Aufarbeitungsnews Stand 9.11.2020

 

Inhalt

 

A_Abwicklung der Stasi-Unterlagenbehörde

A_1989 wem gehört 1989?

A_Deutsche Einheit

A_SED-Gelder

A_Gedenkdiskussion

A_Hohenschönhausendiskussion

A_Oppositionelle

A_Haftopfer

A_Rehabilitierung

A_Zeitzeugen

A_Neonazis in der DDR

A_Nachrufe

A_Polen SU

 

A_Abwicklung der Stasi-Unterlagenbehörde

https://www.mdr.de/zeitreise/zukunft-der-stasiunterlagenbehoerde-bstu-rekonstruktion-stasiakten-100.html

„Im Bundestag geht es am Freitag um das Bundesarchivgesetz zur Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde. Akten sollen mittelfristig nur noch an sechs Standorten in Ostdeutschland konzentriert werden. Das sorgt für Unmut. Bereits Anfang 2020 löste ein Interview heftige Kritik aus: BStU-Leiter Roland Jahn hatte sich über die schleppende Rekonstruktion zerrissener Stasi-Akten geäußert. Diese Debatte sei nicht beendet, die Rekonstruktion "fast tot", wie Christian Booß vom Bürgerkomitees 15. Januar e.V. kritisiert.“

 

Umwandlung mit (nicht nur) Schönheitsfehlern

Aufarbeitungsverein zur Abwicklung der Stasi-Unterlagenbehörde durch den Bundestag

30. Oktober 2020

 

Der Bundestag will mit dem am 30. 10. eingebrachten Gesetz die Stasi-Unterlagenbehörde endgültig abschaffen, die Akten ins Bundesarchiv überführen. Die Abschaffung des Stasi-Unterlagenbeauftragten ist keine Weiterentwicklung, sondern eine Zäsur in der Aufarbeitung der Geschichte der SED-Diktatur. Der geplante Opferbeauftragte ist kein Ersatz, sondern ein völlig neues Amt. Die sogenannte Gauck-Behörde entstand infolge von Bürgerprotesten und Aktionen, die die Stasi lahm legten, auflösten, einen großen Teil der Akten sicherten und kurz vor der deutschen Einheit eine Sonderbehörde, die Gauckbehörde, erkämpften. Diese war daher, allen bürokratischen Problemen zum Trotz, vor allem in den Regionen, wo die Bürger 1989/90 besonders aktiv waren, und im Ausland auch ein Symbol für zivilgesellschaftliches Engagement in Ostdeutschland. Insofern ist es riskant, dieses abzuschaffen und die Akten in eine zwar fachlich renommierte Behörde zu geben, die aber keinen speziellen Bezug zu dieser Geschichte hat. Auch hatte die Stasi-Unterlagenbehörde einen aktiven Aufarbeitungsauftrag, ein Archiv ist der Natur nach ein passiver Dienstleister. Zu kritisieren ist, dass NGOs, die in Tradition der Stasi-Auflösung stehen, nicht in die Umstrukturierungsdiskussionen einbezogen waren und sind.

Der Gesetzesentwurf ist zwar deutlich nachgebessert worden, es gibt dennoch Klärungsbedarf und Unsicherheiten:

1.   Die Akten sollen mittelfristig an nur noch 6 Standorten in Ostdeutschland konzentriert werden. Damit verlieren 7 Regionen, die an deren „Eroberung“ beteiligt waren, die Akten. Sie spielen nach wie vor eine wichtige Funktion in der regionalen Identitätsbildung. Insofern ist zu begrüßen, dass jetzt alle Standorte benannt werden. Gerade in Zeiten angesichts der derzeitigen Demokratieverdrossenheit wäre es ein falsches Signal, wenn hier die Kapazitäten der Aufarbeitung abgebaut werden. Der Bildungsauftrag der Außenstellen ist nicht klar formuliert. Wenn diese regional kooperieren sollen, müssen insbesondere die NGOs entsprechend finanziell ausgestattet werden.

2.  Die Akten in den Außenstellen der Stasi-Unterlagenbehörde sind überwiegend nicht klimatisiert gelagert und daher vom Verfall bedroht. Dieses Versäumnis der letzten Jahre muss unabhängig von den langwierigen und teuren Neubauplänen zeitnah durch Nachrüstung von Klimaanlagen beseitigt werden.

3 .   Es wird neu das Amt eines Opferbeauftragten geschaffen. Auch wenn der jetzige Entwurf besser dessen Aufgaben konturiert, ist darauf zu achten, dass es auf die eigentlichen Aufgaben der Opferunterstützung fokussiert. Der Opferbeauftragte soll nicht zum heimlichen Aufarbeitungsbeauftragten mutieren. Seine Verzahnung mit den Länderinstitutionen, die für die Opferentschädigung zuständig sind, ist nicht klar. Dass diese ihn unterstützen sollen, aber nicht umgekehrt, ist nicht nachvollziehbar. Warum der Opferbeauftragte nur mit Bürgerarchiven nicht mit allen themenrelevanten Vereinigungen kooperieren soll, ist nicht nachvollziehbar.

4. Warum ausgerechnet ein Opferbeauftrager bei der Überprüfung von Stasibelastungen im Öffentlichen Dienst beratend tätig werden soll, erschließt sich nicht. Hier werden dem Opferbeauftragten Restposten aus der Auflösung des Bundesbeauftragen unsystematisch draufgesattelt.

5.     Das rechtliche Problem, dass nunmehr ein Weisungs-gebundener Archivar die Letztentscheidung über die Stasi-Unterlagen hat, die nach wie vor nicht den rechtlichen Status von Archivgut haben, ist nicht gelöst.

6.   Das Gesetzesvorhaben berücksichtigt nicht den inzwischen bestehenden Modernisierungs- und Reformbedarf beim StUG, z.B. beim Status der Nomenklaturkader, bei Sachakten, VS-Schriftgut, bei Abgabe von Akten an Nachrichtendienste, Sperrklausel, etc..

7. Der letzte Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen hat faktisch die Forschungsabteilung seiner Behörde zerstört. Das Bundesarchiv kann und wird diese Lücke nicht füllen. Archivforschung ist kein Ersatz. Der Bundestag hat es versäumt, für die Kontinuität der Geheimdienstforschung, etwa durch Förderung eines Lehrstuhles für vergleichende Geheimdienstgeschichte abzusichern.

8.    Der Bundestag will weiterhin die computergestützte sogenannte virtuelle Rekonstruktion von Akten, die die Stasi teilweise zerrissen hat. Faktisch ist das Projekt so gut wie tot, seit 4 Jahr ist keine einzige Akte elektronisch zusammengesetzt worden. (s. PM vom 29.10.2020). Der Bundestag hat es versäumt, außer verbalen Bekundungen etwas dafür zu tun, dass das Projekt auch praktisch wieder fortsetzt wird.

Aufarbeitungsverein Bürgerkomitee 15. Januar e.V.

 

Computergestützte Zusammensetzung von Stasi-Akten so gut wie tot.

Berliner Aufarbeitungsverein deckt Etiquettenschnwindel auf.

Pressemitteilung 30.10.2020

Das international beachtete Projekt der Stasi-Unterlagen-Behörde, zerrissene Stasi-Akten per Computer zusammensetzen zu lassen, ist offenbar am Ende. Dies ergibt sich aus Recherchen des Aufarbeitungsvereins Bürgerkomitee 15. Januar e.V.. Seit 2016 ist keine einzige Akte mehr elektronisch zusammengefügt worden. Von geplanten 400 Säcken mit zerrissenem Material liegen bislang ganze 23 vor. „Die Jahn-Behörde täuscht die Öffentlichkeit und das Parlament seit Jahren über den faktischen Stillstand der virtuellen Rekonstruktion.“ Inzwischen haben fast alle Projektexperten beim Fraunhofer Institut (IPK) mit ihrem Spezialwissen das Team verlassen, am Jahresende geht der langjährige Projekteiter und Initiator in den Ruhestand. „Der Bundestag fordert in dem Antrag vom 27.10.2020 zwar die Fortsetzung des Projektes, sagt aber nicht wie. Wenn er jetzt nicht schnell eingreift, ist das Stasi-Puzzle ist so gut wie tot.“ So Christian Booß vom Aufarbeitungsverein Bürgerkomitee 15.Januar e.V.

Die Software von 2012 ist inzwischen nicht mehr zeitgemäß und müsste neu bearbeitet werden. 2 Millionen Euro, die der Bundestag vor Jahren zur Fortsetzung des Projektes bewilligt hat, werden von der Jahn-Behörde seit Jahren nicht freigegeben. Sie sollten für einen neuen Scanner bereit gestellt werden, den das Fraunhofer Institut auf eigene Kosten entwickelt hatte, um mit einer höheren Auflösung bessere Ergebnisse bei der elektronischen Zusammensetzung von Aktenschnipseln zu erzielen. Mit seiner Technologie macht das Institut inzwischen weltweit Furore, nur das Projekt der Stasi-Unterlagenbehörde hängt. Seit Jahren streiten das Fraunhofer Institut in Berlin (IPK) und die Stasiunterlagenbehörde über Restzahlungen und den Fortgang des Projektes. „Die Sache scheint so verfahren, dass es offenbar ohne einen externen Schlichter nicht mehr weitergeht.“

Gegen die Zusammensetzung von Akten, die Stasi-Mitarbeiter in der Wende zerrissen hatten, um Beweismaterial zu vernichten, hatten sich in der Verwaltung schon immer Widerstände geregt. Es wurden nie die Ergebnisse der Aktenzusammensetzung wirklich qualifiziert offengelegt. Betroffenenakten wurden so gut wie nicht rekonstruiert. Zum Teil sind kaum erfüllbare technische Anforderungen an das Projekt gestellt, worden, was den Aufwand und die Kosten immer weiter vergrößerte. Auch waren immer neue Hürden bei der Vertragsgestaltung aufgebaut worden. Verhandlungen ziehen sich immer wieder über Monate hin. „Die Jahn-Behörde hat das Projekt versanden lassen, dass das Getriebe zum Stehen gekommen ist.“

Aufarbeitungsverein Bürgerkomitee 15. Januar E.V.

 

A_1989. Wem gehört 1989?

S. auch H-und-G: Wem gehört 1989? Dokumentation einer Debatte. mehr...

https://www.rnz.de/kultur-tipps/literatur_artikel,-30-jahre-einheit-es-wurde-sogar-gekifft-_arid,557913.html

https://www.google.com/amp/s/m.lvz.de/amp/news/Leipzig/Lokales/Wem-gehoert-die-Friedliche-Revolution-Leipziger-Buergerrechtler-kritisieren-Soziologen-Pollack

Empörung nach LVZ-Interview

Wem gehört die Friedliche Revolution? Bürgerrechtler kritisieren Soziologen Pollack

Leipzig. Er ist in Leipzig aufgewachsen, hat in DDR-Zeiten an der Leipziger Uni Theologie studiert und nach 1990 als Religionssoziologe eine beachtliche geisteswissenschaftliche Karriere im Westen hingelegt: Professor Detlef Pollack (64) von der Universität Münster. Doch mit einem Buch und seinen Thesen zur friedlichen Revolution in Ostdeutschland sorgt Pollack für reichlich Empörung. Seine Kernthese: Das Volk war der treibende Keil 1989 im Kampf gegen das DDR-Regime. Er habe zwar vor dem Mut der Bürgerrechtler große Hochachtung, sagte Pollack in einem LVZ-Interview. „Aber die friedlichen Proteste auf den Straßen der DDR sind nicht ihr Verdienst. Die Bevölkerung hat sich über Jahre im mehrheitlichen Schweigen geübt, aber als sich die Gelegenheit ergab, ergriff sie sie.“ Pollack verwies auf den Kampf um die Deutungshoheit bei der Frage: Wem gehört eigentlich die friedliche Revolution?

Hollitzer: Passt zu Umbewertung der Revolution

Pollacks Antworten darauf wollen Leipziger Bürgerrechtler so nicht stehen lassen. „Sie können in vielen Punkten nicht unwidersprochen stehen bleiben“, schrieb Tobias Hollitzer, Chef der Stasi-Gedenkstätte in der „Runden Ecke“, an die LVZ. Es habe, anders als von Pollack behauptet, sehr wohl Demonstrationsaufrufe von der Leipziger Opposition gegeben. Hollitzer verweist auf das Friedensgebet und den Demo-Versuch am 4. September 1989 vor der Nikolaikirche. Das alles sei in Dokumenten festgehalten, die öffentlich zugänglich seien. Es sei schon auffällig, so der Bürgerrechtler, dass Pollacks Thesen genau zu „aktuellen Versuchen einer Umbewertung der Friedlichen Revolution“ passen.

Schwabe: Lade Pollack gern zu Recherchen ein

Sarkastisch, aber nicht weniger kritisch reagierte Bürgerrechtler Uwe Schwabe vom Archiv Bürgerbewegung, der am besagten 4. September 1989 vor der Nikolaikirche zu den Demonstranten in der ersten Reihe gehörte. Er freue sich über die Beschäftigung mit der Friedlichen Revolution, so Schwabe. „Da wir Professor Pollack leider in den letzten Jahren nicht in unserem Archiv gesichtet haben, laden wir ihn gerne zu Recherchen in das Archiv Bürgerbewegung ein.“ Laut Schwabe liegen hier die wichtigsten Unterlagen, auch der Film über den 4. September 1989 zähle dazu. Falls es für Pollack zu mühsam sei, nach Leipzig zu kommen, „schicken wir den Film auch gern zu“.

Turek: Kann Kerngedanken durchaus teilen

Eher moderat und Pro-Pollack reagierte Rolf-Michael Turek. Der Ex-Pfarrer, der in den 1980er-Jahren in der Leipziger Markuskirchgemeinde aktiv als Bürgerrechtler wirkte, sprach von einem „hochinteressanten Interview“, dessen „Kerngedanken er durch eigene Erlebnisse durchaus teilen“ könne. „Das, was im Untergrund vor sich hin köchelte, schaffte es dann im Herbst ’89 plötzlich auf die Straße. Es waren Tausende, die Veränderungen wollten“, schrieb Turek. Er verwies auf die Besetzung der Leipziger Stasi-Zentrale („Runde Ecke“) am 4. Dezember 1989 auf Druck von Oppositionellen und von 150 000 Demonstranten. Turek: „Ein schönes Beispiel vom Zusammenspiel der Bürgerrechtler mit dem Volk.“

Quellenangabe: Leipziger Volkszeitung vom 10.10.2020, Seite 6 https://www.google.com/amp/s/m.dnn.de/amp/news/Region/Mitteldeutschland/Wem-gehoert-die-Friedliche-Revolution-Leipziger-Buergerrechtler-kritisieren-Soziologen-Pollack

 

A_Deutsche Einheit

Linda Teuteberg

https://www.welt.de/debatte/kommentare/article216995324/30-Jahre-Deutsche-Einheit-Das-war-eine-Revolution-und-keine-Wende.html

„Die schwierigen Jahre nach 1990 waren nicht Ergebnis der Einheit, sondern Folge der DDR. Trotzdem ist die Sicht darauf, je nach Herkunft, sehr verschieden. Darüber müssen wir streiten. Unsere Gastautorin hat dazu sieben Thesen.

Noch immer verwahren sich einige dagegen, dass man die „DDR“ einen Unrechtsstaat nennt. Dabei geht es nur vorgeblich um eine wissenschaftliche Bewertung des Begriffes oder um die Lebensleistung von Menschen. Es geht um die Vereinnahmung von Menschen für den Staat DDR und das SED-Regime.

Da wird immer wieder eine kollektive Identität und Interessenlage aller „Ostdeutschen“ unterstellt, die es so nie gab und nicht gibt. Leistung und Anstand von Menschen gab es in der DDR trotz und nicht wegen des politischen Systems.

Die Menschen im Osten unseres Landes haben der SED niemals in freien Wahlen ein Mandat erteilt, sie zu regieren. Sooft auch immer anderes suggeriert werden mag, ist Widerspruch vonnöten. Erst recht, wenn dies wie zuletzt durch Ministerpräsident(inn)en ausgerechnet am 70. Jahrestag der DDR-Gründung geschieht.

Das war eine Revolution, keine Wende. Auf diesen frühen Fall erfolgreichen politischen Framings sollten wir nicht hereinfallen. Egon Krenz meinte in seiner Antrittsrede, dass die SED mit der „Wende“ wieder die „ideologische und politische Offensive“ erlangen werde. Das Gegenteil war der Fall. ...

Er suggeriert Neutralität und Passivität. Er vernachlässigt die Rolle jeder und jedes Einzelnen: den Mut, das Gewissen, die Verantwortungsbereitschaft, auf die es damals ankam, und auch heute ankommt. ...

Die Treuhandanstalt darf nicht immer wieder zur erinnerungspolitischen Bad Bank gemacht werden. Linke und AfD sind sich bei diesem Thema bemerkenswert einig. Dabei dürfen Ursache und Wirkung nicht verwechselt werden: Nicht die Treuhand, sondern 40 Jahre Planwirtschaft haben die Wirtschaft in Ostdeutschland nachhaltig abgeschottet und geschädigt. ...

Die Freiheit im Westen unseres Landes ist kein eigenes Verdienst. Dass die zweite deutsche Diktatur nur in einem Teil unseres Landes selbst erfahren wurde, ist ein quantitativer Befund. Ein qualitatives Argument gegen die Relevanz dieser Erfahrungen für den so dringend notwendigen gemeinsamen antitotalitären Konsens ergibt sich daraus gerade nicht.

Die real erfahrene Diktatur der SED lässt Gleichgültigkeit gegenüber linksextremistischen Gefahren für die Freiheit nicht zu.“

 

https://m.azonline.de/Welt/Politik/4286423-Bundesbeauftragter-fuer-Stasi-Unterlagen-Roland-Jahn-Wir-wollten-ein-freies-Leben-fuehren

„Die Pauschalisierung „ostdeutsch“ ist meist daneben, findet Roland Jahn, Bundesbeauftragter für Stasi-Unterlagen. Im Interview erklärt er, wieso das Schubladendenken falsch ist und was er Menschen entgegnet, die meinen, ihre Freiheitsrechte würden heute genauso beschnitten wie in der DDR.“

https://www.publicomag.com/2020/10/der-geschichtsschinder-geht-um/

„Die Bundespräsidentenrede zum 30. Jahrestag der deutschen Einheit ist ein Skandal: Steinmeier versucht sich als oberster Agitprop-Historiker

Von Alexander Wendt

„Mit der DDR, die vor dreißig Jahren endete, ist Steinmeier in seiner Rede schnell fertig. Das Kürzel SED kommt nicht vor, auch kein Wort zur Machtstruktur und zur tragenden Ideologie. Und nur eine kurze abschließende Formel (Roland Barthes) zur Gegenwart: „Ja, wir leben heute in dem besten Deutschland, das es jemals gegeben hat.“ Wenn die Staatsspitze das höchstselbst feststellt, wird es wohl stimmen. ...

