Fehlschuss oder Massaker? Der Tod der Gefangenen des Olenivka-Lagers muss aufgeklärt werden.

H-und-G.info 30.7.2022

Der Vorfall

Die Russische Armee hat der Ukraine am 29.7. vorgeworfen, ein Kriegsgefangenenlager im Donbas beschossen zu haben. Es seien mindestens 40 ukrainische Soldaten umgekommen, 75, nach anderen Meldungen 130 verletzt sein.

 

Foto: Tote ukrainische Gefangene im Lager Olenvika Foto: Imago nach russ. Agenturen

Normalerweise veröffentlichen wir keine Fotos von Toten, dieser Vorgang ist aber so ungeheuerlich, dass er dokumentiert werden muss.

Die ukrainische Armee dementiert, Raketen oder Artilleriegeschütze auf diesen Ort abgeschossen zu haben. Es handelt sich um Olenivka, das größte bekannte von den Lagern, die Russland unterhält, um Soldaten und missliebige Personen festzusetzen. (H-und-G.info berichtete mehrfach:

Das Lager  und seine Brisanz

In dieses Lager wurde, soweit bekannt, auch der größte Teil jener Soldaten verbracht, die sich ASOW-Stahlwerk von Mariupol zunächst verschanzt und dann vor einigen Wochen ergeben hatten. In internationalen Verabredungen, an denen vermutlich Israel, die Türkei, die Schweiz (IRC) und die UN beteiligt waren, waren angeblich Zusagen gemacht worden, dass die Soldaten nach Kriegskonventionen behandelt und nicht getötet würden. Andererseits gab es von Seiten russischer Ultras immer wieder Forderungen, gegen diese die Todesstrafe anzuwenden. Daher wurde jetzt schnell der Verdacht geäußert, dass es sich um ein verkapptes Massaker an den ASOW-Soldaten handeln könne. Der Gründer des ASOW-Regimentes, ein bekannter Rechtsradikaler, kündigte Vergeltung für jeden an, der an der Tötung beteiligt sei.

Foto: Abtransport der Soldaten aus dem Bunker in Mariupol nach einem internationen Deal mit Russland im Juni 2022

Olenivka ist ein bekanntes ehemaliges ukrainisches Straflager. Es ist kein Kriegsgefangenenlager im Engeren Sinne, sondern ein Sonderlager. Hier werden auch Personen gebracht, die nach Verhören an Checkpoints oder in sogenannten Filtrierungslagern als verdächtig eingestuft werden. Ein Rechtsmittel gibt es nicht. Bei den meisten ist sogar unbekannt, ob und wo sie sich in prorussischer Gefangenschaft befinden. In dem Lager dürften sich einige hundert, wenn nicht mehrere tausend Personen befinden. Folter ist an der Tagesordnung, immer wieder kommen in solchen Lagern Menschen um oder verschwinden für immer. Mehr zu den russischen Lagern bei H-und-G.info Link...

Die Zahl der Toten in einem gerade neu gebauten Trakt der Strafanstalt im Donetzk wird von russischer Seite inzwischen mit 54 angegeben. Über den Hergang der Explosion gibt es nach wie vor unterschiedliche Darstellungen und Interpretationen.

In einer ungewöhnlichen gemeinsamen Erklärung aller Streit- und Sicherheitskräfte der Ukraine wird gefordert, dass das IRC und die UN die Gefangenen in ihre Obhut nehmen. Der Vorgang ist möglicherweise eines der größten Massaker und Kriegsverbrechen des bisherigen Krieges, stellt zudem den Umgang mit Kriegsgefangenen nach internationalen Konventionen in Frage und bricht zudem möglicherweise eine konkrete internationale Vereinbarung zu den ASOW-Stahlwerk-Gefangenen in Frage. Das Internationale Rote Kreuz (IRC), das zumindest alle ASOW-Gefangenen namentlich erfasst hat, zeigte sich in einer Erklärung bereit, sich an der Versorgung der Verletzten zu beteiligen. Die EU hat bereits protestiert.

