem strategischen Element der Stromübertragung zwischen dem Westen und Osten des Landes, dem nördlichen Energiekorridor mit der Stromversorgung des Kiewer Energiezentrums und der Übertragung in den Süden des Landes. Dadurch wird Strom aus den Kernkraftwerken Riwne, Khmelnitsky und der Südukraine in die nördlichen und zentralen Regionen der Ukraine übertragen." Mit anderen Worten kann ein Treffer nur in dieses Umspannwerk die landesweite Energieverteilung der drei Kernkraftwerke (jenseits von Zaporischschja) stören und zudem die Energieversorgung von Kiew selbst. In der Liste sind noch drei weitere Umspannwerke aufgezählt, die mit 750 KV zwischen Kernkraftwerken und dem Landesnetz liegen, eines davon, was eigentlich die Verbindung in die EU via Ungarn, sichern soll.

 

Viele dieser Informationen könnte man mit Fleiß auch im Internet zusammentragen. Was die Liste jedoch so brisant macht und intimere Kenntnisse verrät, sind die Koordinaten dieser Verteilzentren. Sogar von Teilen der Anlagen werden präzise Geodaten angegeben, etwa von Großtransformatoren, die mit ihrer Umspannleistung und Lage exakt benannt sind. Jeder Geocaching- oder Drohnenfreak kann auf diese Weise diese Ziele lokalisieren. Jeder auf Elektronik geschulte Militär, könnte sie mit seinem Gerät anpeilen und treffen, wenn er nur nahe genug an das Objekt herankommt. Da in der Ukraine nicht nur die großen iranischen Drohnen in Reichweite "herumschwirren", sondern jede Menge kleinerer Drohnen bis hin zu selbstgebauten Kamikazedrohnen, ist das keineswegs abwegig. Schon kleine kommerzielle Drohnen, denen einfach eine selbst- explodierende Mine "unter den Bauch" gebunden werden, könnten solche Ziele ansteuern. Um mit Sicherheit große Schäden in großen Umspannwerken zu erzielen, benötigt man zwar Großdrohnen oder lenkgenaue Mittelstreckenraketen, aber mit ein wenig "Glück" kann selbst eine kleine Drohne Feuerschäden an Transformatoren von Umspannwerken, u.ä. auslösen. Das gleiche gilt für traditionelles Kriegsgerät wie Mörser oder Haubitzen.

 

Auf der Liste vom 10. Oktober, also noch ganz zu Beginn der gezielten Luftangriffe, standen 17 weitere größere Umspannwerke, meist von 330 KV auf 110 KV. Dies ist quasi das zentrale Nervensystem der ukrainischen Stromversorgung. Die 330 KV Ringleitung ist die Verbindung von den Großkraftwerken, die 750 KV liefern zu den 110 KV-Leitungen, die Richtung Endverbraucher gehen. Wird der Ring massiv geschädigt, sinkt die Fähigkeit, getroffene Regionen mit Ersatzstrom zu versorgen. Werden die 750/330 KV-Umspannwerke, die die Verbindung zwischen den AKWs und den großen Verteilleitungen herstellen, beschädigt, müssen diese Großversorger u.U. Per Notabschaltung vom Netz genommen werden, wie es seit Wochen am Großkraftwerk Enegodar/Zaporischschja zu beobachten ist. Diese Großkraftwerke sorgen zusammen mit thermischen und Wasserkraftwerken für die Energieversorgung von Charkiw, über Kiew bis nach Liviv, Transkarpatien und Odessa.


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Die Abschaltung des Großraumes Djnepropetrowsk und Zaporischja sollte laut Rybar-Liste vom 10. Oktober durch Treffer des 750 KV-Umspannwerkes des größten Atomkraftwerkes bei Zaporischschja erreicht werden. Alles, was man wochenlang an verwirrenden und beunruhigenden Vorgängen rund um diese Reaktorblöcke am Dnjepr-Stausee gehört und gelesen hatte, waren also nicht nur Irrläufer zufälligen und fahrlässigen Kriegsgeschehens, sondern Tests für den großen Blackout in der Ukraine.

 

Die Rybar-Liste verrät genaueste Kenntnisse der ukrainischen Energieversorgung. Das nimmt nicht Wunder. Ihre Grund-Architektur stammt noch aus Sowjetzeiten, lange waren die russischen und ukrainischen Netze integriert. Vieles kann man zusätzlich aus der Fachliteratur und dem Internet ziehen. Und allem patriotisch-ukrainischen Mainstream zum Trotz finden sich in der gespaltenen ukrainischen Gesellschaft offenbar immer genügend prorussische Kollaborateure, die den aggressiven Nachbarn mit Daten, auch sensiblen Koordinaten,versorgen. Aus der Geschichte der DDR wissen wir, dass die Stasi stay-behind-Kräfte in der Bundesrepublik ausgebildet hat, die die Stromversorgung und sonstige Infrastruktur ausspionierten und im Fall des Falles wohl auch sabotieren sollten.8 Es sind in den Augen der ukrainischen Regierung "Verräter und Verbrecher", die mit hohen Strafen rechnen müssen, wenn sie nicht vorher von ukrainischen Partisanen zur Strecke gebracht werden. Eine rechtlich fragwürdige, wenn auch nachvollziehbare Reaktion, wenn man die Folgen derartiger Koordinatenweitergaben sieht.

 

Die Rybar-Liste, so hat es den Anschein,auch wenn die Treffer nicht exakt nachzuvollziehen sind, weil die Ukraine selbst diese aus Selbstschutz weitgehend kaschiert,ist seit dem 10. Oktober bis heute mehr oder minder abgearbeitet worden. Dass die Blogger von Rybar "unabhängig" sind, wie sie behaupten, mag man angesichts dieser Koinzidenz getrost bezweifeln. Jedenfalls scheint es große Schnittmengen beim Wissen um relevante Infrastrukturziele in der Ukraine zu geben.

 

Von Anfang an ging es um die Beobachtung der v.a. wirtschaftlichen Folgen. Schon die ersten beiden Tage hätten der "ukrainischen Wirtschaft einen erheblichen Schaden" zugefügt. Die Auflistung ging von abgeschalteten Stahlwerken über Tankstellen zu Bäckereien, die die Preise verteuern würden. Da zeitnah die Nachrüstung mit westlichen Luftabwehrsystemen befürchtet wurde "sollte dem Energiesystem jetzt kritischer Schaden zugefügt werden."

Die Luftangriffe wiederholten sich nicht regelmäßig, sondern in Wellen. Nach einem Abflauen,kam es zunächst wellenförmig etwa einmal die Woche zu Großangriffen. Das dürfte mit dem Nachladeverfahren, insbesondere von seegestützten Raketen zu tun haben. Vermutlich sollte zudem wie bei Rybar analysiert werden, was jeweils passierte und wie die Ukrainer reagieren würden, um dann zielgenauer "nachlegen" zu können.


Besonders die Trefferliste vom 17. Oktober zeigte, wie systematisch zuerst die größten, dann die mittleren Ziele anvisiert wurden. Treffer allein in zwei, vermutlich sogar drei 750 KV- Umspannstationen führten "zu schweren Stromausfällen" in Charkiw und Dnjepopetrovsk. Auch mittlere Anlagen in der Größe von 350 KV wurden beschädigt. Selbst das wichtigste Informations- und Rechenzentrum des ukrainischen Stromversorgers "Ukrenergo" wurde getroffen, wenn auch vorerst weitgehend folgenlos. Bei einem folgenreicheren Beschuss hätte dieser laut der russischen Experten ausgereicht, um das "gesamte System" zur Steuerung der Erzeugungskapazität von Kraftwerken und Netzschaltschemata zu stören.