In der Elite des Reichs pflegten etliche Adlige und Bürgerliche antijüdische Vorurteile, allerdings muss man lange suchen, um derartig hasszerfressene antisemitische Ausfälle zu finden wie bei Karl Marx, der Lassalle einen „jiddischen Nigger“ nannte. ...

Warum arbeitet sich das Staatsoberhaupt am 3. Oktober überhaupt am Kaiserreich ab, als hätte vor dreißig Jahren nicht die DDR endgültig abgedankt, sondern Wilhelm der Letzte? Damit der Redner nicht über die DDR sprechen muss? Gibt es dafür einen Grund?

In einer Sonderausgabe der „Blätter für deutsche und internationale Politik“, erschienen in dem von der DDR verdeckt finanzierten Pahl-Rugenstein Verlag, schrieb der nicht mehr ganz junge Jurist Frank-Walter Steinmeier 1990 über die bevorstehende und von ihm abgelehnte Vereinigung der beiden deutschen Staaten:

„Es führt keine demokratische Brücke von der Verfassung der BRD zur Verfassung des Neuen Deutschland.“

Eine Vereinigung ginge zu Lasten der DDR, denn die bekäme „nicht einmal die Chance, ihre Geschichte, ihre Besonderheit, ihre Utopien, vielleicht ihre Identität in den Einigungsprozeß einzubringen“.

Der Steinmeier von 1990 klingt mehr oder weniger wie der von 2020. Es ist die gleiche auf schweren Füßen dahinstampfende undialektische Sprache, in der sich kein Begriff intellektuell entwickelt. Dass diejenigen, die im Oktober 1989 in Leipzig auf die Straße gegangen waren, unter „Utopien“ vielleicht etwas anderes verstanden als ein Redakteur des Neuen Deutschland, kam ihm offenbar gar nicht in den Sinn.

Bei vielen Gelegenheiten servierte Steinmeier bisher seine Redephrase, wir müssten in Ost und West einander unsere Geschichten erzählen. Die Geschichte, wie er als typischer Vertreter des westdeutschen linken Lagers 1990 die Einheit nicht wollte, erzählt er leider nie. Schade, denn die wäre möglicherweise sogar interessant. Sein Lob für „Mut und die Entschiedenheit der Bürgerrechtler und der Friedlichen Revolutionäre“ wäre dann nicht ganz so hohl durch seine Potsdamer Ansprache geklappert.“

https://www.globkult.de/geschichte/rezensionen/1966-karl-heinz-paque-richard-schroeder-gespaltene-nation-einspruch-30-jahre-deutsche-einheit-eckhard-jessse?fbclid=IwAR1g8vN8EFtboQ16EYutz3QGgYp4QH2OD30Pypv-G79e0m1txL2DM2QaGNQ

„Paqué verweist zu Recht auf die jahrzehntelangen Verheerungen durch die Planwirtschaft. Für ihn gilt: «Nicht das Ergebnis ist enttäuschend, sondern die Erwartungen waren zu hoch« (S. 109).

Dies ist ebenso die Position Schröders, der seinen lebendigen Text mit Anekdoten und Witzen würzt. Er erhellt Mythen zum Alltag in der DDR (das Solidarische in der DDR war oft aus der Not geboren), zur friedlichen Revolution (dem Umschlag von der Freiheitsrevolution in die Einheitsrevolution wohnte Konsequenz inne) und zur deutschen Einheit (sie musste angesichts der labilen Situation in der Sowjetunion so schnell wie möglich erfolgen). Bei den heutigen Ost-West-Kontroversen votiert der Autor entschieden gegen den ostdeutschen Opferkult, den selbst manche Westdeutsche teilen. Ihm ist daran gelegen, den Unterschied zwischen Patriotismus und Nationalismus hervorzuheben. Er firmiert weder als unkritischer Freund einer multikulturellen Gesellschaft noch als Freund der keineswegs dämonisierten AfD, die im Osten stärker ist als im Westen, wie übrigens die Partei Die Linke. Hier sind die Ost-West-Diskrepanzen noch ausgeprägter.

Schröder wird nicht müde, anhand zahlreicher Belege gegen den stereotypen Mythos zu Felde zu ziehen, ›der‹ Westen habe ›den‹ Osten entmachtet. So stimme es nicht, dass der Westen die ›runden Tische‹ beseitigt habe. Sie spielten beim Übergang von der Diktatur eine wichtige Rolle, jedoch nicht beim Aufbau einer Demokratie. Der im Dezember 1989 ins Leben gerufene Zentrale Runde Tisch löste sich kurz vor der Volkskammerwahl am 18. März 1990 auf, wie es von vornherein vorgesehen war.

Was Schröder hingegen als problematisch ansieht, und zwar zu Recht: Die Umstellungsleistungen Ostdeutscher – von einer Diktatur mit einer Planwirtschaft auf eine Demokratie mit einer Marktwirtschaft – fielen gewaltig aus. Dies haben Westdeutsche, für die fast alles gleichgeblieben war, wohl nicht hinreichend gewürdigt.

Paqué und Schröder wollen bei den heutigen Problemen nicht die der Vergangenheit vergessen. Die Hinterlassenschaft der SED-Diktatur ist übel. Werden Petra Köpping (Integriert doch erst mal uns! Eine Streitschrift für den Osten, Berlin 2018) und Ilko-Sacha Kowalczuk (Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde, München 2019), deren Positionen dieser Band argumentativ deutlich kritisiert, die Herausforderung annehmen und antworten? Es dürfte nicht ganz einfach sein, die Standpunkte Paqués und Schröders zu widerlegen, etwa zur Treuhand. Dabei müssten sie sich ebenso mit der einschlägigen Studie des langjährigen »Spiegel«-Redakteurs Norbert F. Pötzl auseinandersetzen (Der Treuhand-Komplex. Legenden. Fakten. Emotionen, Hamburg 2019).“

https://geschichtedergegenwart.ch/zermenschlichung-wie-literatur-extreme-erfahrung-schreibt/

„Die physische und psychische Selbstaufgabe, die kampflose Hingabe an den Untergang führt den Zustand des Nicht-Mehr-Menschseins herbei. Jemand, der diesen Zustand erreicht hat, wird im Lagerjargon dochodjaga genannt. Das Verb dochodit’ meint bis an eine Grenze kommen, den äußersten Punkt erreichen. Der dochodjaga führt die den drohenden Untergang anzeigende Verwandlung, diese Schwundstufe des Menschseins, für alle Mithäftlinge sichtbar vor; er repräsentiert das Äußerste des Lagerzustands. Das russische dochodjaga gehört in dasselbe Bedeutungsfeld wie der in Holocausttexten benutzte Begriff „Muselmann“. Die Beschreibungen dieses ‚Phänomens‘ in Gulag- und Holocausttexten scheinen nahezu identisch. Margolins Schilderung des auf den Abgrund Zugehenden gilt denselben zwei Momenten, die auch in Primo Levis „Ist das ein Mensch?“ benannt werden: dem psychischen und dem physischen. Angesprochen ist hier die Verwandlung eines ‚heilen‘ Menschen in ein Wrack, dessen physischer Verfall aus der Unfähigkeit zur Adaptation, aus seinem schwindenden Lebenswillen, einer psychischen Schwäche also, resultiert. ...

In den anthropologischen Feststellungen der Lagerliteratur erscheint Entmenschlichung als das Äußerste, Extreme. Im Schreiben darüber kann die Grenze, die das Extreme markiert, nie erreicht werden. Das Extreme ist Exzess, außerhalb der Ordnung der Dinge. Es ist unvergleichlich. Die Unvergleichbarkeit mit allem Bekannten macht den Schreibenden zu schaffen. Es geht aber nicht nur um die Frage, ob die Erfahrung des „in extremis“ sagbar, aussprechbar ist, sondern auch darum, ob man sie aussprechen darf. Mit Blick auf das Geschehene sagt Schalamov: „Der Mensch soll es nicht kennen, soll nicht einmal davon hören.““

Da wächst zusammen...

https://www.blick.de/erzgebirge/akteure-sagen-gespraechsrunde-vor-ort-ab-artikel11160921

„Moderator Frank Richter kommt mit Peter Gauweiler (CSU), der aus München und mit Egon Krenz, (ehemals SED), der aus Dierhagen zugeschaltet sein wird, ins Gespräch und wird unter anderem der Frage nachgehen, was von der ehemaligen DDR übriggeblieben ist?“

 

 

https://m.westfalen-blatt.de/OWL/Kreis-Guetersloh/Steinhagen/4294677-Pfarrer-Matthias-Storck-berichtet-ueber-seine-Zeit-im-DDR-Gefaengnis-Abendmahl-im-Verhoerraum

https://babcast-berlin.org/blog-2/

https://open.spotify.com/show/78Qx2zCjKmVXuVZoyzV6li?nd=1

https://youtu.be/2LEzOX6TJNE

https://prora-zentrum.de/

Gespräch des PRORA-ZENTRUMs mit Martin Klähn: Von der Friedlichen Revolution zur deutschen Einheit

Aus Anlass des 30sten Jahrestages der deutschen Einheit, am 3. Oktober 2020, hat der PRORA-ZENTRUM e.V. einen Film produziert, in dem die Leiterin des Vereins, Susanna Misgajski, mit Martin Klähn am 29. August 2020 ein Gespräch über die bewegende Zeit von 1989 bis zur deutschen Einheit führt. Klähn, heute pädagogischer Leiter des Politische Memoriale MV e.V., war Mitbegründer des Neuen Forums und engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung in Schwerin. Umrahmt wird das Gespräch von Elementen der Ausstellung „Von der Friedlichen Revolution zur deutschen Einheit“ der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die das PRORA-ZENTRUM vom Juni bis Anfang September 2020 in seinen Räumen gezeigt hat.

Wir wünschen uns, dass das Gespräch, das eigentlich als öffentliche Veranstaltung in Prora geplant war, nun digital viele Interessierte erreicht! (Dauer: 28 Min.)

 

https://www.derfreydenker.de/2020/02/06/die-fdp-zwischen-allen-stuehlen/

„SPD und Grüne haben das für sich schon vor fünf Jahren gelöst, in dem sie sich nicht bloß von der zweifach umbenannten SED haben tolerieren lassen, sondern aktiv deren Kandidaten zum Ministerpräsidenten gewählt und sogar eine Regierungskoalition unter ihrer Führung gebildet haben. Schon das war ein “Dammbruch” – dass diejenige Partei, die 40 Jahre lang in der DDR regiert hatte und verantwortlich für Berliner Mauer, Stasi und Schießbefehl war, nun einen Ministerpräsidenten im wiedervereinigten Deutschland stellte, ist eigentlich unerhört. Unterstützer dieser Idee wenden gerne ein, dass Ramelow ja aus dem Westen stamme und daher unbelastet sei. Doch auch er setzt sich nicht in angemessenem Maße kritisch mit der Geschichte seiner Partei auseinander, duldet ehemalige Parteikader und Stasi-Spitzel in seiner Fraktion und hat keine Skrupel, öffentlich zu betonen, die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen. In der öffentlichen Berichterstattung scheint dies nun alles kein Problem zu sein. ...

Da AfD und LINKE nicht zusammenarbeiten werden, ist auch keine Mehrheit ohne die Parteien der Mitte möglich. Angesichts dessen muss ein Ministerpräsident nicht aus einer der radikalen Parteien kommen, auch wenn diese die stärksten Fraktionen stellen mögen. Ich denke, es wird wohl Minderheitenregierungen der bürgerlichen Mitte geben müssen. Das ist neu, das ist ungewohnt, das fühlt sich nicht gut an. Aber es wird nicht anders gehen.

Es muss jetzt endlich um Inhalte gehen. Die vielen politischen Herausforderungen, die in Thüringen bestehen, und von denen viele unter der letzten Regierung brach lagen, müssen angepackt werden. Nur so kann das Vertrauen in die Politik und insbesondere die Parteien der Mitte wiederhergestellt werden. Das ewige Setzen von „Zeichen”, “Signalen” und „Symbolen” muss aufhören.“

GEORG GAFRON

https://www.tichyseinblick.de/feuilleton/jubilaeum-der-legenden-und-geschichtsfaelschung-bei-ard-und-zdf/

„In TV-Dokumentationen und Diskussionen wurde jetzt der Eindruck vermittelt, den Deutschen in der DDR sei gegen ihren Willen das System der Bundesrepublik „übergestülpt“ worden. Vergessen wird dagegen, dass es sich bei der DDR um eine Diktatur und damit um einen Unrechtsstaat von Anfang an handelte.

Im kleinen Kreis bemerkte Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl, angesprochen auf die Negativ-Berichterstattung besonders der öffentlich-rechtlichen Medien über die Entwicklung in den neuen Bundesländern: „Noch fünfzig Jahre weiter, dann wird man die Geschichte so verfälscht und umgedeutet haben, dass im Bewusstsein der Menschen ich der Staatschef der DDR gewesen bin und Erich Honecker der Vater der deutschen Einheit, dem es aufgrund des Widerstandes der Bonner Knechte des rheinischen Großkapitals nicht gelungen sei, das humane und wirtschaftlich erfolgreiche Modell des Sozialismus in ganz Deutschland durchzusetzen. ...

Alle Versuche der Sowjetunion und der DDR aber auch der bundesdeutschen Linken, diese Rechtsauffassung aufzugeben, scheiterten am erbitterten Widerstand insbesondere von CDU/CSU und FDP. Insbesondere die SPD hatte in den Achtziger Jahren den Gedanken an die Einheit und damit den Fürsorgewillen für die Deutschen in der DDR, solange diese nicht selbst darüber bestimmen konnten, aufgegeben und die SED-Forderung nach einer eigenen Staatsbürgerschaft akzeptiert. Hier liegt das eigentliche Verdienst des Helmut Kohl, für den das Festhalten an der Wiedervereinigung neben der Westbindung der Bundesrepublik unverhandelbar war. Ein Umstand, der die rechtlichen Voraussetzungen für das Geschehen des Jahres 1989 erst ermöglichte. Ohne die daraus folgenden Vereinbarungen z. B. mit der ungarischen Führung im Sommer 1989 wäre die Geschichte anders verlaufen.

Im Herbst 1989 hatte die Ausreisebewegung, ergänzt oder verschlimmert durch massenhaft gestellte, immer wieder neue Anträge auf Übersiedlung in die Bundesrepublik, die DDR an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Die Situation schien nicht mehr beherrschbar. Selbst dem passivsten und geduldigsten Bewohner der DDR wurde klar, dass der Zusammenbruch unmittelbar bevorstand. Vor allen Dingen diese Erkenntnis brachte die Menschen dazu, auf die Straße zu gehen. Die SED wurde endgültig zur Getriebenen. Natürlich gab es auch die Bürgerrechtsbewegung mit vielfachen Überlegungen über einen Reformsozialismus und eine Art neue DDR. An Wiedervereinigung dachte man dort nicht – ebenso wenig wie diese Vorstellungen den Willen der überwiegenden Mehrheit der Menschen wiederspiegelte. Indessen träumte niemand von einer neuen DDR. Was die Leute wollten war Freiheit und natürlich auch einen ihrer Arbeitsleistung entsprechenden Wohlstand. 

Bei allem Respekt vor den linksreformerischen Kräften und den Friedensgruppen der Kirchen, vor den Träumereien neuer Sozialismusmodelle wäre das SED-Regime nicht in die Knie gegangen. ...

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Deutschen Ost und den Deutschen West – bis heute. Ein Vorwurf ist daraus niemandem zu machen. Aber die Deutschen im Osten hatten ohne Unterbrechung von 1933 bis 1989 unter zwei Diktaturen zu leiden. In Gesellschaften, in denen Unterordnung, Gehorsam, kollektiver Zwang und Angst das Leben der Menschen prägten. „Sag mir, wo Du stehst“ forderte die FDJ-Singegruppe „Oktober-Klub“ von jedem. Unter DDR-Jugendlichen verbreitete sich schnell die gefährliche Antwort: „Und wenn Du das tust, dann sitzt Du auch gleich!““

Dresdener Neustadt am Ende des SED-Staates 

https://www.mdr.de/video/mdr-videos/c/video-454764.html

(Am Ende die Vorbilder der heutigen linksextremen Autonomen im Thälmann-Film-Ausschnitt)

 Arnold Vaatz

Rede zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit

am 3. Oktober 2020

im Sächsischen Landtag

 

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, lieber Matthias, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Michael, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, verehrte Gäste,

 

Jeder Ausbruchsversuch an der Peripherie des sowjetischen Imperiums wurde bis 1989 gewaltsam niedergeschlagen: DDR 1953, Ungarn 1956, Tschechoslowakei 1968 und Polen 1981.

In den achtziger Jahren war der Westen dem Osten wirtschaftlich und technologisch uneinholbar davongeeilt. Da gelangte im Kreml Michail Gorbatschow an die Macht. Er erkannte, dass die Wege, die in diese Stagnation geführt hatten, verlassen werden mussten. Perestroika gleich Umbau und Glasnost gleich Transparenz: Das war seine Ansage und sein Programm.

Zum ersten Mal wehte jetzt der Wind der Veränderung aus dem Zentrum der Macht, aus dem Kreml selbst.

Die alten Herren im Politbüro der SED reagierten trotzig: Nur weil der Nachbar die Tapeten wechselt, müsse man nicht gleich selbst neu tapezieren, verkündete Kurt Hager. Die Menschen in der DDR warfen daraufhin die Tapete samt Mauer über den Haufen - in der Hoffnung, dass der nach alter sowjetischer Gewohnheit fällige Gegenschlag diesmal ausbleibt.

Und er blieb aus. Die Revolution siegte. Und nichts in der bisherigen europäischen Geschichte konnte sich mit dieser friedlichen Revolution messen: Nichts in Bezug auf die Reichweite – von Berlin bis Wladiwostok, nichts in Bezug auf die Kultur der Besonnenheit in der sie ablief – bei uns ohne einen einzigen Schuss – und nichts in Bezug auf die Freiheit, in die sie mündete.

Aber in Wahrheit war sie nur das friedliche Ende eines blutigen Kampfes, der 1917 begonnen hatte und – überlagert durch die noch viel schrecklicheren Hitlerjahre – Millionen Tote gekostet hat.

Diese Revolution war ein Gemeinschaftswerk. Der polnische Papst hatte bei seinem ersten Besuch in der Heimat die wahren Mehrheitsverhältnisse in Polen offenbart. Auch alle getürkten Wahlen konnten die Fernsehbilder aus Tschenstochau nicht auslöschen. Unsere tschechischen Freunde – die Charta 77, unsere polnischen Freunde – die polnische Gewerkschaft Solidarnosz und die tapfere Opposition innerhalb der ungarischen Staatspartei um Miklós Németh und Imre Pozsgay hatten schon am Tor zur Freiheit gerüttelt, als es bei uns noch nichts Vergleichbares gab.