Soviel ist bisher bekannt:

Heute ist die russische Seite auffällig still zu dem Thema. Gestern beschuldigte die russische Seite die Ukraine, die Stafanstalt mit HIMAR Rakten beschossen zu haben. Als „Beleg“ lieferte eine russische Agentur eine Reihe von Bildern (hier auf H-und-G.info): Tote, zerstörte Schlafräume, Raketenteile. Diese Raketenteile, die den Beschuss mit US-amerikanische Waffen belegen sollen, sind aber so fotographiert, dass sie nicht lokalisierbar sind.

Die ukrainische Armee bestreitet gegen diesen Ort Raketen und Artillerie eingesetzt zu haben.

Der ua Geheimdienst hat ein abgehörtes angebliches russisches Soldatentelefonat veröffentlicht. Danach habe es keinen Raketenbeschuss gegeben. Die russische Seite habe von dort mit einem Grad Raktenwerfer geschossen. (möglicherweise um ua Beschuss zu provozieren). Es habe eine Explosion im Inneren des Gefängnisses gegeben.  Videolink

Dass die Explosion aus dem Inneren des Gebäudes gekommen sei, würden auch die Fotos zu den Explosionsmerkmalen belegen.

 

Ein ukrainische Präsidentenberater bestritt, dass es im Dort Olevnika überhaupt militärisch relevante Ziele gäbe. Olenivka liegt ca 15 km südwestlich der Stadt Donetzk und damit relativ weit vom Kriegsgebiet entfernt, die Himar-Raketen gelten als zielgenau.

Die Interpretationen auf ua Seite sind unterschiedlich:

-False flag. Russischer Akt, um ihn der Gegenseite in die Schuhe zu schieben

-Vertuschung von Folter und Misshandlungen an Gefangenen

-Vertuschung von Unterschlagungen bei Gefangenenneubau durch Wagner-Soldaten vor Eintreffen einer Moskauer Untersuchungskommission-

-Russischer Terrorakt

-Etwas kompliziert ein israelischer Experte: möglicherweise Warnung an die eigenen russischen Soldaten, sich im Rauch Cherson zu ergeben, da Gefangene von der UA nicht geschont würden

 

Bewertung:

M.E. sprechen die Informationen bisher eher gegen die ru Version. Aber es bedarf angesichts der Relevanz des Vorganges weiterer Aufklärung:

-Zunächst des Vorganges an sich

-Wenn Wagner-Soldaten eigenmächtig gehandelt hätten, wäre das nur indirekt eine Handlung Russlands. Allerdings hat Putin bisher nicht erkennbar Exzesse bestraft, in Butscha wurden die verantwortlichen Truppenteile sogar ausgezeichnet. Insofern werden Kriegsverbrechen gedeckt, sogar stimuliert. Falls Putin nicht verantwortlich ist, müsste er disziplinarisch handeln

-Trotz des unmenschlichen Krieges beruht auch dieser immer wieder auf gegenseitigen Vereinbarungen zur Waffenruhe zur Bergung von Toten und Verwundeten, zum Toten und Gefangenenaustausch, vermutlich Atomwaffeneinsatz, ganz zu schweigen von größeren Abkommen (Getreide etc.). Dieser Vorfall stellt die Vereinbarung des IRS und der UN zu den ASOW-Gefangenen in Frage. Vereinbart war, dass diese nach Konvention behandelt und nicht getötet werden. Wenn Putins Armee für die Toten von Olenivka verantwortlich ist, steht international jegliches Agreement mit Putins Seite in Frage. (Zum Vorgang s. H-und-G.info Extra vom 29.7.2022 und Bilderserie heute.

 „Unsere“ Medien zum Fall

Dpa hat gestern die Fassung über die Explosion von Olenivka verbreitet, „werfen sich gegenseitig Beschuss von Gefangenen vor“. Mit liegt die Meldung von 15:33 Uhr. Das mag zu diesem Zeitpunkt, einige Stunden nach den Erstmeldungen gerade noch vertretbar sein. Vollkommen unverständlich ist, dass diese Meldung um 20 Uhr in der Tagesschau fast wörtlich wiederholt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war lange klar, dass die UA Seite einen Beschuss dementiert und von einer Explosion im Inneren nicht von einem „Beschuss“ durch die RA ausgeht. Zudem spiegelte die unvermittelt in der Sendung vorgetragene Meldung keineswegs die Dramatik des Vorganges. Auch der Bezug auf ASOW fehlte. Was ist nur mit der ARD los?