An diesem Tag blieben 50.000 Menschen in Kiew, 30.000 in Dnjepro ohne Strom.9 Der ukrainische Präsident musste einräumen, dass 30% der ukrainischen Energieversorgungsstationen seit dem 10. Oktober "zerstört" worden seien.10 Auch wenn nicht ganz klar ist, worauf sich die 30% bezogen, wurde durch dieses Statement deutlich, dass die Schäden nicht so ohne Weiteres mehr zu beseitigen sein würden. Selenskij setze noch einige Tage auf hoffnungsvolle Botschaften, die Reparatur an Energieanlagen würde "Fortschritte" machen.11 Berichte von Reparaturbrigaden, die unter teilweise selbstlosem Einsatz, bei dem schon einige getötet und verletzt worden sind, nach Luftangriffen ausrückten, um Überlandleitungen zu flicken und Anlagen auf Reservetransformatoren umzustellen, hatten noch die Berichterstattung in den Tage nach den ersten Angriffen geprägt.

Inzwischen rücken diese Trupps aus, um einzelne Stadtteile und Regionen stundenweise präventiv abzuschalten, damit der Strom nicht ganz ausfällt. Vor allem in Spitzenzeiten morgens und abends reicht die ukrainische Stromversorgung bzw. die landesweite Verteilung nicht mehr aus, um den Bedarf zu decken. Genau wie es die Zyniker des hybriden Stromkrieges auf Rybar vorhergesagt hatten.

Die Notabschaltungen sind gepaart mit Appellen an die Bevölkerung, mit dem Strom zu haushalten. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Shmyhal, der ukrainische Ministerpräsident, forderte, den Energieverbrauch um 25 % zu senken. 12 Offenbar war ihm schon früh, die verwundbarste Stelle der Ukraine bewusst. Schon kurz nach den ersten Angriffen musste der Energieexport Richtung Europa eingestellt werden. Er traf zuerst das ohnehin fragile Moldavien.13

Zehn Tage nach dem ersten massiven Luftangriff begann man in der Ukraine von einer "neuen Taktik des nuklearen Terrors" zu sprechen. Dies zunächst insbesondere, weil Abschaltungen des AKW Zaporischschja, die durch Treffer an den Hauptleitungen erzwungen wurden, die Gefahr der Kernschmelze mit sich trugen. Die Dieselaggregate, die die Kühlung dann übernehmen, haben nur Treibstoff für ca. 14 Tage, der Nachschub war lange nicht gesichert, so dass die Gefahr eines Gaus durchaus in vorstellbarer Reichweite war und ist.

Eine Perspektive, die die einen frösteln ließ, ließ die Gegenseite frohlocken. Das anonyme Team hinter den Rybar-Kulissen analysierte Daten aus offenen Quellen, Berichte von Augenzeugen vor Ort sowie Informationen aus geschlossenen Quellen mit Akribie. Allein dieser Aufwand lässt eher Profis hinter diesem Kanal vermuten. Es gelang ihnen die erwähnte Treffer-Liste zusammenzustellen und zu bewerten. Diese sei zwar noch verbesserungswürdig, wurde geschlussfolgert. "Die Niederlage ist nicht so massiv, wie sie sein könnte. Das wichtigste Ergebnis ist in Erwartung des kalten Wetters der Verschleiß des gesamten Energiesystems der Ukraine. Die Stilllegung des gesamten Energiesystems könnte erzwungen werden.…Doch viele Objekte sind noch intakt und funktionieren.Aber die gezielte Feueraktion geht weiter. Und das ist der Hauptpunkt."


 

Am 22. Oktober wurde bei Rybar über 10 mittlere Umspannwerke zumeist von 330 auf 110 KV berichtet, die vor allem das Zentrum der Ukraine und den Westen trafen. Die Treffer könnten diese zwar "nicht vollständig lahmlegen, verursachen jedoch erhebliche Schwierigkeiten in den angrenzenden Gebieten". Dies führe zur "Überlastung bei Höchstlast und zu Notsituationen. Dies hat den Betrieb von Notautomaten und das wiederholte Abschalten von Verbrauchern zur Folge. Dies kann die zahlreichen Beschwerden von Verbrauchern erklären, dass rollierende Blackout-Zeitpläne nicht eingehalten werden und es keinen Strom gibt, selbst wenn es gemäß dem Zeitplan sein sollte."

 

Allein die Verbindung von technischer Schädigung und ihren psychologischen Folgen zeigt, dass es bei diesen Angriffe um die politische Wirkung und die Unterminierung der Zustimmung der Bevölkerung zur Regierung der Ukraine geht. Den Rybar-Bloggern reichten diese Zerstörungen jedoch noch immer nicht, sie forderten, statt der Stromwandlungsanlagen, die Kontrollzentren der Umspannwerke zu schädigen. Dies sei effektiver.

 

Die Folgen der Luftangriffe waren nicht mehr zu verheimlichen, so dass die ukrainische Verwaltung die Flucht nach vorne antrat und der Bevölkerung und Weltöffentlichkeit ungeschminkte Botschaften überbrachte. Am 21.10. gab der Energieminister des Landes an, dass bislang 30 bis 40 Prozent des Stromnetzes getroffen seien. Dadurch sei die Stromgewinnung eingeschränkt worden, "mindestens die Hälfte der Wärmekraft-Produktionskapazität, sogar mehr" seien ausgefallen. Durch die Angriffe in dieser Woche seien 4000 MW Kapazität verloren gegangen. Dabei seien Anlagen erstmalig angegriffen worden, aber auch bereits bombardierte erneut, "um sie völlig zu zerstören". Möglicherweise werde die Ukraine Strom zukaufen müssen, um durch die Krise zu kommen.14 Es könnten längerfristige Energieprobleme auf die Ukraine zukommen, so ein Präsidentenberater. "Wir können durchaus vor einer Situation stehen, in der wir Wochen oder sogar Monate ohne Wasser, ohne Licht und Wärme oder mit großen Einschränkungen sitzen werden."15

 

Die Angriffe vom 21.10. schätzte der ukrainische Energieversorger schlimmer als die vom 10-12.Oktober ein: über 1,4 Millionen Haushalte seien ohne Elektrizität: 672,000 im Chmelnytskyi Oblast, 188,400 im Mykolajiw Oblast, 102,000 im Volýnʹ Oblast, 242,000 im Tscherkassy Oblast, 174,790 im Riwne Oblast, 61,913 im Kirovohrad Oblast und 10,500 im Odessa Oblast.16 Der Ministerpräsident fürchtete eine "geplante humanitäre Katastrophe, wie sie Europa seit dem zweiten Weltkrieg nicht gesehen habe. Selenskyjs Berater Mychajlo Podoljak sagte, Russland versuche, Ukrainer zu einer neuen massenhaften Flucht nach Europa zu drängen.


Für Rybar war das eine neue Eskalationsstufe. Im Westen der Ukraine sei die Stromversorgung dermaßen beeinträchtigt, dass sie nicht mehr ausreiche, alle Elektrolokomotiven der Bahn mit Energie zu speisen. Insiderkenntnisse verratend wurde spekuliert, dass es nicht genügend Dieseltriebfahrzeuge gäbe, diese zu ersetzen. Diese seien zudem langsamer und weniger geeignet, die Karpaten zu überwinden. Auch hier zielten die Schläge nicht nur gegen die Ukraine an sich, sondern die Militärhilfe und Handelsbeziehungen Richtung EU.