Die Menschen in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn hatten es ungleich schwerer als wir. Sie hatten keinen Westteil ihres Landes, der ihnen mit enormen Summen aufhalf. Sie erkämpften die Demokratie unter Bedingungen die im Westen Europas unvorstellbar sind.

Wie bitter muss es in diesen Ländern heute aufstoßen, wenn ihnen genau aus diesem Westen ein Klima permanenter Belehrung entgegenschlägt und ihre Wahlentscheidungen fortwährend herablassend kommentiert werden. Diese Länder verdanken wir zu einem gehörigen Teil, dass wir heute einen weiteren Tag der Befreiung in unserer Geschichte feiern dürfen. Ihnen gebührt Dank. Und Dankbarkeit, meine Damen und Herren, ist sehr wohl auch eine politische Kategorie.

Und als Christ sage ich: Gott sei Dank. Denn kein menschlicher Plan hätte das riesige politische Schachbrett so aufstellen können, wie es damals stand.

Ob ein Wladimir Putin anstelle eines Michail Gorbatschow, 1989 an der Spitze der Sowjetunion, hätte uns damals kampflos ziehen lassen, scheint mir jedenfalls nicht sehr wahrscheinlich. Es ist deshalb völlig richtig, dass unsere Bundeskanzlerin und unser Bundesaußenminister in ihrer Russlandpolitik eine eindeutige Haltung beziehen.

Sich zu Komplizen von Putins imperialen Phantasien zu machen, wäre ein Schlag ins Gesicht der Opfer von 1953, 56 und 68, der mehr als 13.000 getöteten Ukrainer und Georgier, der Demonstranten in Weißrussland und all derer, denen es unter russischen Drohgebärden heute ähnlich ergeht wie uns vor dreißig Jahren.

Die Deutsche Einheit war keineswegs eine zwingende Folge unserer Herbstrevolution.

Der Aufruf „Für unser Land“, unterschrieben unter anderem von Egon Krenz, Lothar de Maizière und etlichen Bürgerrechtlern, abgedruckt in fast allen Zeitungen und zur Unterschrift ausliegend in fast allen Betrieben, war eine Kampfansage an den Wunsch nach deutscher Einheit.

Erst der Besuch von Helmut Kohl im Dezember in Dresden zeigte den Menschen in der DDR wo – im Gegensatz zu dem Eindruck, den Zeitungen und Fernsehen hierzulande zu erwecken suchten – im eigenen Land die Mehrheiten standen.

Im Westen Deutschlands war das mediale Klima damals überwiegend wiedervereinigungsfeindlich.

Einige ZEIT-Journalisten waren 1986 durch die DDR gereist. Die SED hatte die Route organisiert. Heraus kam das Buch „Reise in ein fernes Land“. Darin ließen sie die Leser wissen, wie gut wir es doch in der DDR hätten und dass Erich Honecker von uns regelrecht verehrt würde. Als ich dies Buch damals in die Hände bekam, empfand ich es als einen Tritt in die Magengrube. Mir fiel der berühmte Ausspruch von Marie Antoinette ein, wenn die Leute kein Brot hätten, dann sollten sie doch Kuchen essen.

Egon Bahr nannte Ende der achtziger Jahre allein das Reden von einer möglichen Wiedervereinigung „politische Umweltverschmutzung“. Johannes Rau gestand denn auch 1990 in der Leipziger Nikolaikirche ein: „Wir haben uns bei den Mächtigen wohlgefühlt. Wir waren nicht bei denen, die die Revolution vorbereiteten. Wir waren bei denen, die nichts ändern wollten“.

Und die Grünen? Am Morgen nach der Volkskammerwahl hielt uns Otto Schily eine Banane entgegen. Er rückte unseren Freiheitskampf in die Nähe einer Affenfütterung. Noch im Mai 1990 demonstrierten die Grünen gegen die sich abzeichnende Wiedervereinigung mit dem Slogan „Nie wieder Deutschland!“

Sie alle waren „nicht dabei“, wie Johannes Rau richtig feststellte. Sie waren verdatterte Zaungäste dieser historischen Stunden.

Ich werde den Eindruck nicht los: Das Faktum, dass wir als unbedeutend empfundene Ossis mit unseren als vernachlässigbar erscheinenden Meinungen dies alles in Gang gesetzt hatten, scheint die Deutsche Einheit für manch einen bewunderungsgewohnten Meinungsführer aus dem Westen zu einer einzigen narzisstischen Kränkung zu machen.

Auch in der CDU war man schon dabei, auf diesen Kurs einzuschwenken: Geißler und Süssmuth wollten die Wiedervereinigung aus dem CDU-Grundsatzprogramm streichen, was Helmut Kohl verhinderte.

Und was sagte die übrige Welt? Margaret Thatcher, François Mitterand, Ruud Lubbers oder Giulio Andreotti waren entschieden gegen eine Deutsche Einheit. Nur George Bush und Felipe González waren dafür.

Ich glaube heute: Ein Bundeskanzler, der 1990 die deutsche Wiedervereinigung hätte verhindern wollen, hätte es leichter gehabt als einer, der diese Deutsche Einheit angestrebte. Helmut Kohl wollte die Einheit. Er war es, der seine europäischen Kollegen vor die Frage stellte, ob wirklich ein gegen den Willen der betroffenen Menschen von außen in die Zweistaatlichkeit gezwungenes Deutschland für Europa besser sein soll, als ein starkes, solidarisches, in Europa integriertes, in Frieden und Freiheit wiedervereinigtes Land. Er ebnete den Weg dafür, dass sich Europa mit der deutschen Wiedervereinigung abfand.

Viele stellten sich nun vor, zunächst eine neue Verfassung nach Artikel 146 des Grundgesetzes zu entwickeln. Aber einerseits stand dies im Widerspruch zu der gebotenen Eile. Die politische Großwetterlage konnte jederzeit umschlagen – siehe Sommerputsch gegen Gorbatschow 1991. Und andererseits: Wenn hierdurch eine bessere Verfassung als das Grundgesetz herauskommen sollte – warum gab es diese nicht schon längst?

So blieb der Beitritt nach dem damaligen Artikel 23.

Die ganze DDR als Bundesland in den neuen Gesamtstaat einzufügen, stieß sofort auf allgemeine Ablehnung. Niemand wollte künftig DDR-Bürger sein. Hierzulande beispielsweise wollte man Sachse sein. Nun war die DDR allerdings in Bezirke gegliedert. Formal hatte es in der DDR einmal Länder gegeben. Sie waren 1952 zerschlagen worden. Was war nun zu tun, um aus den DDR-Bezirken ein Bundesland zusammenzufügen?

Die Herbstrevolution sogenannte Runde Tische hervorgebracht, die zur Hälfte mit Oppositionellen besetzt waren. Sie sollten die delegitimierten – weil von der SED eingesetzten – Räte der Bezirke kontrollieren.

Der Rat des Bezirkes Dresden kündigte nun im März 1990 an, einen Entwurf einer Landesverfassung erarbeiten zu wollen, der am 18. April 1990 in einem Festakt auf der Albrechtsburg in Meißen einer Reihe ausgewählter sächsischer Honoratioren – gedacht war an Persönlichkeiten wie Kurt Masur und Manfred von Ardenne – überreicht werden sollte.

Damit wäre die politische Initiative zur Landesneugründung den Räten der Bezirke zugefallen. Der Runde Tisch des Bezirkes Dresden befürchtete nun, dass in diesem Fall das von der SED geschaffene Kadergebirge der Räte der Bezirke zum neuen Verwaltungsgerüst Sachsens wird.

Dies alarmierte uns. Herbert Wagner, Sprecher der am 8. Oktober aus der Demonstration heraus entstandenen Gruppe der 20, der ich damals angehörte, forderte mich auf – da ich inzwischen einen Personalcomputer besaß war – ebenfalls einen Verfassungsentwurf zu erarbeiten.

Binnen einer Woche hatte ich einen solchen im Wesentlichen aus Textbausteinen der Verfassungen Nordrhein-Westfalens, Niedersachsens und Baden-Württembergs sowie der sächsischen Verfassung von 1919 zusammengeschrieben und am 29. und 30. März in der Tageszeitung DIE UNION veröffentlicht.

Der Zweck dieser Aktion war es, den Verfassungsentwurf der Räte der Bezirke zu neutralisieren und damit die geplante Festveranstaltung auf der Albrechtsburg zu stoppen oder wenigstens zu relativieren. Gleichzeitig intervenierten wir sofort bei der nach den demokratischen Volkskammerwahlen am 18. März gebildeten Regierung de Maizière und erreichten, dass der geplante Initialakt auf der Albrechtsburg gestoppt wurde.

Inzwischen war in Berlin ein für die Länderbildung zuständiges Ministerium unter dem früheren Funktionär der Blockpartei LDPD, Manfred Preiß entstanden. Dessen Bemühungen schienen sofort wieder darauf hinauszulaufen, den von der SED eingesetzten Bezirksverwaltungen die Initiative zur Länderbildung zu übertragen.

Aber nun entstand die Frage, ob damals überhaupt der DDR- Regierung die Einführung von Ländern zustand. Im Westen hatten ja die Länder den Bund gegründet und nicht der Bund die Länder. Als müssten doch die Ostländer auch Anspruch auf eine eigene, aus sich selbst heraus erwachsene Staatlichkeit haben.

Deshalb löste der Runde Tisch des Bezirkes Dresden sich mit Amtsantritt der DDR-Regierung de Maiziere nicht auf. Als Reverenz an die Mehrheitsverhältnisse in der Volkskammer veränderte er die Sitzverteilung so, dass diese in etwa die der Volkskammer abbildete.

Sodann beanspruchte der Runde Tisch des Bezirkes Dresden die Aufgabe für sich, die Neubildung der Landesstrukturen vorzubereiten und deren rudimentäre Arbeitsfähigkeit herzustellen, ohne die Gestaltungsfreiheit künftiger Minister zu beeinträchtigen.

Hierzu bildete er einen sogenannten Koordinierungsausschuß mit dem Auftrag, Kontakt zu den Runden Tischen der anderen Bezirke aufzunehmen und gemeinsam mit diesen die Aufgaben anzugehen. Zum Vorsitzenden dieses Ausschusses wurde ich bestimmt.

Weiterhin wurde auf Verlangen des Runden Tisches dem inzwischen von der Regierung de Maizière eingesetzten Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden, Siegfried Ballschuh, Stellvertreter aus Oppositionskreisen beigeordnet. Diese Positionen übernahmen: Peter Adler (SPD, Bereich allgemeine Verwaltung), Matthias Reichenbach (DSU, Bereich Personal) und ich (Bereich Länderbildung).

Die angestrebte Zusammenarbeit mit den anderen Runden Tischen erwies sich als schwierig. Oft überwog das Misstrauen: Allenthalben befürchtete man, durch Dresden marginalisiert zu werden. Erst die Aussicht, dann eben den Vorstellungen der Räte der Bezirke ausgeliefert zu sein, ebnete von Fall zu Fall den Weg zur Zusammenarbeit.

Ich ernannte nun zwölf Strukturbeauftragte jeweils mit der Aufgabe, ein Ministerium beziehungsweise den Landtag vorzubereiten und das Landesvermögen zu sichern.

Hier hatte sich gezeigt, wie dünn unsere personaldecke inzwischen geworden war. Viele Akteure der ersten Stunde waren im Herbst nach ein paar Tagen abgetaucht, und manche tauchten dann in Jahresabständen wieder auf, um uns zu erläutern, was wir alles falsch gemacht hatten. Logisch, wir waren ja alle politische und juristische Laien.

Weil mir das klar war, bat ich Lothar Späth und den Beauftragten des bayerischen Ministerpräsidenten Streibl, Herrn Dr. Rudolf Baer, Beamte aus deren Ministerien zu Verfügung zu stellen, die – im Tandem mit unserem jeweiligen Strukturbeauftragten – das jeweils betreffende Ministerium vorbereiten sollen: Räumlichkeiten erschließen, Organigramme und Geschäftsverteilungspläne als Vorschläge an die künftige Regierung entwerfen, Ausschreibungsunterlagen für die Stellenbesetzungen vorbereiten und Elementardienste einzurichten: Hausmeister, Pförtner, Materialverwaltung, Fuhrpark, Telefondienste und so weiter.

Gleichzeitig entstand eine gemischte Arbeitsgruppe Baden- Württemberg/Sachsen, der wichtige Schulungsaufgaben zufielen, zum Beispiel die Vorbereitung von potentiellen Bürgermeistern und Landräten, oder die juristische Schulung von Führungspersonal in Berufsgenossenschaften, Kammern, Krankenversicherungen und Ähnlichem.

Der Widerstand im Rat des Bezirkes war enorm, als sich herausstellte, dass jeder dort Beschäftigte sich neu bewerben müsse, wenn er in der Landesverwaltung tätig sein wolle. Auch unsere Absicht, alle auf eine etwaige Mitarbeit beim Ministerium für Staatssicherheit überprüfen zu wollen, führte zu Aufregung.

Im August erschien in Dresden, angeführt von dem Bundesbeamten Günter Ermisch, eine Mannschaft, die sich als Clearingstelle des Bundesinnenministeriums vorstellte und angab, die Länderbildung vornehmen zu wollen. Ich erläuterte Herrn Ermisch, dass wir gerade dasselbe täten und lud ihn ein, an unseren Sitzungen teilzunehmen, was dieser zunächst eher belustigt zur Kenntnis nahm.

Aber er kam. Als er feststellte, dass hier keineswegs nur Analphabeten aus dem Osten herumsaßen, sondern auch echte Ministerialbeamte aus den Westländern, nahm er uns ernst. Wir tagten nun gemeinsam.

Bald schickten wir die erarbeiteten Unterlagen nach Bonn, und kurz darauf erhielten wir sie zurück mit einem Deckblatt des Bundesinnenministeriums, dem zu entnehmen war, dass so zu verfahren sei, wie wir das geplant hatten. Später erfuhr ich, dass diese Unterlagen vervielfältigt worden waren und auch den anderen entstehenden Bundesländern zugegangen waren.

All unsere Aktivitäten waren insofern demokratisch legitimiert als ich von der Regierung in Berlin bestätigt, als Stellvertretender Regierungsbevollmächtigter eingesetzt war. Aber öffentliche Akzeptanz konnten wir nur dann erwarten, wenn unsere Ergebnisse auch öffentlich verfolgbar und kontrollierbar waren. Wie kann das ohne einen Landtag geschehen?

Erich Iltgen hatte die Idee, ein sogenanntes sächsisches Forum einzurichten. Wer zu diesen Versammlungen kommen wollte, konnte das tun, und die Säle füllten sich mit interessierten Bürgern.

Dort ging es ähnlich zu wie in einem Parlament, mit dem feinen Unterschied, dass keiner der Versammelten gewählt war. Dennoch ist gerade dieses sächsische Forum das noch fehlende Element gewesen, das eine aus sich selbst heraus entstehende neue Staatlichkeit Sachsens repräsentierte. Wir stellten den jeweiligen Arbeitsstand des Koordinierungsausschusses vor, beantworten Fragen und hörten uns Einwände an.

Eine Sternstunde des sächsischen Forums war der Auftritt des Löbauer Stempelmachermeisters Karl Keßner. Er rief in den Saal: „Ich bin im Freistaat Sachsen geboren und will im Freistaat Sachsen sterben!“ plötzlich spürte man die Kraft, die von einer Staatsbezeichnung ausgeht, welche die neu errungene Freiheit im Namen trägt.

Der Sommer 1990 stand im Zeichen der nahenden Landtagswahlen am 14. Oktober. Die CDU wollte zunächst mit Klaus Reichenbach als Spitzenkandidat in den Wahlkampf zu ziehen. Reichenbach, menschlich sympathisch und politisch dynamisch und effizient, war Landesvorsitzender der Sächsischen CDU und Kanzleichef von Lothar de Maizière im Ministerrang. Zu DDR-Zeiten war er Bezirksvorsitzender der CDU von Karl-Marx-Stadt. Wir benötigten an dieser Stelle jedoch eine Persönlichkeit, die sich in den Gegebenheiten des neuen Rechts und der neuen politischen Verfahren möglichst perfekt auskennt.

Deshalb war ich gegen Reichenbachs Kandidatur. Er gab denn auch nach einigen Wochen sein Vorhaben auf, womit schließlich die Bahn frei wurde für Kurt Biedenkopf. Die SPD kürte Anke Fuchs zur Spitzenkandidatin. Beide lud ich nun in den Koordinierungsausschuss ein, um möglichst deren Hinweise berücksichtigen zu können. Anke Fuchs reagierte darauf nicht, Kurt Biedenkopf nahm jedoch teil und beriet uns.

Die Neugründung des Landes Sachsen am 3. Oktober – heute vor 30 Jahren – vollzog sich vor prächtiger Kulisse im Schloß Albrechtsburg in Meißen. Professor Karlheinz Blaschke entfaltete in einer großartigen, zu Herzen gehenden Rede die historische Dimension dieser Wiedergeburt unseres Landes; und elf Tage später handelte das sächsische Wahlvolk erstmals fast auf den Tag genau seit vierzig Jahren wieder als Souverän und wählte einen Sächsischen Landtag. Mit Günter Kröber (FDP) gehörte ihm ein Abgeordneter an, der schon im letzten sächsischen Landtag 1950 bis 1952 saß.

Es begann eine wunderbare noch im Rückblick regelrecht elektrisierende Zeit des Neuaufbaus. Die Sachsen entwickelten einen unbändigen Willen, die neuen Chancen beim Schopf zu fassen.

Kurt Biedenkopf erwies sich als Glücksfall für Sachsen. Seine Bekanntheit und sein exzellenter Ruf schufen Vertrauen, das Vertrauen schuf Investitionen. Seine kluge Ansiedlungspolitik erwies sich als nachhaltig. Es entstand das europäische Silicon Valley in Dresden, VW kam nach Mosel und Dresden, BMW und Porsche nach Leipzig. Die Universitäten zogen Studenten und Professoren an. Unsere wunderbare historische Bausubstanz erhielt einen neuen Glanz.

Als Monument des erwachten Bürgerwillens entstand die Dresdener Frauenkirche neu, und zwar größtenteils finanziert nicht etwa aus Steuergeld sondern aus privaten Spenden.

Aber die öffentliche Hand investierte. Unser Finanzminister Georg Milbradt sorgte für eine enorme Investitionskraft bei sensationell niedrigem Schuldenstand.

Natürlich reiften nicht alle Blütenträume. Viele verloren ihre Arbeit. Viele überforderte die völlige Umstellung aller Lebensbereiche und ließ sie verzweifeln. Die DDR- Oppositionellen, die Aktivisten der ersten Stunde, waren zwar die Sieger der Revolution, oft aber nicht die Sieger der Einheit. Ein Vogel, dem man im Käfig die Flügel stutzt, der kann auch in Freiheit nicht mehr fliegen. Die Wirtschaft fragte nach Führungserfahrung, Herrschaftswissen, Ressourcenkenntnis. Mit alldem konnte ein Oppositioneller, den man vom Ingenieur zum Platzanweiser im Kino degradiert hatte, meist nicht dienen. Aber ein Stasioffizier schon.

Aber bei aller Bitternis rufe ich auch gerade all jenen zu, die in den letzten dreißig Jahren viele schmerzliche Erlebnisse hatten: Wer die letzten zehn Jahre der DDR diese mit all ihrem Zerfall, der Verlogenheit ihrer Propaganda und ihrer Perspektivlosigkeit erlebt hat und ehrlich ist, muss bestätigen, dass sich damals kaum jemand hätte vorstellen können, in welcher Geschwindigkeit sich dann tatsächlich unsere Lebensverhältnisse verbesserten, die fast umgekippten Flüsse sauber, die Braunkohle-Mondlandschaften attraktive Seen wurden, unsere Infrastruktur gesundete, das Ende der Mangelwirtschaft eintrat und die Freiheit uns verwandelte.

Die blühenden Landschaften von denen Helmut Kohl und das blühende Sachsen, von dem Kurt Biedenkopf sprach, sind weit über das damals vorstellbare Maß Wirklichkeit geworden.

Erst wenn man für einige Minuten hinter einem Fahrzeug mit Zweitaktmotor herfährt, erinnert man den Geruch der DDR. Dass dies geleistet werden konnte, danken wir ganz besonders der Solidarität der Menschen im Westen, die das ungleiche Erbe aus einem gemeinsam verschuldeten schrecklichen Krieg angenommen und ausgeglichen haben.

Meine Damen und Herren: Lassen Sie uns dieses große Gemeinschaftswerk achten und fortsetzen. Dazu brauchen wir eine technologieoffene, vorurteilsfreie und weltoffene Suche nach dem besten Weg für unser Land.

Eine Suche ohne jeden Konformitätsdruck. Eine ergebnisoffene Debatte, die politischen Entscheidungen jederzeit auf den Prüfstand zu stellt.

Es muss möglich sein, über die Energiepolitik der Bundesregierung zu streiten;

für die Nutzung der Kernenergie einzutreten;

die Wirklichkeitstauglichkeit unseres Risikobewußtseins zu

prüfen;

die Gefahren unserer Verschuldungspolitik abzuwägen;

die Wirksamkeit unserer Entwicklungspolitik zu hinterfragen; unnütze Bürokratie beim Namen zu nennen und zu beseitigen; eine saubere Trennung von Asylpolitik einerseits und

Einwanderungspolitik andererseits einzufordern.

Und all dies, ohne an den Pranger gestellt zu werden oder an den Pranger zu stellen.

Wenn hier Allensbach zufolge heute fast 80% der Menschen sagen, man müsse sich beim Sprechen über manche Themen wieder vorsehen, dann frage ich mich allerdings: Ist die Freiheit von 1990 heute noch Lebenswirklichkeit?

Wenn ich von Journalisten gefragt werde, wie ich denn mit Beifall von der falschen Seite umginge, wenn eine Aussage statt nach ihrem Wahrheitsgehalt danach beurteilt wird, wer es auch gesagt hat, wenn jemand seinen Job verliert, weil er mit der falschen Person an einem Tisch gesessen hat, dann habe ich daran Zweifel.

Wenn in Klimafragen mit der Mehrheitsmeinung der Wissenschaftler argumentiert wird, denke ich an Kopernikus, und Galilei – die mutterseelenallein ihre richtige Meinung vertraten; oder an die Denkschrift: „Hundert Autoren gegen Einstein“ von 1931.

Mehrheitsmeinungen eignen sich, politische Streitfragen entscheiden. Die Wissenschaftsgeschichte zeigt sich hingegen ihre Begrenztheit. Die Wissenschaftsgeschichte liest sich geradezu als die Geschichte der Korrektur kollektiver Irrtümer. Der Kabarettist Dieter Nuhr hat kürzlich einen ähnlichen Gedanken auf die Webseite der Deutschen Forschungsgemeinschaft gebracht. Daraufhin brach ein Shitstorm über ihn herein und sein Eintrag wurde zeitweise gelöscht.

Wenn auf diese Art ein öffentlicher Konformitätsdruck erzeugt wird, der die Menschen, die sich ihm nicht beugen, etikettiert und aus der medialen Relevanzzone drängt sich also statt gegen eine Meinung gegen den Menschen mit dieser Meinung wendet, wird das Land eine Polarisierung erleben, zu deren Heilung Worte nicht mehr zur Verfügung stehen, denn sie wurden ja gelöscht.

Und es muss möglich sein, Hass und Hetze zu ächten. Hass und Hetze gegen Menschen wegen deren Religion, deren Herkunft, deren Geschlecht, deren sexueller Orientierung, deren Hautfarbe oder deren Alter.

Dazu zählt auch die Ächtung widerwärtiger Beleidigungen, wie sie der Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch in Heidenau vor fünf Jahren oder den Gästen zum Tag der Deutschen Einheit 2016 in Dresden entgegenschlugen oder wie sie kürzlich meine Bundestagskolleginnen Künast und Weidel – gerichtlich unbeanstandet – ertragen mussten.

Dazu zählt auch eine medial wenig beachtete Form von Alltagsrassismus: Dass man heute ohne die geringsten Konsequenzen Menschen bis ins Mark kränken darf, wenn diese Menschen beispielsweise alte weiße Männer sind.

Und dazu zählt auch Schaum vor dem Mund beim Reden und Schreiben über missliebige aber immerhin demokratische gewählte Politiker wie Johnson, Trump, Orban oder Netanjahu: Als seien sie schlimmere Feinde der Menschheit als ein Kim Jong Un.

Meine sehr verehrte Damen und Herren, wir haben alle gemeinsam vor 30 Jahren ein wunderbares neues Kapitel der Freiheit, der Rechtsstaatlichkeit und der Solidarität aufgeschlagen.

Sorgen wir dafür, dass es nie wieder zugeschlagen wird.

Ich entschuldige mich, dass ich viele Namen nicht nennen konnte, die es verdient hätten, heute erwähnt zu werden und danke allen, die meine Rede erduldet haben.“

Ines Geipel 

https://www.rbb24.de/politik/thema/2019/30-Jahre-Mauerfall/beitraege/wiedervereinigung-ostdeutsche-ines-geipel-selbstverstaendnis.html

28.09.20 | 11:41 Uhr

„Was heißt es überhaupt, ostdeutsch zu sein? Die Autorin und ehemalige Leistungssportlerin Ines Geipel hat sich für das Projekt "Wir Ostdeutsche" dieser Frage gestellt. Sie wünscht sich mehr Stolz auf die Revolution. Gastbeitrag von Ines Geipel

 

F.A.Z.

 „Die Flucht aus unserer Geschichte

Die Gewaltmaschine der Ost-Diktatur? Wurde zusehends aus der Öffentlichkeit hinauskomplimentiert, weggeblinzelt im medialen Beliebigkeits-Sprech und dem ungestillten Bedürfnis der Konsenskultur Ost nach Verdrängung. Über deutsch-deutsche Echokammern im Jahr 30 der Einheit. Von Ines Geipel

Die Proben zu Heiner Müllers „Hamlet“-Inszenierung am Deutschen Theater begannen am 29. August 1989. Die Premiere fand erst am 24. März 1990 statt. Der Grund: eine neue Welt. Was endlos aus den Fugen war, schien sich binnen kurzem aufzulösen wie Schmierseife und rückte zurück ins Lot. Es waren auch die sieben Monate, in denen die zweite Diktatur der Deutschen verschwand.

Woche für Woche hatten die Hamlet-Akteure auf dem Weg zu ihren Proben den Akteuren der Straße in der Berliner U-Bahn direkt gegenüber gesessen. Ein Zustand, der bei den Schauspielern zwangsläufig zu der Frage führte: „Soll ich jetzt Hamlet spielen? Es ist so albern.“ Dem Drama, das ansonsten in der Lage war, die Welt zusammenzuhalten, hatte es wie dem Jetzt den Boden entschlagen. Das Ausnahmestück über den Ausnahmezustand der Welt traf auf die Ausnahmerealität der Welt. Als liefen Kunst und Leben Hand in Hand durch eine hyperpolitische Spiegelszene. Wie so spielen?

Auf die Frage nach dem Sinn des Ganzen gab Heiner Müller seiner Spielcrew die denkbar knappe Anweisung: „Sagt es einfach!“ Seine Sätze auf das, was sich außerhalb des Theaters als die glücklichste Revolution der Deutschen ereignete, fielen nicht weniger eindeutig aus: „Der Schritt, der jetzt getan wird, mehrheitlich, ist der Schritt von einer Knechtschaft in die nächste.“ Darüber hinaus interessierte sich der Theaterguru, wofür er sich immer interessierte – für den Geist, natürlich. „Wer ist der Geist? Das reduziert sich dann auf Stalin und die Deutsche Bank“, erklärte er auf einer Wahlveranstaltung der „Vereinigten Linken“ am 11. März 1990 in Berlin.

 Dramatikersätze sind Dramatikersätze. Noch dazu wurde im Herbst 1989 so allerlei gesagt, was im Trichter der Geschichte geräuschlos verschwand. Der Müller-Epistel aber war ein erstaunlich langes Leben vergönnt. Bei Lichte besehen kam sie aus ihrer Dauer-Renaissance gar nicht mehr heraus. Lag das an ihrer bösen Programmatik, die Revolution und Knechtschaft kurzerhand zusammenfügte? Bei Müller ging es ums Nichtankommen, um Verunmöglichung. Null Bock auf Demokratie, kein zähes Abschütteln der Diktatur, keine Aufarbeitung, kein innerdeutsches Aufbauprogramm. 30 Jahre später lesen sich seine Sätze wie der Urtext einer großangelegten Umbaumaßnahme.

Städte lassen sich sanieren, Straßen bauen, Renten und Gehälter angleichen. Was diese Fragen angeht, sagen die notorisch erscheinenden Einheitsberichte, dass es nach 1989 erstaunlich gut gelaufen sei. Die Deutsche Einheit? Eine einzige Erfolgsgeschichte, bei der der Osten in vielem mittlerweile um Längen besser dasteht als der Westen. Aber wie ist es mit dem anderen – der Infrastruktur der Seelen, den alten Denkfolien und neuen Gefühlslandschaften, den deutsch-deutschen Echokammern, den aufgelassenen Geistern der endlos langen Teilung? Wo befinden wir uns mit alldem?

Der Historiker Gerd Koenen hatte die Spaltung Deutschlands am 13. August 1961 als den „Hauptmodus der Vergangenheitsbewältigung“ bezeichnet. Ohne das Zerreißen des Landes wäre das psychische Erbe des Nationalsozialismus nicht zu bewältigen gewesen. 16 Jahre nach Kriegsende wurde also endgültig halbiert, auch, um das nicht Integrierbare nun komplett auf die andere Seite auslagern zu können. Was aber sollte aus dem Land werden, wenn es irgendwann wieder einmal ein ganzes Gedächtnis haben durfte?

Zum erhofften Einheitsgedächtnis gehörte mit dem 3. Oktober 1990 eine so rasche wie eingängige Einheitserzählung. Die Spaltung war überwunden, man gehörte wieder zusammen. Wo war das Problem? Die alten Hoffnungstexte von Helmut Kohl, von Hans-Dietrich Genscher kurz nach der Einheit. Die Freude, der Stolz, die Patina der gediegenen Glücksreden, die von vornherein ausblendeten, was hätte von Anfang an irritieren müssen.

 Denn außerhalb der Reden fanden fast gleichzeitig die Pogrome von Hoyerswerda, von Rostock-Lichtenhagen statt. Orte der Gewalt und eine verstörte Öffentlichkeit, die zu sehen bekam, was die Mauer blickdicht verdeckt hatte: das Innen und das Außen, der Deutsche und der Fremde, das Gute und das Böse, das System der Größenselbste und die Entschlossenheit zur Zerstörung.

Im neuen Deutschland der Flüchtling-Komplex in seiner ersten Runde. Die Bilder offenbarten, was mit Treibjagd, Archaik, Leere, mit äußerster Brutalität zu tun hatte. Eine Gesellschaft, machten sie klar, konnte auch auseinanderfallen, in Jäger und Gejagte. Das Pogrom-Klima expandierte kurz darauf in den Westen. Saarlouis, Mölln, Solingen. Rassistische Mordanschläge, jetzt auch mit Toten. Die Politik sprach von Staatsnotstand. Im Mai 1993 wurde ein restriktiveres Asylrecht verabschiedet. Es war eines der letzten Gesetze in Bonn.

Die neue Berliner Republik und ihr erster Kanzler Gerhard Schröder. Der hatte die Wiedervereinigung noch Ende September 1989 als „reaktionär und hochgradig gefährlich“ bezeichnet. Unter seiner Ägide hätte er die Ossis nun liebend gern nach Polen weitergereicht. Vielleicht könnte man der Einfachheit halber sagen: Die Einheit war nicht sein Projekt. Unter dem rötlichen Kanzler schrumpfte die ostdeutsche Wirtschaft wieder, wurde die politische Bildung harsch zurechtgestutzt, wanderte DDR-Geschichte aus den Universitäten in diverse Sonderinstitute ab, gab es sein „Basta!“, das wohl vor allem auf paternalistische Selbstanerkennung zielte, um der alten Bundesrepublik die Sicherheit zu geben, die sie für den Einigungsprozess nötig hatte. Die Berliner Republik begann wie die Bonner Republik begonnen hatte: mit Verdrängung. Laisser-faire und China versus Trauma und Verunsicherung. Nicht von ungefähr sollte der 3. Oktober unter Schröder aus wirtschaftlichen Gründen gleich wieder abgeschafft, genauer gesagt auf den je ersten Oktobersonntag verlegt werden. Über das Land legte sich ein merkwürdiger Mehltau, eine fast physisch greifbare, betäubende Stille, mit scheinbar untergrün- digen Symptomen. Dabei war alles da.

 Die Schröder-Zeit als die bleierne Zeit des Ostens. Der Diktatur war die Spitze gekappt, doch in ihrer Binnenlogik funktionierte die DDR letztlich weiter: in der politischen Arbeit der Landesparlamente, im öffentlichen Dienst, in den Medien, in der Literatur, im Sport. Regional gab es Unterschiede. Die konnten sogar gravierend sein. So wurden in Sachsen alle Lehrer entlassen, die ausschließlich Staatsbürgerkunde unterrichtet hatten. Dennoch gewannen die Kontinuitäten die Oberhand zurück.

Kein einziges Land trennte sich von mehr als der Hälfte enttarnter Stasi-Zuträger im öffentlichen Dienst. Der Geheimdienst in den sächsischen Polizeistuben, beim MDR, im Brandenburger Landtag. Einem gut ausgebildeten, so pragmatischen wie belasteten Teil der Ost-Elite – egal, ob in Wirtschaft, öffentlichem Dienst, Politik oder Medien – wurde die Einheit leichtgemacht. Bis zum 3. Oktober 2000, dem Ende der juristischen DDR-Aufarbeitung, wussten sie zu schweigen, dann strategisch Stellen zu besetzen, an den eigenen Karrieren zu basteln und konnten sich ganz sicher dabei sein, mit dieser Strategie alsbald unkündbar zu sein. Sie nutzten die Vorzüge einer Gesellschaft, die sie bis 1989 hartnäckig bekämpft hatten.

Schröders Nullerjahre. Neben Sanierung, Neukonsolidierung und Bauboom waren das laut Statistik für die Post-Diktatur im Osten vor allem Jahre drastisch steigender Gewalt, zunehmender Kinderarmut, einer dreifach höheren Zahl innerfamiliärer Tötungsdelikte als im Westen oder dem um vier Jahre früher liegenden Drogeneinstiegsalter bei Jugendlichen. Ab dem Jahr 2000 mordete sich der Nationalsozialistische Unter- grund (NSU) durchs Land. Dem Trauma des Ostens bis 1989 folgte nach der Revolution ein Kampf innerhalb des Traumas.

Wie war es denn? Das Land war geeint, aber das Eruptive gehörte den Ostdeutschen, wo inmitten einer komplett deregulierten Welt mehr als 50 Jahre Diktatur bewältigt werden mussten. Eine Wucht, die den Ostdeutschen anfangs nur ein haptisches Verhältnis zur Geschichte möglich machte. Sie standen einem unsortierten und mehrfach verstellten Geschichtsklumpen gegenüber, in dem sie herumsuchten, den sie seismographisch erspürten, der aber zwangsläufig zu Abspaltungen und Verdrängungen führen musste.

Historische Tiefenlagerungen, vielfaches Unrecht, Zuchthaus, durchherrschtes Leben, irreparable Beschädigungen. Vielleicht wäre es ein Schritt, wenn sich Ost und West heute zugestehen könnten, dass man es nicht besser wusste, dass man diese Dimensionen nicht im Blick hatte, dass man es sich schlicht einfacher vorgestellt hatte. Einfach war es nie.

Die Opfer des DDR-Unrechts. In den Unterlagen der nach 1989 installierten Stasi-Landesbeauftragten in den neuen Ländern kam der Opferbegriff anfangs nicht vor. Er existierte nicht. Schwerpunkt der Arbeit war nach der Revolution insbesondere das Tun des DDR-Geheimdienstes. Ohne Frage ist das heute sehr anders. Dennoch stößt die Erzählung der Opfer noch immer auf immense Widerstände. Ihr Status bleibt kontinuierlich fragil. Wer darf sich als solches bezeichnen? Muss das Opfer nicht eine reine, lineare Erzählung vorweisen? Könnte es nicht genauso gut Täter gewesen sein?

 Die historische Mainstreamforschung ist seit Jahren auf die Grautöne der DDR fixiert. Grautöne sind nötig. Millionen Menschen haben millionenfache Erfahrungen gemacht. Aber in den Erfahrungen der Opfer hockt das Extrem. Es verweist aufs Grauen, nicht aufs Grau. Bleibt das Extrem unkenntlich, entkernt es das Wesen des Systems.