Die Treffer von Ende Oktober hatten laut ukrainischer Einschätzung selbst "weitaus größere Auswirkungen" auf die Zerstörung der Energieversorgung der ukrainischen Hauptstadt als die vorherigen.17 Das große Umspannwerk, das erste Ziel der Rybar-Liste vom 10. Oktober war offenbar schwer getroffen, "Streitkräfte der Russischen Föderation haben dem Kiewer Energiebezirk die technische Fähigkeit genommen, 1000 MW Strom aus den Kernkraftwerken Rivne und Khmelnitsky zu beziehen", stellten die Rybar-Analysten zufrieden fest. Zwar sei Kiew noch durch Wasserkraftwerke und eigene Kraftwerke in der Stadt, die jedoch auch in Mitleidenschaft geraten waren, versorgt, aber, so wurde mit Genugtuung geschlussfolgert, die "Energie reicht eindeutig nicht mehr für den normalen Betrieb des Stromnetzes".

 

Daraus wurde die Schlussfolgerung gezogen, "dass die Abschottung der Kernkraftwerke vom übrigen Netz und den Verbrauchern derzeit das effektivste Szenario zur Beeinflussung des ukrainischen Energiesystems ist."

 

Die erzielten Treffer seien "ein schwerer Schlag für das Energiesystem der Ukraine". Das Team hinter dem russischen Rybar-Kanal stellte nach dem 27. Oktober zufrieden fest, dass es in allen Regionen der Ukraine Stromabschaltungen gebe, Appelle zum Stromsparen an Wirtschaft und Privathaushalte ergingen und sogar die Straßenbeleuchtung eingeschränkt werde. Das ukrainische Energiesystem leide unter einem Mangel an Erzeugungs- und Übertragungskapazitäten, die Wasserkraftwerke würden daher auf die maximale Stromerzeugung umgestellt, "aber die morgendlichen und abendlichen Verbrauchsspitzen sind bereits nicht zu kompensieren".

"Der Schaden ist jedoch bereits sehr groß, wenn auch nicht genug für einen vollständigen Zusammenbruch." Angriffe auf die großen Freiluftschaltanlagen der verbleibenden drei Kernkraftwerke,so lautete diesmal die Empfehlung, könne zu "kritischen Schäden im gesamten Stromnetz führen. Gleichzeitig wird das zu hohen politischen Kosten führen"

 

Offenkundig begannen sich die Schäden von ungefähr 300 Luftanschlägen innerhalb von zwei Wochen18 aufzuaddieren, weil sie nicht mehr vollkommen beseitigt werden konnten.19
 

 

Nach diesem Schlag musste die Ukrainer erstmals Energie aus der EU einkaufen, "testweise" wie es hieß, aus der Slowakei. Die Menge von 1 MW entsprach ziemlich genau dem ermittelten Kiewer Fehlbedarf.20

 

Rybar beschränkte sich keineswegs auf eine Analyse der technischen Zerstörungsmöglichkeiten, die angetan waren, die Ukraine zu schwächen. Die Folgen bis hin zu Internationalen Implikationen der "neuen Strategie" wurden antizipiert. Zustimmend wurde eine Analyse der Folgeschäden weitergeleitet, in der es hieß, die "Verlässlichkeit" der ukrainischen Elektrizitätswirtschaft sei insbesondere in der Winterzeit, fraglich.21 "Dies wird die Treibstoffkrise in der Europäischen Union verschärfen, die hoffte, ihre Gasreserven durch den Kauf von Strom aus der Ukraine zu retten. "Es sei zu erwarten, dass die Produktionsketten europäischer Industrieunternehmen, vor allem aus Frankreich und Deutschland, durch die Schließung einer Reihe von für die EU wichtigen ukrainischen Produktionsstätten unterbrochen würden. Z.B. bei Stahlwerken. Diese Unternehmen lieferten billige Rohstoffe für europäische Maschinenbauunternehmen, Schwerindustrieanlagen, einschließlich des militärisch-industriellen Komplexes. Ihr Ausfall würde sich negativ auf die Pläne Deutschlands, Frankreichs und Polens auswirken, ihre eigenen Bestände an schweren Waffen schnell aufzufüllen."

Die russischen Blogger prognostizierten daher, wenn sie nicht ohnehin selbst daran beteiligt waren, dass die russische Armee "weiterhin kritische Infrastruktureinrichtungen der Ukraine sowie militärische Kommandozentralen unter Ausnutzung der identifizierten Schwachstellen zerstören" werde.

Inzwischen waren gar keine so massiven Luftangriffe mehr erforderlich wie Anfang Oktober, um die Ukraine immer weiter in Bedrängnis zu bringen. Am 31. Oktober wurden über 50 (vermutlich 60) Mittelstreckenraketen auf die Ukraine abgeschossen. Angeblich sollen 44 davon abgeschossen worden sein. Die Zahl der Drohnen ist nicht bekannt. Die Geschosse, die dennoch durchkamen, richteten immerhin in 18 Regionen, meist im Energiesektor, Schäden an. Von der Kiewer Bevölkerung war nunmehr 80% vorübergehend ohne Wasserversorgung und Hunderttausende ohne Strom.22 Der russische Kanal Rybar war unerbittlich präziser und schrieb das leistungsstärkste Kraftwerk, am Djnestr, deutlich westlich von Kiew sei getroffen worden.

 

Am 1. November erklärte Premierminister Denys Schmyhal, dass bei dem Angriff unter anderem drei große Wasserkraftwerke beschädigt wurden. Hunderttausende Haushalte seien demnach seit heute Mittag weiterhin ohne Strom und Wasser, auch in Teilen von Kiew waren nach dem russischen Raketenangriff auf die Energieversorgung am Montagabend immer noch rund 250.000 Wohnungen ohne Strom. Bürgermeister Vitali Klitschko teilte mit, in 40 Prozent der Verbrauchsstellen gebe es noch kein Wasser. Die U-Bahn würde seltener fahren. Stromgetriebene Straßenbahnen und Oberleitungsbusse sollten durch andere Busse ersetzt werden. Aus Deutschland trafen an diesem Tag 16 Generatoren für den Zivilschutz in den Gebieten Donezk, Kiew, Luhansk, Tschernihiw und Tscherkassy ein.


Am 2. November warnten die ukrainischen Behörden "‼️WARNUNG! Heute werden Beschränkungen der Stromversorgung in den Oblasten Kiew und Kiew, Oblast Schytomyr, Oblast Tschernihiw, Oblast Tscherkassy, ​​Oblast Charkiw und Sumy eingeführt. Der Blackout betrifft alle Verbrauchergruppen. Solche Schritte sind notwendig, um die Belastung des Netzes zu reduzieren, wodurch Energieunternehmen beschädigte Kraftwerke schnell wiederherstellen können. ...Wir arbeiten für den Sieg. Wir halten unsere Front!" Laut Präsident Selenskij waren bis zu 40% der Infrastruktur zerstört.23

 

Drohpotential für Verhandlungen zur Sicherung der Annexion

 

Wie sehr das Kappen der ukrainischen Energiezufuhr eine politische Waffe ist, die den mangelnden militärischen Erfolg kompensieren soll, zeigen Äußerungen von russischen Politikern Ende Oktober, die Verhandlungsbereitschaft und sogar direkt ein Ende der Energiemalaise signalisierten, wenn die Ukraine die Anerkennung der Gebietsannexionen vom 30. September akzeptieren würde.24 Kurz vor dem Einbruch des Winters, der nach überwiegender Expertenmeinung kaum geeignet ist, den Krieg militärisch zu drehen, versuchte Moskau also mit der Drohung, die Ukraine energiemäßig zu strangulieren, eine Zwischenetappe bei der Erreichung seiner militärisch-politischen Ziele abzusichern. Alles was mehr wäre als die territorialen Positionen vom 24. Februar ließe sich für Putin als Fortschritt gegenüber der Ukraine und als Sieg gegenüber der Allianz des Westens verkaufen.