Die Opfer der Diktatur im Osten. Wer ist eigentlich damit gemeint? Zahlen sind immer schwierig, aber die UOKG, die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, spricht aktuell von mindestens drei Millionen. Menschen, die in den Zuchthäusern saßen, in NKWD-Lagern, im sowjetischen Gulag. Die aus dem Westen in den Osten verschleppt, in Moskau erschossen, im Zuge der SED-Zwangsvereinigung als SPD-ler verfolgt und umgebracht wurden, Hunderttausende, denen in Kinderheimen, Spezialheimen und Jugendwerkhöfen die Kindheit zerstört wurde, es sind die Mauertoten und an der Grenze Verletzten, die ermordeten Volksaufständler vom 17. Juni 1953, die zahllosen verfemten Künstler und Literaten, die Opfer medizinischen Missbrauchs, die Zwangsgedopten, die Opfer juristischer Willkür, die wegen ihres christlichen Glaubens Verfolgten, die Psychiatrieopfer, die Opfer von Zersetzung oder Überwachung. Dazu die nicht Zählbaren, die in keine Kategorie gehören, deren Pein in keiner Akte steht, die ad hoc Malträtierten, weil eine Gewaltherrschaft es halt möglich machte. Die Liste ist endlos. Wo sind sie?

Das ist wesentlich davon abhängig, wer gerade spricht. Dieter Dombrowski, Vorsitzender der UOKG, sagte Anfang September: „Bei den Feierlichkeiten zu 30 Jahren Deutscher Einheit kommen Hunderttausende Opfer der SED-Diktatur leider nicht vor. Es gibt keine einzige Veranstaltung, die irgendwas mit dem SED- Unrecht zu tun hat.“ Die Reaktion kam prompt, vom Ostbeauftragten der Bundesregierung Marco Wanderwitz (CDU): „Wir haben als Koalition da ganz gut geliefert.“ Hat man, hat man nicht? Warum die gesellschaftliche Auskehr der endlosen Opfer des DDR-Unrechts Tatsache ist, dürfte auch mit der mehrstöckig bewohnten Opferlandschaft im Osten zu tun haben. Es gibt heillosen Streit. Die Szene – eine einzige Wunde. „Die Geschichte qualmt noch“, hätte der Schriftsteller Erich Loest wohl dazu gesagt.

 Mit 1989 hatte der Westen den Holocaust als zentralen Identitätsbezug, als europäische Tatsache des Grauens, aber auch des Leids gleichsam unbesprochen auf den Osten übertragen. Er wurde zum inneren Kern der Staatsräson des neu vereinten Deutschlands. Die alte Bundesrepublik hatte sich Schritt für Schritt aus der Normalität einer Tätergesellschaft zu einer kollektiven Politik des Erinnerns durchdebattiert, die das Gedenken an die Opfer letztlich für unverbrüchlich erklärte.

So zäh dieser Weg auch war, gab er zusehends Identität, Kern, politische Kontur. Am Ende hatte sich fast synchron zum Mauerfall ein kompliziertes, sehr ausdifferenziertes Konstrukt zwischen seriöser Erinnerungsarbeit, Routine, gewollter Verstörung und Moralistik geformt, das Karl-Heinz Bohrer „die zweite Haut des bundesrepublikanischen Bewusstseins“ nannte. Sie stand unter der Prämisse: „Das Gute hat sich durchgesetzt, das Böse ist gebannt.“

Über diese Entscheidungskategorie hat der Westen mit dem Osten nie gesprochen, nicht sprechen wollen, vermutlich auch nicht können. Mit dem Einheitstag war diese sakrosankt und zur nötigen Orientierung auf der Reise hin zur selbstbewussten Nation gemacht worden. Ein Status quo und eine kolossale Überforderung des Ostens. Denn der war im hochnervösen Feld der Gedächtnisarbeit ohne jeden Vorlauf.

Mittels Buchenwald-Doktrin hatte die Staatspartei die Ostdeutschen per se entlastet und zur reinen Opfer- Gesellschaft, zu einem Mythenstaat der Besseren gemacht. In der DDR galt der Faschismus als ausgerottet, waren die Hauptkriegsverbrecher bestraft und die Restnazis unisono im Westen untergekrochen, die Institutionen entnazifiziert, war das Kapital vergesellschaftet, der Adel enteignet. Im Osten die homogenisierende Entlastungserzählung, im Westen ein zähes, auch ermüdendes Ringen hin zur politischen Verantwortung. Abermals das Prinzip der Ungleichzeitigkeit, das zwangsläufig in einen immateriellen Existentialneid münden musste, der nach 1989 womöglich schwerer ins Gewicht fiel als alles Monetäre. Hätte man es anders machen können? Wer hätte es anders machen können?

 In dieses enorme Spannungsfeld schob sich nach 1989 das Opfernarrativ der zweiten Diktatur. Schmerz hat seine eigene Zeit. Die Gewaltmaschine der Ost-Diktatur? Wurde in den vergangenen 30 Jahren zusehends aus der Öffentlichkeit hinauskomplimentiert, wegge- blinzelt im medialen Beliebigkeits-Sprech und dem ungestillten Bedürfnis der Konsenskultur Ost nach Verdrängung. Dabei gibt es noch einen weiteren Aspekt, warum es den DDR-Opfern so schwer gemacht wird, aus ihrem historischen Geschlucktsein herauszutreten. Der fällt in die dritte Kanzlerschaft nach der Revolution, in die von Angela Merkel. Das Jahr 2015 und noch einmal der große Flüchtlingssommer, noch einmal die Neusortierung der deutsch-deutschen Konfliktlinien. Als lebten wir über Nacht in einem anderen Land. Erzählt ist das zur Genüge: Pegida und die erstarkte AfD, der markante Rechtsruck. Traumatologen sagen, dass nach 25 Jahren in einer Gesellschaft aufbricht, was bis dahin nicht bearbeitet wurde. Man könne fast den Wecker danach stellen.

Doch was trat denn zutage? Selbst darüber hält der Streit an. Wir haben es hier nicht mit einem fertigen Text zu tun. Wir sind nicht durch. Die Demütigungen vor 1989? Die Demütigungen nach 1989? Neu aufgeladen, neu amalgamiert, neu inszeniert wurde mit 2015 insbesondere das Ost-Idiom: die Besseren, Solidarischeren, Gütigeren. Die alten Politmythen schienen mehr denn je nötig, um seine internalisierte Opferexistenz zu stabilisieren. Die Realität der Doppeldiktatur? Musste einmal mehr außen vor bleiben. Knüppelhartes Brot für die mehr als drei Millionen, die in vierzig Jahren in den Mahlstrom des Systems geraten waren. Eine Art radikaler Beseitigung, vielleicht um Platz zu schaffen für die neuen Erzählungen.

Was das im Jahr der Corona-Einheit bedeutet? Das aufgelassene Erbe des Ostens findet keinen Ort, keinen Konsens-Punkt. Es bleibt ein schwarzes Loch. Was fehlt, ist noch immer die historische Sortierung. Was fehlt, ist eine öffentliche Delegitimierung der ostdeutschen Diktatur in der Breite der Gesellschaft. Opfer? Täter? Stasi? – Bloß nicht. Uraltkram. Debattenfetische. Uninteressant, hatten wir alles schon, nicht differenziert genug. Unter dieser Abwehr scheint alles sagbar, alles denkbar, alles möglich. Es herrscht ein nahezu heilloses Tohuwabohu.

 Das Virtuelle, die postfaktischen Zeiten, das gärende Wir, unsere verwaisten Erfahrungen. Ein Geschichtscontainer, der nach 1989 noch dazu mit allerlei Achtlosigkeiten bestückt wurde. Nun ein Amalgam, das sich seit 2015 zu einem denkwürdigen Konstrukt aufbaute, zu einer bequemen Denkblase: da der Osten als Superopfer, dort der – egal wie – ewige Schuldwesten. In dieser Blase sind die Ostdeutschen zu Abgehängten, Verlierern, zu Bürgern zweiter Klasse geworden. Die Rede ist von Kolonisierung, von Migrations-Ostdeutschen, von Übernahme. Was in dem Sinne auch schon wieder Schnee von gestern ist.

Jetzt gelte es, sich zu „dekolonisieren“, um das Land zu befreien, „von seiner normativen Westsicht ... und seiner unseligen Bemühung, eine lineare Geschichte zu konstruieren“, schreibt Thomas Oberender, 1966 in Jena geboren und Intendant der „Berliner Festspiele“, in seinem jüngsten Buch „Empowerment Ost“.

Das Zitat ist ein Stellvertreter für die immer breiter werdende Phalanx der gedächtnispolitischen Ost- Umbauer. Die Bücher häufen sich, die Forschung zieht an, die Medien bedienen, es soll alles ganz neu tönen.

 Wollten die Ostdeutschen vor 30 Jahren nicht eine Diktatur loswerden? Endlich Teil der Welt sein, frei und vereint mit den anderen Deutschen? „Bis heute wird im offiziellen, westdeutsch geprägten Sprachgebrauch von der DDR vornehmlich als Unrechtsstaat gesprochen, was bei allen, die dort lebten, Scham induziert und ein Gefühl der Illegitimität ihrer damaligen Lebenswirklichkeit“, führt Oberender aus. Das Polare, das Hüben und Drüben, Ost und West, das große Nein und die Müller-Epistel von der inszenierten Knechtschaft. Im Raum dazwischen das zarte Wort Scham. Es steht da, als sei es eiskalt überrumpelt worden. Überhaupt die Wörter. Wie sich in der Sprache die Verbrechen auflösen wie Brausetabletten.

Eine Flucht aus der Geschichte. Eine gedächtnispolitische Wendung, die versucht, den Osten wie ein weißes Blatt aussehen zu lassen. Ein neues Ost-Bewusstsein? Ja, sicher, aber doch bitte nicht über die kategorische Verweigerung seines wüsten Erfahrungsraums und die Abkopplung von seiner langen Diktaturgeschichte. Die Achtundsechziger des Westens kamen zu ihrer Identität, indem sie die gemordeten europäischen Juden im Sinne einer Gegenidentifizierung zu ihren Eltern als Opfer anerkannten und ihre Rehabilitierung durchsetzten. Die drei jungen Generationen in Ostdeutschland, mittlerweile ohne Diktaturerfahrung sozialisiert, imaginieren sich paradoxerweise ein Land ohne Geschichte, ohne Schuld, ohne Kontinuitäten. Das gelobte Land heißt Osten, gemeint ist die DDR. Bei den ostdeutschen Landtagswahlen 2019 waren sie es, die die starken Wahlerfolge der AfD ermöglichten. Studien belegen ihren Populismus und ihre Gewaltaffinität. Was ist die innere Geschichte dieser drei Generationen? Ist es die Überidentifikation mit ihren Eltern, von der sie sich nicht emanzipieren können? Worüber erzählt das? Was gilt es zu verstehen, was aufzulösen, damit sie sich ohne Schuld fühlen können? Sie haben keine. Wo sind die Bücher über ihre Suche, ihren Schmerz, über das, was tatsächlich mit ihnen geschehen ist?

Gedächtnis, Erinnerung und Identität gehören zum Generalbass der Berliner Republik. Für diese Beharrlichkeit erfährt Deutschland in aller Welt hohe Wertschätzung. Es ist diese Beharrlichkeit, die zu einem hart abgerungenen, aber zeitgenössischen Markenzeichen Deutschlands geworden ist. Dabei ist es völlig richtig, das geeinte Land an die enormen Anpassungsleistungen der Ostdeutschen zu erinnern, die sie in ihrem Spagat hin zur Freiheit in den vergangenen 30 Jahren vollbracht haben. Wenn der Anspruch an eine intakte Erinnerungskultur jedoch verbindlich sein soll, müssten den Westdeutschen die Gulag-Opfer im Osten längst genauso am Herzen liegen, wie den Ostdeutschen die Geschichte des Holocaust. Da sind wir nicht.

Das Mehrheitsbewusstsein der Ostdeutschen verbleibt im Bann des Alten, der ihr die Welt verweigert. Das Mehrheitsbewusstsein der Westdeutschen scheint sich noch immer zurückzusehnen in die Zeiten des guten alten Willy Brandt, wo man sich vorsichtig, aber beständig in jenen Typ des freundlichen Deutschen umgebaut hat, vor dem die Welt nicht mehr Angst zu haben brauchte. Die Sehnsucht nach Gefühlssicherheiten ist verständlich. Nur leben wir längst in einem anderen Land.

Natürlich ist eine Gesellschaft viel mehr als der Opfer-Täter-Diskurs. Menschen sitzen auch in einer Diktatur auf der Wiese, lieben und trinken ihr Bier. Es gibt Freiräume, die Lust an der Revolte, den Staatsadel oder auch Inselexistenzen. Das gehört erzählt und erforscht wie bei jedem genaueren Blick auf die Diktatur. Aber ohne Klarheit darüber, was einem System im Extrem möglich ist, entsteht ein falsches Endbild, das den so nötigen inneren Konsens des Landes verhindert. Noch immer stehen wir vor der Unwucht unseres kollektiven Gedächtnisses. Dabei darf es gegenüber dem Holocaust keinerlei Relativierung, aber auch keine Kategorisierung der Opfer geben. Warum soll es uns nicht gelingen, dass wir ohne Wenn und Aber die Millionen Opfer des Holocaust in Ost und West, aber auch das DDR- Unrecht in unserem Doppelgedächtnis verankern?

Die Verfasserin ist Schriftstellerin. Zuletzt veröffent- lichte sie „Umkämpfte Zone. Mein Bruder, der Osten und der Hass“.

 

https://www.nr-kurier.de/artikel/94665-buchtipp---wo-recht-zu-unrecht-wird--von-thomas-schwarz

„Es macht Freude, diese Lebenserinnerungen des Journalisten mit Haltung zu lesen. Der Lebensweg des politischen Berichterstatters bleibt spannend und am Ende ist klar, warum ihm die Einreise in die DDR verwehrt wurde, gegen Ende ihres Bestehens, als die diktatorischen Strukturen bereits im Zerbröckeln begriffen waren. 

Das persönliche Fazit des Autors: „Freiheit passiert nicht einfach so. Sie kommt nie zwangsläufig und bleibt nie von selbst. Wir müssen um sie kämpfen, wenn wir sie nicht wieder verlieren wollen.“ Das ist ein Credo, das sicherlich auch Rainer Eppelmann, der das Vorwort schrieb, und Ralf Hirsch, dem es gewidmet ist, unterschreiben können.“

https://www.deutschlandfunkkultur.de/marko-martin-die-verdraengte-zeit-das-kulturelle-erbe-der.1270.de.html?dram%3Aarticle_id=482805&fbclid=IwAR31k4aIt04HbHrXGKF_G-arSCr-OY2if-lHikCJnDjJKW49e5MISoVyR1w

„„Vom Verschwinden und Entdecken der Kultur des Ostens“: Davon erzählt Marko Martin in „Die verdrängte Zeit“. Ohne kanonischen Anspruch rekapituliert er Literatur, Musik und Kino der DDR und lädt ein, das kulturelle Erbe neu zu entdecken.

„Die Wiederentdeckung der ostdeutschen Avantgarde“ – so kündigt der Verlag das neue Buch von Marko Martin an. Der Autor selbst formuliert seinen Anspruch bescheidener: Als „unideologische Lust an Neugierde, vergessene Bücher, Songs, Filme wieder ins Gedächtnis zurückzubringen und zwar ohne dieses ostalgisch Auftrumpfende, aber auch ohne dieses süffisant im Nachhinein Abwertende“.

Und so entdeckt er die Literatur, Musik und Filme der DDR neu: die Romane von Jurek Becker, Jürgen Fuchs und Liselotte Welskopf-Henrich, die Gedichte von Sarah Kirsch und Inge Müller. Außerdem empfiehlt Marko Filme wie „Wenn du groß bist, lieber Adam“, der 1965 verboten und erst 1990 in einer rekonstruierten Fassung gezeigt wurde.

Gerahmt wird sein Buch durch eine Begegnung mit Freunden und Bekannten verschiedener Generationen an einem Berliner See. Martin erkannte dabei: „Den Osten“ habe es nicht gegeben, die DDR sei heterogen gewesen, voller Brüche und Differenzen.

„Für mich war es wichtig, eine andere Perspektive aufzuzeigen“, erklärt er. Die Werke stellten dar, wie die DDR funktionierte – als „vermurkster Staat“ und „neurotische, traumatisierte und traumatisierende Gesellschaft“.“

 

Freya Klier

https://www.rnd.de/politik/fruhere-ddr-burgerrechtlerin-freya-klier-wir-sind-ein-volk-geworden-E5I3QIK4VJH75O2OBAZEFBJKMQ.html

„Ich war jetzt gerade wieder viel in Westdeutschland unterwegs und hörte dort von vielen Leuten, dass sie eigentlich auch wieder gern ohne die Ostdeutschen leben könnten. Als vergangenes Jahr von interessierter Seite wieder eine Treuhanddebatte losgetreten wurde, damit die Ostdeutschen wieder Opfer des Westens sein sollten, hat man im Westen nur noch gestöhnt. ..

Das ist alles eine einzige Lüge: Die Treuhand bestand immer mehrheitlich aus Ostdeutschen. Außerdem haben die DDRler ihre eigenen Produkte nicht mehr gekauft. ...

Ich fand, wir brauchen nach der staatlichen Vereinigung ein Begegnungsprogramm. Mit der Idee bin ich erst zu CDU und FDP gegangen. Die antworteten mir: Wir müssen jetzt zunächst die Wirtschaft voranbringen. Die hessischen Grünen waren aber interessiert und wollten mich für den Bundestag aufstellen. Ich habe zugestimmt unter der Bedingung, dass ich mich um das Programm kümmere und nach vier Jahren wieder aufhöre. ...

Bei der Wahl bekam ich 5 Prozent, die Grünen im Westen aber scheiterten knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Ich bin dann noch zweimal von der CDU gefragt worden, habe aber für die Politik endgültig abgesagt. Ich wollte nicht in Sitzungen herumsitzen, sondern schöpferisch arbeiten. Ich bin parteilos und froh, dass ich unabhängig geblieben bin. Aber ich bin Fan von Angela Merkel. ...

Überrepräsentiert ist der Osten nach wie vor bei rechtsextremen Übergriffen und der Zustimmung zur AfD. Woran liegt das?

Ich habe 1987 an der Zionskirche in Berlin-Prenzlauer Berg gesehen, wie Neonazis Punker attackierten. Neonazis waren in der DDR ab Anfang der Achtzigerjahre sichtbar. Die Staatsorgane mochten sie, weil sie akkuraten Kurzhaarschnitt trugen, deutschen Omas über die Straße halfen und pünktlich zur Arbeit gingen. Die Punker hingegen waren bei der Volkspolizei verhasst. An dem Tag feierten die Neonazis in der Gaststätte Sputnik den Abschied eines Kameraden, der sich zehn Jahre als Berufsunteroffizier zur Nationalen Volksarmee verpflichtet hatte. Die NVA war beliebt bei den Neonazis, die waren alle sehr waffenaffin. Sie feierten also bei gestrecktem Arm und Nazi-Liedern, keiner von den anderen Gästen hat was gesagt. Dann zogen sie in Marschformation zur Zionskirche und prügelten los.

Sehen Sie eine direkte Linie von der Duldung der Neonazis in der späten DDR bis zur Etablierung der radikalsten Kreise der AfD als Volkspartei im heutigen Ostdeutschland?

Teilweise ja, aber intern. Der Republikaner-Chef Franz Schönhuber fand die DDR ja auch das bessere Deutschland – ausländerfrei und ein ordentlicher Stechschritt.

Und später kamen Götz Kubitschek, Björn Höcke und andere aus dem Westen und fanden vor allem im ländlichen Osten ihre nationale Idylle.

Ja, aber jetzt haben sie es übertrieben. Daraus wird nichts mehr. Die AfD wird ihre Erfolge auch im Osten nicht wiederholen können.

Warum? Und warum konnte sie im Osten überhaupt so stark werden?

Weil ihre reißerischen Parolen im Osten für eine gewisse Zeit gut angekommen sind. Die Leute maulen gerne rum. Die DDR hat schon vor dem Mauerbau fast ihre gesamte kritische Intelligenz verloren, nach dem Mauerfall sind erneut viele weggegangen. Der Diskurs stimmt nicht mehr, wenn vor allem die Mauler mit ihren Stammtischparolen dasitzen. Von der sogenannten Linkspartei sind viele Leute rübergegangen zur AfD, weil die ihre Stimmung ansprach. ...

Die Menschen in der DDR wurden gedrillt, das ist verschwunden. Das ging mit der Kinderkrippe los. Die Frauen mussten arbeiten, dann einkaufen, sauber machen. Dann holten sie ihr Kind ab, sie waren müde und überlastet, brüllten das Kind an. Es wurde sehr viel gebrüllt und geschlagen in der DDR. Das mag es im Westen auch gegeben haben, aber im Osten kam die Diktatur dazu. Diese Prägung, die ich so furchtbar fand in der DDR, die gibt es nicht mehr. Das ist jetzt alles weg, Gott sei Dank. Die Leute sind ruhiger und freundlicher geworden, habe ich das Gefühl.“

A_ostdeutsche Eliten

Alexander Wendt

https://www.tichyseinblick.de/meinungen/angela-merkel-lacht/

„Die Frage, warum es heute nur wenige Ostdeutsche in gesamtdeutschen Führungspositionen gibt, bleibt an diesem Feiertag von Potsdam unbeantwortet im Saal hängen. Die nächste Frage, woher die meisten der relativ wenigen Ostdeutschen in höheren Positionen 2020 kommen, stellte der Moderator gar nicht erst. Was schade ist, denn die Antwort fällt ganz interessant aus. Dazu später. Aber es bleibt auch die Frage offen: warum nimmt niemand auf der Bühne Platz (und auch, so weit die Kamera schwenkt, niemand im Publikum), der oder die 1989 und 1990 dafür sorgten, dass die DDR zusammenkrachte? Ein Christoph Wonneberger

vielleicht, der 1989 die Montagsdemonstrationen mitorganisierte? Ein Siegbert Schefke, der die entscheidende Demonstration am 9. Oktober heimlich filmte und die Aufnahme in den Westen schmuggeln ließ, wo sie dann in den Nachrichten lief?

Katrin Hattenhauer aus Leipzig, die am 4. September 1989 vor der Leipziger Nikolaikirche das erste Transparent der Montagsdemonstranten überhaupt hochhielt, auf dem stand: „Für ein offenes Land mit freien Menschen“. Dafür saß Hattenhauer gut vier Wochen im Knast. Es gäbe auch andere frühere politische Häftlinge, beispielsweise Edda Schönherz, in den Siebzigern Nachrichtensprecherin des DDR-Fernsehens, die sich 1974 in der bundesdeutschen und der US-Botschaft von Budapest nach der Möglichkeit erkundigte, die DDR zu verlassen. Dabei wurde sie observiert, und dafür kam die für drei Jahre in das Frauengefängnis Hoheneck. Sie spricht heute über Hoheneck, übrigens ohne jeden Hass, wenn sie irgendwo eingeladen wird, was generell nicht so oft und bei dieser Feierstunde nicht passiert. Dann aus der symbolischen Symmetrie auf der Bühne nichts geworden, ein Einheitskind, einmal Ost- , einmal Westbiografie, 30-60-90. Vielleicht wären auch ein paar aus Sicht von Angela Merkel nicht hilfreiche Sätze gefallen.

Auch die großen Medien bringen zum Feiertag kein Interview mit Wonneberger, Schönherz oder jemand anderem mit ähnlichem Lebenslauf. Zum 3. Oktober veröffentlicht die WELT einen Text über Bautzen und dessen Problem mit Rechtsradikalen. Die Existenz der DDR-Haftanstalt wird darin kurz in einem Satz erwähnt. SPIEGEL Online sendet ein Interview mit Petra Pau, heute stellvertretende Bundestagspräsidentin, früher Mitglied im Zentralrat der DDR-Staatsjugendorganisation FDJ.

Heidi Bohley hätten die Organisatoren der zentralen Einheitsfeier auch einladen können, Mitgründerin des neuen Forum in der DDR im Herbst 1989. Allerdings steht in Bohleys Kalender an diesem Tag schon ein Termin für einen anderen Festakt, über die viele Medien davor und danach mehr berichten als über die zentrale Feier in Potsdam: die Feierstunde im sächsischen Landtag. ...

Leute mit ostdeutschem Lebenslauf und einer kleinen oder größeren Macht gibt es einige. Ihre Biografien sind interessant. Allerdings ähneln sie einander auch.

Die Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks Carola Wille etwa steht für viele, die aus einer Familie der DDR-Elite stammen und selbst eine Laufbahn einschlugen, die ungebrochen nach oben führte. Wille ist Tochter des letzten SED-Bezirkschefs von Karl-Marx-Stadt Siegfried Lorenz, der ab 1986 im Politbüro saß, dem Machtzentrum der DDR. Sie promovierte 1984 an der Universität Jena zum Thema „Der Rechtsverkehr in Strafsachen zwischen der DDR und anderen sozialistischen Staaten unter besonderer Berücksichtigung der Übernahme der Strafverfolgung“. In ihrer Doktorarbeit hieß es: „Die Vorzüge des Sozialismus sind auch im internationalen Rahmen umfassend zur Geltung zu bringen.“

Von Jena wechselte sie an die Universität Leipzig, wo sie Medienrecht lehrte. Dort schrieb sie unter anderem zusammen mit einem Staatssicherheitsoffizier im besonderen Einsatz eine Zusammenfassung der „Internationalen Konferenz zu aktuellen Fragen des Revanchismus in der BRD“. ...

Und wie viele Ostdeutsche in höheren Ämtern stammen eigentlich heute, nach 30 Jahren Einheit, aus der DDR-Opposition? Arnold Vaatz, der CDU-Fraktionsvize und Redner von Dresden, muss eine Weile nachdenken. In seiner Fraktion, sagt er fällt ihm noch der sächsische Bundestagsabgeordnete Andreas Lämmel ein, allerdings einfacher Parlamentarier. Roland Jahn, der in der DDR als Oppositioneller im Gefängnis saß und 1983 ausgebürgert wurde, leitet heute die Stasi-Unterlagenbehörde. In der CDU gibt es noch Günter Nooke, ehemals Mitgründer des „Demokratischen Aufbruch“ in der DDR, dann Grüner, später Christdemokrat und heute Afrikabeauftragter der Kanzlerin.

Nooke redet etwas anders als die meisten Hauptstadtpolitiker, was auch daran liegt, dass er an Wochenenden oft zurückfährt in seinen Geburtsort Forst an der polnischen Grenze. Keine wohlhabende Gegend, demnächst soll die Braunkohlewirtschaft dort planmäßig stillgelegt werden, der letzte verbliebene Industriezweig. Nooke sagt, er könne die Frustration vieler Leute dort verstehen. Auch die Wut über die Windparks, von denen nur wenige profitieren, während der Wert der Häuser ringsum dadurch noch weiter fällt. Zurzeit organisiert er Unterstützung für ein Laufwasserkraftwerk im Kongo. Das wäre, sagt er, eine riesige Chance. Entwicklung am Ort, die vielleicht die Wanderung nach Europa bremsen könnte. Nooke spricht auch etwas anders über afrikanische Länder als andere Politiker. Er meint, nicht ausschließlich der Westen sei an den Problemen des Kontinents schuld. Und verweist auch auf die hohe Geburtenrate vieler Länder. Schon das brachte ihm den Vorwurf von Lobbygruppen ein, rassistisch zu sein. „Das ist doch unter der Wahrnehmungsschwelle geblieben“, meint der Beauftragte. Er nennt sich selbst ganz gern einen Lausitzer Granitschädel, eine Bezeichnung für die Leute dort, die sich so leicht nicht umkegeln lassen. Aber ob er den Posten des Afrikabeauftragten nach der Wahl behält, ist offen. Mit Roland Jahn endet die Zeit der vom Bundestag gewählten Chefs der Stasiunterlagen-Behörde (die einzige, an deren Spitze traditionelle ein Ostdeutscher ohne SED-Vergangenheit stand). Im Sommer 2021 geht der Aktenbestand ins Bundesarchiv über.

Arnold Vaatz will 2021 nicht wieder für den Bundestag kandidieren. Seine Außenseiterrolle reicht ihm schon jetzt manchmal.“

 

A_Stasiauflösung

Johannes Beleites

https://www.google.com/amp/s/m.lvz.de/amp/news/Leipzig/Lokales/Buergerrechtler-Johannes-Beleites-Erinnerungen-an-den-Herbst-89-Kritik-am-Buergerkomitee

Bürgerrechtler Johannes Beleites über besondere Erinnerungen an den Herbst ’89 und die Unruhe im Bürgerkomitee

Er war einer, der die Friedliche Revolution im Herbst 1989 hautnah miterlebte, der sie dokumentierte und sich für die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit engagierte: Johannes Beleites. Der heute

53-Jährige wirkte bei der Ausarbeitung des ersten Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) mit und beschäftigte sich nach der Wiedervereinigung mit der Aufarbeitung der Diktatur in der DDR. Er studierte Jura, war Mitarbeiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und arbeitete in der damaligen Gauck-Behörde. Inzwischen ist Beleites selbstständig. Im LVZ-Interview spricht er über bleibende Erinnerungen an den 9. Oktober vor 31 Jahren und das Bürgerkomitee Leipzig, dessen Mitglied er ist.

Welches Gefühl überwiegt bei Gedanken an den Herbst ’89?

Ein glückliches Gefühl. Das war die schönste Zeit der DDR. Und Leipzig war damals der beste Ort.

1990. Berlin im Wandel

Jedem seine Akte! Die Besetzung des Stasi-Archivs im September 1990

Die Friedliche Revolution in der DDR fegte auch das gefürchtete Ministerium für Staatssicherheit (kurz: Stasi) hinweg. Ab Dezember 1989 besetzten engagierte Bürgerinnen und Bürgern überall im Land Dienststellen der Geheimpolizei, am 15. Januar 1990 schließlich auch deren Zentrale in Berlin-Lichtenberg. Was noch wenige Monate zuvor absolut unvorstellbar war, geschah: Ende März gleichen Jahres hörte die Stasi praktisch auf zu existieren.

Daraus ergaben sich zahlreiche Folgeprobleme, eines der drängendsten war dieses: Wie sollte man nun eigentlich mit den Hinterlassenschaften des Geheimdienstes umgehen? Wohin mit den Akten, den Fotos, den Filmen und vielem anderen mehr? Im Sommer 1990 spitzten sich die Auseinandersetzungen über diese Fragen dramatisch zu – und sie gipfelten im September in einer zweiten Besetzung des Geländes in Berlin-Lichtenberg, auf dem sich jetzt ein Archiv mit Stasi-Unterlagen befand.

Zwei Wochen rangen Besetzerinnen und Besetzer, Politik und Öffentlichkeit um die Zukunft dieser Unterlagen. Die Lösungsvorschläge reichten dabei von der Vernichtung der Akten über ihren langjährigen Verschluss bis hin zur völligen Offenlegung. Am Ende stand kein Kompromiss, sondern eine klare Weichenstellung, die wesentlichen Einfluss auf die kommenden Jahre und unseren Blick auf die DDR nehmen sollte. Die Geschichte dieser Besetzung zeigt damit auch, dass zivilgesellschaftliches Engagement den Lauf der Dinge ganz wesentlich beeinflussen kann.

Unser Gast:

Wolfram „Tom“ Sello, geboren 1957 im sächsischen Meißen, engagierte sich zu DDR-Zeiten in verschiedenen Oppositionsgruppen, insbesondere, nachdem er 1979 nach Ost-Berlin gezogen war. Er organisierte Fahrraddemonstrationen gegen die allgegenwärtige Umweltverschmutzung und verbreitete 1982 gemeinsam mit Freunden Flugblätter gegen das neue Wehrdienstgesetz sowie die allgemeine Militarisierung der Gesellschaft. Ab 1987 arbeitete er in der oppositionellen Umweltbibliothek mit. 1989 nahm er sowohl an der unabhängigen Kontrolle der Kommunalwahlen im Mai teil als auch an der Mahnwache in der Gethsemanekirche im Oktober. Er war langjähriger Mitarbeiter der Robert-Havemann-Gesellschaft e. V. und ist seit November 2017 Berliner Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

 

https://www.bstu.de/informationen-zur-stasi/themen/beitrag/im-dritten-stock-die-besetzer/

„Am 4. September 1990 drangen mehr als 20 BürgerrechtlerInnen in die Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg ein und besetzten Räume in "Haus 7". Sie hatten Sorge, dass die von ihnen in der Friedlichen Revolution quer durch die DDR gesicherten Stasi-Unterlagen in der deutschen Einheit unter den Tisch fallen würden. In einer Veranstaltung 30 Jahre später erinnerten in ihren Rollen von damals Frank Ebert, Michael Heinisch, Tom Sello, Roland Jahn und Sabine Bergmann-Pohl an die mehrwöchige Besetzung von Mielkes Hauptquartier, unterstützt von dokumentarischen Tönen aus der Zeit.“

 

https://www.bstu.de/informationen-zur-stasi/themen/serien/podcast-zum-stasi-unterlagen-archiv/

 

A_SED-Gelder

https://m.die-tagespost.de/gesellschaft/literatur/in-die-staatliche-ideologie-verstrickt;art4882,212988?fbclid=IwAR3qf-E-SZTSzn0FnPinMO13077UlVrYnw75hnTdyrSGf0hSJudInHC98cU

„Die SED verfügte ihren eigenen Angaben zufolge über 6,13 Milliarden DDR-Mark, die im Zuge der Währungsunion zum Kurs 2 : 1 auf D-Mark umgestellt wurden. Hinzu kamen, wie der Historiker Hubertus Knabe kürzlich schrieb, rund 90 Millionen D-Mark auf ausländischen Konten, deren Existenz die Partei verschwieg. Am 21. Dezember 1989 beschloss das Parteipräsidium, „wirksame Schritte gegen Angriffe auf das Eigentum der SED-PDS einzuleiten“. Die Fokussierung auf die Umtriebe der Stasi, sagt Cora Stephan, habe vor allem einen Zweck verfolgt, nämlich von der SED und ihrem Milliardenklau abzulenken. Wie die Parteioberen ihn bewerkstelligten, schreibt Knabe, biete Stoff für mehrere Krimis. Cora Stephans großer Roman steht hier an erster Stelle.“

https://www.freiepresse.de/nachrichten/sachsen/ddr-parteivermoegen-fliesst-in-stasi-gedenkstaette-auf-dem-chemnitzer-kassberg-artikel11169699

A_Gedenkdiskussion

 

https://juedischerundschau.de/article.2020-09.die-ueberfaellige-umbenennung-der-u-bahnstation-karl-marx-strasse.html

 

 

https://m.pnn.de/potsdam/neue-gedenkdebatte-in-potsdam-cdu-will-faschismusdenkmal-umwidmen/26310950.html

So soll das Mahnmal künftig unter anderem an den Genozid an den Armeniern im Ersten Weltkrieg, den Völkermord an den Juden, Sinti und Roma, an Gewalt gegen politisch Andersdenkende und an die Opfer der deutschen Teilung durch Trennung, Mauer und Schießbefehl erinnern. Ziel sei es, den Denkmalwert "zu erweitern", heißt es in dem Antrag.“

 

Zeitz

https://www.ratsinfo-online.de/zeitz-bi/vo020.asp?VOLFDNR=5674

Ursprünglich sollte die Stadtratssitzung und der Beschluss der Gedenktafel für Opfer des DDR-Regimes kurz vor dem 3. Oktober 2020 - in Zusammehang mit dem 30. Jahrestag der Wiedervereinigung Deutschlands - erfolgen, musste jedoch wegen Corona auf den 8. Oktober verschoben werden. Dadurch ist der Beschluss - ebenfalls symbolträchtig -  in nächste Nähe zum 7. Oktober, dem Gründungstag der DDR, gefallen. 

Den vollständigen Gedenktafel-Antrag und die Schicksale zahlreicher Opfer der SED-Diktatur aus dem ehemaligen Kreis Zeitz kann man auf der Internetseite des Zeitzer Stadtrates nachlesen (Sitzung 8.10.2020, Tagesordnungspunkt 17, https://www.ratsinfo-online.de/zeitz-bi/to010.asp?SILFDNR=3973).  

„Dr. Oskar Schmidt stellte am 24.06.2020 den Antrag auf Anbringung einer Gedenktafel am Gewandhaus/ Altmarkt 16 in Zeitz (Anlage 1 Punkt 3.4) mit folgendem Wortlaut:

„In den Gebäuden Altmarkt 16-19 befand sich während der DDR-Zeit das Volkspolizeikreisamt, in dem Menschen verhört, schikaniert und in Gefängnisse überstellt wurden. Aus der Stadt und dem Kreis Zeitz kamen damals Menschen aus politischen Gründen zu Tode oder wurden in anderer Weise Opfer politischer Willkür.