 

Für die ukrainische Regierung ist eine solche Forderung bis heute bekanntlich nicht verhandlungsfähig. Sie sieht sich, dank westlicher Hilfe und der bekannten Schwächen der russischen Armee bekannter Maßen, tendenziell in der Vorhand. Nach der Befreiung von Westcherson gilt dies umso mehr.

Nach der Niederlage von Charkiw und wie sich zeigen sollte, der von Cherson scheint Russland gar viel mehr zu bleiben, als den Energiekrieg fortzusetzen.

Präsident Selenskij spricht inzwischen von "Energieterror",25 den ukrainischen Energieversorgern gehen seit Ende Oktober die Ersatzteile aus. Regionalmedien sind voll von Tipps, wie die Menschen präventiv ihre Handys laden, wie sie sich bei Blackouts verhalten und sich mit Spirituskochern wärmen und kochen können. Statt Leopard-Panzern erbat Kiew auf einmal dringlich mehr Geräte für Umspannwerke, Nutzfahrzeuge, rund 350 Kilometer Kabel, knapp 2600 Stromgeneratoren sowie rund 3250 Heizgeräte.26

 

Weniger als eine Beruhigung, eher als Menetekel wirkte die Meldung, dass auf dem Territorium der Region Kiew keine Evakuierungsmaßnahmen stattfinden und in naher Zukunft nicht geplant seien."27

 

Während die Schäden in den ukrainischen Großstädten voran Kiew, aber auch Charkiw, Dnjepro, Zaporischschja u.a. bis in die internationalen Medien vordrangen, blieben die zahllosen Schäden in der Provinz v.a. in Frontnähe eher unbemerkt. Dort reichen oft Mörser, Haubitzen und kleinere Drohnen um Verwüstungen der Infrastruktur und lokale Blackouts zu bewirken.

Die Region der Stadt Nikopol in Dnjepropetrowsk am rechten Dnjeprufer wird seit vier Monaten fast täglich beschossen, mit Folgen wie dieser:

"In der Gemeinde Marganezk beschädigte der Beschuss die Stromleitung und unterbrach die Stromversorgung der Pumpstation des Wasserversorgers. Mehr als 40.000 Familien blieben ohne Wasser, mehr als 10.000 ohne Strom. Energiearbeiter arbeiteten die ganze Nacht. Und alles wurde repariert. Menschen mit Licht. Die Pumpstation nahm ihre Arbeit auf. Das Wasser wird bald ins Haus zurückkehren."28
Da capo, möchte man sarkastisch sagen, denn das Szenario von Reparatur und Zerstörung wiederholt sich dort regelmäßig.

Oder eine Meldung aus der Verwaltung von Zaporischschja vom 1.11.2022:

"Ein Raketenangriff des [der Mittelstreckerakete vom Typ..] "Iskander" traf das Gebiet des Industriegebiets in Zaporischschja - mehrere Unternehmen wurden beschädigt. Infolge des Beschusses wurde ein Mann verletzt, er wurde in einem Krankenhaus behandelt.... Im Regionalzentrum entstand eine schwierige Situation, weil auch andere wichtige Lebenserhaltungssysteme wie die Wasserversorgung von der Stromversorgung abhängen.... Gleichzeitig funktionierten die Systeme zum Starten von Generatoren in
Infolge des Beschusses wurde in fast der gesamten Stadt der Strom abgeschaltet - mehr als 200.000 Abonnenten. Dank des prompten Einsatzes von Rettungskräften und Elektrikern konnte das Feuer schnell gelöscht und die Netze repariert werden. Derzeit ist die Energieversorgung in den allermeisten Stadtteilen wiederhergestellt." 29

Diese zahllosen Meldungen vor Augen, wird es plausibel, wenn Präsident Selenskij inzwischen von 4,5 Millionen Betroffenen spricht. Der Zuwachs von 1,5 Millionen auf über 10% der Gesamtbevölkerung innerhalb von nicht einmal zwei Wochen lässt vermuten, dass die Zahlen nicht ganz kompatibel sind. Die erste dürfte eher die aktuellen, die zweite auch die längeren Kriegsfolgeschäden mit einbeziehen.

Es ist nicht einmal klar, ob sich diese Zahl nur auf die nach wie vor von der Ukraine kontrollierten Gebieten bezieht, oder etwa das Fünftel des Landes, was Russland besetzt bzw. annektiert hat, miteinbezieht. Es gehört zu den verwirrenden Tatbeständen dieses "Bruderkrieges", das sich die Ukraine für "Ihre" Leute jenseits der Front oder Demarkationslinie nach wie vor verantwortlich fühlt. Das hat etwas mit der nationalen Corporate Identity zu tun. Wir sind die Ukrainer. Es gibt auch eine Art Kümmerer-Wettlauf, wer besser für die Seinen sorgt, um die Unentschlossenen auf die eigene Seite zu ziehen. Aber es gibt schlicht auch technischen Gegebenheiten. Das erinnert etwas an Berlin nach dem Mauerbau. Die Infrastruktur an Leitungen für Gas, Wasser und Strom sind da und scheren sich erst einmal nicht um politisch-militärische Veränderungen. Und selbst wenn eine Seite sie kappen wollte, gäbe es von heute auf morgen keinen Ersatz. Der Streit geht daher bisher oft weniger um die Energielieferungen an sich, sondern die Abrechnungen. Die russischen Besatzer versuchen bei ukrainischen Bewohnern Rechnungen für Energie abzukassieren, die sie selber nicht liefern. Die Ukraine mahnt ihre Altkunden in den besetzen Gebieten über verschlungene Kanäle weiter auf ukrainische Konten zu zahlen. Aus Patriotismus oder weil sonst der Strom abgeschaltet wird.

Angesicht tendenziell sinkender Temperaturen, ab der zweiten Novemberhälfte werden Frost, ja Schnee, sogar Schneestürme erwartet, wäre eine gewisse Dramatisierung der Zahlen verständlich. Denn was genau kommt, kann kaum jemand prognostizieren.

Putin will dass "unsere Menschen erfrieren.Wir kämpfen im Moment um unser Überleben"30, rief der Bürgermeister von Kiew. Selbst ein auf Nervenstärke trainierter Wladimir Klitschko, der Bürgermeister von Kiew, hielt eine mögliche Evakuierung der Hauptstadt nicht mehr für ausgeschlossen. Wie das bei ungefähr 3 Millionen Menschen, darunter zahlreiche Flüchtlinge, die provisorisch untergebracht sind, funktionieren soll und wo sie hingehen sollten, blieb offen.31 Wahrscheinlich war auch das ein Weckruf an den Westen wieder einmal zu helfen. Inzwischen wurde dieser Alarmruf wieder etwas zurückgenommen, der Kiewer Katastrophenschutz aber ist voll bei der Arbeit, rund 1000 Wärmestuben, zugleich Luftschutzkeller sind für den worst case geplant.