Wir würdigen den Einsatz für Freiheit und Demokratie und

gedenken der Opfer der SED-Diktatur (1949-1989)

Die Stadt Zeitz 2020““

https://www.landesbeauftragter.de/aktuelles/neuigkeiten/details/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=1014&cHash=a90ccdf0de6f96c1993b1c23d147f56a

Falk Bersch, Autor:

„Der DDR-Rehabilitationspädagoge Klaus-Peter Becker versicherte 1984, es sei für Geschädigte in der DDR verbrieftes Recht, als ebenbürtige Staatsbürger vollständig am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Dem entgegengesetzt behauptete das Magazin STERN Mitte 1990 in einem Bericht, dass in der DDR keine Förderung für Behinderte existiere. Beide Aussagen sind falsch und machen deutlich, dass es eine pauschale Aussage über die Situation behinderter Kinder und Jugendlicher in der DDR nicht geben kann. Geprägt sind der größte Teil der Behinderteneinrichtungen aber bis zum Ende der DDR durch Großstationen, Überbelegung, mangelnde Tagesstrukturierung, bauliche Mängel, unzureichendes Personal sowie Überalterung, welche die von den Betroffenen berichteten Missstände begünstigten.““

A_Hohenschönhausendiskussion

https://ddrwebquest.wordpress.com/2020/10/27/42502/

„Es ist immer noch unfassbar, wie reibungslos die Nachwendekommunisten es geschafft haben, die Erfolgsgeschichte der Gedenkstätte Stasigefängnis Hohenschönhausen zu beenden. Sie war von Anbeginn an ein Stachel im Fleisch der SED/Linken, die nicht zuletzt im Stadtteil Lichtenberg, zu dem Hohenschönhausen gehört, bis heute eine Hochburg haben. Schon während der sog. „Wende“ wurden die Zellen aufgehübscht, bekamen bessere Bettgestelle, Schränke und Radios. Der Bezirk wollte das berüchtigte Gefängnis in einem neuen Industriegebiet verschwinden lassen. Schikanen, wie das Abmontieren von Hinweisschildern, Störungen der Besucherführungen und „Bürgerversammlungen“, in denen die Altkader, die ihre Häuschen rund um das Gefängnis hatten, lautstark die Harmlosigkeit der Anstalt beschworen, hinderten den wachsenden Erfolg, für den der Direktor Hubertus Knabe sorgt, nicht.

Schließlich gelang es dem immer gewinnend lächelnden kommunistischen Berliner Kultursenator Lederer, den Sturz von Knabe einzufädeln.

Vera Lengsfeld erzählt hier die ganze Geschichte.

Über das Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen gibt es im Block mehrere Texte, z. B. hierhier und hier.“

 

Vera Lengsfeld

https://www.reitschuster.de/post/die-geplante-abwicklung-einer-gedenkstaette/?fbclid=IwAR3u60DHZu7CbWuDLlmZ1alZ5fhOFfBYruLu2Uqdb4v7PH5Vr4_4YQCFBeQ

„Es handelte sich um eine perfekte Isolationshaft. Das ganze Regime war so organisiert, dass die Gefangenen einander nie sahen, außer die Stasi wollte es. Wenn man nach Tagen endlich einen Zellengefährten bekam, handelte es sich oft um einen Zellenspitzel. Das waren entweder Gefangene, die mit der Staatssicherheit kooperierten, um Strafmilderung zu erlangen, oder, wie in meinem Fall, verkleidete Stasileute, die trainiert waren, Informationen zu bekommen. Die Untersuchungshaft konnte sich wochen- oder monatelang hinziehen. Es gab weder Radio noch Fernsehen, keinen Kontakt zur Außenwelt, Bücher nur, wenn man auf die Idee kam, welche zu verlangen. Durch die Glasbausteine der Fensteröffnungen kam etwas Licht in die Zelle, von der Umgebung sah man nichts, auch nicht beim Freigang, der in einer Freiluftzelle absolviert werden musste, die doppelt mannshohe Mauern hatte und von einem eisernen Steg überquert wurde, auf dem bewaffnete Posten patrouillierten.

Während der Friedlichen Revolution wurden die Stasizentralen gestürmt und aufgelöst, die Gefängnisse aber vergessen. ...

Schon 1991 kam die Idee auf, auch die ehemalige Stasihaftanstalt einzubeziehen. Jörg Drieselmann, der Chef der ASTAG, vereinbarte mit der Verwaltung in Hohenschönhausen, dass er Schlüssel zu der Anlage bekam, um dort Führungen von ehemaligen politischen Gefangenen abhalten zu können. Diese Führungen wurden schnell ein beeindruckender Erfolg. Besonderen Anteil daran hatten Gerhard „Charly“ Rau, der 17 Jahre inhaftiert gewesen war, und der Psychologe und Hochschullehrer Hans-Eberhard Zahn, der schon in den 50er Jahren in die Fänge der Stasi geriet und 7 Jahre im Zuchthaus saß. ...

Ein erster Erfolg war, dass die Haftanstalt 1992 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Damit war den Plänen, sie in ein Gewerbegebiet umzuwandeln, ein Riegel vorgeschoben, obwohl diese noch jahrelang weiter verfolgt wurden. So soll es Versuche des Kultursenators Thomas Flierl (SED-PDS) gegeben haben, das Hauptgebäude für baufällig zu erklären, die jedoch erfolgreich abgewendet werden konnten. Gleichzeitig gab es eine regelrechte Kampagne der ehemaligen Stasimitarbeiter gegen die Gedenkstätte. ...

Wie effektiv ihre im Gesetz über die Errichtung der Stiftung „Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen“ festgelegte Aufgabe erledigt wurde, war immer ein Dorn im Auge der umbenannten SED. In allen Jahren ihrer Existenz musste sich besonders Knabe immer wieder Angriffen erwehren. Die Gedenkstätte wurde zur Forschungsanstalt, nicht nur, was die Geschichte der Haftanstalt Hohenschönhausen in den Jahren 1945 bis 1989 betrifft, sondern durch Ausstellungen, Veranstaltungen, Publikationen und Seminare informierte sie über die Auseinandersetzung mit den Formen und Folgen politischer Verfolgung und Unterdrückung in der kommunistischen Diktatur, insbesondere ihrer politischen Justiz. ...

Der entscheidende Angriff auf die Gedenkstätte erfolgte 2018, als Vorwürfe gegen den stellvertretenden Direktor öffentlich wurden. Ihm wurde vorgeworfen, weibliche Angestellte und Praktikantinnen sexuell belästigt zu haben. Ich will an dieser Stelle nicht die Bewertung dieser Vorwürfe diskutieren, noch wage ich eine Beurteilung, ob Knabe als Vorgesetzter alle nötigen Maßnahmen ergriffen hat, um mit der Situation richtig umzugehen.

Als Skandal empfinde ich, dass Senator Lederer (SED-Linke) Knabe vor seinem Erscheinen beim Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus einen juristischen Maulkorb verpasst hat, der geeignet ist, die Aufklärung zu verhindern.“

https://m.youtube.com/watch?v=zZ_DT7mibBk

 

https://www.google.de/amp/s/amp.welt.de/politik/deutschland/article217265418/Knabe-Untersuchungsausschuss-Opposition-wirft-Lederer-Verschleppung-vor.html

„Der Berliner CDU-Chef und Bundestagsabgeordnete Kai Wegner nimmt an, dass der Rauswurf von langer Hand geplant sei. „Der Verdacht wird immer stärker, dass Senator Lederer die Aufklärungsarbeit des Untersuchungsausschusses über seine Rolle bei der Knabe-Entlassung behindert“, heißt es in einer Erklärung.“

 

 

A_Opposititionelle

https://www.berliner-zeitung.de/zeitenwende/vera-lengsfeld-ich-denke-anders-li.113121?lid=true

„Sie feierte mit Mielke, saß im Stasi-Knast. Sie war SED-Mitglied und DDR-Oppositionelle. Sie erhielt das Bundesverdienstkreuz und eckt immer wieder mit zugespitzten Positionen an.“

 

https://www.berliner-zeitung.de/zeitenwende/mein-opa-der-stasioffizier-li.91039?lid=true

 

https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/natuerlich-haetten-wir-den-mund-halten-koennen-ossietzky-lengsfeld-li.77882.amp

„Beginnen wir mit der Solidarisierung: Es gab Schüler, die sich mit den aktiven Schülern solidarisiert haben. Es ist ihnen nicht gut bekommen: Die finale Liste der acht bestraften Schüler beruhte auf einer Unterschriftenliste unter eine Solidaritätserklärung. Wir haben sie erstellt, als es so aussah, dass mein Mitstreiter Benjamin ganz allein für die Proteste bestraft werden sollte. Alle Schüler, die diesen Brief unterschrieben haben, egal wie gering ihr Anteil an der Aktion war, wurden bestraft. 

In einem diktatorischen System ist Solidarisierung mit jemandem, der Kritik äußert oder der von der Macht gebrandmarkt wurde, fast noch schlimmer als das ursprüngliche Aufbegehren selber. Denn eine Kritik wird nicht dadurch gefährlich, dass sie sachlich richtig ist – das kann im Zweifel immer weggeredet werden. Sie wird gefährlich, wenn sich andere anschließen oder sich solidarisch zeigen.

Mein zweiter Punkt betrifft die Trennung von Familie und Staat. Ein diktatorisches System akzeptiert keinen familiären Schutzraum. Im Gegenteil, ein diktatorisches System trägt den Konflikt absichtsvoll tief in die Familien, auf sehr zerstörerische Weise. Und da sind wir beim Thema Distanzierung und Mitverantwortung.“

Christoph Wonneberger

https://www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2F2020%2F42%2Fchristoph-wonneberger-pfarrer-ddr-friedensgebete-demonstrationen-corona-politik

 

https://www.google.com/amp/s/www.fr.de/zukunft/storys/75-lektionen-mut/rede-offen-auch-wenn-die-feinde-mithoeren-90049327.amp.html

 

 

Freya Klier

http://blogs.dickinson.edu/glossen/2020/10/14/eine-kleine-weltchronik-fur-freya-klier/

https://vera-lengsfeld.de/2020/10/04/wendezeit-die-neuordnung-der-welt-nach-1989/#more-5574

„Die Joachim Hertz Stiftung, die sich die Förderung der deutsch-US-amerikanischen Beziehungen zum Zweck gesetzt hat, präsentierte am 24. September im Kleinen Saal der Elbphilharmonie das neueste Buch der Politikwissenschaftlerin Kristina Spohr „Wendezeit“ über die Neuordnung der Welt nach 1989. ...

Spohr kontrastiert im ersten Teil die beiden Umbrüche, die sich im Jahr 1989 ereignet haben: Den in China, wo sich das Land der kapitalistischen Weltwirtschaft öffnete, die kommunistische Partei aber ihre Macht mit einem Blutbad verteidigte und das beinahe friedliche Verschwinden des Kommunismus im Ostblock. Spohrs These, dass in der Zeit zwischen 1989 und 1992, den Scharnierjahren, entscheidende Weichen gestellt wurden, die uns heute noch zu schaffen machen, wird von ihr gut nachvollziehbar belegt. Es handelte sich um einen Umbruch, wie es keinen zuvor gab. Er ging nicht von der Politik, sondern von den Völkern aus. Durch den Druck der Straße wurde in einem weitgehend friedlichen Prozess durch internationale Abkommen, die in einem beispiellosen Geist der Zusammenarbeit ausgehandelt wurden, eine neue Weltordnung entwickelt. 

Aber die Neuordnung der Welt geschah nicht, indem man neue, der Entwicklung angemessene Instrumente erschuf, sondern weiter mit den alten Instrumenten hantierte. Das ist die tiefste Ursache der heutigen Krisen der EU, der NATO und der UNO.

Statt gemeinsame Werte zu entwickeln, wurde der Osten ermuntert, die westlichen Muster „aufzuholen“.“

 

http://www.poesiealbum.info/hefte/356.html

Poesieallbum 356
Jürgen Fuchs
(19.12.1950–9.5.1999)

Auswahl 
Utz Rachowski (*1954)

 

Vera Lengsfeld 

https://vera-lengsfeld.de/2020/10/03/deutschland-vereint-aber-tief-gespalten-meine-bilanz-zum-30-jahrestag-der-vereinigung/

„Der Bundestagsuntersuchungsausschuss „Verschwundenes DDR-Vermögen“ recherchierte in der zweiten Legislaturperiode nach der Vereinigung (1994-1998) 24 Milliarden DM hinterher, ohne größere Erfolge. Auch als Gysi, der neue Vorsitzende der SED, die kurze Zeit einen Doppelnamen, SED-PDS trug, als erste Amtshandlung eine Arbeitsgruppe zur Sicherung des Parteivermögens gründete, wurden wir nicht aktiv. Der SED-PDS blieben ihr Riesenvermögen und ihr Propagandaapparat voll erhalten. Beides setzte sie sehr effizient ein, um Sand ins Getriebe der Vereinigung und des Wiederaufbaus der Neuen Länder zu werfen. 

Vor allem gelang es ihr, den verlogenen Antifaschismus der DDR, der sehr erfolgreich den Blick auf die SED-Diktatur verstellt hatte, ins vereinte Deutschland zu retten. ...

Schon in den 90er Jahren waren die Medien überwiegend links. Das hatte Auswirkungen. Die SED-PDS wurde als die wahre linke Partei angesehen, die es zu fördern galt. Jahrzehntelang war Gregor Gysi fester Bestandteil der Talkshows. Kein Politiker war so oft vertreten, wie der clevere Vorsitzende der umbenannten SED. Mehr noch, Gysi konnte sich seine Kontrahenten. mit denen er diskutieren würde, aussuchen. Er hatte eine Art schwarze Liste, auf der Bärbel Bohley, Arnold Vaatz, Angelika Barbe, Hubertus Knabe  und auch ich standen. Wenn einer von uns eingeladen worden war, wurde er nach der Intervention von Gysi wieder ausgeladen. Ich habe nie erlebt, dass  ein Sender Gysis Forderungen nicht erfüllt hätte. ... 

Wer heute etwa auf Twitter feiert, dass für unliebsam erklärte Mitglieder der Gesellschaft im Restaurant nicht bedient werden, keine Hotelübernachtung bekommen, Versammlungen nicht abhalten können, weil ihnen keine Räume vermietet werden, wer denkt, dass sie es verdient haben, auf der Straße bepöbelt, bespuckt oder sogar geschlagen zu werden, dass ihre Büros demoliert, ihre Autos angezündet werden, bewegt sich in den gefährlichen totalitären Denkmustern, die Deutschland im letzten Jahrhundert an den Abgrund gebracht haben. ... 

Wie hat die SED es überhaupt in den Bundestag geschafft? Der Coup ist heute fast vergessen, deshalb erinnere ich noch einmal daran. Die 16%, die von der SED-PDS bei den Volkskammerwahlen 1990 erzielt hat, hätten lange nicht gereicht, um die 5%-Hürde bei den Bundestagswahlen 1990 zu überspringen. Deshalb wandte sich Gregor Gysi an Bärbel Bohley und andere Mitglieder des Neuen Forums und legte ihnen dar, dass die 5%-Hürde eine Benachteiligung der neu gegründeten Parteien darstellen würde. Das Neue Forum zog mit Gysi als Anwalt vor das Verfassungsgericht und setzte durch, dass die erste gemeinsame Bundestagswahl in zwei getrennten Wahlgebieten stattfinden würde. Die Folgen waren gravierend. Im Osten übersprang Bündnis 90/ Grüne die 5%, im Westen scheiterten die Grünen daran. Als Kollateralnutznießerin zog auch die SED-PDS mit einer Gruppe in den Bundestag ein. ...

Die SED-Linke muss dennoch nicht befürchten, dass sie dafür aus dem Kreis der Demokraten ausgeschlossen werden würde. Linksradikalismus oder -extremismus ist längst kein Hinderungsgrund mehr. Der Blick unserer Eliten ist so stramm nach rechts gerichtet, dass sie die gefährlichen Entwicklungen im Linksextremismus längst nicht mehr wahrnehmen.

Mehr noch: der Gesellschaft ist mehrheitlich das Gefühl dafür abhanden gekommen, dass es in einer funktionierenden Demokratie neben einer demokratischen Linken eine demokratische Rechte geben muss, um die Balance zu halten.  Die Funktion einer demokratischen Rechten hat jahrzehntelang die Union erfüllt. Das hat die alte Bundesrepublik zum Erfolgsmodell gemacht. Seit unter der Vorsitzenden Merkel die CDU zu einer weiteren links-grünen Partei mutierte, ist die demokratische Balance abhanden gekommen. Merkels anfangs als genial angesehene Strategie, den linken Parteien die Themen wegzunehmen hat zu der fatalen Konsequenz geführt, dass radikale, bis extremistische Forderungen umgesetzt werden.“

 

Wolfgang Ratzmann

https://www.google.com/amp/s/www.giessener-anzeiger.de/amp/lokales/stadt-giessen/nachrichten-giessen/zur-wendezeit-in-leipzig-alles-miterlebt_22368882

„Die Friedliche Revolution bezeichnete Führer damals als "Wunder biblischen Ausmaßes". Ursprünglich war Ratzmann der Posten als Pfarrer in der Nikolaikirche 1979 angeboten worden, doch sein Wechsel in das Theologische Seminar stand bereits fest. "So wurde Christian Führer der Pfarrer in der Nikolaikirche. Und ehrlich gesagt, ich hätte Mühe gehabt, die Ausreisewilligen als Seelsorgefälle ernst zu nehmen", berichtete der Sachse.“

A_Haftopfer

 

Hermann Joseph Flade

https://www.l-iz.de/bildung/buecher/2020/07/Die-Freiheit-ist-mir-lieber-als-mein-Leben-Die-Biografie-des-fast-vergessenen-Hermann-Flade-341081

„Ganz am Ende ihrer Nachbemerkungen schreibt Karin König einen wichtigen Satz: „Die Geschichte der DDR ist letztlich auch eine Geschichte der Bundesrepublik, nicht erst seit der deutschen Einigung.“ Womit sie wohl das größte Problem der heutigen (west-)deutschen Sicht auf Geschichte benennt. Da werden dann nicht nur die Schicksale der einst in der DDR-Justiz zerstörten Menschen marginalisiert. Auch die eines Mannes wie Hermann Flade.

Königs Schlussfolgerung: „Man sollte sie deshalb auch nicht abzuspalten oder gar zu ignorieren versuchen, sondern sie ebenfalls thematisieren und möglichst gemeinsam erörtern.“ Damit entschärft sie die Aussage deutlich. Was schon genug erzählt über deutsch-deutsche Geschichtsschreibung. Wobei sie nicht erwähnt, dass sich der Westen mit seiner Geschichte genauso schwertut. Wie will man den ostdeutschen Teil integrieren, wenn es nicht einmal eine große ganze deutsche Geschichte ab 1945 gibt, sondern nur eine, die alles fein säuberlich teilt in Wir und Die?

Übrigens eine Position, von der auch Karin König nicht ganz frei ist, die mit diesem Buch ein fast vergessenes Schicksal wieder aus dem Dunkel holt, in ihren Nachbemerkungen aber trotzdem versucht, das Leben und die Handlungsweise Hermann Flades nachträglich moralisch zu bewerten. Damit verlässt sie die Basis historischer Unparteilichkeit.

Und es tut ihrer Arbeit nicht gut, die sie hier geleistet hat, indem sie das Leben des in Olbernhau aufgewachsenen jungen Mannes erzählt, der 1950 den Mut hatte, nachts selbst gedruckte Flugblätter zu verteilen, mit denen er gegen die Einheitswahlen vom 15. Oktober protestierte, bei denen erstmals die Volkskammer nach der Einheitsliste der Nationalen Front „gewählt“ wurde – eine Farce, was ja nicht nur Flade so sah. Wählen konnten die DDR-Bürger da nicht. Sie konnten den Zettel mit den vorgegebenen Kandidaten nur falten und in die Urne stecken. Wer sich anders verhielt, machte sich verdächtig.