Wie schwierig es ist, einem Land zu helfen, dass systematisch von seinen Großkraftwerken, die oft deutlich größer sind als die in der Bundesrepublik, systematisch getrennt wird, zeigen Beispiele von wohlmeinenden, nicht einmal kleinen internationalen Hilfslieferungen. "29 Dieselgeneratoren wurden in die besetzten Siedlungen der Region Cherson geliefert. Sie ermöglichen die Wiederherstellung der Wasserversorgung und den unterbrechungsfreien Betrieb medizinischer Einrichtungen in Gemeinden mit rund 12.000 Einwohnern. Möglich wurde dies durch die Zusammenarbeit des Verwaltungs-Teams von Cherson mit dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF). 15 Generatoren wurden für den stabilen Betrieb medizinischer Einrichtungen geliefert, die die Gemeinden Novovorontsov, Veliko Oleksandrivsk und Visokopilsk versorgen. 14 Generatoren ermöglichen die Wiederherstellung der zentralen Wasserversorgung und den Zugang zu Wasser für 12.000 Anwohner. Darüber hinaus werden sie benötigt, um die Arbeit des regionalen Not- und Rettungsdienstes von Cherson zu unterstützen."32

Das wirkt wie ein lauwarmer Tropfen auf den "kalten" Stein. Das ganze Drama wurde Tage später bei der Befreiung von Cherson-Stadt deutlich. Die russische Armee hatte beim Rückzug die Energieanlagen gesprengt und das nicht nur in der Stadt selbst, sondern offenbar großräumig. Die verbliebenen mehreren 10.000 Bewohner der fast 300.000 Einwohner umfassenden Großstadt, mussten diesen spektakulären Sieg großenteils ohne elektrisches Licht feiern.

Vor allem Krankenhäuser, kritische Infrastruktur soll nun dezentral mit Hilfe von Generatoren, aber auch Solarmodulen nachgerüstet werden. Die Ukraine hatte, wenn auch relativ zaghaft schon vor dem Krieg damit begonnen, mehr grüne Energie zu produzieren, als bisher. Angeblich lag der Anteil vor dem 24. Februar bei 10-11% der Energieproduktion. Inzwischen sind diese Kapazitäten aber massiv zerstört worden, nach ukrainischen Regierungsangaben die Wind-Energieanlagen zu 90%, die Solaranlagen zu 50%.33 Auch die regenerative Wasserkraft, das dritte große Standbein der ukrainischen Energieversorgung, ist höchst vulnerabel. Dies zeigen Diskussionen um den Beschuss und die Verminung eines der größten Wasserkraftwerke in Nowa Kachowka am Dnjepr-Stausee. Zwar erwiesen sich manche Meldungen bisher offenbar als überdramatisiert. Die ukrainische Armee beschoss nicht den Damm, sondern die östliche Zufahrt, die einige hundert Meter vom eigentlich Stauwerk entfernt liegt. Fehltreffer sind aber nie auszuschließen, ebenso wenig Zerstörungen durch herabfallenden Teile bei Aktionen der Luftabwehr. Ob die vom ukrainischen Militärgeheimdienst prognostizierte Verminung des Staudammes wirklich stattgefunden hat, oder ob "nur" LKW mit explosiver Ladung zur Abschreckung von ukrainischen Luftangriffen auf dem Damm abgestellt wurden, oder ob das Ganze eine Phantomdebatte war, mit der die russischen Besatzer, die Bevölkerung in Panik versetzten und zur Evakuierung drängen wollten, sei dahingestellt. Die Flutwelle aus dem Kachowka-Staudamm hätte selbst bei einer Teilzerstörung laut skandinavischer Wissenschaftler noch 60 km weiter in Cherson eine 4-5 Meter hohe Flutwelle ausgelöst.34 Vor allem das zeigten diese Simulationen, wäre das linke Dnjepr-Ufer betroffen gewesen, das von der russischen Armee besetzt war. Auch der Krimkanal, der die Halbinsel mit Wasser vor die Landwirtschaft und das Gewerbe versorgt, wäre geschädigt worden, eines der wichtigsten konkreten russischen Ziele in diesem Krieg. Präventiv ließen die Besatzer Wasser ab, sei es um die drohende Katastrophe zu mindern, sei es um die ukrainische Stromversorgung zu sabotieren.

Am 4.11. brannte erst einmal das E-Werk des Staudammes, vermutlich durch eine abgeschossene Rakete getroffen. Es kam auch bisher nicht zum Schlimmsten, aber zum Zweitschlimmsten. Am Morgen des 12.11. sprengte die russische Armee nach ihrem Rückzug einen Teil des Stauwerkes, um ein Nachrücken der ukrainischen Armee über die Dammkrone zu verhindern. Dabei beschädigte sie wohl drei Stauwerke. Bisher können sie jedoch wohl die Wassermassen zurückhalten.35

Dies ist nur das "berühmteste" Beispiel der Schädigungen von Wasserkraftwerken, die sich zusammen mit dem erwähnten am Dnjestr und anderen kleineren inzwischen spürbar aufsummieren.

Im November schoss die russische Armee nur noch wenige Raketen, an manchen Tagen nur noch 1-4 am Tag. Drohnen werden offiziell nicht gezählt. Dennoch sollte man sich nicht täuschen. Rybar analysierte mit Hilfe von US-Maxar Satellitenbildern genauestens einzelne Großeinrichtungen und deren Zerstörungsgrad. Wie mehrfach berichtet, ist damit eine exakte Koordinatenbestimmung sogar von Teilen der Anlagen bis herunter auf einzelne Großtransformatoren (!) verbunden. Die Energieversorgungsuntergrabung läuft also weiter, nur filigraner.36 Am schwierigsten war Anfang November die Lage in den Regionen Kiew und Charkiw. Es fehlten laut laut Volodymyr Kudrytskyi, dem Vorstandsvorsitzenden von "Ukrenergo", 1000 MW. Das sind Zahlen des ukrainischen Energieversorgers. Vorausgesetzt, es gäbe keine neuen Luftangriffe, wären sie zu beheben. Auf die Frage, ob ein Total Blackout drohe, antwortete der Chef des Energieversorgungsunternehmens ausweichend:. "Wir arbeiten daran das zu verhindern.37




Am 14.11. war fast der ganze Oblast Zaporischschja ohne Strom, Westcherson und Ostmykolaew auf Grund der Spekulationen, der russischen Armee würden die Raketen ausgehen, mögen mittelfristig durchaus zutreffen, eine Gewissheit, dass die Russen nicht mehr aktuell den Blackout erbomben könnten, liefern sie nicht. Das zeigte die neue Raketenwelle vom 15.11. Um die Niederlage von Cherson zu überdecken oder um die internationale Gemeinschaft zu beängstigen oder durch "Stärke" zu beeindrucken- es tagte gerade der G 20-Gipfel, wurden erneut etwa 100 Raketen abgefeuert habe. Es ist wohl der zweitgrößte Raketenangriff seit Beginn der Offensive am 24. Februar.38 Die Schäden sind massiv. In Kiew war schon am Nachmittag mindestens die Hälfte der Bewohner ohne Strom, Auch in weiteren Regionen des Landes wurde kritische Infrastruktur getroffen, Strom fiel in Liviv im Westen wie in Charkiw im Osten aus.