Und Königs Verdienst ist es, dass sie sehr akribisch herausarbeitet, wie rigide das Straf- und Überwachungssystem im Osten schon damals funktionierte, gerade einmal fünf Jahre nach Kriegsende. Logisch, dass Flade durchaus Angst hatte in seiner nächtlichen Verteilaktion und dass er zur Sicherheit sogar ein Taschenmesser dabei hatte, mit dem er dann den Volkspolizisten, der ihn verhaftete, verletzte. Die Verletzungen waren leicht – aber in der gesteuerten Parteipresse war schnell vom Mordversuch zu lesen, wurde Flades Tat regelrecht aufgebauscht. ...

Karin König Die Freiheit ist mir lieber als mein Leben, Lukas Verlag, Berlin 2020, 19,80 Euro.“

 

https://m.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/hermann-flade-16953267.html

„Seine Biographin erklärt es – vermutlich zu Recht – damit, dass Flade das System herausfordern und mit dessen eigenen Waffen schlagen wollte. Eine naive Vorstellung, wie sich bald zeigen musste. Flade war während seiner Haft von IMs praktisch umzingelt. Wo er glaubte, die Staatssicherheit austricksen zu können, trickste sie ihn aus. Später in der Bundesrepublik machte er immer wieder auf das Schicksal der politisch Verfolgten in der DDR aufmerksam und erzählte seine Geschichte; auch wurde er zum Fluchthelfer. Er schrieb seine Autobiographie „Deutsche gegen Deutsche“ als „Erlebnisbericht aus dem sowjetzonalen Zuchthaus“.“

 

 

http://www.workuta.de/aktuelles/index.html

 

Auf Initiative von Memorial Deutschland fand nun zeitgleich am Berliner Steinplatz vor dem Denkmal für die Opfer des Stalinismus erstmalig eine Namenslesung der aus Berlin und Brandenburg stammenden Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft statt. Von den 923 Zivilisten aus Deutschland, die zwischen 1950 und 1953 von Sowjetischen Militärtribunalen (SMT) in der SBZ und DDR zum Tode verurteilt, nach Moskau verschleppt und dort erschossen wurden, kamen 241 Personen aus Berlin und Brandenburg. Die Opfer haben kein individuelles Grab, sie wurden heimlich erschossen und ihre Asche auf dem Moskauer Friedhof Donskoje verscharrt. Die meisten Opfer wurden nach dem Zerfall der Sowjetunion von der russischen Militärstaatsanwaltschaft rehabilitiert. Weiterführende Links:

https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/stiftung/aktuelles/30-oktober-erinnern-die-opfer-politischer-gewalt-der-sowjetunion

https://www.dw.com/ru/kak-prohodila-akcija-vozvrashhenie-imen-v-berline/a-55441122

https://www.memorial.de/index.php/aktuell/veranstaltungen/7862-gedenkveranstaltung-die-rueckgabe-der-namen-am-29-10-2020-am-steinplatz-in-berlin-chrlottenburg

 

Die Lagergemeinschaft Workuta / GULag Sowjetunion hat sich der Initiative gerne angeschlossen und neben Memorial Deutschland, der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur einen Kranz am Mahnmal abgelegt.

Joachim Desens verlas die Namen der vier Mithäftlinge, die mit seinem Vater Theodor Desens am 25. Juni 1951 im NKWD Gefängnis in der Potsdamer Lindenstraße durch ein SMT verurteilt wurden. Theodor Desens wurde zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, er kam in die Strafregion Workuta.

Die Mitangeklagten Harry Ewald geboren am 22. Juli 1929 in Jähnsdorf/Kreis Crossen, Günter Rah, geboren am 18. Juli 1925 in Rheinsberg, und die Gebrüder Gerhard, geboren am 31. Juli 1929 in Rüdersdorf und Max Strötzel wurden zum Tode verurteilt. Max Strötzel brach nach dem Urteil zusammen und verstarb später in einer Haftanstalt der DDR. Die drei anderen zum Tode Verurteilten wurden am 15. Oktober 1951 in Moskau hingerichtet. Sie wurden am 10. November 1996 posthum rehabilitiert.

Stefan Krikowski verlas folgende Namen vor:

Reinhard Gnettner, geboren am 26. Juni 1897 in Görlitz. Er wurde nach einem Gottesdienst in Fürstenberg (Eisenhüttenstadt) vor den Augen seiner Frau und zwei Kinder verhaftet, im NKWD-Gefängnis in der Lindenstraße in Potsdam am 4. April 1951 zum Tode verurteilt und am 27. Juni 1951 in Moskau hingerichtet. Seine jüngste Tochter hat erst im Rahmen der überarbeiteten Gedenktafel für ihren Vater, die 2017 am ehemaligen Pfarrhaus in Fürstenberg angebracht wurde, über das Schicksal ihres Vaters erfahren.

Wolfgang Kreyßig, geboren am 23. Juni 1926 in Chemnitz. Zusammen mit seiner frisch verheirateten Ehefrau Elfriede Kreyßig wurde er am 21. November 1951 im Gefängnis Roter Ochse in Halle/Saale verurteilt. Wolfgang Kreyßig wurde am 26. März 1952 in Moskau hingerichtet. Elfriede Kreyßig kam nach Workuta. Sie schrieb nach ihrer Haftentlassung: "Mein Leben nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft in einem inzwischen eingemeindeten Ortsteil von Chemnitz, in dem ich heute noch lebe, widmete ich ganz meinen Eltern. Immer mit dem Gedanken, wenn mein Mann, dem ich in einem günstigen Moment nach dem Tribunal mein Versprechen geben konnte: 'Ich werde auf dich warten, ganz gleich, wie lange es dauert', zurückkommen sollte, würde ich ihm die Entscheidung überlassen, wo wir unser gemeinsames Leben fortsetzen. Erst ein von mir als endgültig betrachtetes Schreiben des DRK-Suchdienstes München vom 1. Dezember 1993 gab mir die Gewissheit vom Tod meines Mannes am 26. März 1952. Eine Todeserklärung in den Jahren zuvor kam für mich nicht infrage." 

Herbert Belter, geboren am 21. Dezember 1929, Student an der Universität Leipzig. In einem Gruppenprozeß mit zehn Personen wurde Herbert Belter am 20. Januar 1951 in Dresden zum Tode durch Erschießen verurteilt. Er wurde am 28. April 1951 in Moskau hingerichtet. Auch er wurde von der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation rehabilitiert. Seine mit ihm angeklagten Freunde, die alle 25 Jahre Haftstrafe erhielten und bis 1955 in Workuta Zwangsarbeit leisten mussten, u.a. Werner Gumpel, haben sich immer dafür eingesetzt, dass das Andenken an Herbert Belter lebendig bleibt. So findet seit 2008 jährlich die Belter-Tagung organisiert durch die Konrad-Adenauer Stiftung in Leipzig statt.

Helmut Sonnenschein las den Namen seines Vaters Helmut Sonnenschein, geboren am 28. Mai 1906 in Leipzig. Er wurde am 26. April 1951 in Berlin-Lichtenberg zum Tode durch Erschießen verurteilt und am 4. Juli 1951 in Moskau erschossen. Am 17. Juli dieses Jahres wurde eine Gedenktafel „Letzte Adresse“ zu seinem Gedenken an seiner letzten Wohnadresse in Naumburg angebracht.

Es war ein würdevoller Abend am Steinplatz in Berlin mit ca. 50 Teilnehmern. In einem Nachgespräch mit Frau Dr. Anke Giesen und Frau Christina Riek (beide Mitglied im Vorstand von MEMORIAL Deutschland) meinten sie, dass im nächsten Jahr dieser Gedenktag wieder am Steinplatz fortgeführt wird.

Annähernd eintausend Deutsche wurden zwischen 1950 und 1953 von östlichen Geheimdiensten verhaftet, von sowjetischen Militärtribunalen in der DDR wegen angeblicher Spionage und antisowjetischer Agitation zum Tode verurteilt und in Moskau hingerichtet. Die Toten wurden im Krematorium des Moskauer Friedhofs Donskoje verbrannt und in einem Massengrab verscharrt. Über Jahrzehnte hatten Moskau und Ost-Berlin alles daran gesetzt, die Spuren der Opfer zu verwischen. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt ist es der russischen Menschenrechtsorganisation „Memorial“ International Moskau, Facts & Files – Historisches Forschungsinstitut Berlin und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gelungen, Akten über die Verurteilungen, Hinrichtungen und die verzweifelte Suche der Angehörigen aufzufinden. Das Leben und der gewaltsame Tod dieser Frauen und Männer werden in dem vorliegenden Totenbuch dokumentiert.

Anna Kaminsky (Hrsg.)Arsenij Roginskij (Hrsg.)Frank Drauschke (Hrsg.)

„Erschossen in Moskau …“. Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950–1953, 22.-€

4. überarbeitete Auflage – erscheint ca. 25 November im Buchhandel

Stefan Krikowski

Sprecher der Lagergemeinschaft Workuta / GULag Sowjetunion

 

http://www.poesiealbum.info/hefte/356.html

A_Rehabilitierung

https://m.bild.de/regional/bremen/bremen-aktuell/regime-kein-unrechtsstaat-justiz-senatorin-laesst-ddr-opfer-abblitzen-73146452.bildMobile.html?fbclid=IwAR2seP-cE4IKTqE9YFtQpU2ocrWxjSl68zUXnxM1C-2upn7k_rQmhtTsjJ0#%23%23wt_ref=https%3A%2F%2Fwww.google.com&wt_t=1601366877705%23%23%23wt_ref=https%3A%2F%2Fl.facebook.com%2F&wt_t=1601403562187

„Bremen - 245 Mauertote, Stasi-Überwachung, Foltergefängnisse. Über 16 Millionen streng bewachte Menschen hinter Stacheldraht. Für den rot-grün-roten Senat war die DDR trotzdem kein Unrechtsstaat.

Dieses Ergebnis kam im Petitionsausschuss der Bürgerschaft heraus. Ein ehemaliger DDR-Häftling forderte von R2G ein eindeutiges Bekenntnis, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Unterstützung bekam er von FDP und CDU.

FDP-Ausschussmitglied Birgit Bergmann (57): „Bürger wurden in der DDR bespitzelt, eingesperrt, auf der Flucht in den Westen erschossen. Eine unabhängige Justiz gab es nicht. Die SED hatte alle Macht.“

Doch Justizsenatorin Claudia Schilling (52, SPD) reicht dieses Unrecht nicht. Sie empfahl dem Ausschuss, den Antrag abzulehnen: „Der Begriff Unrechtsstaat ist der durch industriellen Massenmord geprägten NS-Herrschaft vorbehalten.“ So sahen es dann auch die Petitionsmitglieder der Regierungskoalition.

Bremen, Hamburg und Berlin sind damit die einzigen Bundesländer, die sich vor dem Begriff Unrechtsstaat drücken. Ein Entgegenkommen der mitregierenden SED-Nachfolgepartei die Linke?“

 

A_Zeitzeugen

https://www.google.de/amp/s/amp.mz-web.de/bernburg/30-jahre-deutsche-einheit-zeitzeugen-erinnern-an-gefuehle-in-wende-zeit-37436618

„Beim Rückblick auf die Jahre 1989/90 sind es aber keine bestimmten Ereignisse, die Johannes Lewek in Erinnerung geblieben sind, sondern Gefühle: Er erzählt von der Angst, die er als Mitbegründer der regionalen Gruppe des Neuen Forums empfand, ob das, was sie dort taten, negative Folgen haben würde. ... Wenn er aus dieser Zeit etwas mitgenommen hat, dann, dass man auch „unbequeme Minderheiten hören“ sollte - und er meint damit auch diejenigen, die gegen die geltenden Corona-Regeln demonstrieren.

Von seinen Erfahrungen im DDR-Gefängnis Anfang der 80er Jahre berichtete Heimathistoriker und Mitarbeiter der Kreisverwaltung Joachim Grossert.“

 

Gerald Wiemers und Horst Hennig haben die Lebensgeschichte des Jakob Goldscheid festgehalten. Sie können sie auf unserer Homepage unter AKTUELLES mit Eintrag vom 23.8.2020 nachlesen: http://www.workuta.de/aktuelles/index.html

 

A_Neonazis in der DDR

https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/egon-krenz-ueber-einen-neonazi-mord-waere-ich-informiert-worden-li.113474

„Im Juni 1986 kam der mosambikanische DDR-Vertragsarbeiter Manuel Diogo ums Leben. Die DDR-Behörden stellten fest, dass es ein Unfall war. Der Historiker Harry Waibel und der MDR behaupten heute, Diogo sei von einer Bande Neonazis ermordet worden, und die Staatssicherheit hätte das vertuscht. Als die Staatsanwaltschaft Potsdam im Juni dieses Jahres ankündigte, den Fall neu aufzurollen, begann die Berliner Zeitung mit eigenen Recherchen, die unter dem Titel „Wie aus einem tragischen Unfall ein brutaler Neonazi-Mord wurde“veröffentlicht wurden. Am Rande dieser Recherchen tauchte immer wieder die Frage auf: Wie antifaschistisch war die DDR? Hätte die Staatssicherheit einen Neonazi-Mord verheimlichen können? Und wenn ja, warum? Darüber sprachen wir mit Egon Krenz, damals Stellvertreter Erich Honeckers im Staatsrat und im Politbüro der SED.“

 

A_Nachrufe

 

Hans-Peter Freimark

 

https://www.maz-online.de/Lokales/Ostprignitz-Ruppin/Neuruppin/30-Jahre-Einheit-Kreistag-in-Kyritz-erinnert-an-Pfarrer-Freimark

„Der Kreistag Ostprignitz-Ruppin erinnerte am Dienstag bei einer Sondersitzung in Kyritz an Hans-Peter Freimark. Der einstige Pfarrer, der am Sonntag starb, sollte die Festrede zu 30 Jahre Deutsche Einheit halten.“

 

https://www.brandenburg-live.com/Nachricht_7226_Nachruf-f-r-Hans-Peter-Freimark-der-mutige-Pfarrer-zu-DDR-Zeiten.html

 

https://pp-agentur.net/2020/10/06/hans-peter-freimark-verstorben-nachruf-der-stadt-perleberg/

 

https://www.google.de/amp/s/m.maz-online.de/amp/news/Lokales/Prignitz/Perleberg/Pfarrer-Hans-Peter-Freimark-in-Perleberg-verstorben

 

Hans Simon

 

https://www.havemann-gesellschaft.de/in-memoriam/ein-nachruf-auf-hans-simon/trauerpredigt-von-pfarrer-philipp-mosch-fuer-hans-simon-am-22-september-in-der-st-gotthardtkirche-brandenburg-an-der-havel/

 

 

Günter de Bruyn

„Er ist in der Zeit emigriert“

deutschlandfunkkultur.de

Kann es doch ein richtiges Leben im falschen geben? Günter de Bruyn

hat sich zeitlebens darum bemüht. Ein Nachruf.

fr.de

 

 

A_Polen_SU

 

Polen 

https://unser-mitteleuropa.com/polen-unterstuetzung-fuer-widerstand-gegen-das-kommunistische-regime/

„Die polnische Regierung hat am vergangenen Mittwoch beschlossen, jenen besondere Vorteile zu gewähren, die sich vor 1989 aktiv an der Opposition gegen das kommunistische Regime beteiligt hatten, insbesondere in Form einer Mindestrente von 2.400 Złoty (545 Euro) sowie ermäßigter Sätze in öffentlicher Verkehr.“

(Wird Zeit, Lech Walesa hatte bei einer Veranstaltung in den 90ern im Haus am Checkpoint Charlie auf meine Frage, ob die über 1000 Oppositionellen, die während der 80er Jahre in Internierungslagern gefangen gehalten wurden, jetzt rehabilitiert und entschädigt würden - notfalls mit EU-Geldern - etwa sinngemäß geantwortet: „Dafür haben wir uns doch nicht engagiert, um dafür jetzt Geld zu bekommen.“ GH)

 

https://m.tagesspiegel.de/kultur/polens-sieg-ueber-die-sowjetunion-vor-100-jahren-als-polen-deutschland-vor-der-roten-armee-rettete/26105956.html?utm_referrer=https%3A%2F%2Fm.facebook.com&fbclid=IwAR1t_4pKKd55EHk_uIqf3AY9JR2MWtn6OlwD-Sw2IJkoHK_ES3WlyO_PN4o

„Vor hundert Jahren wäre Deutschland beinahe kommunistisch geworden. Im August 1920 drang die Rote Armee unter Michail Tuchatschewskij und Semjon Budjonnyj von Kiew nach Westen vor und traf über viele hundert Kilometer auf wenig Widerstand des kürzlich wiedererstandenen polnischen Staats. Warschau und die Weichsel waren die letzte Verteidigungslinie. Würde sie fallen, wäre der Weg nach Deutschland offen, kalkulierte Lenin. Und dort würde die Arbeiterschaft – vernachlässigt von Kaiserreich und Weimarer Republik, demoralisiert durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg und die Hungermonate – die Rote Armee als Befreier begrüßen und die kommunistische Revolution ausrufen.

Doch dann geschah das „Wunder an der Weichsel“. Polen feiert es in diesen Tagen mit Stolz. Staatschef Józef Pilsudski stoppte den Vormarsch in der zwölftägigen Schlacht bei Warschau (13. bis 25. August 1920). Gegen die Empfehlung der französischen Militärberater begann er eine waghalsige Gegenoffensive. Polen rühmt sich, es sei das einzige Land, das die Sowjetunion militärisch besiegt hat.

So sieht sich das Land auch heute: „Vormauer des Christentums“, Retter des christlichen Abendlands durch heldenhaften Widerstand gegen die Barbaren aus dem Osten. 1683 hatte König Jan Sobieski die Türken vor Wien gestoppt und Europa vor der Islamisierung bewahrt. 1920 rettete Pilsudski Europa vor der Roten Armee. 1989 befreite die Gewerkschaft Solidarnosc erst Polen und dann ganz Mitteleuropa von der Diktatur. ...

Im Oktober 1920 folgte der Frieden von Riga. Litauen wurde Republik, die heutige Hauptstadt Wilna blieb polnisch. Belarus und die Ukraine wurden Sowjetrepubliken, mit Westgrenzen, die 300 Kilometer weiter östlich lagen als heute. Die Gebiete, die jetzt den Westen von Belarus und der Ukraine bilden, gehörten zu Polen, bis Hitler und Stalin es 1939 erneut aufteilten. Diese einst polnischen Gebiete sind nun neben den Hauptstädten Kiew und Minsk Zentren des Widerstands gegen Wahlbetrug und Gängelung durch Putin, in Belarus zum Beispiel Grodno.“