Die Rybar-Analysten gaben genauere Informationen. Danach wurden mindestens 7 energierelevante Infrastruktureinrichtungen in unterschiedlichen Oblasti überall im Lande getroffen. Rybar kritisierte wieder, dass offenbar wieder nur die Transformatoren und nicht die allgemeinen Kontrollpunkte (OPU), d.h. die Steuerung, getroffen wurden. Dies "verringert die Effektivität der Auswirkungen auf die ukrainische Energieinfrastruktur." Diese kritische Anmerkung zeigt, dass die Russische Armee offenbar noch stärker in die Energiebasis der Ukraine eingreifen könnte: Möglicherweise schreckt sie bislang davor zurück, um die Langzeitschäden, die auch ihre besetzten Gebiete treffen könnten, zu begrenzen. Offenbar geht es immer noch um eine Politik der Nadelstiche, nur das diese immer intensiver und dichter werden, (noch) nicht um um den Totalausfall.

Westliche Länder haben inzwischen den Weckruf gehört, liefern in beträchtlichem Ausmaß Luftabwehr, Material und Geld. Aber Verwundbarkeit ist nicht vollkommen auszuschließen. Selbst wenn theoretisch die größten Energieversorger und Umspannwerke weitgehend geschützt werden könnten, blieben immer noch tausenden Kilometer von Leitungen angreifbar, die zumindest kurzfristig aber im Winter schmerzhafte Energieausfälle erzielen kann.

 

Energiekrieg i.A.


Die ca 90 Raketen vom 15. November trafen Orte über die ganze Ukraine verteilt. Die russische Graphik zeigt deutlich, dass die Ziele, selbst bei „großzügiger“ Auslegung kaum mehr mit den Kriegsgebieten in Verbindung gebracht werden können.

Die Westalliierten rühmten zwar die Abschußquote der ukrainischen Luftabwehr von über 80%, dies aber wohl eher um die Wirksamkeit ihrer eigenen Hilfen hervorzuheben. Schon einige Tage später, als andere Ziele gewählt wurden, war sie wieder deutlich geringer und zeigt, wie verwundbar die Ukraine ist.

Westliche Länder, den den Alarmruf der Ukrainer wohl gehört haben und steuern in beträchtlichem Ausmaß Luftabwehrgeschütze, Ersatzteile, Generatoren, Material, Hilfsgüter und Geld bei. Aber die Verwundbarkeit der Ukraine ist nicht vollkommen ausschließbar. Selbst wenn die größten Energieversorger und Umspannwerke weitgehend geschützt werden könnten, blieben immer noch tausenden Kilometer von Leitungen angreifbar, die zumindest kurzfristig aber im Winter schmerzhafte Energieausfälle zur Folgen haben können. Die Folgen der Beschüsse vom 15. November -genau in den Tagen, als das Thermometer- unter Null Grad fiel, waren verheerend.

Eine Graphik des  ukrainischen Energieversorgers DTEK zeigt, dass der seit Mitte November nicht nur in Spitzenzeiten –morgens und abends- die Versorgung nicht mehr abdecken kann. Es besteht jetzt eine Versorgungslücke den ganzen Tag über.

 

Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmygal geht inzwischern von fast 50% des Stromversorgungspotentials aus. Das mag etwas übrtrieben sein, um die Geberlänger aufzurütteln. Schmygal hatte aber als einer der ersten schon nach dem 10. Oktober zutreffend vor der kommenden Gefahr gewarnt. In der Hafenstadt Odessa- seit dem Geteideabkommen eigentlich „weit vom Schuss“ entfernt, fielen ca. 70 % des Stroms aus, in einigen Viertel laut russischen Quellen sogar mehrere Tage lang, so dass es angeblich zu Stromprotesten kam. Der Videobeleg, sofern echt, zeigt allerdings eine eher kleine Gruppe von Unzufriedenen. Immerhin ist damit klar, worauf die russische Strategie abzielt. Unruhe(n) sollen nicht nur in der Ukraine selbst entstehen. Das „Experimentierfeld“ für die Destabilierung einer Gesellschaft durch Energiemangel scheint Moldau zu sein. Auffällig ist, wie genau schon seit Wochen der Kanal „Rybar“ dort die Unzufriedenheit mit der Regierung  Sandu registriert und die die Folgen Stromlieferungskappung an das ukrainische Nachbaland im Westen analysiert. Was als militärischer Durchmarsch von Cherson über Mykalaev und Odessa scheiterte, der Systemchange der prowestlichen Regierung in Chisinau, soll jetzt per Energiekrieg gelingen. In anderen westlichen Ländern könnte zumindest der Wille zur Weiterführung von Sanktionen und Rüstungslieferungen geschwächt werden. Hier liefert wohl Ungarn die Blaupause.

Mit brutaler Klarheit hat ein Blogger, der unter Pseudonym zu den wichtigsten Kommentatoren auf dem Militärkanal War Gonzo zählt, am 18. 11. die Strategie auf den Punkt gebracht. Der Energiebereich ist der Schwachpunkt der Ukraine, trotz erheblicher Militärhilfe. Sein Einbruch soll die westlichen Verbündeten dazu bringen, die Regierung Selenskij zur „Vernunft“, das heißt zum Einlenken zu bewegen. Das Ziel bleibt zwar mit der alten Putinschen Formel nach Entnazifizierung, Entmilitarisierung und Neutralität abstrakt und spart das heikle Thema Annexion aus. Aber die Phantasie reicht inzwischen aus, um darunter eine Finlandisierung plus, also strenger an Russland gebunden und mit Gebietsannexionen zu verstehen.

„ Wir haben den Schmerzpunkt des ukrainischen Staates gefunden und ihn Schlag für Schlag besiegt. Früher oder später werden sich die Beine des Nazi-Koloss biegen und er wird zusammenbrechen – Die Ukraine wird in Dunkelheit und Kälte eintauchen. Und das Land wird sich nicht mit Fackelzügen erwärmen und erleuchten."

Das ist keineswegs die absurde Wiederholung der ewig gleichen Forderungen seit dem 24. Februar, sondern eine reale Gefahr. Das Ukrainische Netz degradiert immer mehr. Das Netz degradiert, weil Reserven aufgebraucht sind und nicht so schnell repariert werden kann, wie neu beschossen wird. Ersatzteile fehlen, manche wie Großtransformatoren, die bevorzugte Ziele in den Umspannwerken sind, sind selbst in Westeuropa derzeit nur mit 20 Monaten Lieferzeit zu haben.[1] Offenbar ist es der Russischen Armee nach Einschätzung von Rybar-Bloggern auch gelungen, den überregionalen Energieverbund so zu schädigen, dass sich die Regionen nicht mehr gegenseitig mit Stromzufuhr helfen können. Angeblich entstehen immer mehr Strominseln. Wie schon in der  Rynbar-Stratiegie nach dem 10. Oktober vorgedacht, scheint es Stück für Stück zu gelingen, die vier AKWs und andere Großversorger vom Ringnetz zu trennen. Dies dürfte erklären, warum  Odessa länger ohne Strom war/ist. Trotz Verstärkung der Luftabwehr und Hilfslieferungen ist derzeit nicht erkennbar, dass Russland bei der Komplettzerstörung der ua Energieinfrastruktur gestoppt werden könnte. Es hat immer noch genügend Raketen und Drohnen und kauft im Iran und Nordkorea neue ein. Die Möglichkeit der Stromlieferung über den Westen ist begrenzt, weil es bisher nur wenige Großleitungen gibt, die selber per Beschuss unterbrochen werden können. Statt des traditionellen „Kräftemessens“  an den Fronten sind die beiden Nachbarstaaten in einen  Wettlauf eingetreten. Die Ukraine beschießt mit Himar- und anderen Raketen die russischen Nachschubwege, Depots und Stützpunkte, die Russische Armee zielt mit Rakten und drohnen auf die Energieinfrastruktur. Es ist eine offene Frage, ob eher die Ukraine am Mangel von Wärme und Licht oder die Russische Armee an  Logistikmängeln und Motivations-Ausbildungs und Ausrüstungsdefizierten scheitern oder ob sich beide mit schrecklichen Qualen durch den Winter „retten“ können.

 

 

 


[1] Der Tagesspiegel, 18.11.2022. www.tagesspiegel.de/berlin/ohne-fernwarme-uberhitzen-die-trafos-warum-bei-gasmangel-stromausfalle-in-berlin-drohen-8892352.html

IV. Worstcase-Szenarios für den Winter

Was wirklich passiert, wenn Russland weiter die Energiedaumenschraube anzieht, ist schwer zu prognostizieren. Wird es zu einer erneuten Massenflucht ins Ausland kommen? Die Schätzungen in Polen schätzten zu Angang der Energiekrise 500.000 mögliche Winteremigranten, europäische Worstcase Szenarien gehen inzwischen deutlich darüber hinaus, die WHO befürchtet inzwischen 2-3 Millionen Flüchtlinge auf Grund von Kälte und Epidemien.39 Mal gibt es Mitte November Tartarenmeldungen, wonach Ukrainer besser, an anderen Orten leben sollten, um das Energienetz zu entlasten, mal werden diese wieder dementiert.40 Die ukrainische Regierung befördert die Evakuierung nicht, versucht eher die Hilfe im eigenen Land möglichst effektiv und mit Hilfe von tausenden von Freiwilligen aber auch professionellen Katastrophenschützern, ähnlichen Hilfsdiensten und Verwaltungsfachkräften abzusichern. Offenkundig schwankt die PR der Regierung zwischen Realismus, da anderes kaum mehr glaubwürdig wäre und Beschwichtigung, da die volle Wahrheit über den schlimmsten Fall Panik erzeugen könnte. Ein schwieriger Balanceakt. Ohnehin ist jede Aussage eine Rechnung mit mehreren Unbekannten. Wir können das Netz wiederherstellen, wenn es zu keinen weiteren Angriffen kommt....ist so eine kaum noch zu vermittelnde Imponderabilie.41 Jeder, der es lesen will ist, dass die russische Armee nach jedem Raketengroßangriff nachlädt. Und jeder der es sehen will, sieht dass fast alle thermischen und Wasserkraftwerke und fast alle relevanten Umspannwerke getroffen wurden. Da die AKWs, wie geschildert vom Netz gezwungen werden können, leben die Ukrainer eigentlich zwischen latentem regionalen Not- und kontinuierlichen lokalem Präventiv-Blackout.

V. Die Resilenz der Ukrainer

Bemerkenswert ist, dass selbst die Verwaltungen von besetzten Gebieten von anderen Orten in der Ukraine aus oder schlicht "virtuell" im Netz weiter für "ihre" Leute sorgen.

Die Ukrainer zeigen eine bemerkenswerte Resilenz. Mit der Mischung aus Teilsiegen und menschenverachtenden Angriffen der russischen Armee, wächst bei vielen geradezu noch der Widerstandswille. Man kennt das Phänomen aus dem Alliierten Luftkrieg gegen Hitler-Deutschland. Das Kalkül, die Deutschen würden sich von Hitler abwenden, ging nicht auf, manches anglophobe Ressentiment blieb dagegen bis heute. Manche Ausweichstrategien der Bevölkerung werfen freilich schon jetzt ihre Schatten voraus. Als Ersatz für ausgefallene oder Gasheizungen sind elektrische Heizkörper begehrt und teilweise jetzt schon teure Mangelware. Diese erhöhen den Strombedarf und führen v.a. in kriegsgeschädigten Regionen gehäuft zu Zimmerbränden und Kurzschlüssen.

Die Not erfindet ihre eigenen Lösungen. Man erinnert die Bilder v.a. von Mariupol, wo die Menschen während der Umzingelung im letzten ausgehenden Winter in den Höfen der kommunalen Wohnhäuser mit Holzfeuern kochten und sich erwärmten. Wie viele dabei (und im Bomben- und Granatenhagel) freilich starben, ist bis heute nicht nachvollziehbar. Allerdings werfen gerade diese Bilder die Frage auf, inwieweit das vielen die traumatisiert und materiell wie gesundheitlich beeinträchtigt der "Hölle" des letzten Winters und/oder der Belagerung und Besetzung, dies ein zweites Mal durchhalten würden. Eine Antwort darauf bliebe Spekulation, in Betracht ziehen, wird man sie müssen.

Etwas "besser dran" sind gewöhnlich die Bewohner von Privathäusern, die (neben der Gasheizung) noch über traditionelle Öfen verfügen. Ukrainische Regionalverwaltungen wie z.B. in Melitopel empfehlen geradezu, dorthin zu gehen, wo es Festbrennstoffkessel gibt und Holz und Kohle zu horten. Es sei "die einzige Möglichkeit, im Winter nicht zu frieren", empfiehlt der ehemalige ukrainische Bürgermeister. Viele Ukrainer, auch die Städter, haben auch noch ein Standbein bei Verwandten und Bekannten außerhalb. In Zaporischschja soll ca. ein Drittel der Bevölkerung aufs Land geflohen sein. Dort sind die Chancen, per Subsistenz das Überleben zu sichern, teilweise größer. Die Regierung verteilt zusätzlich im großen Stil gratis Holz. Auf eher archaische Weise versuchen viele Ukrainer über den Winter zu kommen, andere werden fliehen, eine ungewisse Zahl, so ist zu befürchten wird hart mit Hunger und Kälte zu kämpfen haben oder sogar erfrieren.

 

VI. Fazit

Mit dem Energiekrieg hat eine neue, die dritte Etappe der russischen Kriegsführung begonnen. Nach der Spezialoperation, die in Kombination von Geheimdienstoperationen in der Ukraine und Besetzung im Februar einen Systemwechsel erzwingen wollte, der zweiten Offensive, die auf klassische Landeroberung mit den brutalen, in Syrien erprobten Methoden zu erreichen versuchte, folgt sie jetzt auf die Niederlagen von Charkiv und neuerdings Cherson. Da sich die Territorialgewinnstrategie erschöpft hat, ja rückläufig war, wurde jetzt die "neue Strategie" eingeleitet. Sie ist nicht irgendein Racheakt für spektakuläre Erfolge der Ukrainer, sie ist eine kohärente Strategie, die die energetische Substanz der Ukraine so stark unterminieren soll, dass Wirtschaft und Alltagsleben der Menschen zusammenbrechen. Die Folgen soll nicht nur die Ukraine, sondern auch ihre westlichen Verbündeten spüren, die im Winter nicht nur Energie-, und finanzielle Schwierigkeiten bekommen sollen. Sie sollen auf Grund der Unzufriedenheit ihrer Bevölkerungen auch politisch destabilisiert werden, dass sie Putin nachgeben, seine Annexion und Forderungen nach Neutralität der Ukraine annehmen und damit auch den Status von Russland in der Welt aufwerten.

Diese Strategie wurde aber nicht einfach "von oben" angeordnet, sondern ging mit einem "Aufstand" in den nationalistischen und Front-nahen Kanälen einher, die die Unfähigkeit des Militärestablishments eine Zeitlang scharf kritisierten und eine Verschärfung der Kriegsführung forderten. Auch wenn manche Analysten spekulieren, dass es sich hier um einen verbalen Aufruhr handelte, der sich "unabhängig" von Moskau entwickele und sogar Putin gefährlich werden könnte, ist dies zu bezweifeln. Allein die führenden Persönlichkeiten, dieser Kampagnen, die überwiegend aus dem Milieu der militärischen Geheimdienste, Spezialkräfte, ja aus Putins eigener Gefolgschaft stammen, sprechen eher dagegen. Spätestens als sich zeigte, wie diese Kritiker nach dem Abzug von Cherson "eingefangen" werden konnte, spricht manches dafür, dass es sich auch um eine Scharade nach dem Vorbild kommunistischer Agitpropaktionen handelte, bei denen das Volk in Leserbriefen Veränderungen forderte, die die kommunistische Führung dann im Einklang mit den Werktätigen umsetzte. Ähnlich konnte mit Hilfe der Blogger die schlechte Stimmung vor Ort kanalisiert, den "Versagern" beim Militär durch personelle Umbesetzungen ein Dämpfer verpasst und die militärische Strategie durch eine primär Ziele und hybriden Praktiken beruhende Strategie umgeschaltet werden. Putin, der schwerlich mitten im Krieg seine Militärs hätte allein maß nehmen können, hatte so mit einen Grund dies zu tun, da die Kämpfer vor Ort danach riefen. Damit dürften sich aber im Machtzentrum Russlands die Gewichte hin zu nationalistischen und nicht traditionellen militärischen Soldateskakreisen weiter verschoben haben. Das dürfte die Perspektive auf einen Herrschaftsumschwung mit dem Ziel ein Arrangement mit der Ukraine und dem Westen jenseits von der derzeitigen Putinlinie zu erzielen, eher erschweren.

Für den Ukraine-Krieg derzeit bedeutet das, dass die Angriffe auf die kritische Infrastruktur, insbesondere der Energieversorgung vermutlich weiter zunehmen werden. Diese waren nicht improvisiert oder spontan von Niederlagen oder Demütigungen veranlasst, sondern lange und sorgfältig geplant. Darauf deuten die vielen Analysen im russischen Militärkanal Rybar hin, der sich unabhängig gibt, aber vermutlich mit den Soldateskakreisen und vermutlich Militäraufklärungskreisen verbunden ist. Mit präzisen Angaben mit Koordinaten für den Beschuss zeigt Rybar fast täglich seit dem 10. Oktober die wichtigsten Primärziele der ukrainischen Energieversorgung auf. Die Treffer werden genau analysiert. Rybar gibt laufend Ratschläge, wie die Ukraine noch stärker zu treffen sei.

Die starke Zentralisierung der ukrainischen Energieversorgung, die dominant auf vier großen Kernkraftwerken und einigen großen Kohle- und Wasserkraftwerken beruht, die mit wenigen Ringleitungen verbunden sind, macht die Ukraine besonders verwundbar. Da das System seine Ursprünge in Sowjetzeiten hat, kennt die russische Seite es gut, ergänzende öffentliche, Satelliteninformationen und solche von "Kollaborateuren" verschafften ihnen präzise, teilweise erschreckend genaue Detailkenntnisse bis hin zu einzelnen Transformatoren in Umspannanlage u.ä.. Während derartige Schläge anfangs noch abgefangen und repariert werden konnten, degradiert das ukrainische Energieversorgungssystem Anschlag für Anschlag. Reserven und Ersatzteile sind weitgehend erschöpft, neue Angriffe kommen schneller als dass die Beseitigung der vorherigen Schäden Erfolg haben kann. Insbesondere in Spitzenbelastungszeiten kann die Ukraine nicht mehr ihre Bevölkerung und Wirtschaft zugleich mit Strom versorgen, muss auch ohne Luftangriffe regelmäßig Stromsperren verhängen, um das Netz überhaupt stabil halten zu können. Durch eine konsequente Fortsetzung dieser Strategie oder schlicht durch Verkettung von "zufälligen" Stromschwankungen nach massiven Treffern, die zur Abschaltung von Großkraftwerken führen, werden großflächige Blackouts immer wahrscheinlicher. Da dies mit dem Frost- und Winterbeginn zusammenfällt und der Stromausfall auch Gas- und Wasserausfälle nach sich zieht, kommen auf die ukrainische Bevölkerung schwere Zeiten zu. Wie die Bevölkerung, die u.a. durch massive Stadtflucht in mit Öfen beheizbaren Privathäuser auch auf dem Land zu traditionellen Subsistenzstrategien greift und in der Vergangenheit eine bemerkenswerte Resilenz gezeigt hat, auf diese Situation regieren wird, ist kaum vorherzusagen.

 

 

 

 

 

1Auf Grund von Zeitproblemen sind die Fußnoten noch nicht vollständig, und i.A. Die Eigennamen in Quellen und Texten mit unterschiedlichsten Schreibweisen abzugleichen, ist derzeit nicht möglich. Wir bitten um Nachsicht.

2 The Kiiv Independent (KI) 2.11.2022

3 Auf Basis von 2011, BpB. www.bpb.de/themen/europa/ukraine/171067/statistik-energieerzeugung-und-verbrauch-in-der-ukraine/

4 Schätzungen für 2022 liegen zwischen 10 und 25%. www.sueddeutsche.de/politik/ukraine-krieg-strom-export-1.5629439

5 www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/energiekrise-ukraine-exportiert-ihren-atom-strom-in-die-eu-a-a382ee18-ab87-4f94-bf7d-4674828dacd8

6 Das Washington ISW akzentuiert stark, zu stark ihre Kritik an Militär und als potentielle Gegnerschaftt zu Putin .

7War Gonzo 19.11.

8 Auerbach, Thomas: Einsatzkommandos an der unsichtbaren Front. Terror- und Sabotagevorbereitungen des MfS gegen die Bundesrepublik Deutschland. Berlin 2013

 

9 KI 18.10.2022

10 KI 18.10.2022

11 NL 15.10.???

12 Mariupol now 13.10.

13 NL 12. 10. ???

 

14 Herman Haluschtschenko ???

15Olexij Arestowytsch. Berater im Präsidialamt. Er sei aber sicher, dass die Ukrainer die Probleme bewältigen würden.???

 

16 Kyrylo Tymoshenko, stellvertretender Stabschef des Präsidenten???

 

1727.11.2022???

18 KI 22.10.2022

19

20s.u. ???

21 Rybar 20.11.2022

22

23KI 2.11.2022

24 Ähnlich Dimitri Medwedjew, Sergei Lawrov, Dimitri Peskow

25KI 3.11.2022

26???

27 KI 5.11.2022

28 Typical Nikopol 2.11.

29 Ähnlich in Kramatorsk???

30??? 29.10.2022

31???

32 ??? 5.11.2022

33 Energieminister Herman Halushchenko

34Gutachten, ???

3517.11.2022

36 8.11.

37Typical Nikopol 8.11.2022

38 www.spiegel.de/ausland/russland-ukraine-krieg-kreml-startet-massive-luftangriffe-a-f7d25969-6ce8-414d-8012-67575c0445cd

39Typical Nikopol 21.11.

4020.11.2022 ???

4122.11.2022 ??? Der Spiegel